Lokale Parteiensysteme in Deutschland - Local Party Systems in Germany (LocPSG)
Lokalpolitik in Deutschland - eine Stärkung von Klein- und Kleinstparteien durch die Schwäche der Großen?
In den vergangenen 25 Jahren haben sich ausgehend von Bayern und Baden-Württemberg die Freien Wähler und zum Teil auch Einzelbewerber und -bewerberinnen bei Kommunalwahlen in ganz Deutschland verbreiten und etablieren können. Die FREIEN WÄHLER Bayern wurden als Landesvereinigung sogar zu einer landespolitischen Größe im Freistaat. Auf der anderen Seite ist im politischen Feuilleton häufig von der Herausbildung oder vom Fall lokaler "Hochburgen" der Union oder der SPD die Rede.Befinden sich die lokalen Parteiensysteme entsprechend solcher Entwicklungen im Umbruch?
Der Einfluss lokaler Parteiensysteme auf die nationale Ebene
In der Parteienforschung bzw. -systemforschung gelten Parteiensysteme als Konstellationen politischer Akteure in den "Kommunalparlamenten". Sie entstehen durch die Wahlen, die nach Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz auf kommunaler Ebene (in Städten, Landkreisen und Gemeinden) durchzuführen sind. Dabei treten drei Formen von Akteuren auf:
- Politische Parteien,
- parteifreie Wählergruppen (z. B. "Freie Wähler" u. ä.)
sowie - Einzelbewerber und -bewerberinnen.
Die beiden letztgenannten werden, gemeinsam mit kommunalen "Kleinstparteien", in den offiziellen Kommunalwahlstatistiken nicht selten unter der Kategorie "Sonstige" zusammengefasst. Die systematische Berücksichtigung der Gruppen "parteifreie Wählergruppen" sowie "Einzelbewerber und -bewerberinnen" ermöglicht es jedoch, den zunehmenden Einfluss auf das nationale Parteiensystem zu untersuchen. Dieser Einfluss wird insbesondere bei den Landesgruppen der Freien Wähler deutlich, die sich mit Ausnahme Baden-Württembergs mittlerweile als politische Partei(en) konstituiert haben und erfolgreich bei Europa- und Landtagswahlen angetreten sind.
Entwicklung lokaler Parteiensysteme - unabhängig von der nationalen Ebene?
Die international vergleichende lokale Politikforschung betont seit langem, dass lokale Parteiensysteme nicht notwendigerweise die übergeordnete nationale Ebene widerspiegeln müssen. Nichtsdestotrotz wird in der Regel nach wie vor auf nationalstaatlicher Ebene oder maximal auf der Bundesländerebene verglichen. Entsprechende Wissenslücken zu füllen ist das Ziel eines von der DFG geförderten Forschungsprojekts an der Universität Passau. Es strebt an, die bestehenden lokalen Parteiensysteme und ihre Entwicklungsmuster seit der Wiedervereinigung auch auf der kommunalen Ebene zu identifizieren und zu vergleichen.
Unterschiede zwischen einzelnen lokalen Parteiensystemen
Wir gehen von der ebenso simplen wie plausiblen Annahme aus, dass sich alle lokalen Parteiensysteme voneinander unterscheiden. Gründe für solche Unterschiede sind vor allem in den lokalen Besonderheiten der über 10.000 kommunalen Gebietskörperschaften der Bundesrepublik zu suchen. Die Differenzierung folgt dabei strukturellen Merkmalen, die für den Vergleich nationaler oder regionaler Parteiensysteme bereits etabliert sind. Dabei handelt es sich um:
- Format bzw. Größe des Parteiensystems,
- Anzahl der Parteien
und - den Grad seiner Zersplitterung (Fragmentierungsgrad bzw. effektive Parteienanzahl).
Wiederum ein besonderes Augenmerk liegt in diesem Zusammenhang auf der Anzahl der lokalen Akteure, die außer den politischen Parteien noch bei Kommunalwahlen antreten (parteifreie Wählergruppen sowie Einzelberwerber und -bewerberinnen), ihre Größenverhältnisse untereinander (Dominanz und Asymmetrie) und deren Veränderungen im Zeitverlauf.
Forschungsdesign: vom Datensatz zum Cluster
Ziel unserer Studie ist es, die Herausbildung und Entwicklungen lokaler Parteiensysteme in Deutschland wissenschaftlich zu systematisieren und nachzuvollziehen. Dies geschieht durch die Analyse eines Datensatzes, der die Ergebnisse aller Kommunalwahlen in 12 von 13 Flächenländern der Bundesrepublik seit 1990 enthält. Die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg wurden wegen ihrer einzigartigen kommunalen Strukturen nicht berücksichtigt. Unser aktueller Datensatz kann für eine Aufwandspauschale von 30,00 Euro im Datenbestandskatalog des GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften bezogen und sekundäranalytisch ausgewertet werden.
Vorgehensweise: Identifikation und Modellierung
Wir haben in dieser Kommunalwahldatenbank lokale Parteiensysteme im Zeitverlauf anhand von vier Faktoren identifiziert:
- Lokale politische Kultur,
- Veränderungen des Kommunalwahlrechts,
- Organisationsgrad der lokalpolitischen Akteure
sowie - strukturelle Kontextmerkmale (Gemeindegröße, lokale Wirtschaftskraft u. ä.).
Veränderungen lokaler Parteiensysteme als Spiegel der Wandlung der Kommune
Anschließend wurde der Wandel der lokalen Parteiensysteme als "politischer Lebensverlauf" der jeweiligen Kommune modelliert. Dazu werden Methoden übernommen und angepasst, die in der individuellen Lebenslaufanalyse (bspw.Sackmann, 2013, Lebenslaufanalyse und Biografieforschung - Eine Einführung) gebräuchlich sind. Besonders hervorzuheben ist dabei die Sequenzmusteranalyse, die ursprünglich aus der biogenetischen Forschung stammt, aber seit Anfang der 1990er Jahre auch auf sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschungsgebiete übertragen wurde.
Die Anwendung der Sequenzmusteranalyse löst zugleich innovativ wie auch pragmatisch ein Kernproblem der lokalen Politikforschung, denn verursacht durch Gemeinde- bzw. Kreisgebietsreformen können sich die kommunalen Territorien im Zeitverlauf verändern. Zwar kann dieser Wandel der lokalen Strukturen spätestens seit Ende der 1970er Jahre in Westdeutschland weitgehend als abgeschlossen betrachtet werden; die kommunale "Landschaft" Ostdeutschlands hingegen war und ist davon betroffen. Bei der Betrachtung und Analyse lokaler Parteiensysteme müssen diese strukturellen Veränderungsprozesse kontrolliert werden.
Weitere Informationen zu dem vom DFG geförderten Projekt "Lokale Parteiensysteme in Deutschland"
Das Projekt wurde regulär 36 Monate von der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) gefördert (von Februar 2016 bis Januar 2019). Momentan wird es im Rahmen einer achtmonatigen, kostenneutralen Verlängerung bis Ende September 2019 fortgesetzt.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Projekt-Website der DFG.