Namensgebend für den Matilda-Effekt ist die Sufragette Matilda Joslyn Gage, die bereits im 19. Jahrhundert vehement für Frauenrechte eintrat und kritisierte, dass die akademischen Leistungen von Frauen zu wenig Anerkennung erfahren würden. Die Historikerin Margaret W. Rossiter führte den „Matilda-Effekt“ Anfang der 1990er Jahre in die akademische Debatte ein. Anhand prägnanter Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte zeigte Rossiter auf, wie schwierig es für Frauen seit jeher war, die ihnen zustehende akademische Anerkennung zu erfahren. Seitdem wurde in zahlreichen empirischen Studien belegt, dass von Frauen produzierte Erkenntnisse weniger Aufmerksamkeit in der Wissenschaftsgemeinde erfahren.
Von besonderer Brisanz ist dabei die Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Zitationspraxis, der sogenannte Gender Citation Gap: „Zitationen sind nicht nur das zentrale Element wissenschaftlicher Kommunikation, sondern auch ein bedeutendes Medium der akademischen Reputationsverteilung. Kurzum: Über das Zitieren und Nicht-Zitieren wird wissenschaftliche Anerkennung verteilt und vorenthalten“, erklärt Prof. Dr. Malte Steinbrink, Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie der Universität Passau. Auch Entscheidungen über Stellenbesetzungen und -entfristungen, Stipendien und Forschungspreise würden häufig mit Blick auf Publikations- und Zitationszahlen der jeweiligen Forschenden getroffen.
Prof. Dr. Malte Steinbrink, Philipp Aufenvenne, Christian Haase und Max Pochadt untersuchten in ihrer Studie, ob es auch in der Humangeographie einen Gender Citation Gap gibt. Mittels einer Netzwerkanalyse nahmen sie die Zitationsbeziehungen innerhalb der deutschsprachigen humangeographischen Professoren- und Professorinnenschaft in den Blick. Ihre Studie belegt einen klaren „Matilda-Effekt“. Weibliche Professoren werden signifikant weniger oft zitiert als ihre männlichen Kollegen. Der Gender Citation Gap beruht allerdings nicht allein auf der Zitierpraxis der Männer, sondern auch Professorinnen zitieren überproportional häufig Männer. Weibliche Namen entfalten in wissenschaftlichen Kreisen bislang offenbar nicht die gleiche „Orientierungswirkung“ wie männliche. Die eigentlichen Ursachen für diesen Gender Bias müssten noch tiefergehend erforscht werden, so Philipp Aufenvenne: „An dieser Stelle sind disziplinhistorische Untersuchungen sowie qualitative Mikrostudien notwendig, um Licht ins Dunkel der Zitierpraxis und der zugrundeliegenden Motive zu bringen.“ Die Forscher wollen mit ihrer Studie insbesondere die Diskussion darüber anregen, wie wissenschaftspraktisch und -politisch mit dem Gender Citation Gap umzugehen ist, ohne dabei z. B. mit „Zitierquoten“ die Grundpfeiler der Wissenschaftsfreiheit zu gefährden.