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ZKK-Interview mit Lisa Herold über ihre gemeinnützige Arbeit bei der Hochschulgruppe Arbeiterkind.de-Passau

Lisa Herold studiert European Studies im Master an der Uni Passau. Nebenbei engagiert sie sich bei der Hochschulgruppe Arbeiterkind.de-Passau. Die Gruppe ist ein Passauer Ableger von ArbeiterKind.de – einer gemeinnützigen GmbH zur Förderung des Hochschulstudiums von Nicht-Akademikerkindern: „Wir ermutigen Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung dazu, als Erste in ihrer Familie zu studieren“, so steht es auf deren Website. Im Interview mit Lisa Herold sprechen wir über die Motivation für ihre gemeinnützige Tätigkeit sowie ihre Aufgaben beziehungsweise das Angebot und die Ziele der Hochschulgruppe.

| Lesedauer: 7 Min.

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ZKK: Liebe Frau Herold, sind Sie selbst Erstakademikerin oder woher kommt Ihre Motivation, Nicht-Akademikerkindern den Studieneinstieg zu erleichtern?

Lisa Herold: Eigentlich bin ich nur ein halbes Arbeiterkind, da mein Vater auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nachgeholt und später an einer Fachhochschule studiert hat. Ich hatte allerdings wenig Kontakt zu ihm, da meine Eltern geschieden sind. Meine erste Studienzeit verlief recht holprig, was rückblickend durch ein gutes Support-Netzwerk einfach hätte abgefedert werden können. Als ich im Master von ArbeiterKind.de erfuhr, dachte ich mir: „Genau das hätte ich damals gebraucht!“ Als Arbeiterkind-Mentorin möchte ich nun dazu beitragen, dass andere einen leichteren Start in ihre Akademiker-Laufbahn haben.  

ZKK: Auf Instagram schreiben Sie, dass Sie während Ihres Studiums selbst mit mangelndem Know-how und Unsicherheiten im Uni-Alltag zu kämpfen hatten. Können Sie uns Beispiele nennen, in welchen Situationen Sie sich eine konkrete Ansprechperson gewünscht hätten?

Lisa Herold: Nach meinem Abitur bekam ich oft Ratschläge à la: Mach etwas Vernünftiges, am besten eine Ausbildung oder ein duales Studium bei Volkswagen. Eigentlich wollte ich aber lieber etwas Kreatives, Interkulturelles machen.
Als „Kompromiss“ schrieb ich mich für ein Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen ein. Das war aber überhaupt nicht das Richtige für mich. Außerdem ist ein Jurastudium bis zum Staatsexamen ein sehr langwieriges und kostspieliges Projekt.
Meine Studienfinanzierung war damals unsicher, da ich noch kein BAföG bekam. Auch meine Eltern konnten mich nicht problemlos unterstützen. Nach meiner juristischen Zwischenprüfung war ich mir sicher, dass ich das Jurastudium nicht bis zum Ende durchziehen wollte und wechselte nach vier Semestern zu einem Bachelor in Romanistik.
Bei so einem Wechsel kommen ziemlich viele Versagensgefühle, Unsicherheiten und Existenzängste hoch. Mir war damals auch nicht bewusst, dass man einen Studiengangwechsel nicht länger als zwei Semester aufschieben sollte.   
In meiner Familie konnte mir damals niemand wirklich weiterhelfen und die Beratungsstellen an der Uni haben eben auch nur begrenzte Kapazitäten. Zusammenfassend würde ich sagen, dass vor allem im Hinblick auf Studienwahl und -finanzierung ein positives Vorbild oder ein kompetenter und nahbarer Ansprechpartner gefehlt hat. Ich hätte eigentlich nur jemanden gebraucht, der sagt: „Ich hab’s geschafft, du kannst es auch und jetzt zeige ich dir, wie es geht.“

ZKK: Haben Sie als Arbeiterkind in schwierigen Situationen tatsächlich auch negative Erfahrungen gemacht oder konnten Sie die Herausforderungen letztendlich selbstständig meistern und wenn ja, wie?   

Lisa Herold: Vor meinem Studiengangwechsel ließ ich mich beim BAföG-Amt beraten.
Dort wurde mir gesagt, dass ich durch einen Wechsel nach dem 2. Fachsemester für immer meinen Anspruch auf BAföG verlieren würde, was allerdings so nicht ganz stimmt – aber dazu später mehr. Die unglückliche Formulierung verunsicherte mich damals jedenfalls so stark, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, mein Studium ganz abzubrechen und stattdessen eine Ausbildung zu machen.
Im Endeffekt habe ich dann aber doch meinen Bachelor abgeschlossen. Danach arbeitete ich drei Jahre in Vollzeit, weil ich mit der unsicheren finanziellen Situation nicht mehr weiterstudieren wollte.
Der Einblick ins Berufsleben war eine fantastische Erfahrung für mich, die mich selbstbewusster machte und es mir ermöglichte, etwas Geld beiseitezulegen. Diese zwei Faktoren und auch die Erkenntnis, dass ich mich noch weiterentwickeln wollte, führten mich zu meinem Masterstudium an der Uni Passau.
Jetzt bin ich sehr glücklich, dass ich etwas gefunden habe, das meinen Interessen entspricht und mir mehr berufliche Perspektiven bietet.
Inzwischen bekomme ich übrigens endlich Bafög: Ab dem Master hat man nämlich einen neuen Anspruch, auch wenn man vorher einen Studiengangwechsel nach dem zweiten Fachsemester vollzogen hat.

ZKK: In welchen Bereichen unterstützt Arbeiterkind.de-Passau gezielt Studierende aus Arbeiterfamilien und wie hilft die Hochschulgruppe dabei, die Herausforderungen im Universitätsalltag zu bewältigen?

Lisa Herold: Bei ArbeiterKind.de geht es vor allem darum, mit den eigenen Erfahrungen Mut zu machen. Wir haben darüber hinaus ein deutschlandweites Engagierten-Netzwerk, bei dem zu jeder Frage rund um Studium und Berufseinstieg sehr schnell jemand gefunden werden kann, der sich auskennt.
Außerdem bieten wir Informationsveranstaltungen zu den Themen Studienfinanzierung, Berufseinstieg, Abschlussarbeiten, Zeitmanagement und vielem mehr an. In Passau haben wir einen monatlichen Stammtisch, zu dem sowohl Studierende als auch Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Eltern oder andere Unterstützendende herzlich eingeladen sind. Außerdem entwickeln wir derzeit ein Mentoringprogramm, das Studierende ohne „Akademikernetzwerk“ bei ihren ersten Schritten an der Uni Passau unterstützen soll.

ZKK: Welche Tätigkeiten übernehmen Sie selbst bei Arbeiterkind.de-Passau und was davon macht Ihnen besonders Spaß?

Lisa Herold: Ich bin bei Artbeiterkind.de-Passau vor allem für die Gruppenkoordination, die externe Kommunikation und unseren Instagram-Account zuständig. Außerdem habe ich bei drei virtuellen Veranstaltungen als Referentin mitgewirkt.
Schulveranstaltungen, auf denen man jungen Menschen etwas Wertvolles auf ihren Weg mitgeben kann, machen mir am meisten Spaß.

ZKK: Inwiefern beeinflusst die Corona-Pandemie den Studieneinstieg und -alltag insbesondere für Arbeiterkinder und wie reagiert die Hochschulgruppe auf diese veränderte Situation?

Lisa Herold: Ich denke, dass Corona vor allem für Studienanfängerinnen und -anfänger, egal ob mit oder ohne Akademiker-Background, eine große Belastung darstellt. Der Wechsel von der Schule zur Uni kann allein schon überfordern; in der Pandemie muss das Ganze aber mehr oder weniger allein gestemmt werden. Das hohe Maß an Zeit- und Selbstmanagement, das dafür vorausgesetzt wird, bringt nicht jede und jeder mit und ist realistisch gesehen meiner Meinung nach eher von fortgeschrittenen Studierenden zu erwarten.
Für Studierende, bei denen die finanzielle Lage nicht ganz sicher ist, kommt dann natürlich noch belastend hinzu, dass momentan viele typische Nebenjobs in der Gastronomie oder im Verkauf wegfallen. Statistisch gesehen sind davon leider viele Arbeiterkinder betroffen. Auch Praktika zu bekommen ist momentan schwieriger als sonst.
ArbeiterKind.de hat deshalb letztes Jahr auf Bundesebene eine virtuelle Konferenz zum Thema Studienorientierung und Studium in Zeiten von Corona veranstaltet, bei der es vor allem um Empowerment und Aufklärung über den Einfluss der Pandemie auf Bildungsungleichheiten ging.

ZKK: Was sind die langfristigen Ziele von Arbeiterkind.de-Passau?

Lisa Herold: Langfristig ist es unser Ziel, dass ArbeiterKind.de als feste Institution sowohl an der Uni Passau als auch an den Schulen in der Region ein Begriff ist. Außerdem möchten wir regelmäßig Informationsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler organisieren, sobald das wieder möglich ist. Und dann wäre da noch der Aufbau unseres Mentoringprogramms, welches ich vorhin schon erwähnte.

ZKK: Ist die Hochschulgruppe noch auf der Suche nach weiteren Mitgliedern und wenn ja, wie kann man mitmachen?

Lisa Herold: Da wir uns erst vor einem Jahr in Passau neu gegründet haben, sind wir auf der Suche nach neuen Mitgliedern, die Spaß daran haben, unsere Gruppe in Passau weiter aufzubauen. Wer dabei sein möchte, kann uns gerne eine E-Mail an passau@arbeiterkind.de schreiben oder über Instagram via arbeiterkind.de_passau mit uns Kontakt aufnehmen. Da wir neben der Hochschulgruppe auch ein lokaler Ableger der Dachorganisation ArbeiterKind.de sind, können auch Personen bei uns mitmachen, die nicht oder nicht mehr studieren.

ZKK: Welche Kernbotschaft wollen Sie Personen auf den Weg geben, die sich als Erste aus ihrer Familie für ein Studium interessieren oder bereits entschieden haben?

Lisa Herold: Wenn ihr den Traum habt, zu studieren, dann könnt ihr es auch schaffen. Auch wenn es im direkten Umfeld anscheinend niemanden gibt, der euch eure Fragen beantworten kann, gibt es immer Menschen, denen euer Erfolg am Herzen liegt und die euch auf eurem Weg unterstützen werden. Traut euch nachzufragen und vielleicht sind eure Probleme schneller gelöst, als ihr es erwartet hättet.

ZKK: Liebe Frau Herold, vielen Dank für das aufschlussreiche und freundliche Gespräch!

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