Zwei Menschen aus verschiedenen EU-Ländern heiraten. Sie entscheiden sich für ein weiteres EU-Land, ziehen dort zusammen, bauen ein Haus, bekommen Kinder. Es kommt zu Streit, es geht vor Gericht. Nur: Vor welches? Wie wird das Verfahren durchgeführt? Welche Regeln gelten für die Anhörung der Kinder? Unter welchen Voraussetzungen werden Entscheidungen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat anerkannt oder vollstreckt?
Solche Fragen werden in der EU-Verordnung Nr. 2201/2003 über Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung behandelt. Die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ganz allgemein sind Gegenstand einer weiteren EU-Verordnung mit der Nr. 1215/2012. Auf diese beiden Verordnungen konzentriert sich das EU-Projekt LAWtrain, an dem auch ein Team der Universität Passau beteiligt ist. Ziel ist es, ein grenzübergreifendes Kooperationsnetzwerk zu schaffen, um Anwältinnen und Anwälten europaweit im EU-Zivilprozessrecht fortzubilden.
Die Europäische Union fördert das Vorhaben im Rahmen des "European Union Justice Programme 2014-2020" über eine Laufzeit von zwei Jahren. Die Università degli Studi di Torino in Turin, Italien, koordiniert das Projekt. Das Team an der Universität Passau leitet Prof. Dr. Dennis Solomon, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung: "Ich freue mich, damit einen Beitrag für das Zusammenwachsen des europäischen Rechtsraums leisten zu dürfen."
Neben der Università degli Studi di Torino und der Universität Passau sind am Projekt LAWtrain die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie die Université Aix-Marseille in Frankreich, die Universidad Complutense de Madrid in Spanien, die University of Maribor in Slowenien und die SWPS University of Social Sciences and Humanities im polnischen Warschau beteiligt. Kooperationspartner in Deutschland ist die Rechtsanwaltskammer München.
"Das EU-Prozessrecht verhindert Forum Shopping", erklärt Projektmitarbeiter Andreas Scheibenpflug. Darunter versteht man prozesstaktische Erwägungen einer Partei, sich einen bestimmten Mitgliedstaat für das gerichtliche Verfahren auszusuchen, wo sich die Partei besonders günstige Chancen erhofft. Allerdings herrschen über die Zuständigkeiten bei Anwältinnen und Anwälten im In- und Ausland mitunter Unsicherheiten.
Diese will das Projekt LAWtrain ausräumen. Dazu bereitet das Passauer Team gemeinsam mit Partneruniversitäten aus verschiedenen EU-Ländern Rechtsquellen des internationalen Privat- und Verfahrensrechts sowie Leitentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs praxisorientiert auf. So wollen sie den problembewussten Umgang mit europäischen Rechtsquellen und -instrumenten schärfen und dabei Rechtswissenschaft und Praxis mehrerer Staaten in der EU stärker vernetzen.
24 Seminare in 7 verschiedenen Sprachen
Stattfinden sollen dazu 24 Seminare in 7 verschiedenen Sprachen in den beteiligten Ländern. Teilnehmen werden bis zu 720 Anwältinnen und Anwälte sowie mehr als zehn Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Neben mehreren Fallstudien entstehen im Rahmen des Projekts eine Webseite, Newsletter sowie Videos und Dokumente als Trainingsmaterialien.
LAWtrain knüpft an die Strukturen eines bereits erfolgreich durchgeführten früheren Projekts zurück: Im EU-Projekt JUSTICE hat sich das Team um Prof. Dr. Solomon bereits am Aufbau eines grenzüberschreitenden Kooperationsnetzwerks für die Vermittlung von Kompetenzen und die Fortbildung von Juristinnen und Juristen beteiligt. Auch dieses förderte die Europäische Union im Rahmen des European Union Justice Programme in den Jahren 2015 bis 2017.