Sommersemester 2023: Normalität – Bilder, Diskurse, Praktiken
Normalität – Bilder, Diskurse, Praktiken
‚Normen’ im Sinne von Bemühungen, das rechte Maß zu finden, Regeln für angemessenes Verhalten festzulegen und soziale, kulturelle, geographische sowie ästhetische Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen bzw. Fremden zu definieren, sind ein fester Bestandteil der Kulturgeschichte. Ihren Ausdruck finden diese Regularien in den verschiedensten Medien und Künsten beispielsweise als Visualisierungen, aber auch in der Literatur, in verschiedenen Diskursen oder populären und Alltagspraktiken. Für alle Bereiche gilt, dass sich die beteiligten Akteur*innen an Wertmaßstäben orientieren, diese bestätigen aber auch kreativ oder subversiv durchkreuzen. Gesellschaftliche Ordnung als Implementierung von Normen und Normalität zu denken, lässt die Kategorie des Normalen zunächst als ein Paradigma der Moderne erscheinen. Die damit einhergehenden Herrschafts- und Unterdrückungszusammenhänge (z.B. Pogrome, Repression, Stigmatisierung) erweisen sich jedoch als lang tradierte kulturelle Muster zur Abwehr und Disziplinierung des Nicht-Normalen.
Die multidisziplinäre Ringvorlesung „Normalität – Bilder, Diskurse, Praktiken“ möchte den Diskussionsstand zur Bedeutung des Normalen und über das Funktionieren von Normalisierungsprozessen aufnehmen und nach konkreten Prozessen der Genese und Formung von Normalität produzierenden Regularien, Mustern und Schemata fragen. Dabei wird eine dezidiert kulturwissenschaftliche, medientheoretische wie auch kulturästhetische Perspektive verfolgt. Thematisiert wird das gesamte Spektrum menschlicher Ordnungsvorstellungen und Standardisierungstechniken von der Spezifik historischer Disziplinierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen bis hin zu aktuellen Beispielen einer postmodernen Normalisierungmacht.
Programm
‚Normen‘ im Sinne von Bemühungen, das rechte Maß zu finden, Regeln für angemessenes Verhalten festzulegen und soziale, kulturelle, geographische sowie ästhetische Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen bzw. Fremden zu definieren, sind ein fester Bestandteil der Kulturgeschichte. Ihren Ausdruck finden diese Regularien in den verschiedensten Medien und Künsten beispielsweise als Visualisierungen, aber auch in der Literatur, in verschiedenen Diskursen oder populären und Alltagspraktiken. Für alle Bereiche gilt, dass sich die beteiligten Akteur*innen an Wertmaßstäben orientieren, diese bestätigen aber auch kreativ oder subversiv durchkreuzen. Gesellschaftliche Ordnung als Implementierung von Normen und Normalität zu denken, lässt die Kategorie des Normalen zunächst als ein Paradigma der Moderne erscheinen. Die damit einhergehenden Herrschafts- und Unterdrückungszusammenhänge (z.B. Pogrome, Repression, Stigmatisierung) erweisen sich jedoch als lang tradierte kulturelle Muster zur Abwehr und Disziplinierung des Nicht-Normalen.
Die multidisziplinäre Ringvorlesung „Normalität – Bilder, Diskurse, Praktiken“ möchte den Diskussionsstand zur Bedeutung des Normalen und über das Funktionieren von Normalisierungsprozessen aufnehmen und nach konkreten Prozessen der Genese und Formung von Normalität produzierenden Regularien, Mustern und Schemata fragen. Dabei wird eine dezidiert kulturwissenschaftliche, medientheoretische wie auch kulturästhetische Perspektive verfolgt. Thematisiert wird das gesamte Spektrum menschlicher Ordnungsvorstellungen und Standardisierungstechniken von der Spezifik historischer Disziplinierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen bis hin zu aktuellen Beispielen einer postmodernen Normalisierungmacht.
Der Eröffnungsvortrag gibt einen Überblick zur historischen Genese von Normalisierungsprozessen und steckt den gemeinsamen theoretischen Rahmen ab, in dem die weiteren Vorträge der Ringvorlesungsreihe ‚Normalität‘ anhand exemplarischer Artefakte, Bilder, Diskurse, Medien und Praktiken in diachroner wie auch synchroner Perspektive näher beleuchten werden.
Natascha Adamowsky ist Medien- und Kulturwissenschaftlerin und hat seit 2020 den Lehrstuhl für Medienkulturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Digitale Kulturen an der Universität Passau inne. Zuvor war sie Professorin für Medienwissenschaft im Bereich der Digitalen Medientechnologien an der Universität Siegen, Professorin und Leiterin des Instituts für Medienkulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Professorin für Kulturwissenschaftliche Ästhetik am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin.
Prof. Dr. Andrea Sieber ist seit 2016 Inhaberin der Professur für Ältere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen kulturwissenschaftliche Ansätze in der Mediävistik, Mediengeschichte und Medientheorie sowie die Rezeption des Nibelungen-Mythos. Sie verbindet philologische Analysen mit transmedialen Perspektiven. Zentrales Anliegen ist ihr, das kulturelle Erbe des Mittelalters präsent zu machen und in Schule, Hochschule sowie einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Seit 2018 setzt sich Andrea Sieber als Universitätsfrauenbeauftragte dafür ein, die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Wissenschaft zu fördern und bestehende Nachteile zu beseitigen. Gemeinsam mit der Vizepräsidentin für Internationales und Diversity veranstaltet sie jedes Semester die Ringvorlesungsreihe „Diversity, Gender & Intersektionalität“.
Wie ‚normal‘ war Diskriminierung im europäischen Mittelalter? Intersektionale Aspekte der Konstruktion des Jüdischen
Für auf die Gegenwart ausgerichtete Intersektionalitätsstudien ist es eine Selbstverständlichkeit davon auszugehen, dass Ungleichheit und Diskriminierung zu überwindende und zu bekämpfende soziale Phänomene sind. Aber galt das auch für die Gesellschaften im europäischen Mittelalter? Wurde die damals herrschende soziale Ungleichheit als ungerecht, oder doch als normal, weil vermeintlich ‚natürlich‘ wahrgenommen? Wie reagierten die betroffenen Menschen auf Diskurse und Praktiken, die wir heute als diskriminierend bezeichnen würden? Anhand ausgewählter Beispiele negativ konstruierter jüdischer Alterität wird dieser Frage nachgegangen werden.
Kristin Skottki ist seit 2016 Juniorprofessorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Bayreuth. Sie ist Mitherausgeberin der Buchreihen „Transcultural Medieval Studies“ (Brepols) und „Global Histories before Globalisation“ (Routledge). Ihr aktuelles Hauptforschungsprojekt „Sternberg 1492: Eine exemplarische Untersuchung zu spätmittelalterlichen christlich-jüdischen Beziehungen, christlicher Frömmigkeit und zum Verhältnis von Geschichte und Erinnerung“ (Arbeitstitel) widmet sich der Geschichte und Bedeutung des Hostienfrevelprozesses von 1492 und der anschließenden Heiligblutwallfahrt in dieser mecklenburgischen Kleinstadt. Nicht nur im Zusammenhang mit diesem Projekt beschäftigt sie sich mit Intersektionalität und Globalgeschichte als Annäherungen an vergangene und gegenwärtige Historiographien.
Normalität und Normativität: Philosophische Perspektiven auf Außergewöhnlichkeit
Wozu sind wir verpflichtet – und was geht darüber hinaus? Welche Rolle spielt „das Normale“ bei der Begründung von Normen? Oder anders: Wie normativ ist die Normalität? Diese Fragen sind philosophisch besonders da interessant, wo wir die Grenzen des Normalen überschreiten, vielleicht auch überschreiten müssen, wo Normen verletzt werden, um neue zu setzen, wo wir vom Gewöhnlichen ins Außergewöhnliche übergehen. Spätestens James O. Urmsons Aufsatz „Saints and Heros“ (1958) hat die Debatte um die Frage nach dem systematischen Platz herausragender Handlungen philosophisch wiederbelebt. Der Autor argumentiert dort, dass alle Moralphilosophien, die von einer trichotomen Einteilung von Handlungen in „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“ ausgehen, die Handlungen von Heiligen und Helden nicht angemessen beschreiben könnten; hierfür bedürfe es einer weiteren Kategorie, nämlich jener der Supererogation. Ausgehend von den in Urmsons Text aufgeworfenen Fragen zum systematischen Ort der moralischen Außergewöhnlichkeit in der Ethik werde ich in meinem Vortrag Normalität von der Außergewöhnlichkeit her betrachten und anhand jüngerer Forschungsbeiträge zum Sinn und Unsinn (moralischer) Heldenhaftigkeit untersuchen, wie sich hier Normalität und Normativität zueinander verhalten.
Prof. Dr. Karoline Reinhardt ist seit 2022 Juniorprofessorin für Angewandte Ethik an der Universität Passau. Davor war sie PostDoctoral Fellow am Ethics & Philosophy Lab des DFG Exzellenzclusters „Machine Learning: New Perspectives for Science“ an der Universität Tübingen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IZEW und 2018 Visiting Scholar an der Tulane University in New Orleans. Nach einem Studium der Philosophie und Politikwissenschaften in Tübingen, New York und London wurde sie an der Universität Tübingen mit einer Arbeit zu „Migration und Weltbürgerrecht“ promoviert. Für ihre Dissertation wurde sie mit dem Walter-Witzenmann-Preis und dem Kant-Förderpreis ausgezeichnet. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
A-Normalität (post-)migrantischer Frauen in Frankreich
Frankreich gilt das das Land der Menschenrechte, mit dem Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ unterstreicht die Republik den Selbstanspruch auf Gleichberechtigung. Die Realitäten sehen jedoch vielfach anders aus, dies gilt nicht zuletzt für das französische Integrationsmodell, denn dieses setzt auf Assimilation. Migrant*innen und selbst Postmigrant*innen stoßen immer wieder an die Grenzen des uniformierend-normierenden, stark auf soziale Reproduktion setzenden Systems. Eine Tatsache, die Postmigration letztlich als a-normativ und a-normal erscheinen lässt. Dass dies insbesondere für (Post-)Migrantinnen gilt, wird anhand exemplarischer literarischer Texte (post-)migrantischer Autorinnen aus Frankreich illustriert.
Marina Ortrud M. Hertrampf
Seit 2020 Professorin für Romanische Philologie (Literatur- und Kulturwissenschaft, Schwerpunkt Frankreich) an der Universität Passau.
Autorin einer Monographie über die Interrelationen von Photographie und Roman in der französischen Postmoderne (2011), einer Studie über Raumdimensionen im spanischen Fronleichnamsspiel (2018) sowie eines kleinen Buchs über französische Graphic Novels zum Arabischen Frühling (2016). Zahlreiche Publikationen zu den unterschiedlichsten Forschungsinteressen wie Raumtheorien, Ruralität, Kulturkontakt, Imagologie, Migration & Diaspora, Exophonie, Intermedialität, Graphisches Erzählen, Frankophone Literaturen, Romani Studies und Literaturdidaktik. Präsidentin der Gesellschaft der Freunde Romain Rollands e.V.. Vorstandsmitglied im Deutschen Romanistikverband.
Mitherausgeberin der Zeitschrift Hispanorama sowie der Reihen “Europäische Kommunikationskulturen” (Rombach Verlag), „Ästhetiken der Roma – Selbst- und Fremddarstellungen“ (AVM), „Forum Junge Romanistik“ (AVM) sowie „LiteraturKulturRäume“ (Stauffenburg Verlag).
Gendern – neue Normalität oder nicht mehr normal?
Wohl kaum ein Thema erhitzt die Gemüter und den öffentlichen Diskurs aktuell (und schon seit einigen Jahren) so sehr wie das sprachliche Gendern. Mitunter wird geradezu von einer gesellschaftlichen Lagerbildung und Spaltung in Genderanhänger und Genderverweigerer gesprochen. Ausgehend von der Frage, wie sprachliche Normen linguistisch zu fassen sind, werden im Vortrag die aktuellen Normen zum sprachlichen Gendern diskutiert: Was besagt die amtliche Rechtschreibung, welche Empfehlungen gibt der Duden und wie sind die Sprachleitfäden, z. B. an Universitäten, ausgestaltet? Davon ausgehend wird das sprachliche Gendern in allgemeine Entwicklungen des Sprachwandels eingeordnet. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie es zu der massiven soziosymbolischen Aufladung des Genderns gekommen ist und wie sich die deutsche Sprache hinsichtlich des Genderns möglicherweise weiterentwickeln wird.
Professor Dr. Alexander Werth
seit 2021 Inhaber des Lehrstuhls (W3) für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Passau
2018 Venia legendi in Germanistischer Sprachwissenschaft an der Universität Marburg
2017-2021 Professurenvertretungen an den Universitäten Augsburg, Bonn und Erlangen-Nürnberg
2009 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Marburg
2007-2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg, Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas
2000-2005 Studium zum Magister (Mag. Artium): Deutsche Sprache (Schwerpunkt: Linguistik), Politikwissenschaft und Medienwissenschaft an den Universitäten Marburg und Hamburg
„Gott sei Dank hat sich die OECD als deus ex machina erwiesen“ – Ein kritischer Blick auf die Transformation von Zielsetzungen des Deutschunterrichts
In der Deutschdidaktik gibt es bezüglich der Setzung von Lernzielen für den Deutschunterricht seit dem reichweitenstarken „PISA-Schock“ eine lebhafte Diskussion um die Standardisierung von fachspezifischen Bildungszielen und den damit einhergehenden Sekundärfolgen. Auf der einen Seite wird in der Standardisierung die Gefahr einer Trivialisierung und Reduktion von Unterricht auf das lediglich Standardisierbare gesehen, auf der anderen Seite wird betont, dass die Hinwendung zu Empirie und Monitoring erst eklatante Mängel und Ungleichheit sichtbar gemacht habe und neue Interventionskonzepte ermögliche.
Anhand von Beispielen und Ergebnissen aus der empirischen Unterrichtsforschung möchte dieser Vortrag einen Blick auf das Spannungsverhältnis von Normalität (als einem quantitativ-statistischem Konzept) und Normativität (als einem Phänomen von Setzungen) werfen und zeigen, dass wir diesbezüglich mit unauflösbaren Paradoxien zu kämpfen haben, wenn es um die Vermittlung von Sprachkompetenzen geht.
Prof. Dr. Markus Pissarek; seit 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Passau; zuvor Leiter der School of Education und der Fachdidaktik Deutsch an der Universität Klagenfurt; Studium und Promotion an den Universitäten Passau, Columbus/Ohio, Stirling/Schottland; Erstes und Zweites Staatsexamen im Lehramt Gymnasium für die Fächer Deutsch und Englisch, Lehrer am Gymnasium Vilshofen und später (ab 2008) wissenschaftlicher Assistent an der Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte sind die adaptive Leseförderung, Kompetenzmodellierung für Lesen und literarisches Lernen, fachspezifische Professionsforschung.
„Als plötzlich nichts mehr normal war“ – Corona, Werbung und Normalismus
Mit der ‚Corona-Krise‘ geriet auch die Werbebranche 2020 in eine Krisensituation: ‚Darf in diesen Zeiten geworben werden, als wäre nichts geschehen?‘, ‚Wie lässt sich in diesen Zeiten überhaupt weiter werben?‘. Mehr oder weniger implizit artikuliert sich hier ein Problem mit der Normalität, durchaus in dem Sinne, wie sie von Jürgen Link im normalistischen Denken theoretisch fundiert wurde.
Der Vortrag beschäftigt sich mit TV-Werbespots, die von Ende März bis Ende August 2020 geschaltet wurden und die Corona-Situation thematisieren. Er bietet anhand exemplarischer Betrachtungen einige Beobachtungen, wie sich zum einen die Corona-Situation auf die Herausforderungen, denen sich Werbung als Textsorte zu stellen hat, ausgewirkt hat, und wie sich zum anderen dies im Verlauf des Jahres 2020 selbst wieder wandelt, beschreibbar gerade als (Re-)Normalisierung.
Prof. Dr. Hans Krah; seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau; Studium und Promotion an der LMU München, Habilitation 2000 an der CAU Kiel; neben dem literargeschichtlichen Schwerpunkt Forschung zu medien- und kultursemiotischen Fragestellungen, etwa zu populärer Vermittlung von ‚Wissen‘, zu medialen Raum- und Wirklichkeitskonstruktionen, zu Anthropologien/Ideologien und deren argumentative Vermittlung in Texten, insbesondere bezüglich Gendervorstellungen.
Queer? Genderfluidität in der christlichen Kunst der Frühen Neuzeit
Genderfluidität ist kein Phänomen der Moderne. Schon die Antike kannte beispielsweise die berühmten Hermaphroditen. Vor diesem Hintergrund thematisiert der Vortrag die Rezeption dieser älteren Traditionen in der christlichen Kunst der frühen Neuzeit. Abschließend soll thematisiert und diskutiert werden, ob diese älteren Phänomene auch mit dem zeitgenössischen Begriff der Queerness zu beschreiben sind, oder wo ggf. die Unterschiede auszumachen sind.
Jörg Trempler ist seit 2015 Leiter des Lehrstuhls für Kunstgeschichte und Bildwissenschaft an der Universität Passau. Neben zahlreichen Schriften zur Kunst der Deutschen Romantik zählen besonders Darstellungen von Katastrophen zu seinen Hauptinteressen. Neben der Publikation in wissenschaftlichen Sammelbänden und Zeitschriften, veröffentlichte Trempler auch Monographien in namhaften Verlagen wie CH Beck, Mathes & Seitz oder Wagenbach. Seit 2012 arbeitet Trempler zudem regelmäßig als Kurator und bereitet internationale Ausstellungen vor wie zum Beispiel derzeit gemeinsam mit dem Bucerius Kunst Forum in Hamburg zum Thema: „Im Nebel. Die Erfindung des Atmosphärischen“.
Von Evas Verführung zum Glitch Feminism. Zur Geschichte von Gendernormen und Fehlerzuschreibungen
Ein Fehler gilt als Abweichung vom Richtigen. Um von einem Fehler zu sprechen, ist es daher erforderlich, „richtig“ und „falsch“ zu definieren. Nicht nur im Technischen werden damit Normen gesetzt, die einzuhalten sind, sondern auch im Gesellschaftlichen. Der Vortrag fragt aus historischer Perspektive nach genderspezifischen Fehlerzuschreibungen und den damit verbundenen Normsetzungen: Wie werden über Fehlerzuschreibungen Bilder von „richtiger“ und „falscher“ Weiblichkeit/Männlichkeit geformt?
Im Vortrag wird ein breiter kulturhistorischer Bogen gespannt, der von Urerzählungen zu Adam und Eva über einen Fokus auf technischen Fehler und Genderzuschreibungen bis zum Glitch-Feminism reicht. Der Vortrag geht damit von einem breiten Fehlerbegriff aus. Thematisiert werden Sünden und moralisches Fehlverhalten, Handlungsfehler in technischen Prozessen sowie Konzepte des Fehlers als Widerstand gegen den mainstream.
Martina Heßler ist seit 2019 Professorin für Technikgeschichte an der TU Darmstadt. Sie forscht zur Zeit zur Geschichte von Mensch-Maschinen-Verhältnissen seit der Frühen Neuzeit sowie zur Technikgeschichte von Fehlern. Derzeit ist ein Buch zur Geschichte der Figur fehlerhafter Menschen in Vorbereitung (Publikation 2024).
Normalisierung durch Parodierung? Konzepte von Homosexualität in „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (BRD 1971, Rosa von Praunheim) und „Der bewegte Mann“ (BRD 1994, Sönke Wortmann)
Sowohl Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (BRD 1971) als auch über 20 Jahre später Sönke Wortmanns „Der bewegte Mann“ (BRD 1994) führen eine homosexuelle Subkultur vor und gewähren einem Mainstream-Publikum damit Einblicke in zur Produktionszeit der Filme ausgegrenzte oder zumindest wenig bekannte Lebensentwürfe schwuler Männer. Der Vortrag möchte zeigen, wie in beiden Filmen eine schwule Lebenswelt als ein „Anderes“ konstruiert wird, das aus der Perspektive eines „Eigenen“ im Verlauf der Filmhandlungen durch ihre audiovisuelle Vermittlung kategorisiert und bewertet wird. Besonderes Augenmerk wird im Vortrag in diesem Zusammenhang auf die hyperbolische Inszenierung der schwulen Lebenswelten und ihrer Figuren gerichtet: Beide Filmen travestieren und parodieren dabei (zeitspezifische) schwule Spezifika und konstruieren im Fall von Praunheim ein schwules Selbstbild und im Fall von Wortmann ein schwules Fremdbild. In der zeitlichen Abfolge dieser beiden Images überlegt der Vortrag, ob und, wenn ja, wie schwule Lebensentwürfe von den Filmen als normal bewertet oder immer noch als „anders“ in der Mehrheitskultur bewertet werden.
Jan-Oliver.Decker, Prof. Dr. phil., Jahrgang 1970.
- Studium der Neueren und Älteren deutschen Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Kunstgeschichte und Medienwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
- Nach der Promotion 2002 zu Musikvideos mit Madonna war er von 2003-2009 Inhaber einer 2006 positiv evaluierten Juniorprofessur für Neuere Deutsche Literatur- und Medienwissenschaft an der Universität Kiel
- Seit 2011 ist er Universitätsprofessor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Mediensemiotik an der Universität Passau.
- Seit 2005 ist er Beirat der Sektion Literatur in der Deutschen Gesellschaft für Semiotik, deren Präsident er auch von 2014 bis 2017 gewesen ist.
- Seine Forschungsschwerpunkte sind: Literatur- und Mediensemiotik, transmediale Narratologie, deutschsprachige Literatur vom 18. bis 21. Jahrhundert, Film, Fernsehen und Neue Medien in kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive, Lehren und Lernen mit und über digitale Medien in Schule und Hochschule (BMBF-Projekt SKILL.de).
Fremdheitserfahrung und Körpernormierung: Zwergenfrauen im 'Friedrich von Schwaben'
Im spätmittelalterlichen Friedrich von Schwaben trifft die Titelfigur auf die Zwergenkönigin Jerome, die Friedrich zum Mann will und ihn vorübergehend in Gefangenschaft hält: Ergebnis ist die Tochter Ziproner, die dem flüchtigen Friedrich in späteren Jahren folgt und Aufnahme in seine Menschenfamilie erlangt. Die ungewöhnliche Figur des weiblichen Zwergs gibt in einer exzentrischen familiären Konstellation Rätsel auf, fügt sich Ziproner doch einerseits erstaunlich glatt in die höfisch-dynastische Ordnung ein, obwohl sie andererseits durch Distanz- und Fremdheitsmarkierungen von der adligen Gemeinschaft abgesetzt ist. Die Überlagerung von Gender- und Speziesdifferenzierungen mit der Eigenräumlichkeit der Zwergenwelt arrangiert der Roman in einem Spannungsfeld ambivalenter Macht- und Minnebeziehungen. In dessen Zentrum steht die Zwergenkönigin Jerome, die höfische Normen überschreitet und Minne gegen die dominante Geschlechterordnung erzwingt. Ihre außerordentliche Machtfülle schlägt in der Verbindung mit dem Menschenmann in Ohnmacht um und bricht sich an einer unterstellten Körpernorm, die das Kleinsein der adlig-schönen Zwergenfrau zum Problemfall werden lässt. Anhand der erzählerischen und der visuellen Repräsentation in der illustrierten Heidelberger Handschrift (cpg 345, um 1470) untersucht der Vortrag, welche kulturellen und narrativen Anpassungs-, Egalisierungs- und Normierungsprozesse eine Integration von Zwerginnen in die adlige Menschenwelt ermöglichen und wo diese Prozesse an Grenzen stoßen.
PD Dr. Judith Klinger studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Hamburg sowie Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film, München. Promotion in Berlin mit einer Arbeit zu Identitätskonzeptionen im Prosa-Lancelot, Habilitation in Potsdam mit der Arbeit “Fremdes Begehren: Spiele der Identitäten und Differenzen im späten 12. Jahrhundert”. Seit 1995 beschäftigt am Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik in Potsdam. Mitherausgeberin der Reihe Populäres Mittelalter (Transcript), Forschungsschwerpunkte im Bereich von Gender und Queer Studies, Raumkonzeptionen, Animal Studies, Mittelalterrezeption.
Normalität der industrialisierten Landwirtschaft
Die moderne Landwirtschaft ist sehr erfolgreich, indem Ernährungssicherheit kalkulierbar gewährleistet ist und Landwirtschaft mit Industrialisierung harmoniert. Jedoch ist der Bereich der Landwirtschaft gleichzeitig von zahlreichen polarisierenden Herausforderungen von Preisdruck über Tierwohl bis zu Boden- Wasser- und Klimaschutz geprägt. Sowohl mit den Erfolgen als auch mit den Problemen ist das Regime der industrialisierten Landwirtschaft eng verbunden. Damit geht ein Dilemma einher: Die Normalität einer in der Öffentlichkeit fast unsichtbaren industrialisierten Landwirtschaft, die Ernährungssicherheit bei historisch niedrigen Lebensmittelpreisen leistet, ist mit steigenden Anforderungen an Bodenschutz, Wasser-schutz, Klimaanpassung und Entlohnung qualifizierten Personals unvereinbar – diese Anforderungen aber lassen sich immer weniger ignorieren. Erforderlich ist eine Transformation der Normalität der Landwirtschaft, was eine Veränderung ihrer gesellschaftlichen Verortung not-wendig impliziert.
Der Vortrag zeichnet die Entwicklung hin zur Normalität der industrialisierten Landwirtschaft aus gesellschaftstheoretischer Perspektive nach, diskutiert die zunehmend sichtbar werdenden Kosten dieser Normalität und zeigt Herausforderungen und Entwicklungserforderlichkeiten auf.
Anna Henkel ist Professorin und hat seit 2019 den Lehrstuhl für Soziologie mit Schwerpunkt Techniksoziologie und nachhaltige Entwicklung an der Universität Passau inne. Zuvor war sie Juniorprofessorin für Sozialtheorie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Professorin für Kultur- und Mediensoziologie an der Leuphana Universität Lüneburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der soziologischen Theorie sowie der Wissens-, Materialitäts- und Nachhaltigkeitsforschung sowie im Bereich Digitalisierung. Sie verbindet gesellschafts-theoretische Perspektiven mit empirischer Forschung, etwa bei der Frage nach dem Wandel von Verantwortungsverhältnissen. Sozialtheoretisches Denken zum Verstehen und Erklären sozialer Tatsachen zu nutzen, ist ihr zentrales Anliegen.
Kunst als Blutsbrüderschaft mit dem irren Leben
Wenn der Konzeptkünstler Christian Jankowski Fernsehanstalten, Arztpraxen, Supermärkte, Pornostudios, Karaoke-Bars oder den Kunstbetrieb aufsucht, entdeckt er dort stets die Absonderlichkeiten des ganz normalen Alltagslebens. Das, was gemeinhin als Systemrationalität gesehen wird, erscheint durch seine Interaktionen mit den Beteiligten in einer nachgerade anrührenden Widersprüchlichkeit. So entsteht der Eindruck, dass es insbesondere diese Widersprüche und Merkwürdigkeiten sind, die soziale Ökosysteme zusammenhalten. Es scheint der wuchernde Unsinn zu sein, der sozialen Geweben eine betörende Vitalität verleiht, aber auch die Unzulänglichkeit und Verletzlichkeit der Akteur*innen.
Der Vortrag geht Jankowskis Arbeitsstrategien entlang von Werkbeispielen auf die Spur und beleuchtet, wie diese das Nicht-Normale im Normalen offenlegen. Er erkundet wie Jankowski stets das Skurrile und Schräge in alltäglichen Verhaltensmustern entdeckt und gerade dadurch eine ganz eigene Ethik entwirft, eine Ethik, die auf einer tiefen Empathie für die Welt mit all ihren seltsamen Kreaturen und Lebensformen fußt.
Karen van den Berg ist Professorin für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität und akademische Leiterin des Kunstprogramms der Universität. Forschungsaufenthalte und Lehraufträge führten sie u.a. an die Universität Witten/Herdecke, die Chinati Foundation in Marfa (Texas), das IKKM der Bauhaus-Universität Weimar, das Europäische Kolleg Jena und das Department of Comparative Literature der Stanford University.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst, Politik und Aktivismus; künstlerische Arbeits- und Studiopraxis; Museums- und Bildungsarchitekturen.
Neben zahlreichen Veröffentlichungen in diesen Bereichen hat sie Monographien und Essays über Künstler und Kollektive wie: Richard Serra; Joseph Beuys; Forensic Architecture; Korpys/Löffler; Christian Jankowski und das Zentrum für Politische Schönheit verfasst. Derzeit ist sie verantwortlich für das Trainingsprogramm des Innovative Training Network "The Future of Independent Art Spaces in a Period of socially Engaged Art (FEINART)", das von den Marie Skłodowska-Curie-Maßnahmen von Horizont 2020 (www.feinart.org) gefördert wird.
Bilder. Welche sind es? Welche könnten es sein?
Kunst ist das Fach der Bilder. Bilder werden betrachtet, gestaltet, reflektiert, kommuniziert. Der Diskurs darüber, welche Bilder Gegenstand der Auseinandersetzung in Rezeption, Produktion und Reflexion in der Bildung sind, ändert sich mit unterschiedlicher Dynamik. Wesentliche Konzeptionen von Bildvorstellungen bzw. Perspektiven auf die Welt der Bilder halten sich beharrlich. Eine kritische Reflexion des Bilderkanons in Curricula, Medien und Lehrwerken für den Kunstunterrricht erscheint mit Blick auf neue gesellschaftliche, kunsttheoretische wie kunstpädagogische Diskurse notwendig.
Der Vortrag stellt Fragen zu normativen Bildvorstellungen auf Basis des historischen wie aktuellen Bildkanons in der Kunstvermittlung und entwickelt Ideen zur Überwindung vorherrschender Konzeptionen.
Dr. Barbara Lutz-Sterzenbach ist Professorin für Kunstpädagogik und Visual Literacy an der Universität Passau. Sie forscht zu Bildern in der Bildung auf der Folie von Globalisierung/Glokalisierung, Diversität und Transkulturalität sowie zu dem Erkenntnispotential des Zeichnens mit interdisziplinären Bezügen. Lutz-Sterzenbach absolvierte ein Studium der Kunst und Germanistik an der Ludwig-Maximilans-Universität sowie ein Studium der Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo sie ihre Dissertation zur Episteme des Zeichnens einreichte (2015). Sie ist Herausgeberin zahlreicher kunstpädagogischer Publikationen, der Reihe „Kammerlohr. Fundamente der Kunst“ für den gymnasialen Kunstunterricht sowie Mitherausgeberin der Zeitschrift KUNST 5-10.
‚Indianer’ in Science Fiction? – Indigenous Futurism und die visuelle Infragestellung der kulturellen Norm
Ob als "aussterbende Rasse" (Vanishing Indian), "edler" oder "blutrünstiger Wilder" – die literarischen, filmischen und künstlerischen Repräsentationen der amerikanischen (und internationalen!) Mainstream-Gesellschaft(en) haben die amerikanischen Ureinwohner vierhundert Jahre lang in einer statischen Vergangenheit eingefroren. Vor diesem Hintergrund kultureller Imagination und Aneignung von außen scheint es ein Oxymoron zu sein, eine Abnormität, sich indigene Völker als Teil zukünftiger Welten vorzustellen. Indigenous futurisms, die sich gegen diese seit langem etablierte westliche Norm wenden, haben sich im letzten Jahrzehnt als breitere künstlerische Bewegung etabliert, die in der Bildkunst, der Literatur, im Film, im Bereich der Comics, in Online-Spielen und anderen Medienformen indigene Perspektiven der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Kontext der Science-Fiction und verwandter Subgenres zum Ausdruck bringen. Diese Perspektiven spiegeln häufig indigene Wissensformen, traditionelle Erzählungen, historische oder aktuelle politische Narrative und kulturelle Realitäten wider. Indigene Futurismen sind Teil dessen, was Gerald Vizenor als Native Survivance bezeichnet hat, einer Kombination aus Überleben der Ethnie (survival) und (oft subversivem) Widerstand (resistance). Sie stellen die jahrhundertelange Aneignung indigener Kulturen durch die dominante(n) Gesellschaft(en) in Frage und diversifizieren gleichzeitig den Bezugsrahmen des Science-Fiction-Genres. Als solche tragen sie zu Prozessen der Dekolonisierung bei. Dieser Beitrag untersucht die visuelle Kunst des indigenen Malers Ryan Singer (Navajo) an der Schnittstelle von Pop Art, Aktivismus und indigenem Futurismus. Durch die Fokussierung auf Singers künstlerische Auseinandersetzung mit den fiktionalen Charakteren und Schauplätzen des Star Wars-Franchise werden Singers Werke als Infragestellung der geltenden Norm, als popkünstlerische Akte kultureller und politischer Dekolonisierung gelesen. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn Singer sich Prinzessin Leia als Hopi-Prinzessin Leia (2009) (rück)aneignet, weil ihre Frisur in Star Warsursprünglich von der Tradition der Hopi-Frauen übernommen wurde, wenn Star Wars-Charaktere sich mit den Spieletraditionen der Navajo beschäftigen oder wenn der Künstler in (De)Colonized Ewok(2019) eine ikonische Star Wars-Figur verwendet, um die Zwangsassimilierung indianischer Kinder in Internaten während des 19. und 20. Jahrhunderts zu kritisieren.
Karsten Fitz ist Professor für Amerikanistik / Culture and Media Studies an der Universität Passau. Er studierte Amerikanistik und Politikwissenschaft an der Universität Hannover (M.A., Ph.D.) und an der University of Washington, Seattle. Fitz erhielt das Fulbright American Studies Fellowship 2002-2003, das er an der Harvard University und der American Antiquarian Society in Worcester, Massachusetts, verbrachte. Seine monographischen Arbeiten sind Negotiating History and Culture: Transculturation in Contemporary Native American Fiction (Peter Lang, 2001) und The American Revolution Remembered, 1830s to 1850s: Competing Images and Conflicting Narratives (Universitätsverlag Winter, 2011). Er ist Herausgeber des Sammelbands Visual Representations of Native Americans: Transnational Contexts and Perspectives (2012). Zusammen mit Birgit Däwes und Sabine Meyer ist er der Herausgeber der Buchreihe „Routledge Research in Transnational Indigenous Perspectives“ sowie Mitherausgeber des ersten Bands dieser Reihe, Twenty-First Century Perspectives on Indigenous Studies: Native North America in (Trans)Motion (2015). Seine Forschungen zu Fragen der Privatsphäre führten zu dem (zusammen mit Bärbel Harju) herausgegebenen Konferenzband Cultures of Privacy: Paradigms, Transformations, Contestations (2015). Darüber hinaus hat Fitz in verschiedenen Zeitschriften und Konferenzbänden Artikel über die U.S.-amerikanische visuelle Populärkultur, die amerikanische Erinnerungskultur, die amerikanische politische Kultur und im Bereich Teaching English as a Foreign Language veröffentlicht. Zuletzt war er Mitherausgeber (mit Jürgen Kamm) des Konferenzbands Transatlantic Cinema: Productions – Genres – Encounters – Negotiations(2020).
Ritualisierte Transgressionen. Zirkus und Unterhaltung als Reflexion von Normalität
Als hochmoderne Form frühtechnischer Massenunterhaltung lässt sich am Zirkus paradigmatisch studieren, was Unterhaltung ausmacht. Entgegen dem hartnäckigen Vorbehalt, wonach Unterhaltung nur eine vorübergehende Flucht aus dem Alltag eröffne, bietet der Zirkus ein hochkomplexes Modell, das den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext reflektieren hilft, indem er gezielt die Setzungen überschreitet, die in jenem Normalität begründen. Entgegen der herkömmlichen Lesart besteht Unterhaltung jedoch nicht einfach im Bruch von Normen und Konventionen, sondern darin, dass der Akt der Transgression als ritualisierter seinerseits festen Normen unterworfen wird.
Matthias Christen, geb. in Luzern, Studium in Tübingen und Konstanz, Promotion mit einer Arbeit über die Bild- und Textformen der Lebensreise, wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Konstanz und Zürich, Stipendiat des Schweizerischen Nationalfonds, Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum mit einem Buch über den Zirkusfilm. Fotografische Ausbildung an der Schule fas - Fotografie am Schiffbauerdamm, Berlin. Seit 2011 Professor für Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth (Film und Fotografie). Ko-Leitung des DFG-Projekts „Das Filmmanifest. Geschichte, Ästhetik und Medialität einer aktivistischen Form“ (zus. mit Bernhard Groß, Universität Jena).
Natur als Norm? Zum mittelalterlichen Naturrecht
In der Ethik des Mittelalters spielt die mittelalterliche Lehre vom Naturgesetz bzw. Naturrecht eine zentrale Rolle. Ihr Kerngedanke ist die Begründung moralischer Normen mittels der Vorstellung eines von Natur aus Rechten, das nicht-positivistisch zu verstehen ist, d.h. jedem Menschen natürlicher Weise einleuchtet. Was aber meint Natur hier überhaupt und inwiefern kann sie in praktischer Absicht normativ werden? Die mittelalterlichen Denker übernehmen ein Konzept, das seine Wurzeln in der stoischen Philosophie und im römischen Recht hat, arbeiten jedoch stärker als diese Traditionen heraus, dass Naturrecht als Vernunftrecht zu verstehen ist, denn das Wissen um das natürliche Rechte vermittelt sich dem Menschen über seine Vernunft. Im Hintergrund steht ein doppelter Naturbegriff, insofern der Mensch nicht nur ein animalisches, d.h. mit natürlichen Trieben und Instinkten versehenes Lebewesen ist, sondern vornehmlich Vernunftnatur – mit normativen Implikationen.
Isabelle Mandrella ist promovierte und habilitierte Philosophin; ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Philosophie des Mittelalters. Seit 2012 ist sie Professorin für „Philosophie und philosophische Grundfragen der Theologie“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München.
Emojis: Zwischen Normalisierung und Normalität
Emojis sind inzwischen ein nicht wegzudenkendes und zugleich stets umkämpftes Attribut digitaler Alltagskommunikation geworden. In den jährlich verabschiedeten Ergänzungen des Bildzeichen-Vokabulars, an denen sich sowohl internationale Medienkonzerne als auch private Nutzer*innen beteiligen, spiegeln sich unterschiedliche Vorstellungen über gesellschaftliche und kulturelle ‚Normen‘ sowie ‚Normalität‘ wider. Der Vortrag nimmt speziell das Thema Genderidentitäten und ihre Normierung in Emoji-Diskursen ins Visier; dabei wird auch auf die fortlaufenden Debatten über die Gender-Bildzeichen und ihre weltweite Rezeption eingegangen.
Gala Rebane studierte moderne Philologie mit Schwerpunkt auf Romanistik (Spezialisierung in der Italianistik) und wurde im Fach Interkulturelle Kommunikation promoviert. Zwischen 2016 und 2022 hatte sie die Juniorprofessur für Interkulturelle Kompetenz an der Technischen Universität Chemnitz inne. Seit September 2022 bekleidet sie den Lehrstuhl für Vergleichende europäische Kulturwissenschaft an der Universität Passau. Ihre Forschungsinteressen umfassen u.a. kulturelle Identitäten und Geschichtsrezeption in europäischen Ländern, Bikulturalität und digitale Praktiken des Alltags. 2021 erschien in der Reihe Digitale Bildkulturen des Wagenbach Verlags ihr Einführungsband über Emojis.
‚Normen‘ im Sinne von Bemühungen, das rechte Maß zu finden, Regeln für angemessenes Verhalten festzulegen und soziale, kulturelle, geographische sowie ästhetische Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen bzw. Fremden zu definieren, sind ein fester Bestandteil der Kulturgeschichte. Ihren Ausdruck finden diese Regularien in den verschiedensten Medien und Künsten beispielsweise als Visualisierungen, aber auch in der Literatur, in verschiedenen Diskursen oder populären und Alltagspraktiken. Für alle Bereiche gilt, dass sich die beteiligten Akteur*innen an Wertmaßstäben orientieren, diese bestätigen aber auch kreativ oder subversiv durchkreuzen. Gesellschaftliche Ordnung als Implementierung von Normen und Normalität zu denken, lässt die Kategorie des Normalen zunächst als ein Paradigma der Moderne erscheinen. Die damit einhergehenden Herrschafts- und Unterdrückungszusammenhänge (z.B. Pogrome, Repression, Stigmatisierung) erweisen sich jedoch als lang tradierte kulturelle Muster zur Abwehr und Disziplinierung des Nicht-Normalen.
Die multidisziplinäre Ringvorlesung „Normalität – Bilder, Diskurse, Praktiken“ möchte den Diskussionsstand zur Bedeutung des Normalen und über das Funktionieren von Normalisierungsprozessen aufnehmen und nach konkreten Prozessen der Genese und Formung von Normalität produzierenden Regularien, Mustern und Schemata fragen. Dabei wird eine dezidiert kulturwissenschaftliche, medientheoretische wie auch kulturästhetische Perspektive verfolgt. Thematisiert wird das gesamte Spektrum menschlicher Ordnungsvorstellungen und Standardisierungstechniken von der Spezifik historischer Disziplinierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen bis hin zu aktuellen Beispielen einer postmodernen Normalisierungmacht.
Der Abschlussvortrag vertieft den Überblick zur historischen Genese von Normalisierungsprozessen sowie der vermittelten theoretischen Ansätze und fasst die aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen vorgestellten exemplarischen Artefakte, Bilder, Diskurse, Medien und Praktiken zum Rahmenthema ‚Normalität‘ in einer Synopse zusammen.
Natascha Adamowsky ist Medien- und Kulturwissenschaftlerin und hat seit 2020 den Lehrstuhl für Medienkulturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Digitale Kulturen an der Universität Passau inne. Zuvor war sie Professorin für Medienwissenschaft im Bereich der Digitalen Medientechnologien an der Universität Siegen, Professorin und Leiterin des Instituts für Medienkulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Professorin für Kulturwissenschaftliche Ästhetik am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin.
Prof. Dr. Andrea Sieber ist seit 2016 Inhaberin der Professur für Ältere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen kulturwissenschaftliche Ansätze in der Mediävistik, Mediengeschichte und Medientheorie sowie die Rezeption des Nibelungen-Mythos. Sie verbindet philologische Analysen mit transmedialen Perspektiven. Zentrales Anliegen ist ihr, das kulturelle Erbe des Mittelalters präsent zu machen und in Schule, Hochschule sowie einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Seit 2018 setzt sich Andrea Sieber als Universitätsfrauenbeauftragte dafür ein, die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Wissenschaft zu fördern und bestehende Nachteile zu beseitigen. Gemeinsam mit der Vizepräsidentin für Internationales und Diversity veranstaltet sie jedes Semester die Ringvorlesungsreihe „Diversity, Gender & Intersektionalität“.