Maren Drewes hat Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Kapstadt studiert und war freiberufliche Beraterin für kritisches Denken in Organisationen tätig bevor 2018 der Schritt in die Selbstständigkeit folgte: Als Mitgründerin der Agentur BSPW plant und exerziert Maren Drewes heute Trainings und Beratungen für Nachwuchsführungskräfte mit dem Schwerpunkt „Meinungsbildung und Kritisches Denken“.
Bei der ersten Abfrage nach der Motivation der Studierenden zu Beginn des Seminars wird schnell klar, dass die Thematik im Zeitalter von Fake News und Wahlmanipulationen eine Goldgrube ist: „Manchmal hat man das Gefühl, in dieser ganzen medialen Informationsflut förmlich zu ertrinken. Und dann fällt es umso schwerer zu sondieren, was eigentlich relevant und, vor allem, wahr ist“, bemerkt eine Teilnehmerin und erntet zustimmendes Nicken. Das ist noch echt nett ausgedrückt, denke ich, und denke mit Grauen an meine überquellenden Social Media-Feeds. Maren Drewes beginnt ihr Seminar hingegen ganz basic, abseits der beispielhaften Trumps und Info Wars dieser Welt: „Was ist das eigentlich, eine Meinung und wie wird sie gebildet?“ Schnell wird klar, dass wir dazu Ansichten haben, die in ihren Gewichtungen weit auseinander gehen. Der Zugang zu Informationen ist wohl entscheidend, aber auch die Erziehung und der eigene Bildungsgrad. Und ebenso schnell wird klar, dass wir alle auf Basis dieser Aspekte oft und schnell Vorurteilen; manche unserer eigenen, grundlegenden Positionen in Diskussionen und Argumentation sehen wir einfach als selbstverständlich an.
Ich bin aber im Recht?!
Deswegen liegt der Kern des Kritischen Denkens laut Maren Drewes in der Fähigkeit, einen objektiven Überblick zu diesen Aspekten zu bewahren. Dabei kann es helfen, vorgebrachte Argumente in ihre Einzelteile zu zerlegen.
„Ein Argument besteht aus mehreren Prämissen und einer resultierenden Konklusion. Je nach Ableitung dieser Konklusion kann das Gesamtpaket Argument dann schlüssig oder gültig sein. Schlüssige Argumente sind gleichzeitig gültig, weil in der Ableitung korrekt, und faktisch ebenfalls korrekt, also wahr. Gültige Argumente sind zwar in sich korrekt, aber nicht wahr, weil einige Prämissen eventuell ein bisschen Quatsch sind.“
Kein Problem, haben wir verstanden. Oder so. Und testen verschiedene Beispielargumente für die nächsten zwanzig Minuten in Partnerarbeit. Fazit: Uns raucht der Kopf, und Frau Drewes muss herzlich lachen. Und uns wird bewusst, dass hinter einer profunden Meinungsbildung noch viel mehr steckt: Moralvorstellungen spielen entscheidende Rollen, wenn eine Meinung ausgeprägt wird, persönliche Lebenserfahrung auch. Außerdem unser kulturelles Umfeld und schließlich die Essenz all dieser Aspekte: der eigene Charakter. So gehen wir alle mit unterschiedlichen Ansichten durch die Welt, und formen uns die Dinge so, wie wir sie für korrekt halten. Für ein konstruktives Miteinander lohnt es sich, diesen Punkt nie zu vergessen.
15 Jahre zu spät
„Ich hoffe, dass ich jetzt besser versteckte Prämissen meiner Gegenüber herausfinden kann, um Missverständnisse zu vermeiden“, sagt ein Teilnehmer im Abschlussgespräch. Das klingt nach einem schönen Learning, da schließe ich mich gerne an. Meinung ist relativ, genauso wie Leid, Glück und Wohlstand. Und trotzdem stört etwas Grundlegendes an den Erkenntnissen des Seminars. Auf dem Weg nach Hause kommt’s mir dann.: Wieso muss ich erst 25 Jahre alt werden, um einmal erklärt zu bekommen, wie unser gesellschaftliches Miteinander eigentlich funktioniert, wie wir manchmal mit einer Selbstverständlichkeit durchs Leben laufen, die an Ignoranz grenzt? Wieso erklärte mir sowas denn nicht schon jemand zu Schulzeiten? Dieses deutsche Bildungssystem, ich sag‘s ja schon immer, da könnte man mal ordentlich was dran schrauben. Bezüglich sozialer Kompetenz und so.
Aber mich fragt ja niemand, die haben ja eh ihre eigene Meinung…
Ob ich meine eigene Meinung eigentlich immer, auch rückhaltlos, vertreten würde, fragte mich Maren Drewes zu Beginn des Seminars. „Hm, weiß ich jetzt auch nicht so genau. Vielleicht bei Themen, die mir wirklich am Herzen liegen.“
Siehste mal, jetzt wird’s Zeit. Diskurs geht immer. Haben wir ja gelernt.