Drogen, Diebstahl, Sachbeschädigung: Es sind unterschiedliche Straftaten, die die betroffenen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren über das Passauer Amtsgericht zur „Brücke Passau“ der Caritas führen. Ebenso unterschiedlich sind die Begleitumstände, die sich dahinter verbergen. Jede Geschichte ist anders – und manchmal können Geschichten genau das richtige Instrument sein, um dem zu begegnen, ist Marc Aubry überzeugt. Er hat das Projekt der „Leseweisungen“ mitinitiiert und seitens der Jugendrichterin des Passauer Amtsgerichts Sarah Fenster sowie dem Team der Religionsdidaktik der Universität Passau Unterstützung gefunden. Ein Semester lang konnten Studierende aus dem Bereich Lehramt an der Universität ein Seminar zur Thematik „Schuld und Sühne“ belegen und zusätzlich zur theologischen Auseinandersetzung die Jugendlichen ehrenamtlich begleiten.
Bücher lesen statt Sozialarbeit? Laut Aubry ein vielversprechender Ansatz. Der pädagogische Effekt einer Leseweisung sei der klassischen Arbeitsauflage durchaus überlegen: „Zwar ist die unentgeltliche Arbeit in einer gemeinnützigen Einrichtung ein gutes Mittel, um delinquentes Verhalten zu sanktionieren. Doch geschieht dabei in der Regel keine nennenswerte Auseinandersetzung mit der begangenen Tat, mit Lösungsstrategien für Problemsituationen oder mit erstrebenswerten Zukunftsperspektiven“, erklärt der Sozialpädagoge. Bei einer Leseweisung hingegen werde dies in jedem Fall individuell erarbeitet. „Der Lerneffekt und der Mehrwert sind für die Jugendlichen daher signifikant größer."
Sieben Studentinnen übernahmen nach einer vorbereitenden Schulung die Beratung der jungen Straftäterinnen und Straftäter und wählten mit den Jugendlichen gemeinsam Bücher aus, die zum Delikt und zu ihrer Lebenssituation passen. Die Leseweisung hilft dann dabei, den Buchinhalt und die Lebenslage der Jugendlichen in Verbindung zu bringen, zu erkennen, warum es überhaupt zur Straftat gekommen ist – und wie es vielleicht auch anders gehen kann.
Dr. Rudolf Sitzberger sieht im Praxisbezug des Projekts den entscheidenden Mehrwert für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in der Vorbereitung auf ihren Beruf. „Die Zusammenarbeit mit der ‚Brücke‘ erlaubt uns, die Studierenden frühzeitig an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler heranzuführen, gerade auch an die Situationen, in denen Schuld ein Thema ist und die Jugendlichen vielleicht auch auffällig werden“, so der Dozent. Die Arbeit an der eigenen Biografie sei in diesem Zusammenhang nicht nur für die betroffenen Jugendlichen, sondern auch für die Studierenden von großer Bedeutung.
Als „herausfordernd und gewinnbringend“ beschreibt Studentin Isabella Jaufmann die Erfahrung im Projekt. „Ich möchte später als Lehrerin ein offenes Ohr für meine Schülerinnen und Schüler haben und mir Zeit für sie nehmen können. Es war eine Übung für mich, mich wirklich ganz auf eine Person zu konzentrieren, ihr zuzuhören und mich in ihre Lage zu versetzen.“
Schon jetzt sind sich alle Beteiligten einig, dass es nicht bei einem Semester bleiben soll: „Wir wollen auch in den kommenden Semestern die Seminarkooperation mit der ‚Brücke‘ weiterführen“, so Sitzberger. „Es war ein sehr gelungenes Projekt, das auch für die Universität Fortschritte gebracht hat, die wir nicht mehr missen möchten.“