Wie bewältigten deutsche, französische und britische Kolonialregierungen Konflikte um religiöse Klänge? Stephanie Zehnle, Professorin für Umwelt- und Technikgeschichte an der Universität Passau, leitet in der DFG-Forschungsgruppe 5472 ein Teilprojekt zu historischen Praktiken von Toleranz.
Moderne Kolonialreiche waren multiethnische und multireligiöse Gebilde. Teilweise legitimierten sie die Eroberung und Herrschaft dadurch, dass sie die vermeintlich „unzivilisierten Völker befrieden“ müssten, indem sie ihnen Religionsfreiheit und Religionstoleranz anboten. In dem DFG-Projekt „Glocken, Trommeln, Muezzine – Koloniale (In)Toleranz religiöser Klänge“ befasst sich ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Stephanie Zehnle von der Universität Passau mit den Widersprüchen in der Geschichte religiöser Toleranz und Intoleranz in den kolonialen Gesellschaften von Weltreichen. Es konzentriert sich dabei auf Praktiken und Aushandlungen von Toleranz mit Blick auf den Lärm anderer Religionen.
Als die koloniale Urbanisierung im 19. Jahrhundert zu einer Konfrontation verschiedener religiöser Regeln und Vorstellungen in Bezug auf Lärm im öffentlichen Raum führte, beschwerten sich religiöse Autoritäten bei kolonialen Polizeistationen über die „Lärmbelästigung“ durch profane Gruppen oder andere religiöse Gemeinschaften. Zugleich forderten Anwohnerinnen und Anwohner von Kirchen, Moscheen oder traditionellen afrikanischen Initiationsgesellschaften ein Verbot des muslimischen Gebetsrufs, der Kirchenglocken oder des nächtlichen Trommelns.
Lärmintoleranz als Indikator für Konflikte
Welche Klänge akzeptiert oder abgelehnt wurden, hing in dem multireligiösen kolonialen Kontext von der Zugehörigkeit zur jeweiligen Gruppe ab. Das Forschungsteam von der Professur für Umwelt- und Technikgeschichte an der Universität Passau analysiert, mit welchen technischen, politischen und rechtlichen Maßnahmen die Kolonialregierungen diese lokalen Konflikte bewältigten. Das Vorhaben unterteilt sich in drei Arbeitspakete:
In dem Projekt konzentrieren sich die Historikerinnen und Historiker auf ausgewählte westafrikanische koloniale Metropolen – insbesondere auf Freetown (Sierra Leone), Abidjan (Elfenbeinküste), Accra (Ghana) und Lomé (Togo). Die Forschungsgruppe untersucht diese Fälle vergleichend mit Hilfe des Ablehnung-Respekt Modells der Toleranz.
Teil der DFG-Forschungsgruppe zum Konzept von Toleranz
Das Passauer Projekt ist ein Teilvorhaben der DFG-Forschungsgruppe 5472 „Die Schwierigkeit und Möglichkeit von Toleranz: Die vielfältigen Herausforderungen des Konzepts und der Praxis von Toleranz“. Im Mittelpunkt der Forschung der Gruppe steht das Ablehnung-Respekt-Modell, das auf Einsichten aus mehreren Disziplinen aufbaut, insbesondere der politischen, der Sozial- und der Moralphilosophie sowie der Sozialpsychologie. Das Hauptziel der Forschungsgruppe besteht darin, ein theoretisch kohärentes und empirisch robustes Rahmenwerk zum Verständnis der Grundlagen, Dynamiken und (intendierten sowie nicht-intendierten) Folgen von Toleranz in pluralen Gesellschaften zu erarbeiten. Das Passauer Forschungsteam trägt wichtige Erkenntnisse über die historische Dynamik von Toleranzpraktiken auf der Grundlage unterschiedlicher religiöser Überzeugungen und im Hinblick auf multikulturelle Kontexte bei.
Mehr Informationen zum Projekt finden Sie hier.
Bild: Trommel einer religiösen Frauengruppe (Bundu) aus dem kolonialen Sierra-Leone (Sierra Leone National Museum, SLNM.1965.10.01A).
Projektleitung an der Universität Passau | Prof. Dr. Stephanie Zehnle (Professur für Umwelt- und Technikgeschichte) |
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Laufzeit | 01.04.2024 - 31.03.2028 |
Website | https://www.geku.uni-passau.de/umwelt-und-technikgeschichte/forschung |
Mittelgeber |
DFG - Deutsche Forschungsgemeinschaft > DFG - Sachbeihilfe
DFG - Deutsche Forschungsgemeinschaft > DFG - Forschungsgruppe
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