Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt - Übergriffe auf Minderjährige durch Geistliche des Bistums Passau 1945–2020
(Aktueller Arbeitstitel)
Aktuell erarbeitet eine unabhängige Gruppe von Historikern an der Universität Passau eine Studie zum Thema „Sexueller Missbrauch von minderjährigen Schutzbefohlenen durch katholische Kleriker im Bistum Passau 1945–2020. Ausmaß und Umstände – Reaktionen und Handhabung seitens Kirche, Öffentlichkeit und sozialem Umfeld der Betroffenen“ (Arbeitstitel). Im Zuge der Forschungstätigkeit hat sich gezeigt, dass sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt häufig ineinander übergehen, sodass das Forschungsfeld um die körperliche Gewalt erweitert wurde.
Unter „sexuellem Missbrauch“ werden dabei alle Verhaltensweisen und Handlungen mit sexueller Konnotation verstanden, die an Minderjährigen* bewusst verübt wurden – von Grenzüberschreitungen (etwa verstörenden Ansprachen) bis hin zu strafbaren sexuellen Übergriffen. Bei körperlicher Gewalt wird unterschieden zwischen der zum jeweiligen Zeitpunkt üblichen "erzieherischen Gewalt", die sowohl gesellschaftlich als auch staatlich anerkannt wurde, und Überschreitungen der so gegebenen Grenzen. Besonders die Überschreitungen, die bei den Zeitgenossen bereits Bestürzung oder Ärger auslösten, stehen im Fokus der Forschung.
*(Als minderjährig galten lt. Gesetz bis 31. Dezember 1974 Personen unter 21 Jahren, danach Personen unter 18 Jahren.)
Was unterscheidet eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung von anderen?
Kurz gesagt, ist eine geschichtswissenschaftliche Studie in der Regel sowohl breiter als auch tiefer angelegt als andere. Zum einen geht es dem Historiker um ein möglichst vollständiges Bild der Vergangenheit, vor dessen Hintergrund er seine Befunde verlässlich einordnen und bewerten kann. Zum anderen besitzt er eine besondere Sensibilität für heute antiquiert erscheinende Sprachmuster und Moralvorstellungen sowie für das „zwischen-den-Zeilen-Lesen“, was ihn Hinweise auf Verfehlungen entdecken lässt, die bei weniger geschultem Blick vielleicht untergehen würden.
Weshalb setzt die Studie gerade im Jahr 1945 ein und was bedeutet das?
In der NS-Zeit war es eine gängige Praxis des Regimes, unliebsame Priester mit einem Prozess wegen Missbrauchs von Minderjährigen zu überziehen und auf diese Weise auszuschalten. Dies führt automatisch zu stark verzerrten Zahlen und kaum handhabbaren Bewertungsproblemen für die Ereignisse zwischen 1933 und 1945. Überdies musste die Bistumsleitung hier Strategien zum Selbstschutz entwickeln, die mit dem Handeln unter freien, rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht vergleichbar sind. Gleichwohl werden etwa Vergehen aus dieser Zeit von Priestern, die auch später übergriffig wurden, an gegebener Stelle in die Analyse einbezogen. Gleiches gilt für überkommene Handlungsmuster der Bistumsleitung, die in der Nachkriegszeit beibehalten wurden.
Was versteht die Studie unter "Missbrauch" und "Gewalt" bzw. "Misshandlung"?
Die Passauer Studie muss um der wissenschaftlichen Vergleichbarkeit willen berücksichtigen, wie bereits erschienene Untersuchungen zu anderen Bistümern diese Begriffe definieren. Wir erforschen daher ein breites Spektrum an Taten von der "verstörenden Ansprache" bzw. der brutalen "Kopffnuss" bis hin zur Vergewaltigung und schweren Körperverletzung. Hinzu kommen gegebenenfalls Vertuschungshandlungen, sei es durch Zeugen aus dem sozialen Umfeld der Beteiligten, von Berufs wegen einbezogene Personen, außenstehende oder in die Handhabung eines Falls direkt involvierte Geistliche. In der Studie wird dann – auch diese ist übliche wissenschaftliche Praxis – nach dem Schweregrad der Handlungen unterschieden, wo dies erforderlich ist.
Welche Tätergruppen stehen im Fokus?
Das Wort "Kleriker" im – vorläufigen – Titel der Studie ist für uns ein Arbeitsbegriff. Wir konzentrieren uns auf Geistliche in der Personalverantwortung des Bischofs, d. h. auf diözesane Weltpriester und Diakone wie auch auf Ordensgeistliche mit zeitlich befristetem Gestellungsvertrag. Hinzu kommen Ruhestandspriester aus anderen Diözesen sowie Ordensbrüder und -schwestern, die etwa in Internaten oder Kinderheimen tätig waren, da wir hier jeweils von einer grundsätzlichen Aufsichtspflicht der Bistumsleitung ausgehen.
Nennt die Studie die Namen von Tätern, Beschuldigten und Verantwortlichen? Werden Betroffene, Verwandte von Betroffenen oder Zeugen genannt?
Die Nennung von Namen wird nur in Ausnahmefällen möglich sein. Maßgeblich sind für uns zunächst die geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Demnach werden Namen von Tätern bzw. Beschuldigten allenfalls dann genannt, wenn sie der Öffentlichkeit bekannt bzw. frei zugänglich sind, also in der Zeitung standen oder vor Gericht eine Rolle spielten. Überdies setzt der Persönlichkeitsschutz bei Personen des öffentlichen Lebens aus, wenn es um Amtshandlungen geht, sodass etwa Bischöfe und Generalvikare im gegebenen Rahmen mit Namen aufscheinen werden. Opfer von Missbrauch oder Gewalt, ihre Angehörigen, Personen aus ihrem sozialen Umfeld und auch etwaige Zeitzeugen werden dagegen durchgehend nicht mit ihrem Namen bezeichnet, sondern anonym behandelt oder mit einem Pseudonym (Fantasienamen), einer willkürlich gewählten Abkürzung o. Ä. bezeichnet.
Kann ich sichergehen, dass aus der Studie heraus nicht erkennbar ist, wer ich bin?
Insbesondere der Schutz von Betroffenen gebietet es, Fall- und Lebensgeschichten nicht "am Stück" wiederzugeben, sondern immer nur ausschnittweise bzw. in Gruppen zusammengefasst, um die Möglichkeit des Wiedererkanntwerdens so gering wie möglich zu halten. Das bedeutet auch, dass beispielsweise Ortsnamen verfremdet werden – soweit sie nicht bereits im Zusammenhang mit einschlägigen Vergehen in der Presse auftauchten – und Zeitangaben nach Möglichkeit vage gehalten bleiben.
Wann, wo und wie wird die Studie veröffentlicht bzw. wo kann sie eingesehen werden?
Die Studie soll in der zweiten Hälfe des Jahres 2025 als Buch in einem renommierten Verlag erscheinen und zugleich in digitaler Form veröffentlicht werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die zwingend vorangehende datenschutzrechtliche Prüfung durch eine einschlägig ausgewiesene Kanzlei positiv ausfällt.
Durchgeführt wird das Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Marc von Knorring, der seit 2008 an der Universität Passau als Neuzeit-Historiker tätig ist. Unterstützt wurde er bis zum Februar 2024 durch ein junges dreiköpfiges Team von wissenschaftlichen Mitarbeitern bestehend aus zwei Historikern und einer (nicht theologischen) Kirchenhistorikerin Anna Matschl MA.. Danach liefen die Stellen der beiden Historiker aus und die Bearbeitung wurde zu zweit fortgesetzt. Begleitet wird die Studie von der örtlichen Unabhängigen Aufarbeitungskommission und dem Betroffenenbeirat.
Die Finanzierung des Projekts erfolgt durch das Bistum Passau, die Forschung wird jedoch vollkommen unabhängig und eigenständig an der Universität Passau durchgeführt. Überdies hat das Bistum der Universität vertraglich zugesichert, die Recherchen uneingeschränkt zu unterstützen und den Wissenschaftlern freien Zugang zu allen relevanten Dokumenten zu ermöglichen. Zugleich wurde eine kirchliche Einflussnahme auf die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse ausgeschlossen.
Betroffene sexuellen Missbrauchs möchten wir an dieser Stelle zusätzlich auf die Möglichkeit hinweisen, beim Ordinariat des Bistums Passau einen Antrag auf „Anerkennung des Leids“ zu stellen, welcher zu einer Entschädigungsleistung führen kann. Außerdem übernimmt das Bistum gegebenenfalls die Kosten für eine Therapie. Die Kontaktdaten der unabhängigen Ansprechpersonen der Diözese Passau für Missbrauchsfälle, die Sie bei Ihrem weiteren Vorgehen unterstützen und beraten können, finden Sie ebenso wie eine Liste nichtkirchlicher Fachberatungsstellen unter diesem Link.
Auch Betroffene von körperlicher Gewalt können sich an die auf der Website des Bistums verlinkten Hilfsstellen wenden. Frau Antonia Murr, Kanzlerin und Justiziarin des Bistums Passau, fungiert als direkte Ansprechpartnerin für Opfer körperlicher Gewalt. Sie ist erreichbar unter der Telefonnummer: +49 851 393 1200 oder der Mail: antonia.murr@bistum-passau.de.
Die Studie ist so weit vorangeschritten, dass die Einarbeitung von weiteren Interviews kaum noch möglich ist. Wir bedanken uns herzlich bei allen Betroffenen und Zeitzeugen für die Beteiligung und das in uns gesetzte Vertrauen.
Ehemaliger Aufruf:
Aktuell erarbeitet eine unabhängige Gruppe von Historikern an der Universität Passau eine Studie zum Thema „Sexueller Missbrauch von minderjährigen Schutzbefohlenen durch katholische Kleriker im Bistum Passau 1945–2020. Ausmaß und Umstände – Reaktionen und Handhabung seitens Kirche, Öffentlichkeit und sozialem Umfeld der Betroffenen“. Im Zuge der Forschungstätigkeit hat sich gezeigt, dass sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt häufig ineinander übergehen, sodass das Forschungsfeld um die körperliche Gewalt erweitert wurde.
Das Forscherteam möchte im Zuge dessen Gespräche mit Betroffenen und Zeitzeugen durchführen. Diese Interviews sollen die erhaltenen Archivalien ergänzen und neue Perspektiven aufzeigen, sodass eine möglichst vollständige Aufarbeitung erreicht werden kann.
Ziel ist es, ein möglichst umfangreiches Bild der Fälle sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlung von Minderjährigen durch Geistliche im kirchlichen Raum, in den Pfarreien und Einrichtungen des Bistums Passau seit Kriegsende zu erarbeiten.
Unter „sexuellem Missbrauch“ werden dabei alle Verhaltensweisen und Handlungen mit sexueller Konnotation verstanden, die an Minderjährigen* bewusst verübt wurden – von Grenzüberschreitungen (etwa verstörenden Ansprachen) bis hin zu strafbaren sexuellen Übergriffen. Bei körperlicher Gewalt wird unterschieden zwischen der zum jeweiligen Zeitpunkt üblichen "erzieherischen Gewalt", die sowohl gesellschaftlich als auch staatlich anerkannt wurde, und Überschreitungen der so gegebenen Grenzen. Besonders die Überschreitungen, die bei den Zeitgenossen bereits Bestürzung oder Ärger auslösten, stehen im Fokus der Forschung.
*(Als minderjährig galten lt. Gesetz bis 31. Dezember 1974 Personen unter 21 Jahren, danach Personen unter 18 Jahren.)
Der Kontakt zu Betroffenen ist für die Forschung entscheidend. Sie ergänzen durch ihre Mitwirkung an der Studie nicht nur die schriftliche Überlieferung, sondern sollen auch eine Stimme erhalten.
Ihr Wissen und ihre Erfahrungen als „Experten in eigener Sache“ sollen - unter Wahrung völliger Diskretion - als wesentlicher Bestandteil der Aufarbeitung in die wissenschaftliche Untersuchung einfließen, mit dem Ziel, sowohl deren quantitativen als auch qualitativen Gehalt entscheidend zu steigern.
Außerdem suchen die Historiker Zeitzeugen, die bereit sind, ihre Wahrnehmung relevanter Vorkommnisse zu schildern, auch wenn sie selbst nicht direkt betroffen waren. Darüber hinaus ist die Forschergruppe an rechtmäßig in Privatbesitz befindlichen Briefen, Tagebüchern oder schriftlich abgefassten Erinnerungen von inzwischen verstorbenen Betroffenen interessiert und wäre für eine leihweise Überlassung solcher und ähnlicher Dokumente äußerst dankbar.
Von Interesse sind dabei alle einschlägigen Informationen, so etwa über
- konkrete Missbrauchsereignisse oder Gewalthandlungen;
- entsprechende Meldungen an Kirchenverantwortliche, staatliche Stellen oder Dritte (Familienangehörige, Freunde, Gemeindemitglieder usw.);
- etwaige beobachtete Reaktionen bzw. den Umgang mit diesen Meldungen;
- die Rahmenbedingungen im persönlichen und lokalen/regionalen Umfeld des Missbrauchs- und/oder Gewaltgeschehens, innerhalb kirchlicher Einrichtungen und Organisationsstrukturen auf allen Ebenen.
Dabei ist es nicht notwendig, dass Sie Ihre komplette Leidensgeschichte offenlegen. Wenn Sie uns diese mitteilen möchten, sind wir Ihnen dafür sehr dankbar, aber auch Informationen zu Teilbereichen wie z.B. dem Umgang mit Meldungen sind bereits äußerst nützlich für die Aufarbeitung der Machtstrukturen und des Missbrauchs- und Gewaltgeschehens.
An den Interviews sind jeweils zwei Personen aus der Forschergruppe beteiligt. Dabei kann zwischen Prof. Dr. Marc von Knorring und Anna Matschl M.A. als Hauptansprechpartnern frei gewählt werden. Auf Wunsch kann einer der Wissenschaftler durch einen Experten oder eine Expertin für den Umgang mit Traumatisierungen ersetzt werden. Bei dem Interview selbst handelt es sich um ein Gespräch, im Zuge dessen wir gerne der Schilderung Ihrer Erlebnisse zuhören möchten, es handelt sich definitiv nicht um eine „Verhör“-Situation.
Alle Personen, die von Seiten des Projekts an den Interviews teilnehmen, sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse wird so erfolgen, dass Sie als Gesprächspartner nicht identifiziert werden können.
Termin und Ort des Zusammentreffens werden zuvor frei vereinbart, wenn gewünscht stellt die Universität Passau Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Interviews werden ausschließlich in beiderseitigem Einvernehmen unter Beachtung aller datenschutzrelevanten Aspekte durchgeführt. Sie selbst können eine Vertrauensperson Ihrer Wahl mitbringen, die sich am Gespräch beteiligen kann. Etwaige Reisekosten erstattet Ihnen die Projektgruppe auf Wunsch.
Ihre Zustimmung zum Interview und zur wissenschaftlichen Verarbeitung Ihrer Angaben können Sie - ebenfalls in Übereinstimmung mit geltendem Datenschutzrecht - jederzeit widerrufen. Die gewonnenen Informationen werden selbstverständlich mit vollster Rücksicht auf alle Belange des Persönlichkeits- und Datenschutzes behandelt.