Seine nächste Reise war schon lange geplant. Über Pfingsten wollte er mit Studierenden der Universität Passau auf große Exkursion gehen. Ein Segeltörn auf dem 20 Meter langen Zweimasterschoner Samyrah, aus edlen Hölzern in der Nähe von Venedig gebaut und auch als Ausbildungsschiff zugelassen. Vom Starthafen Eckernförde aus sollte es acht Tage lang durch die „Dänische Südsee“ mit ihren malerischen Inseln gehen, um dabei noch mehr über Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Ostseeraum zu erfahren. Auch das Motto stand schon fest: „Nur wer zupackt, kann auch begreifen; und nur wer begreift, weiß, wo es anzupacken gilt!“
Malte Steinbrink ist am 4. Mai verstorben, plötzlich und für alle unerwartet. Warum diese detaillierten Ausführungen zu einer Exkursion, die nicht mehr stattfinden wird? Weil die Planung des Segeltörns so viel verrät über die Begeisterung und die Leidenschaft, mit der Malte Steinbrink Wissenschaft betrieben hat, weil sie bezeichnend ist für das, was ihm in der Lehre und im Leben wichtig war.
Wer sich die Handreichung zur Segelexkursion durchliest, spürt, wie groß seine Vorfreude auf den Törn war. Er wollte Samyrah zum „Hörsaal unter Segeln“ machen, die Studierenden für die Schönheit des Nordens und die vielfältigen Themenfelder der Geographie begeistern – und das eben nicht nur als habilitierter Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie der Universität Passau, sondern auch als passionierter Segler und überzeugter Mittler zwischen Nord und Süd.
Wie immer ging es ihm auch bei diesem Törn um Austausch auf Augenhöhe, um Erkenntnisgewinn durch eigene Erfahrung und Beobachtung, ums Begreifen und beherzte Anpacken und nicht zuletzt darum, ein Abenteuer zu erleben und mit den Menschen um sich herum eine möglichst gute und fröhliche Zeit zu verbringen.
An das humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre hat Malte Steinbrink nicht nur geglaubt, er hat es gelebt. Studierende in Lehrveranstaltungen und auf Exkursionen für Forschungsfragen zu begeistern, war ihm schon zu Beginn seiner universitären Karriere ein großes Anliegen. Regelmäßig entwickelten sich seine Veranstaltungen zu kreativen Lehrforschungs-Projekten, in denen am Beispiel von bisweilen ungewöhnlichen Themen wissenschaftliche Neugier und empirisches Forschen erprobt und kultiviert wurden. Dabei konnte es um die Erfassung und Analyse der Gartenzwergdichte in Osnabrücker Kleingärten ebenso gehen wie um die Erforschung von Geisterdörfern in der norditalienischen Peripherie. Mit seiner nahbaren, unprätentiösen Art, seinem Humor und seinem Tatendrang zog er die Studierenden in seinen Bann und motivierte sie zu Leistungen, die sie sich selbst oft nicht zugetraut hätten. So gingen aus seinen Lehrforschungsprojekten auch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen hervor.
Den Fokus seiner sozial- und kulturgeographischen Forschung richtete Malte Steinbrink auf Prozesse der Stadt- und Regionalentwicklung sowie auf Phänomene der Migration und des Tourismus, die er vor dem Hintergrund der Globalisierung beleuchtete. Er forschte zu verschiedenen Ländern des Globalen Südens, insbesondere zu Ländern in Subsahara-Afrika. Zu reisen, im Feld zu sein und mit Menschen ins Gespräch zu kommen, liebte er. Dabei verfolgte er das Ziel, eine empirisch fundierte Theoriediskussion voranzubringen und gleichzeitig einen Bezug zur Praxis herzustellen. Kernaspekte seiner Forschung waren Translokalität, Mobilität, Vernetzung und Ungleichheit. Nicht zuletzt zählte auch die bibliometrische Wissenschaftsbeobachtung zu seinen Arbeitsschwerpunkten.
Zunächst sah es nicht danach aus, dass Malte Steinbrink jemals eine Universität von innen sehen, geschweige denn einen Ruf auf einen Lehrstuhl erhalten würde. Aufgrund eines falsch berechneten Geburtstermins musste er zwei Wochen auf der Säuglingsintensivstation eines Kieler Krankenhauses verbringen. Noch mehrere Jahre lang stand die Befürchtung im Raum, dass er bleibende Schäden davongetragen haben könnte.
Ein guter Schüler war Malte Steinbrink tatsächlich nicht. Wie er rückblickend einmal sagte, hatte er in den ersten Schuljahren drei Grundprobleme: Lesen, Schreiben und Rechnen. Keine guten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schulkarriere. Er entschied sich daher, all das, was auch nur im Entferntesten mit Bildung zu tun hatte, nicht wichtig zu finden. Nach dem Realschulabschluss schaffte er es nur mit Mühe aufs Gymnasium und verließ dieses mit einer mittelmäßigen Abiturnote. Erst an der Gesamthochschule Kassel und später während seines Geographiestudiums an der Universität Osnabrück machte ihm Bildung Spaß. Durch die Freiheiten, die ihm das universitäre System bot, und durch den offenen Austausch zwischen Studierenden und Dozierenden waren sein Interesse an Erkenntnis und schließlich auch sein Ehrgeiz geweckt, eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen.
Malte Steinbrink verlangte sich selbst und seinen Studierenden viel ab. Er schonte weder sich noch sein Umfeld. Dinge aufzuschieben, war nicht seine Art. Wenn ihm eine Idee kam für ein Projekt, eine Veröffentlichung oder einen Förderantrag, musste er sie mit anderen teilen, am liebsten sofort. „Kommste mit, eine rauchen?“ war in solchen Situationen seine standardisierte Gesprächsaufforderung – und das, was auf diese vermeintliche Frage an Ausführungen folgte, war in der Regel brillant und mitreißend.
Von Rückschlägen und Niederlagen ließ sich Malte Steinbrink nicht entmutigen. Er war gebaut wie eine Segelyacht mit Ballastkiel: niedriger Schwerpunkt und hohes aufrichtendes Moment. Kentern auch bei rauer See quasi unmöglich. Und er hatte das Glück, mit seiner Frau und seinem Sohn einen sicheren Hafen in Reichweite zu haben. Von hier aus zog es ihn immer wieder in die Welt hinaus.
Umso schmerzhafter ist es, dass Malte Steinbrink nun schon seine letzte Reise angetreten hat. Er hatte noch so viele Pläne und Ideen. Aber wie Bayreuther Kollegen angesichts seines Todes ganz treffend formulierten: „Ein Geograph ist nie wirklich weg, er ist meist nur woanders. Und was bleibt, ist viel mehr als nur Spuren im Sand.“ Gute Reise, lieber Malte!
Kondolenzbuch
In der Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät liegt ein Kondolenzbuch aus, in das Sie eintragen können. Aufgrund des hohen Andrangs haben wir die Auslage bis zum 23. Juni verlängert. Der Zugang ist werktags von 9 bis 12 Uhr oder nach Vereinbarung über die Büros des Dekanats (Raum 224a/222 im Nikolakloster) möglich.
Gedenkfeier
Die Universität Passau lädt Sie zur akademischen Gedenkveranstaltung für Prof. Dr. Malte Steinbrink ein. Diese findet am Freitag, den 23. Juni 2023, um 17 Uhr im Audimax der Universität Passau statt. Wir bitten um Anmeldung bis zum 14. Juni.