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Wie die Spanische Grippe das Wahlverhalten in der Weimarer Republik beeinflusste

In einer Studie, an der auch die Universität Passau beteiligt war, zeigt ein Ökonomen-Team, dass die Pandemie vor mehr als 100 Jahren in besonders betroffenen Gebieten zu einem Linksruck führte.

| Lesedauer: 3 Min.

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Passau

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Passau; Foto: Universität Passau

1918 breitete sich eine rätselhafte Krankheit aus. Sie begann mit Fieber, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen, der Tod kam meist wenige Tage später. Da die Pandemie mit der entscheidenden Phase des Ersten Weltkriegs zusammenfiel, ergriff die Politik keine Maßnahmen aus Sorge um die Moral der Bevölkerung. Auch die Presse berichtete kaum; es herrschte Zensur. Nichtsdestotrotz war die Krankheit in der Öffentlichkeit präsent: Schätzungen zufolge starben an der Spanischen Grippe in Deutschland in wenigen Monaten mehr als 400 000 Menschen – vergleichbar mit Todesfällen durch den Ersten Weltkrieg in einem ganzen Kriegsjahr.

Ein Team von Ökonomen der Universitäten Passau, Köln und Rom sowie der Bundesärztekammer hat in einer Studie mit Hilfe moderner mikroökonometrischer Methoden historische Sterbedaten mit Wahldaten der Jahre 1893 bis 1933 aus allen deutschen Wahlbezirken abgeglichen. So konnten sie analysieren, wie sich die Pandemie auf die Wahlergebnisse ausgewirkt hat. Die Ergebnisse haben sie unter anderem als CESifo Working Paper unter dem Titel „The Political Effects of the 1918 Influenza Pandemic in Weimar Germany“ veröffentlicht.

Die Erkenntnisse im Überblick:

  • In Regionen, die von der Spanischen Grippe besonders betroffen waren, verbuchte der linksgerichtete Parteienblock einen Zuwachs von 8,1 Prozent im Vergleich zum Ergebnis bei den Wahlen vor Ausbruch der Pandemie. 
  • Im linksgerichteten Lager profitierte vor allem die SPD – und zwar nicht nur kurzfristig. Der Effekt blieb im Beobachtungszeitraum bis 1933 stabil. Extreme Parteien stärkte die Pandemie nicht.
  • In einer Reihe von Tests schließen die Ökonomen aus, dass der Effekt der Spanischen Grippe mit dem Effekt anderer möglicher Ursachen wie Armut und Ungleichheit oder kriegsbedingte Entwicklungen verwechselt wird. 

„Man könnte meinen, dass die Spanische Grippe als eine von vielen Faktoren zum Aufstieg der Nationalsozialisten beigetragen hat. Wir zeigen in unserem Paper, dass dem nicht so ist“, sagt Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Passau. „Die Pandemie hat nicht die extremen Parteien gestärkt, sondern die gemäßigte Linke, ganz konkret die SPD.“ 

Die Analysen der Ökonomen deuten darauf hin, dass mit der Pandemie Gesundheit ein wichtiges öffentliches Thema wurde und dass es der Sozialdemokratischen Partei gelang, dieses Thema zu besetzen – nicht erst mit dem Ausbruch der Spanischen Grippe. Die SPD hatte den Forschern zufolge bereits davor das Thema Gesundheit vor allem mit Bezug auf die Arbeiterschaft in ihre Wahlprogramme aufgenommen und war in den Selbstverwaltungsgremien der Krankenversicherungen stark vertreten.

Über das Autoren-Team

Die Idee zu dem Paper hatte Dr. Christoph König, Assistenzprofessor an der Universität Tor Vergata in Rom. Bei der Auswertung historischer Wahldaten fiel ihm im Jahr 1919 ein ungewöhnlicher Linksruck auf, den die Ökonomen nun in der vorliegenden Studie untersuchen. Prof. Dr. Bauernschuster, Professor für Public Economics an der Universität Passau, und Prof. Dr. Erik Hornung, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität zu Köln, knüpfen an eine gemeinsame Studie an, in der sie auch mit historischen Sterbedaten arbeiteten, um die Wirkung der ersten allgemeinen Pflichtkrankenversicherung unter Bismarck zu untersuchen. Ebenfalls an der Studie beteiligt war Dr. Matthias Blum, Ökonom und Politikberater bei der Bundesärztekammer. Letzterer hatte historische Sterbedaten und Todesursachen zu 213 deutschen Städten zusammengetragen, die in die aktuelle Studie eingeflossen sind.

Die Studie ist als Working Paper beim Centre for Economic Policy Research (CEPR), bei CESifo, in der Reihe ECONtribute der Universitäten Bonn und Köln sowie in der Discussion Paper Series des IZA – Institute of Labor Economics erschienen.

Zu den Originalpublikationen:

Zum Beitrag des Ökonomen-Teams im Digitalen Forschungsmagazin:
https://www.digital.uni-passau.de/beitraege/2023/studie-zur-spanischen-grippe

Kontakt

Referat für Medienarbeit

Rückfragen zu dieser Pressemitteilung richten Sie bitte an:

Nicola Jacobi und Barbara Weinert
Tel.: +49 851 509-1434, -1450
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