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Maria Appel in Istanbul

Nach mehr als zweieinhalb Jahren, nachdem es mich das erste Mal in die für mich damals noch sehr fremde Türkei verschlagen hatte, kehrte ich Anfang April 2022 am Ende meines Bachelorstudiums der Kulturwirtschaft für ein Praktikum zurück. Durch mein 2019 auf Lesbos absolviertes Praktikum als Koordinatorin einer griechischen NGO kam in mir der Wunsch auf, mehr über die geopolitischen und sozioökonomischen Zusammenhänge der Region, besonders der Türkei, zu verstehen. Mein Interesse entstand zum einen, da die Türkei als eines der wichtigsten Transit- und Zuwanderungsländer gilt, zum anderen, weil sie im Allgemeinen große politische sowie wirtschaftliche Relevanz für Europa hat. Deshalb war es für mich ein ganz bewusster Schritt, Türkisch zu lernen und nach einem Praktikum in der Türkei Ausschau zu halten. Nach meiner Initiativbewerbung Anfang Januar bei dem Landesbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul, bekam ich Ende Februar eine Zusage. In der Türkei arbeitet die Stiftung aktiv mit Partnerinnen und Partnern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammen, um durch inter- und transnationale Dialoge, Veranstaltungen und Publikationen, die liberale Gemeinschaft in der Türkei zu fördern.

Eigentlich hatte ich geplant, die Hin- und Rückreise mit Bus und Bahn anzutreten, erkrankte jedoch kurz vor Start meines Praktikums eine Corona-Infektion, sodass ich Ende März doch einen Flug buchte, um noch rechtzeitig vor Ort in Istanbul zu sein. Obwohl ich bereits einige Leute in Istanbul kannte, die mich bei der Wohnungssuche unterstützten, war letztlich die Suche über Facebook am erfolgreichsten. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Landes haben sich die Wohnungspreise in einem Jahr über 100 Prozent erhöht, wodurch es für mich anfangs schwer ersichtlich war, welche Preise als marktüblich galten. Man sollte sich also im Vorhinein bewusst sein, wie viel man bezahlen und wo man in Istanbul leben möchte. Ich fand sehr kurzfristig ein WG-Zimmer für ca. 200 Euro pro Monat in dem Viertel Fulya Sisli. Von dem aus konnte ich in einer halben Stunde zu Fuß mein Büro erreichen, das sich in der Nähe vom Taksim Square befand.

Seit dem Putschversuch 2016 wurden Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt. Es kam zu Massenentlassungen und Verhaftungen. Während meines Praktikums wurde der Menschenrechtsaktivist Osman Kavala wegen des Vorwurfs eines Umsturzversuchs im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten 2013 zu lebenslanger Haft verurteilt. In diesem Zusammenhang fördert die Stiftung liberal gesinnte Bürgerinnen und Bürger und kooperiert mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich beispielsweise für Menschenrechte sowie Pressefreiheit einsetzen. Neben den mehrheitlichen Recherchen über aktuelle Ereignisse, innenpolitische und sozio-ökonomische Zusammenhänge, wie auch generelle politische Geschehnisse in der Region hatte ich so auch die Möglichkeit verschiedenste in der Türkei ansässige zivilgesellschaftliche Partnerinnen und Partner kennenzulernen, an mehreren Tagungen sowie Veranstaltungen teilzunehmen und bei den Vorbereitungen bzw. der Durchführung zu unterstützen. Das bot mir die Möglichkeit, mit nationalen sowie internationalen Expertinnen und Experten in Kontakt zu treten sowie von ihren Praxis-Erfahrungen zu lernen. Außerdem übernahm ich verschiedenste Übersetzungs- und Redaktionsarbeiten und verfasste zum Abschluss meines Praktikums einen Artikel zur Situation von Geflüchteten in der Türkei. Glücklicherweise waren die Arbeitszeiten flexibel und die Atmosphäre im Büro sehr offen und herzlich, was es mir ermöglichte, mehrere Ausflüge in andere Regionen der Türkei zu unternehmen und auch gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Süd-Osten der Türkei zu reisen. Des Weiteren konnte ich mein breit fundiertes Wissen, das ich im Laufe meines bisherigen Studiums angeeignet hatte, aktiv anwenden, verschiedenste Arbeitsbereiche sowie Menschen aus unterschiedlichsten Ländern kennenlernen und von ihnen lernen. Komplexe politische Zusammenhänge, ihre verschiedenen Ebenen sowie direkte gesellschaftliche, institutionelle und ökonomische Auswirkungen wurden mir deutlich.

Durch die geringfügige Vergütung, die durch die Stiftung zur Verfügung gestellt wird, und durch das Erasmus+ Stipendium konnte ich dieses Praktikum überhaupt absolvieren. Das Stipendium hat es mir ermöglicht, dass ich lediglich meine Hin- und Rückreise selbst finanzieren musste. Durch diese finanziellen Freiräume konnte ich tolle Erfahrungen in Istanbul sammeln. Wenn man ein Praktikum in der Türkei absolviert, dann sollte man sich seiner Privilegien bewusst sein, besonders, wenn man eine Erasmus+ Förderung erhält, die höher als das durchschnittliche Einkommen in der Türkei ist. In Istanbul wird man täglich mit den Gegensätzen von Moderne und Tradition, Ost und West, aber auch dem Ungleichgewicht von Arm und Reich konfrontiert. Die andauernde Wirtschaftskrise und der politische Populismus spalten die Gesellschaft und schüren Vorurteile sowie Unruhen.

Praktika ermöglichen es, neue Wege zu denken, diese zu gehen und so gemeinsam Veränderungen in der Welt anzustoßen. Ich kann also jeder und jedem empfehlen, bewusst in die Welt zu gehen, von anderen Kulturen und Menschen zu lernen, um so einen positiven Beitrag für alle zu leisten.

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