Im Rahmen des Advanced Grant ReConFort (Reconsidering Constitutional Formation, Constitutional Communication by Drafting, Practice and Interpretation in 18th and 19th Century Europe) werden promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Belgien, Deutschland, Italien, Polen und Spanien unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrike Müßig an der Universität Passau zur Europäischen Verfassungsgeschichte forschen. „Hierdurch wird die Forschungsstärke der Juristischen Fakultät durch den Europäischen Forschungsrat sichtbar gemacht“, sagt Präsident Prof. Dr. Burkhard Freitag. „Für die Universität ist dies von außerordentlich großer Bedeutung, gerade auch angesichts unserer Bestrebungen, als Wissenschaftsstandort mit exzellenter Forschungsleistung international stärker wahrgenommen zu werden.“ Universitätsleitung und Kollegen, der Lehrstuhl und die Forschungsabteilung haben zusammen mit der Bayerischen Forschungsallianz unverzichtbare Grundlagen für den Passauer Erfolg gelegt. „Meinem Mann und meinen Kindern gehört mein größter Dank“, schließt die Passauer Rechtshistorikerin Ulrike Müßig, „sie haben mich zu der gemacht, die ich heute bin.“
Die europäische Verfassungsgeschichte neu schreiben
Das neue Verständnis für die Verfassungsgebung im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts geht von der Prämisse aus, dass Herrschaft nur bei Zustimmung der Beherrschten funktioniert. Das staatsorganisationsrechtliche Kräfteverhältnis kann nie statisch im Verfassungstext vorgegeben sein, sondern bleibt vom Handeln der politischen Akteure abhängig. Mit einem solchen Verständnis der Verfassungsbildung als Zusammenspiel von Verfassungstext, gesellschaftlichem Kontext, politischer Praxis und Verfassungsinterpretation schreibt das Forschungsprojekt ReConFort die europäische Verfassungsgeschichte neu. „Auch wenn die historischen Verfassungsdebatten im polnischen Sejm, in den spanischen Cortes, im Belgischen Nationalkongress, in der deutschen Paulskirche und im italienischen Parlamento Subalpino fast 200 Jahre von den heutigen Europäischen Entscheidungsträgern entfernt scheinen, ist es die bürgernahe Verfassungsöffentlichkeit, die zum Erfolg der Verfassungsidee im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts beigetragen hat und die den gegenwärtigen völkerrechtlichen Unionsverträgen fehlt.“, erläutert Ulrike Müßig. Europa könne sich im Bewusstsein der Bürger der Mitgliedstaaten nicht in Gestalt der Gemeinschaftswährung festsetzen. Die gegenwärtige Finanzkrise zeige die begrenzte Legitimationskraft wirtschaftlicher Erwartungen von Gewinnen und Wettbewerbsvorteilen. Nachhaltigkeit könne nur durch gemeinsame Wertorientierungen geschaffen werden, wie sie sich in gemeinsamen europäischen Verfassungstraditionen finden. „Europa ist für ReConFort mehr als ein Markt. Es steht für ein Gesellschaftsmodell, das historisch gewachsen ist.“, macht Ulrike Müßig deutlich.
Über den ERC
Der ERC ist eine von der Europäischen Kommission eingerichtete Institution zur Finanzierung von grundlagenorientierter Forschung. Er wird zurzeit über das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm finanziert. Wissenschaftliche Exzellenz ist das alleinige Auswahlkriterium für eine Förderung durch den ERC. Die geförderten Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass es sich um bahnbrechende Pionierforschung handelt. Zielgruppe der ERC-Förderlinie "Advanced Grants" sind erfahrene, exzellente Forschende, die in ihrem Forschungsfeld bereits etabliert sind und in den vergangenen zehn Jahren wissenschaftliche Spitzenleistungen erbracht haben.
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Hinweis an die Redaktionen: Rückfragen zu dieser Pressemitteilung richten Sie bitte an Prof. Dr. Ulrike Müßig, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Tel. 0851/509-2280.