Raum/Grenzen
1. Theoretisch-methodologischer Hintergrund
Die kulturelle Selbstreproduktion von Gesellschaften beruht auf Wirklichkeitskonstruktionen, deren Beobachtungs- und Unterscheidungssemantiken 'Realität' überhaupt erst sozial wahrnehmbar und kommunizierbar machen. Sie prägen nicht nur das Bild der Gesellschaft von sich selbst und der Welt sowie das für wahr gehaltene Wissen hierüber in wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Diskursen, sondern regeln darüber hinaus die semiotisch-ästhetischen (ikonischen, sprachlichen, rhetorischen, narrativen usf.) und technischen (printmedialen, audiovisuellen usf.) Mittel der Speicherung und Verbreitung solchen 'Wissens' - sei es wissenschaftlich produziert oder Alltagswissen, seien es Wert- und Normvorstellungen oder auch nur latente Deutungsmuster der 'Welt'. Auf welcher Ebene solche Weltentwürfe auch immer angesiedelt sind, sie wirken sich potenziell auf die Standards des sozialen Verhaltens und Handelns ebenso aus wie auf langfristige Einstellungen und Mentalitäten. Ein genuiner Beitrag zur Konstruktion von Weltentwürfen wird im Medium der Künste erbracht. So bestimmt schon Jurij M. Lotman Kunst als modellbildendes System: Ein Kunstwerk wird danach prinzipiell durch einen Rahmen begrenzt und kann dennoch Modell der unbegrenzten Welt sein, vermag das Unendlichen im Endlichen abzubilden und die Weltkomplexität sinnhaft zu reduzieren. Kunst ist also nicht Kopie, sondern vielmehr Abbildung einer Realität auf eine andere und damit immer Übersetzung. Jedes semiotische Konstrukt modelliert somit (a) eine eigene Welt und (b) eine Welt - mit eigenen Wert- und Normvorstellungen, eigenen Grenzsetzungen und Unterscheidungen, die von den kulturell vorhandenen Realitätskonstruktionen abweichen können. Weltentwürfe, und seien sie noch so 'realistisch' gestaltet, sind dabei eigenen, fiktionalen und an das Medium gebundenen Vorstellungen von Wirklichkeit verpflichtet. Sie können außerdem mit Hilfe textueller und narrativer Verfahren den Eindruck erzeugen, mit einer außertextuellen Wirklichkeit überein zu stimmen. Wie Fiktionalitätssignale nahe legen, eine Geschichte als erfunden anzusehen, so markieren Authentizitätssignale das Abgebildete als medienunabhängig und als in der Außenrealität vorfindbar. Dies heißt zugleich, dass das Abgebildete lediglich als authentischvermittelt wird, Authentizität also das Ergebnis medialer und semantischer Strategien ist, die den Eindruck von Unmittelbarkeit und Echtheit erst schaffen. Da solche 'Welten' also per se nicht Realität, sondern nur Modell von 'Realität' sind, entziehen sie sich in ihren Merkmalen von vornherein jeder Klassifizierung als 'wahr' oder 'falsch' und sind statt dessen in ihren Kategorisierungen, Leitdifferenzen und Semantiken zu beschreiben und zu interpretieren.
Als physikalischer Raum wird seit Newton das durch Entfernungsmessungen in drei zueinander senkrechten Richtungen exakt ausmessbare Vakuum verstanden (die Leere), in dem sich Körper der Makrophysik bewegen. Dieser physikalische Raum besitzt, insofern er leer gedacht ist, keine innere Vorzugsrichtung (z.B. oben, unten), er ist isotrop. Ferner ist er zusammenhängend und kontinuierlich, bezüglich seiner Messbarkeit also ein Abbild des mathematischen Kontinuums. Galten für ihn zunächst die Gesetze der euklidischen Geometrie, so veränderte die Relativitätstheorie dies insofern, als die Maßverhältnisse des Raumes weitgehend von der in ihm enthaltenen Materie abhängen. Gilt der Raum in der Physik also als wohldefiniert, so lässt sich dies für die nichtnaturwissenschaftlichen Disziplinen und deren Beschäftigung mit Raum nicht konstatieren. Im textwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Umgang, in dessen Spektrum etwa die Medien 'Literatur', 'Film' und 'Fernsehen' als semiotische Gebilde zu situieren sind, gilt der Raum weder als wohldefiniert, noch ist das Interesse auf eine Messbarkeit oder auf seine 'Leere' gerichtet: Der Raum, der durch seine Koordinaten in Länge, Höhe und Breite dimensioniert ist, erscheint zunächst wie die Zeit als eine Grundkategorie und Rahmenbedingung menschlicher Existenz, die es demgemäß nicht zu definieren, sondern zu erleben gilt. In der kulturellen Aneignung von Welt wird dieses kontinuierliche Universum in einem ersten Schritt durch empirische Erfahrung und deren Verarbeitung im Denksystem segmentiert und klassifiziert, es werden mehr oder weniger diskrete Einheiten gebildet. Somit wird Raum (i) zum Ergebnis einer Konstruktionsleistung - er konstituiert und definiert sich erst durch die Setzung einer Grenze - und Raum wird (ii) vom jeweiligen Raumerlebnis abhängig: Die 'Leere' wird gefüllt. Diese Strukturierungen können dann in einem zweiten Schritt als Raster und Muster im Dienste der Weltaneignung und Problemlösung 'rekursiv' wieder funktionalisiert werden. Dieses oszillierende Verhältnis äußert und artikuliert sich insbesondere im medialen Umgang mit Räumen. In Texten bilden Räume als konkrete Erscheinungsformen den notwendigen Hintergrund, vor dem Figuren agieren, gleichzeitig bilden sie als abstrakte Beschreibungskategorien den Träger, der eine Anlagerung semantischer Mehrwerte erlaubt. Räume und die aus ihrer (mentalen) Verarbeitung resultierenden Möglichkeiten stellen die Elemente dar, mit denen Texte beim Aufbau ihres Bedeutungspotentials und der Bereitstellung eines Deutungsangebots operieren (können).
Raumkonzeptionen und räumliche Organisation erhalten in literarischen und filmischen Weltentwürfen einen privilegierten Status, dokumentieren sie doch die Ordnung des textuellen Weltentwurfes. Sie verdeutlichen die manifeste Struktur der Wirklichkeit des Textes, insofern sie Grenzen konstituieren und definieren – und auf diese Weise auch thematisieren. So skizziert Lotman eine auf Raumstrukturen basierende Handlungstheorie, eine Theorie narrativer Strukturen, die das je spezifische Weltmodell berücksichtigt und als Grundlage eines räumlich-topologischen Beschreibungsverfahrens dienen kann. Lotmans Grenzüberschreitungstheorie basiert dabei auf dem Konzept des semantischen Raums, der sich über die Menge semantischer Merkmale definieren lässt, die in ihrer Kombination nur er und kein anderer Raum hat. Dementsprechend steht sie in Opposition zu denjenigen Mengen, die andere semantische Räume auszeichnen. Damit ist die paradigmatische Ebene als relevanter Faktor für die Narration zu bestimmen: Die Merkmalszuweisung führt zu einer Aufteilung der dargestellten Welt in disjunkte Teilräume. Die einzelnen semantischen Räume eines Textes sind untereinander strukturierbar und hierarchisierbar und ergeben die Ordnung der dargestellten Welt, die statische Grundordnung der Erzählhandlung in der sujetlosen Textschicht, vor deren Hintergrund sich Handlung vollziehen kann. Die Merkmalszuweisung kann dabei an einen topographischen Raum gebunden sein, sie muss es aber nicht. Auch wenn die Topographie eines Textes, seine Raumorganisation, zumeist semantisch funktionalisiert und Träger von topologischen Zeichenbeziehungen ist, müssen semantische Räume nicht an Räume im eigentlichen Sinne gebunden und können von der räumlichen Ordnung gelöst sein. Diese abstrakt semantischen Räume sind somit nur über ihr spezifisches Merkmalsbündel gegeben und stellen interpretatorische Größen dar, die das je abstrahierte (re-)konstruierte Modell von 'Welt' strukturieren. Ihr systematischer Bezug zur räumlichen Ordnung, der den inhärenten Sinn der Metaphorik vom 'semantischen Raum' vor Augen führt, ergibt sich über das gemeinsame Merkmal der Abgrenzung und Unterscheidung von anderem und damit über ihre Strukturierungsleistung. Denn wichtigstes topologisches Merkmal eines semantischen Raumes ist seine Grenze, durch die ein semantisches Feld in zwei komplementäre Teilfelder geteilt wird und die prinzipiell nicht überschreitbar ist: Figuren weisen spezielle Raumbindungen auf. Die Grenze ist - je nach Rang des semantischen Raumes - kaum überwindbar oder durchlässig, sie konstituiert sich entweder kultur- oder textabhängig. Die Frage, wo Grenzen liegen bzw. wie Grenzziehungen erfolgen, betrifft insofern einen zentralen interpretatorischen Akt, als aus ihm das (mehr oder weniger adäquate) Modell der 'Welt' des Textes hervorgeht. Handlung selbst vollzieht sich dann auf der syntagmatischen Ebene, basiert auf der (semantischen) Raumorganisation und äußert sich im Ereignis: Dieses definiert sich als Grenzüberschreitung, als Spannungsverhältnis von postulierter Ordnung und faktischer Abweichung. Damit konstituiert sich die sujethafte Textschicht.
2. Heuristisch-anwendungsorientierte Konzeptualisierungen
2.1 Bausteine einer Raumtopologie
Im Folgenden sind zentrale Aspekte von Raum im Kontext der obigen Skizze aufgelistet, die im konkreten Fall zu berücksichtigen und mit den Raumkonzeptionen anderer Diskurse/Wissenschaften (philosophische, psychologische, soziologische, juristische, ökonomische) zu vernetzen sind.
Räume im wörtlichen, also topographischen, Sinne enthält jeder Text, der eine 'Welt' entwirft. Insofern kann nach dieser räumlichen Strukturierung gefragt werden, nach den Klassen, Kategorien und Achsen, die im Text unterschieden werden: oben versus unten, innen versus außen, offen versus geschlossen, Nord versus Süd, nah versus fern etc. Des weiteren ist ein kulturell-referentialisierender Aspekt topographischer Räume zu berücksichtigen, insofern diese mit außertextuellen, in der Wirklichkeit bestehenden Räumen bereinstimmen und damit qua kulturellem Wissen deren Konnotationspotential im Text und für den Text funktionalisiert werden kann. Und schließlich sind hierunter Topoi, 'Gemeinplätze', zu subsumieren, Räumlichkeiten, deren individuelle Ausprägung von einer mythisch-kulturellen Bedeutungsebene überlagert und überformt ist: Zu nennen wären als solche Topoi etwa die Stadt/Großstadt, der Dschungel, das Bergwerk, das Labyrinth.
Hierunter können diejenigen Formen verstanden werden, bei denen räumlich konkrete Sachverhalte über semiotische Operationen als Träger für nicht-räumliche Sachverhalte fungieren. Insbesondere sind darunter metaphorische Räume zu zählen, also die uneigentliche Verwendung von Räumen/räumlichen Kategorien, um mit Hilfe dieser rhetorischen Strategien nicht-räumliche Sachverhalte zu beschreiben bzw. den semantischen Implikationen des Vergleichs zu unterziehen und damit bestimmte im Denkmodell als gültig erachtete Eigenschaften zu präsupponieren und zu evozieren. Einige Beispiele: die aus der optischen Kodierung von Erkenntnis resultierende räumliche Metaphorik etwa von Vorhang/Decke/Schleier/Hülle im Literatursystem »Goethezeit«, die Metaphorik von 'Wasser-Tiefe-Abgrund' für Tod im deutschen »Realismus«, die vertikal-organisierte Dimensionierung des Konzepts der Person in der »Frühen Moderne«.
Zunächst sind hier die sich aus medienspezifischer Präsentation ergebenden Aspekte zu verorten, insbesondere die Visualisierung von Räumen. Sosehr Räume in ihrer Funktion und Funktionalisierung in unterschiedlichen Medien äquivalent sein können, sosehr bedingen die unterschiedlichen realisierten Informationskanäle unterschiedlicher Medien auch Unterschiede in der Behandlung von Räumen, zumal wenn diese genuine Qualitäten von Räumen betreffen: Besprochene/sprachlich-existente Räume - wie sie der sich durch schriftliche Fixierung artikulierenden Literatur eigen sind - unterscheiden sich von dargestellten/vorgeführten Räumen - wie sie in den (audio-)visuellen Medien 'bildende Kunst', 'Theater', 'Film' und 'Fernsehen' vorkommen - insbesondere durch ihre visuelle Präsenz. Diese medial bedingte unterschiedliche Präsentation führt etwa bei den audiovisuellen Medien 'Film' und 'Fernsehen' zu einer Ausdifferenzierung verschiedener Raumbegriffe: Zu unterscheiden sind der 'Bildraum' als das auf das Rechteck der Leinwand projizierte Filmbild, der 'Architekturraum' als die natürlichen oder künstlichen Teile von Welt, wie die Projektion auf der Leinwand sie mehr oder weniger getreu darstellt, und der 'Filmraum' als die Welt, die sich der Zuschauer in seiner Vorstellung zusammensetzt. Damit korreliert die Relevanz des Blickes als raumkonstituierendes Element und damit die Relevanz der Mechanismen und Strategien des point of view: Im Unterschied zum Zuschauer im Theater, der das Geschehen - im Normalfall - aus konstanter Entfernung und konstanter Perspektive rezipiert, wird der Zuschauer im Film - im Normalfall - durch die Möglichkeiten der kinematographischen Ebene zudem in das Bild hineingezogen; er kann sich dann mit der Kamera 'mitten im Raum befinden'. Dieser Raum, der Filmraum, ist ein fiktiver und virtueller Raum: Seine Konstituierung erfolgt aufgrund der jeweiligen Raumposition des Zuschauers während der Wahrnehmungs- und Rezeptionsakte. Er ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Montage, der Fragmentation und Kombination der einzelnen Einstellungen, und Kamerahandlung, die die Relation vom Zuschauer zum Dargestellten durch Kameraposition, Kameraeinstellung und Kamerabewegung variiert. Deutlich lässt sich im Anschluss hieran die medienspezifische Abhängigkeit der Raumkonstruktion zeigen - und eine solche ist prinzipiell zu konstatieren. Das Medium mit seinen medienspezifischen Möglichkeiten ist es, das den jeweiligen Raumeindruck konstituiert und den Raum so erst erschafft. So erlaubt etwa die Zweidimensionalität von Bildern dreidimensional logisch eigentlich unmögliche Räume dennoch zu modellieren, wie Bilder von M.C. Escher (etwa die Lithographie Wasserfall) oder Piranesis Carceri in beeindruckender Weise demonstrieren. Für den Film sei auf die im Revuefilm gängige Praxis verwiesen, die dargestellte Bühne durch rein kinematografische Strategien zu öffnen und zu erweitern und die Bühnenbegrenzung zumindest für das Filmpublikum aufzuheben, und so einen neuen, filmischen Raum zu erzeugen.
Unter perzeptiven Aspekten sind diejenigen Aspekte zusammengefasst und fokussiert, die Räume an die Wahrnehmung eines wahrnehmenden Subjektes binden. Unabhängig von der medienspezifischen Ausprägung lassen sich weitere grundlegende Aspekte des Umgangs mit Räumen ableiten: die Perspektivierung von Räumen, sei es hinsichtlich des Standpunktes, wie sie sich in der Differenzierung in 'eigen' versus 'fremd' niederschlägt, sei es hinsichtlich einer Bewertung und/oder Zuordnung von Merkmalen. Dieser Komplex kann mit der Modalisierung von Räumen vernetzt werden. Ein Raum kann als 'real' gesetzt sein, er kann einen anderen Modus seines Realitätsstatus erhalten: als 'imaginiert', 'geträumt', 'erinnert', 'fantastisch', 'utopisch' oder 'metaphysisch'. Dies kann aus der Perspektive eines Einzelnen, mehrerer Figuren, vom Textganzen gedacht wie auch selbst bereits Merkmal eines Genres (so der 'Utopie') sein. In diesem Kontext anzuführen ist des weiteren die Dimension von 'Distanz/Überschaubarkeit/Überblick' versus 'Nähe/Involviertheit', die zentrale Textkonstrukte (mit-)organisiert.
Hierunter wäre das zu subsumieren, was Raum und Handlung betrifft. Die Grundlagen eines solchen räumlich-topologischen Beschreibungsverfahrens wurden bereits unter 1.3 skizziert, hier seien einige zentrale erweiterte Ausführungen nachgeholt, unterteilt in Fabel und mythologischer Aspekt (im Sinne Lotmans)
So wie sich ein semantischer Raum nach außen durch seine Grenze definiert, kann er eine interne Strukturierung aufweisen, exemplarisch repräsentiert im Extremraum/-punkt, in dem die Merkmale des semantischen Raumes quasi kondensiert sind. Extremräume sind also Teilräume von semantischen Räumen, zumeist mit spezifischen Zugangsbedingungen, in denen sich die zentralen und konstitutiven Merkmale des Raumes widerspiegeln und die den Gesamtraum mise-en-abyme, pars pro toto abzubilden vermögen. Die Raumorganisation ist zudem verbunden mit der Frage nach den Raumrelationen, also nach den Interdependenzen von Räumen. Bilden diese autonome Alternativen oder sind sie funktional aufeinanderbezogen, als Gegenräume oder hinsichtlich eines gegebenen Stand/Bezugspunktes, z.B. in der Beziehung von System-Umwelt, innen-außen etc.? Lassen sie sich als 'andere Seite der Medaille' begreifen, als Projektionsräume, -fläche, denen ein eigener eigentlicher Status nicht zukommt? Als dynamische Komponente dieser 'Weltordnung' gibt es schließlich Grenzoperationen, die sich quantitativ als Raumerweiterungen, Raumaneignungen, qualitativ als Raumtransformationen darstellen (so die frontier im Western).
Unterschieden werden können im Modell verschiedene Ereignistypen: (a) Die eigentliche Grenzüberschreitung, bei der die Figur über die Grenze in einen anderen semantischen Raum versetzt wird, die Figur in ihrer 'Integrität', ihren Merkmalen aber konstant bleibt, (b) der Verlust des konstitutiven Merkmals/ die Annahme des dazu oppositionellen, die Merkmalsmenge der Figur verändert sich also. Neben diesen 'normalen' Ereignissen gibt es (c) das Metaereignis, bei dem das System der semantischen Räume selbst transformiert wird; Grenzen werden aufgehoben, verschoben, konstituieren sich neu, wodurch eine Figur von ihrem zugehörigen Raum getrennt wird. Handlungsverläufe zeichnen sich nach Renner durch die Gültigkeit des Konsistenzprinzips aus: Ein ereignishafter Zustand ist in einen konsistenten, ereignislosen zu überführen; dieses Prinzip dient als Motor von Handlung und ‘Problemlösung’. Bei der Ereignistilgung gibt es in der Logik des Systems, analog der Entstehung von Ereignissen, drei prinzipielle Varianten: (a) die Rückkehr in den Ausgangsraum, bei der der frühere Zustand wiederhergestellt wird, (b) das Aufgehen im Gegenraum; dies entspricht einem Verlust der eigentlichen/früheren Merkmale und der Annahme der nun konstitutiven. Je nach 'ideologischer' Auffüllung - und Perspektive - lassen sich diese prinzipiellen Varianten als Ausgrenzung, Flucht, Integration, Assimilierung deuten. Ferner gibt es (c) die Metatilgung, bei der analog dem Metaereignis eine Transformation der Welt an sich stattfindet, dergestalt, dass eine ursprünglich ein Ereignis darstellende 'Grenzüberschreitung' nun nicht mehr als Ereignis interpretiert wird, da die betreffende Grenze ihren Status als Grenze verloren hat (so hat nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung die Bewegung von Ost- nach Westdeutschland ihren vormaligen Ereignisstatus – man denke exemplarisch an die (verfilmte) Flucht mit dem Ballon – per se verloren, da diese Grenze politisch-topographisch keine Grenze mehr bildet; allerdings greift über der gleichen Raumkonstellation nun eine semantisch neue Grenze, die die frühere überlagert: die 'Mauer im Kopf', die nun innerhalb der BRD 'Ossis' von 'Wessis' trennt). Da sämtliche Ereignistypen wie Tilgungstypen im Modell jeweils mitimpliziert sind, ist die jeweilige konkrete Realisierung bedeutsam und interpretatorisch funktionalisierbar. Je nach Wahl dieser Möglichkeiten, Ereignisgenerierung, chronologischer Abfolge der zu tilgenden Ereignisse und deren Verknüpfungen entsteht eine spezifische Ereignisstruktur, deren Ablauf Aussagen über propagierte Werte und Normen des Textes ermöglicht. Zwei Prinzipien, die die Fortsetzung einer Ereignisstruktur bedingen resp. organisieren, seien erwähnt: zum einen das Beuteholerschema, bei dem mit der Rückkehr in den Ausgangsraum ein Element des Gegenraumes zurück gelangt und damit die Fortsetzung der Ereignisstruktur impliziert ist: Die Tilgung des einen Ereignisses entspricht der Generierung eines neuen; zum anderen die Extrempunktregel, die den Extremraum als Brennpunkt des Geschehens postuliert. Sie besagt, dass der Weg des Protagonisten, hat er die Grenze eines semantischen Raumes überschritten, auf den Extremraum ausgerichtet ist; dass der Protagonist den Raum nicht verlässt, nicht definitiv/endgültig verlassen kann, bevor er nicht auch den Extremraum aufgesucht hat. Dieser fungiert dann als End- oder Wendepunkt der Bewegungsrichtung: Entweder wird der Protagonist diesem Raum endgültig einverleibt, oder die Konfrontation mit ihm ermöglicht eine 'Umkehr' – im räumlichen wie konzeptuellen Sinn.
In Bezug auf die Handlung können Räume in narrativer Funktion etwa in Ausgangsräume, Zielräume, Durchgangsräume, Taburäume, in aktantieller Funktion in auslösende/katalytische Räume (z.B. über das Merkmal der 'Enge'’), Fluchträume, Erfahrungsräume, Initiations- und subjektkonstituierende Räume (die Wüste im australischen Ritus des walkabout) oder Sanktionierungsräume (das Moor in Veit Harlans Film DIE GOLDENE STADT) unterschieden werden. Figuren/Handlungsträger lassen sich hinsichtlich ihrer Positionierung und ihrer Bewegung im Raum charakterisieren. Zu fragen ist hierbei nach Motivationen von Raumwechseln ('Reisen') wie nach Zugangsbeschränkungen hermetischer Räume und deren Zugangsbedingungen, den Bedingungen der Überschreitung. Einen weiteren funktionalen Raumaspekt bildet die Gruppe der trukturanalogen Räume, deren zeichenhafter Status darin besteht, als 'Verschiebung', als etwas anderes gelesen/interpretiert werden zu können, insofern sie in ihrer räumlichen Strukturiertheit homolog andere Sachverhalte/Prozesse abbilden und – zumeist – veräußerlichen und damit 'übersetzbar' sind.