Am 30. Oktober nahm Professor Dr. Johann-Mattis List sein Publikum mit auf eine Reise in die vergleichende Sprachforschung.
Bevor Prof. List auf spannende Ergebnisse und Erkenntnisse der vergleichenden Sprachforschung einging, blickte warf er einen humorvollen Blick auf seine Forschungsrichtung, der er sich seit nunmehr 20 Jahren widmet. Sie habe sicherlich nicht die Tragweite der Forschung zum Klimawandel, dafür aber das Vermögen Spuren der Vergangenheit und damit unser selbst aufzudecken.
Den Einstieg in das Thema bildete der vielseits beklagte Sprachverfall, der bereits in der Antike bedauert wurde und heutzutage immer noch beklagt wird, vor allem in Bezug auf den Einfluss des Englischen auf das Deutsche. Auch der Verlust des Kasus fällt in diese Kategorie, weshalb lange Zeit in Deutschland diskutiert wurde, dass der Genitiv bald verschwinden würde, weil es Menschen immer schwerer falle, ihn korrekt anzuwenden. List verwies jedoch darauf, dass diese Argumentation meist schief ist, da der Genitiv nicht in allen Situationen ausstirbt, sondern in manchen sogar fälschlicherweise wieder eingführt wird (wie bei der Präpositin trotz, die ja eigentlich mit dem Dativ gebildet werden müsste). Sprachen verfallen also nicht, sie wandeln sich lediglich auf dynamische Weise. Dieser Wandel führt nie dazu, dass eine Sprache irgenwann nicht mehr verwendet werden könnte. Eher das Gegenteil ist der Fall, Sprachen passen sich an unsere Kommunikationsbedürfnisse an.
Der beständig stattfindende Sprachwandel ist auch im Lautwandel zu beobachten. Lautwandel bezieht sich auf die Änderung in der Aussprache von individuellen Wörtern. So berichtete Prof. List, dass Laute am Anfang von Wörtern sich bisweilen systematisch ändern onnen. Pfanne wird somit zu Fanne oder Pfeife zu Feife. Wenngleich das pf grundsätzlich selten vorkommt, so lässt sich diese Änderung nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen Sprachen, z.B. einzelnen chinesischen Dialekten, beobachten. Diese Wandelphänomene lassen sich auch im Vergleich von Sprachen identifizieren. So können wir leicht systematische Ähnlichkeiten zwischen Deutsch und Englisch erkennen, da beide Sprachen ja nah verwandt sind und sich erst vor ca. 2000 Jahren auseinanderentwickelt haben. Hier heißt Pfanne noch pan und Pfund heißt noch pound, was zeigt, dass bereits das pf im Deutschen aus einer älteren Lautung entstanden ist. Dass Lautwandel gesetzmäßig abläuft und für alle Wörter gilt, die strukturell gleich sind, wurde bereits im frühen 19. Jahrhundert von Jacob Grimm und Rasmus Rask nachgewiesen.
Nach dem Exkurs in den Lautwandel ging Prof. List auf die Methoden des Sprachvergleichs ein.
Die Kernmethode des historischen Sprachvergleichs stellt die komparative Methode dar. Bei der komparativen Methode werden beispielsweise englische und deutsche Wörter in Lautsprache übersetzt, die dann auf Korrespondenzen hin untersucht werden. Auf diese Art einander ähnliche Wörter nennt man verwandte, kognate Wörter. Hier setzt die Möglichkeit einer computerunterstützten Sprachforschung an, wobei die Betonung auf computerunterstützt im Gegensatz zu computerbasiert liegt. Die Digitalisierung fungiert also als ein Hilfsmittel für den Sprachforscher, sie soll die Forschung durch Menschen nicht komplett ersetzen, sondern sie verbessern
Die Methode ermöglicht es uns, die Entwicklungen von Sprachen in Baumdiagrammen darzustellen, wie wir sie aus der Evolution der Arten von Darwin kennen. Hierzu ein Fun Fact: Die stammbaumartige Darstellung der Sprachentwicklung ging der stammbaumartigen Darstellung von Vererbung in der Biologie voraus! Es war also nicht Darwin, der die Linguistik inspirierte, es mag vielleicht sogar die Linguistik gewesen sein, welche Biologen wie Ernst Häckel im 19. Jahrhundert dazu inspirierte, Stammbaum um Stammbaum von Arten und Spezies zu veröffentlichen.
Abschließend ging Prof. List noch auf den semantischen Wandel, die Lexikalisierung, also die Möglichkeit, auf verschiedene Arten dasselbe auszudrücken und auf die Kolexifizierung ein.
Kolexifizierung bedeutet, dass in derselben Sprache das gleiche Wort für verschiedene Konzepte verwendet wird. Dies sind die berühmten Teekesselchen, die man in dem bekannten Spiel sucht, also Wörter, die viele Bedeutungen haben (wie das Wort Maus, was auf das Tier oder das Computerutensil verweisen kann), oder unterschiedliche Konzepte, die durch das gleiche Wort ausgedrückt werden (wie das Wort Erde, welches sowohl auf die Welt als auch auf die Substanz im Boden verweisen kann). Um einzelne Konzepte herum lassen sich dann Netzwerke bilden, die zeigen, wie Menschen die Welt im Allgemeinen wahrnehmen.
Damit endete dieser äußerst informative, gleichzeitig kurzweilige Abend und die Reise in die Vergangenheit. Wer sich weiter mit Sprache und den Botschaften, die wir aus ihr lesen können, beschäftigen möchte, dem seien das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache und CLICS³ empfohlen.