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Interview mit Christiane Luise Müller

ZKK: Liebe Frau Müller,
vielen Dank, dass Sie sich mit uns zum Interview treffen.
Island ist ja für viele ein Traumland. Gletscher, Vulkane, Nordlichter… Wie hat es Sie persönlich denn in den hohen Norden verschlagen?


Christiane Luise Müller: Der Norden hat mich schon immer fasziniert, ich liebe Kälte und Schnee. In Berlin habe ich Skandinavistik studiert und meine Hauptsprache war Isländisch. Ich fand es spannend, eine Sprache zu lernen, die nur so wenige Menschen aktiv sprechen und die sich in all den Jahrhunderten kaum verändert hat. Als ich dann einmal meine Semesterferien in Island verbrachte und in einem Restaurant arbeitete, um die Sprache zu üben, traf ich meinen Mann und entschied mich daraufhin, meinen Lebensmittelpunkt nach Island zu verlegen. Und nun wohne ich seit 2009 auf der Insel.

ZKK: Sie arbeiten dort als Lehrerin. Wie ist das Schulsystem aufgebaut? Was unterscheidet die isländischen Schulen von den deutschen?

Christiane Luise Müller: Es gibt in Island drei Schulstufen, den Kindergarten für Kinder von 1-6 Jahren, die Grundschule (1.-10. Klasse) und die weiterführende Schule (3 Jahre). Die Grundschule ist für alle Kinder verpflichtend und es gibt im Gegensatz zu Deutschland keine Unterteilung in Mittelschule und Gymnasium, sondern alle Schüler gehen zusammen in die gleiche Schulform. In Reykjavík gibt es relativ große Schulen mit ähnlichen Klassengrößen, wie man das aus Deutschland kennt. Dort gibt es auch Privatschulen und man hat als Eltern mehr Auswahl, was bestimmte Schulformen betrifft. Zum Beispiel gibt es eine Waldorfschule und andere alternative Grundschulen. Auf dem Land ist es so, dass es teilweise ganz kleine Schulen gibt, in die nur 30-50 Kinder gehen und die Klassen teilweise zusammen unterrichtet werden, also 1.-2. Klasse zusammen oder sogar 5.-7. Klasse zusammen. Die kleinste Grundschule Islands ist im Südosten mit nur 4 Schülern.

ZKK: Welche Qualifikationen benötigt man denn, um in Island als Lehrkraft arbeiten zu können? Wird das deutsche Staatsexamen oder ein Bachelor/Master of Education anerkannt?

Christiane Luise Müller: In Island muss man 5 Jahre an die Uni gehen, um eine Berufserlaubnis als Lehrer zu bekommen, 3 Jahre Bachelor-Studium und 2 Jahre Masterstudium. Das deutsche Staatsexamen wird anerkannt, dafür muss man sich an das Bildungsministerium wenden, damit einem eine Bestätigung ausgestellt wird. Sobald man in Island das Studium abgeschlossen hat, bekommt man die Berechtigung, an allen drei Schulstufen zu unterrichten, also Kindergarten, Grundschule und weiterführende Schule.

ZKK: Man hört immer wieder, dass Isländisch eine sehr schwierig zu erlernende Sprache ist. Gleichzeitig leben in Island viele Menschen, die zugezogen sind und andere Muttersprachen haben. Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?

Christiane Luise Müller: Ja, Isländisch ist eine schwere Sprache und man muss sehr viel Geduld mitbringen, wenn man sie richtig erlernen möchte, vor allem ganz am Anfang. Die Grammatik ist so ähnlich wie im Deutschen, es wird alles nach Geschlechtern und Fällen dekliniert und konjugiert und alles läuft über Endungen. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, die Sprache zu lernen, denn sonst findet man sehr schwer Zugang zur isländischen Gesellschaft. Viele Zugezogene, die kein Isländisch sprechen, sind oft nur unter sich und sprechen dann auch nur ihre eigene Sprache oder Englisch und bekommen kaum die Chance, Isländisch zu üben. Viele dieser Leute sind im Service tätig, z. B. in der Tourismusbranche. Das zieht dann wieder nach sich, dass Isländer kaum mehr in einem Restaurant essen gehen können, ohne Englisch sprechen zu müssen, was natürlich frustriert und auch keine schöne Entwicklung ist. Es gibt aber auch sehr viele Zugezogene, die sich sehr bemühen, die Sprache zu lernen und dafür von den Isländern Anerkennung bekommen.

ZKK: Sie geben selbst auch Isländisch-Unterricht. Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Schwierigkeiten, die Deutsche mit der Sprache haben?

Christiane Luise Müller: Zunächst ist die Aussprache sehr schwierig für viele, da es doch Laute gibt, mit denen man als Deutscher vielleicht nicht so vertraut ist. Es gibt außerdem viele Ausspracheregeln und -ausnahmen, die man erst einmal lernen muss, bevor man überhaupt etwas sagen kann. Und die umfangreiche Grammatik ist natürlich auch nicht gerade einfach zu erlernen. Wenn man Isländisch lernt, dauert es eine ganze Weile, bevor man sprechen kann, und das frustriert viele Anfänger.

ZKK: Ganz fernab des Jobs: Wie war es für Sie, sich in Island einzuleben? Was hat Sie an der dortigen Kultur am meisten überrascht?

Christiane Luise Müller: Es ist wirklich schwer, sich in Island einzuleben, vor allem wenn man auf dem Land wohnt, so wie es bei mir immer war. Ich war häufig isoliert und hatte als Kontakt nur die Familie meines Mannes und später ein paar Arbeitskollegen, aber richtige Freundschaften haben sich daraus nie ergeben. Meine besten Freunde waren immer ebenfalls Deutsche, die ich seit dem Studium kenne und die auch in Island gelandet sind. Mittlerweile lebe ich aber ganz im Norden von Island in einer kleinen Stadt und ich finde, dass man sich schneller einlebt und Kontakt zu anderen findet. Überrascht hat mich, dass das Leben nicht so ursprünglich und naturverbunden ist, wie ich es erwartet hätte. Es gibt sehr viele Einflüsse aus den USA. Die Isländer lieben große Autos, Fastfood und Markenkleidung. Das hat mich schon sehr verwundert.
 
ZKK: Gibt es etwas, das Sie in Deutschland vermissen? Und andersherum: Was gibt es in Island, auf das Sie nie wieder verzichten wollen würden?

Christiane Luise Müller: In Deutschland gibt es z. B. viel mehr Auswahl im Supermarkt, das merke ich immer, wenn ich mal wieder zu Besuch bin. Allerdings muss ich auch sagen, dass die begrenzte Auswahl in Island durchaus seine Vorteile hat, dann geht der Einkauf schneller. In Island ist das Leben sehr viel ruhiger und gelassener, man spürt nicht so viel Druck von außen, z. B. von Seiten der Gesellschaft oder in Schule oder Beruf. Als Arbeitnehmer hat man oft gewisse Freiheiten und kann ohne Probleme zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist, ohne dass man ein schlechtes Gewissen haben muss. Überhaupt ist Island, finde ich, sehr familienorientiert, auch wenn die Meinungen da deutlich auseinandergehen. In Deutschland ist das Leben sehr strukturiert, organisiert und teilweise auch vorprogrammiert. Es gibt einen gewissen Leistungsdruck, dem man standhalten muss oder auch will, um ein anerkannter Bestandteil der Gesellschaft zu sein. In Island ist beispielsweise jeder Beruf gleichwertig anerkannt, die Leute sehen nicht auf jemanden herab, der Reinigungskraft oder Schlachter ist, denn man weiß, dass diese Tätigkeiten Bestandteil des Alltags sind und auch erledigt werden müssen, auch wenn man dafür keine akademische Bildung braucht. In Deutschland ist das schon etwas anders. Da spielt es meiner Meinung nach eine große Rolle, welche Karriere man einschlägt und wie erfolgreich man ist.
Natürlich darf man auch die schöne Landschaft Islands nicht vergessen, die Berge und das Meer, das möchte ich nie mehr missen. Und die wenigen Menschen, das genieße ich sehr. Man hat seine Ruhe und wenn man Trubel möchte, kann man in die Stadt fahren.

ZKK: Liebe Frau Müller, vielen Dank für das Interview! Wir verabschieden uns jetzt und träumen noch ein wenig von Island…

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