Donnerstag, 18:50 Uhr. Ich öffne Outlook und klicke auf den Link, der mir im Rahmen der Webinar-Anmeldung zugesendet wurde. Es dauert einen Moment, bis die Verbindung steht, und dann lächelt Anja Nigl freundlich in die Kamera und wünscht einen guten Abend. Das Webinar beginnt erst in zehn Minuten, aber bereits jetzt sind fast alle Angemeldeten online und tummeln sich im Chat. Zu Small Talk ist niemand aufgelegt, aber daran wird man sich gewöhnen müssen. Wenn ich einem Kumpel erzähle, wie mein Wochenende war, hört normalerweise auch nicht der ganze Kurs zu. Immerhin: Uni in Jogginghose. Das würde ich sonst nicht machen.
Mit ein paar Minuten Verspätung beginnt Anja Nigl das Seminar, auch weil, wie in der Realität, natürlich nicht alle pünktlich sind.
Kleine Stellschrauben, große Wirkung
Selbstmarketing klingt zunächst mal wenig nach Reflexion, viel nach Oberflächlichkeit und prinzipiell mal sehr nach dem, was in x-ten Xing- oder LinkedIn Profil steht. Irgendwas mit „Interdisziplinär ausgebildet in…“ und „starke Affinität für …“, am besten abgerundet mit einem pseudo-individuellen Zitat von Steve Jobs oder dem Dalai Lama. Wer hier erstmal schlucken muss, und dann noch ein paar Mal, und danach dann irgendwie gar keine Lust mehr hat auf einen ins endlose optimierten Job-Markt, wisse bitte: Ist alles halb so wild.
Natürlich behandelt Anja Nigl in ihrem Webinar auch konkrete Instrumente, wie die eigenen Qualitäten gewinnbringend präsentiert werden können. Es ist aber sehr angenehm zu hören, dass mehr dazu gehört, als nur mit einem prall gefüllten Lebenslauf zu wedeln, um Selbstmarketing auch wirklich effektiv zu betreiben. Als ganz zentral sieht sie, dass man sich der eigenen Werte und Motivation bewusst sein muss. Nur wer die eigenen Stärken und Schwächen kennt, kommt voran. Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern ist es nämlich keinesfalls nur wichtig, wie gut man auf dem Papier ist. Es ist schlicht elementar, eigene Qualitäten begründen zu können, auf gemeisterte Herausforderungen hinzuweisen und zu zeigen, dass sich hier ein Mensch präsentiert. Frau Nigl spricht viel vom EQ, unserer sozialen Kompetenz, als Erfolgsfaktor. „Wer bin ich?“, „Was will ich?“ sind entscheidende Fragen. „Verstehe die Welt, und setze dir klare Ziele!“ Es scheint, effektives Selbstmarketing fängt auf einer viel persönlicheren Ebene an, als gedacht. „Um sich selbst optimal vermarkten zu können benötigen Sie Kenntnis über sich selbst, also das was Sie können und wollen und vor allem, wo Sie hinwollen“, fasst Anja Nigl ihre Grundsätze zusammen.
Hat man all diese Fragen und Motivationskonflikte für sich selbst gelöst, können sie in Instrumente übersetzt werden. Niemand kommt ums Networking herum, niemand um das Erlernen verschiedener Präsentationstechniken. Wir alle brauchen ein klares Bild von uns selbst und deswegen vermutlich früher oder später dieses Xing-Profil, allein schon wegen der Sichtbarkeit. Aber mit der richtigen Vorarbeit wird Selbstmarketing dann auch effektiv, authentisch und gut.
Und? Funktioniert die Online-Lehre?
Vorausgesetzt, die Internet-Verbindung ist stabil, gibt es wenig auszusetzen. Natürlich schließe ich hier nur vom Einzelfall auf die Allgemeinheit, aber vielleicht lesen auch ein paar andere Dozierende mit. Trotz räumlicher Trennung braucht es Zeit für Interaktion. Zwischenfragen sind essentiell. Anja Nigl hat nach jedem Themenabschnitt um Rückmeldung gebeten und nachgehakt, ob auch alle verstanden haben, was besprochen wurde. Die verwendete Software „edudip“ ermöglichte, wie auch Zoom, die parallele Präsentation eines Foliensatzes. Gleichzeitig bleibt die Übertragung des oder der Dozierenden immer präsent. Das klingt zunächst ein bisschen merkwürdig, aber dauerhaft zu sehen, wer gerade spricht, tut Wunder in Sachen Spannungsbogen – Gestik und Mimik spielen ja auch eine Rolle.
Außerdem glaube ich, dass die gefühlte Anonymität des Internets gar nicht so negativ zu sehen ist. Vielmehr scheint es so, dass die Anzahl der Zwischenfragen und Redebeiträgen eher zu- als abnimmt. Es bleibt der Eindruck, dass aufmerksamer zugehört, mitgearbeitet und hinterfragt wird. Naja, vielleicht ist es auch gar nicht die Anonymität, sondern die vertraute Umgebung zu Hause, mit Jogginghose und Oversize-Hoodie. Völlig egal. Online-Lehre scheint, wenn gut vorbereitet, toll zu funktionieren. Der Uni-Alltag bleibt spannend.