Starimages
Mit Beginn des Kinos als populärkulturelle, ökonomisch orientierte Industrie und dem Spielfilm als eigenständige audiovisuelle Kunstform im frühen 20 Jahrhundert entsteht ein Studiosystem in den USA und in Europa, das den Schauspieler im Film als Filmstar neu konzipiert. Der Filmschauspieler, seine Eigenschaften, die von ihm verkörperte Rolle und sein Privatleben werden zu zentralen Elementen bei der Vermarktung von Filmen, um Zuschauer ans Kino zu binden. Hier greift eine mediensemiotisch orientierte Analyse von Starimages an, indem sie untersucht, wie mittels medialer Verfahren in konkreten audiovisuellen und anderen Texten Vorstellungen von der Person des Schauspielers in konkreten Spielfilmen mit verhandelt werden, welche Funktionen sie in den jeweiligen Textsemantiken übernehmen können und welche kulturellen Werte- und Normenmuster sie symbolisch repräsentieren.
1. Der Star als kulturelles Dispositiv einer Wahrnehmungssemantik
Die neue Medienkultur des Films greift auf ein Phänomen des kulturellen Wissens zurück, das spätestens seit dem Ende des 18. Jh. greifbar ist: Die genialische Künstlerpersönlichkeit, die eins ist mit ihrer künstlerischen Produktion und alle textuellen, artifiziellen, handwerklichen, emotionalen und wirkungsästhetischen Effekte im Durch- und Erleben der Kunstproduktion an sich und ihren Körper bindet. Neben den in diesem Sinne ‚modernen‘ männlichen Schauspielstars des späten 18. und frühen 19. Jh.s wie David Garrick und August Wilhelm Iffland bildet sich gegen Ende des 19. Jh.s. als weiblicher Schauspielstar die Diva heraus, genannt seien hier nur Eleonore Duse und Sarah Bernhardt. Ähnliche Starqualitäten weisen im 19. Jh. auch Musikerinnen und Musiker wie Frederic Chopin, Franz Liszt, Clara Schumann und Wilhelmine Schröder-Devrient auf. In der Zusammenschau der schauspielernden und musizierenden Künstlerinnen und Künstler wird dabei greifbar, dass im Kern des Starimages eine körperliche Performanz, ein körperlich gebundener Vollzug einer als künstlerisch inszeniert markierten, konkreten Handlung steht. Indem der individuelle, konkrete Körper des Künstlers aber zum Bedeutung tragenden Zeichen in einem inszenierten, medialen Text wird, wird eine Vorstellung von der Person des Künstlers, die als real jenseits und vor der künstlerischen Handlung schon existiert, zum Bestandteil einer nur an den jeweiligen Text gebundenen imaginär-authentischen, sekundären Vorstellungswelt mit eigenen ästhetischen Gesetzmäßigkeiten und künstlerischen Modellierungen von Welt. Das Image eines Stars ist in diesem Zusammenhang damit als ein textuell gebundenes Phänomen audiovisueller Zeichen begreifbar, die über die Vorstellung von der Persönlichkeit des Stars bestimmte Ebenen eines oder mehrerer fiktionaler künstlerischer Texte mit bestimmten authentifizierten Wissensmengen und Diskursen im kulturellen Kontext vernetzen.
2. Terminologie: Definition des 'Starimages'
Unter einem 'Starimage' versteht die aktuelle medienwissenschaftliche Forschung in Anlehnung an Dyer (1979) und Lowry (1997) die rein mediale, aus Zeichen zusammengesetzte, als solche im kulturellen Wissen abgespeicherte Vorstellung einer realen Person. Das Starimage speist sich als bloß mediales Zeichengeflecht dabei intertextuell, medienübergreifend und interdiskursiv aus allen veröffentlichten Texten verschiedener medialer Provenienz mit dem Star und über den Star. Die Texte mit dem Star formen dabei nach Decker 2005 das 'innerfiktionale Image', das analytisch vom 'faktualen Image' zu trennen ist. Das 'faktuale Image' ergibt sich aus Texten über den Star (bspw. Presseberichterstattung, PR, autorisierte und nicht autorisierte Biographien, Fernseh-Features etc.). Das 'innerfiktionale Image' wird dagegen bei Filmstars vor allem aus Filmen mit dem Star, im Falle von Musikstars wie Madonna oder Michael Jackson vor allem durch Musikvideos oder auch Konzertmitschnitte mit dem Star gespeist. Das aus beiden Teil-Images zusammengesetzte multimediale Starimage wird dabei im kulturellen Wissen mit einer realen, es verkörpernden 'Starpersona' identifiziert und ist im kulturellen Gedächtnis als auf diese reale Person referenzialisierendes, gerichtetes Wissen gespeichert. Im Starimage vermischen sich also identifizierbare Vorstellungen über die pseudo-reale Person mit fiktionalen Rollen-Verkörperungen durch die Person.
3. Untersuchungsebenen einer mediensemiotisch orientierten Analyse von Starimages
Starimages können je nach dem soziokulturellen Funktionskontext, in den sie eingebunden sind und in dem sie benutzt werden, synchron und diachron unterschiedliche mentalitätsgeschichtliche Bedeutungen aufweisen, sich wandeln oder auch an kultureller Bedeutung verlieren. Die traditionelle, soziologisch und ökonomisch orientierte Filmwissenschaft hat hier historiographische Grundlagen zur Entwicklung des Studio- und Starsystems und auch zu einzelnen Stars gelegt, auf denen die mediensemiotische Analyse von Starimages aufbaut. Nach einer Fundierungsphase in den 1910 und 20er Jahren bauen in den 1930er, 40er und 50er Jahren beispielsweise die Studios in Hollywood und in Europa gezielt in sich durchorganisierte Starsysteme auf, die von den Images der Stars der 60er und 70er Jahre überwunden werden. Im Image von Marilyn Monroe zum Beispiel überdeckt nach ihrem Tod bis heute ihr faktuales Image ihr bis zu ihrem Tod dominantes innerfiktionales Image. Dagegen sind wandlungsfähige Stars des frühen 20. Jh.s wie Joan Crawford oder Lilli Palmer heutzutage weitgehend vergessen. Wandlungsfähige Schauspieler wie Dustin Hoffmann und Robert de Niro gelten dagegen als Schauspielsstars der Gegenwart.
Im innerfiktionalen Image werden zum einen bestimmte Genremuster, Rollenfächer und Figurenstereotype, aber auch bestimmte audiovisuelle Inszenierungsformen sowie körperliche, gestische und mimische Muster mit dem Star verbunden, die bestimmte kulturelle Werte und Normen repräsentieren. Hier untersucht die mediensemiotisch orientierte Analyse von Starimages, wie bei der Inszenierung der durch einen Star verkörperten Figuren das Starimage als paradigmatische Folie benutzt wird, um gezielt und implizit fiktionale Figuren zu charakterisieren und welche semantischen Wechselwirkungen systematisch zwischen dem Starimage und den filmischen Narrationen bestehen. Hierher gehören auch Fragen zu genrespezifischen Starimages (Erotik-Star, Action-Star, Schauspiel-Star) und Fragen zu Format- und medienspezifischen Stars (Fernseh-Star vs. Filmstar, Soap-Star etc.). Starimages werden zum einen systematisch aus Gründen der Vermarktung von Medienproduzenten aufgebaut, um Zuschauererwartungen für neue Medienprodukte zu kanalisieren und Konsumenten dauerhaft zu binden. So genannte "Starvehikel" schneiden Inszenierung und Geschichte eines Filmes ganz auf einen Star zu, um einerseits durch die Verwendung eines Stars kulturelles Wissen hinsichtlich eines Figurenstereotyps zu aktivieren und sich damit die Tiefenzeichnung eines Charakters durch eine Vorgeschichte und Nebenhandlungen zu sparen und andererseits bestimmte Schauwerte von Action und Erotik bis hin zu bestimmten Gestiken, Mimiken und Floskeln zu garantieren, die an den Körper des Stars gebunden werden.
Im faktualen Image werden zum anderen die im innerfiktionalen Starimage kodierten Werte und Normen zum Teil aufgegriffen und der jeweilige Star mit einer konkreten, individuellen Biographie versehen. Dabei ergeben sich auf einer Skala verschiedene, variable Grade der Beziehung von innerfiktionalem und faktualem Image: Auf der einen Seite der Skala herrscht eine weitgehende Identität. Hier schimmert in einer fiktionalen Figur zugleich die vermeintlich konkrete Person durch (und umgekehrt sind in einem faktualen Text Rollenmerkmale erkennbar, umgangssprachlich gesprochen: "der Star spielt sich selbst"). Auf der anderen Seite der Skala können innerfiktionales Image und faktuales Image weitgehend auseinander treten, wenn bspw. ein Star in einer Enthüllungsbiographie demontiert wird. Oder aber wenn er sich als Schauspielstar wie Dustin Hoffmann gerade dadurch auszeichnet, als konkrete Person eben hinter den unterschiedlichsten Rollen zu verschwinden. Hier untersucht die mediensemiotisch orientierte Analyse von Starimages, welche Diskurse und welche normativen Muster ein Starimage repräsentiert, also beispielsweise welche kultruell variablen Geschlechterrollen und Persönlichkeitskonzepte und -Ideale durch Starimages fortgeschrieben, parodiert, weiter entwickelt, transformiert und kommentiert werden.
4. Literatur
- Butler, Jeremy G. (Hg.): Star Texts: Image and Performance in Film and Television, Detroit: Wayne State University Press 1991.
- Clark, Danae: Negotiating Hollywood: The Cultural Politics of Actor's Labour, Minneapolis: University of Minnesota Press 1995.
- DeCordova, Richard: Picture Personalities: The Emergence of the Star System in America, Urbana: University of Illinois Press 1990.
- Decker, Jan-Oliver: "Die Leidenschaft, die Leiden schafft, oder wie inszeniert man eine Stimme? Anmerkungen zum Starimage von Zarah Leander", in: Krah, Hans (Hg.): Geschichte(n). NS-Film - NS-Spuren heute (=LIMES - Literatur- und Medienwissenschaftliche Studien - KIEL, 1), Kiel: Ludwig 1999, S. 97 - 116.
- Derselbe: Madonna: "Where's That Girl?" - Starimage und Erotik im medialen Raum (=LIMES - Literatur- und Medienwissenschaftliche Studien - KIEL, 3), Kiel: Ludwig 2005.
- Derselbe: "Madonna. Die Konstruktion einer Popikone im Musikvideo", in: Gerhard Paul (Hg.): Bilderatlas des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2008, S. 590 - 597.
- Dyer, Richard: Heavenly Bodies. Film Stars and Society, London: bfi Macmillan 1987.
- Derselbe: Stars, London: bfi Publishing 1998 [zuerst 1979].
- Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hg.): Der Star. Geschichte, Rezeption, Bedeutung, München: Wilhelm Fink 1997.
- Gledhill, Christine (Hg.): Stardom. Industry of Desire, London/New York: Routledge 1991.
- King, Barry: "Articulating Stardom", in: Screen 26, 5 (1985), S. 27 - 50.
- Klaprat, Cathy: "The Star as Market Strategy: Bette Davis in Another Light", in: Tino Balio (Hg.): The American Film Industry, Madison: The University of Wisconsin Press: 1985, S. 351 - 376.
- Lowry, Stephen: "Stars und Images. Theoretische Perspektiven auf Filmstars", in: montage a/v, 6/2 (1997), S. 10 - 35.
- Derselbe/Korte, Helmut: Der Filmstar. Suttgart/Weimar: J.B. Metzler 2000.
- McDonald, Paul: The Star System. Hollywood’s Production of Popular Identities (= Reihe Short Cuts. Introductions to Film Studies), London: Wallflower 2000.
- Stacey, Jackie: Star Gazing: Hollywood Cinema and Female Spectatorship, London: Routledge. 1994.
- Studlar, Gaylyn: This Mad Maquerade: Stardom and Masculinity in the Jazz Age, New York: Columbia University Press 1996.
- Weingarten, Susanne: Bodies of Evidence: Geschlechtsrepräsentationen von Hollywood-Stars, Marburg: Schüren 2003.