Schulprojekt Monja Vaitl
Daily Soaps und Reality-Formate im Alltag von Jugendlichen
M1: Beschreibung des Projekts
Die Lehrkraft führt ein Projekt zum Thema „Bedeutung von Daily Soaps und Reality-Formaten im Alltag von Jugendlichen“ durch. Das Projekt beginnt mit einer „Vorbereitungsphase“. Dazu gibt die Lehrkraft den Schülern zwei Wochen vor Projektbeginn den Arbeitsauftrag, sich zwei Wochen lang ihre Lieblingssoap anzusehen und sich Situationen zu notieren, in denen die Darsteller Konflikte lösen oder Entscheidungen treffen müssen. Es sollte deshalb so geplant werden, dass nach den zwei Wochen Zeit im Unterricht ist, um mit dem Projekt zu beginnen und vorherige Themen beendet sind. Das Projekt umfasst ca. fünf Unterrichtsstunden.
Das Unterrichtsprojekt kann auch in den Rahmen des Lehrplans eingebunden werden. Da eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) zu dem Ergebnis gekommen ist, dass vor allem Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren zu den regelmäßigen Zuschauern von Daily Soaps gehören, habe ich mich dazu entschieden, den Lehrplan der 7., 8. und 9. Klasse näher zu betrachten. (vgl. Götz 2000) Ich habe mich für die Realschule entschieden und mein Projekt auf eine 9. Klasse bezogen.
Lehrplan:
KR 9.3 Sich entscheiden können: Gewissen und Verantwortung Darin heißt es: „Deshalb müssen sich die Schüler ihrer eigenen Gewissenserlebnisse bewusst werden. Sie bedenken die verschiedenen Motive eigenen Verhaltens und erkennen, dass der Mensch Entscheidungshilfen braucht für verantwortliches Handeln.“
„Wie verhalte ich mich richtig?“ (z. B. Dilemmageschichten auswerten, Entscheidungssituationen spielen) (vgl. Lehrplan Realschule R6)
Unter dem Aspekt „Wie verhalte ich mich richtig?“ und auch auf das weiter gefasste Thema „Vorbilder“ kann dieses Unterrichtsprojekt durchgeführt werden.
Die Schüler setzen sich kritisch mit Daily Soaps und den Verhaltensweisen der Darsteller auseinander.
Sie hinterfragen die Verhaltensweisen der Darsteller und ihre eigenen und wägen richtiges und falsches Verhalten ab.
Neben dem von mir gewählten Thema KR 9.3 Sich entscheiden können: Gewissen und Verantwortung eignen sich meiner Meinung nach auch die Themen KR 7.3 Mit Konflikten umgehen lernen und KR 8.1 Auf dem Weg zu sich selbst und anderen: Sexualität als Sprache der Liebe, um mit Daily Soaps im Unterricht zu arbeiten.
M2: Verlaufsschema im Überblick
Planungen und Arbeitsaufträge im Vorfeld des Unterrichtsprojekts:
S bekommen im Vorfeld den Arbeitsauftrag sich zwei Wochen lang ihre Lieblingssoap anzuschauen und sich Situationen zu notieren, in denen die Darsteller Konflikte lösen oder Entscheidungen treffen müssen. Dazu muss man den Begriff Daily-Soap klären und darüber sprechen, welche Formate damit gemeint sind. Da sich Reality-Formate immer größerer Beliebtheit erfreuen, werden diese nicht ausgeschlossen.
Motivationsphase:
- Nach den zwei Wochen beginnt die Stunde damit, dass die Soaps und Reality-Formate an der Tafel gesammelt werden, die die Schüler in den letzten zwei Wochen gesehen haben. An der Tafel steht dazu die Überschrift: „Welche Serie hast du dir in den letzten Wochen angesehen?“ Darunter finden sich Logos der Serien, die aktuell im deutschen TV täglich laufen: GZSZ, Alles was zählt, Unter Uns, Berlin-Tag und Nacht, Köln 50667. Dann äußert sich jeder Schüler dazu, welche Serie er geschaut hat und warum er sich genau für diese entschieden hat. Ich gehe davon aus, dass sowohl klassische Soaps genannt werden, wie GZSZ, Alles was zählt, aber auch sog. „Reality-Formate“, wie Berlin-Tag und Nacht oder Köln 50667.
- Anschließend finden sich die Schüler in Gruppen zusammen. Es sollen hier Gruppen entstehen, die sich mit der gleichen Serie beschäftigt haben. (Um sicher zu gehen, dass sich etwas gleich große Gruppen bilden werden, kann man in der Vorbereitungsphase bereits darüber sprechen, welche Serien in den nächsten zwei Wochen angesehen werden.)
Erarbeitungsphase I: (ca. 2 Unterrichtsstunden)
In den Gruppen tauschen sich die Schüler zunächst über die Situationen aus, die sie sich in den letzten beiden Wochen notiert haben. Jede Gruppe wählt dann zwei Situationen aus und notiert sich anschließend, wie sich die Personen verhalten haben und welche anderen Verhaltensweisen es noch gegeben hätte. Dann diskutieren die Schüler in ihrer Gruppe über die Möglichkeiten und notieren Motive für die verschiedenen Verhaltensweisen. Diese Erarbeitungsphase wird auf großen Plakaten festgehalten, die Situation wird dargestellt (Namen oder Bilder aufkleben), die möglichen Verhaltensweisen aufgeschrieben und die jeweiligen Motive dafür festgehalten.
Erarbeitungsphase II: (ca. 2 Unterrichtsstunden)
In der nächsten Stunde wird eine Situation ausgewählt. Die Schüler spielen die Situation, die sie sich in der Stunde zuvor notiert haben, in Form eines Rollenspiels durch. Sie spielen nicht nur eine Möglichkeit, sondern die verschiedenen Verhaltensweisen, die sie sich notiert haben, durch. Im Anschluss spielt jede Gruppe ihre Situation vor und diskutiert mit der Klasse über die möglichen Verhaltensweisen. Die Klasse verteilt anschließend Smileys. Jeder Schüler hat hierfür einen Smiley zur Verfügung. Dadurch kann herausgefunden werden, wie sich die Mehrheit der Klasse verhalten würde und welche Verhaltensweise als gut erachtet wird.
Sicherungsphase:
In dieser Phase setzen sich die Schüler nochmals kritisch mit den Daily Soaps und ihren Darstellern auseinander. Hier kann auch auf den Unterschied zwischen Daily Soaps und Reality-Formaten eingegangen werden. Jeder Schüler verfasst einen kleinen Steckbrief zu seinem Lieblingsdarsteller mit Eigenschaften, die er toll findet, aber auch Charakterzüge, die er nicht mag und bewertet anschließend seine Lieblingsserie. Die Ergebnisse werden in einer Abschlussreflexion im Stuhlkreis besprochen.
M3: Begründung des Gesamtprojekts und der einzelnen Teilschritte
„Die Themen sind so vielfältig wie das Leben selbst: Trouble in der Schule, der Freund geht fremd, Mobbing im Büro, Essstörungen, Liebeskummer, Spielsucht, Sekten, Geldsorgen, Drogen und Homosexualität gehören zur Soap. Alltag. Kein Tabu wird verschont. Soziale Problembereiche wie Aids, Rechtsradikalismus, Homosexualität und Behinderungen werden in einer künstlich verdichteten Wirklichkeit schonungslos vorgeführt. Es wird geliebt und gehasst, Intrigen und Schicksalsschläge werden inszeniert und gemeistert. Liebe und Leid, Lachen und Weinen, Gut und Böse – nichts wird ausgelassen.“ (Thömmes, zit. nach Mendl 2015, S. 202)
Eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) hat die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen untersucht. Hierzu wurden 401 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 19 Jahren befragt. Die Stichprobe wurde bundesweit erhoben und hat unterschiedliche Schularten berücksichtig. Außerdem wurden unterschiedliche Wohnungsumgebungen, wie Großstadt, Vorstadt und ländliches Umfeld berücksichtigt. Es wurde eine Gesamtsumme von 308 Zuschauern ermittelt, 116 davon waren bei den 13-15 Jährigen angesiedelt. (vgl. Götz 2000)
Vor allem die 10- bis 15-jährigen Mädchen sind von den Daily Soaps begeistert. In den Top 50 des letzten Jahres findet sich 46 Mal das Format „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Da stellt sich die Frage, warum sich vor allem 10- bis 15-jährige Mädchen für diese Sendung begeistern. Von Interesse ist auch, wie Jugendliche die Soaps in ihren Alltag integrieren und welche Funktionen dem Genre zukommen? In der oben erwähnten Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) wurden genau diese Fragen in der Studie „Bedeutung von Daily Soaps für Kinder und Jugendliche“ untersucht. Ausgangspunkt für diese Studie ist die Rezeption der vier deutschen Daily Soaps „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Marienhof“, „Verbotene Liebe“ und „Unter Uns“. Ergänzt wurde die Studie durch einen Vergleich mit den Formaten „Schloss Einstein“ und „Big Brother“, die ästhetische Ähnlichkeiten aufweisen und zum Erhebungszeitraum täglich gesendet wurden. In der Auswertung der 308 Befragungen von regelmäßigen Daily-Soap-Sehenden zeigte sich vor allem, dass es nicht die eine Bedeutung von Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen gibt. Die Bedeutungszuweisung ist hochgradig individuell, denn für die Kinder stehen die spektakulären Handlungsstränge, einzelne Figuren, die „Philosophie“ der Soaps oder die Stars der Sendung im Vordergrund. Die Mensch-Medien-Beziehungen kann von ausgesprochen empathisch bis distanziert sein und dennoch zeigen sich bei aller Unterschiedlichkeit strukturelle Ähnlichkeiten. Aus den Einzelfallauswertungen lassen sich 10 Cluster typischer Medienaneignung herausarbeiten. Diese lassen sich unter Oberbegriffe einordnen:
- Die Daily Soap als Unterhaltung, Information und Ratgeber
- Widerspiegeln der eigenen Vorstellung
- Fehlendes im eigenen Leben medienspezifisch auffüllen bzw. überdecken
(vgl. Götz 2000)
Götz stellt dar, dass die Daily Soap im Alltag von Kindern und Jugendlichen, die sich für dieses Genre begeistern und es regelmäßig sehen, unterschiedlichste Funktionen übernimmt. (vgl. Götz 2000)
„Subjektiv-thematisch dient die Soap-Begeisterung dem Vergnügen, der Information, wird zur Selbstverortung und Bestärkung der eigenen Vorstellungen oder zur Selbstdarstellung genutzt. Sie ist emotionaler Resonanzboden und Teil der Entwicklung von Fantasien und (Wunsch-)Vorstellungen. Die Soap-Begeisterung ist dabei fest in den Alltag eingebunden, wo ihr interaktive und situative Funktionen zukommen.“ (Götz 2000)
Zusammenfassend lassen sich aus den unterschiedlichen Untersuchungsteilen empirisch häufig auftretende Bedeutungszuweisungen zeigen. Hier ist die Lust an der Spannung und Neugier und Raten, wie es in den Geschichten und Beziehungen weitergeht zu nennen. Außerdem dient die Soap als Informations- und Lehrprogramm. Mit der Begeisterung für die Soap geht oft das Gefühl einher, etwas Wichtiges aus der Serie zu lernen und sich Informationen über mögliche Problemsituationen und Wissen über Beziehungen einzuholen. Für viele Jugendlich ist die Soap eine Art Fenster in eine Erwachsenen-Welt, durch das sie sich Wissenswertes ansehen können. Im gedanklichen Rollenspiel imaginieren sich die Mädchen und Jungen in Handlungsstränge und Figuren ein und überlegen dabei, wie sie gehandelt hätten und wie es wohl weitergeht. Die Soap wird so zum Anlass, sich zu informieren und zu reflektieren, wie soziale Konflikte entstehen und gelöst werden können. Die Jugendlichen diskutieren darüber mit ihren Eltern bzw. Freunden und subjektiv entsteht das Gefühl, die Daily Soap sei eine Art Lehrprogramm. (vgl. Götz 2000)
Aus diesem Grund habe ich mich für die beiden Erarbeitungsphasen entschieden. Die Schüler setzen sich in der ersten Erarbeitungsphase gedanklich und in der Kommunikation mit den Mitschülern mit den Situationen auseinander und werden sich der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten im Rollenspiel bewusst.
Allerdings orientiert sich die Inszenierung der Soaps nicht an der Realzeit, die die Bearbeitung eines Problems in Anspruch nehmen würde. Sie orientiert sich an den Produktionsabläufen und dem Erzähltempo der Soap. Deshalb ist das, was aus der Soap inhaltlich gelernt wird, oftmals durch Stereotypisierung und Halbwissen geprägt. (vgl. Götz 2000)
Diese Tatsache sollte den Schülern während der Rollenspiele bewusst werden und wird dann in der Sicherungsphase nochmals aufgegriffen, indem man einen kritischen Blick auf die Soap wirft.
Allerdings beschreibt Götz auch, dass Jugendliche die Soap nicht mit der Realität verwechseln, sondern sie setzen sie in Beziehung zur Realität. Als weitere Bedeutung nennt sie die Figuren als Spiegel, Idealbild und „besondere andere“. Für alle Soap-Sehenden sind die einzelnen Figuren von großer Bedeutung. Sie sind Träger bestimmter Eigenschaften. Als Lieblingsfiguren nennen die Kindern fast nur „korrekte“ Figuren und die besondere Bedeutung liegt dabei in ihrer Rolle als „bedeutsame andere“. Viele Kinder und Jugendliche erkennen sich in ihnen wieder und evaluieren ihre eigenen Einstellungen, ihr Verhalten, aber auch ihre Erscheinung und den eigenen Körper. (vgl. Götz 2000)
Durch die Steckbriefe in der Sicherungsphase setzen sich die Kinder nochmals mit ihren Lieblingsdarstellern auseinander. Mendl sieht es als Aufgabe einer phänomenologisch orientierten Religionspädagogik, generative Themen inmitten des Medienalltags von Jugendlichen zu ermitteln. Das macht man am besten, wenn man sich an den aktuellen Sehgewohnheiten von Jugendlichen orientiert und die Frage stellt, welche Situationen als relevant erachtet werden und welche Sehnsüchte und Lebensentwürfe Thema sind. Auch Mendl macht darauf aufmerksam, dass 77% der Jugendlichen Serien bevorzugen, die in Familien und Wohngemeinschaften spielen und in denen es um Gemeinschaftsleben und Liebesbeziehungen geht. Hier sind auch ethische Fragen von Bedeutung. Die Darsteller sind dabei keine leuchtenden Vorbilder, aber sind können mit ihren Ecken und Kanten, ihrem Gelingen und Scheitern dazu dienen, virtuell die Welt in ihrem Sinnzusammenhang zu erproben.
Auch wenn man die Daily Soaps positiv aufgreift, sollten kritische Elemente nicht ausgeschlossen werden. Selbstverständlich wird man sich auch kritisch mit den Kennzeichen, Tricks, Problemfeldern und der Qualität, sowie mit der Inszenierung von Traummännern und Traumfrauen, Kultmarketing und Merchandising auseinandersetzen müssen. Außerdem wird man die neuen „Scripted Reality Formate“, wie Berlin – Tag & Nacht“ kritisch betrachten müssen, da sie sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. (vgl. Mendl 2015, S. 202f) „Dies alles wird nur dann akzeptiert werden, wenn nicht von vornherein geargwöhnt wird, der Lehrer wolle einem die Lieblingssendung letztlich doch nur madig machen. (ebd., S. 203)
Da sich die Reality-Formate immer größerer Beliebtheit erfreuen, wurden diese bei der Planung des Projekts nicht ausgeschlossen.
Natürlich muss man als Pädagoge nicht in allen pop- und medienkulturellen Welten beheimatet sein, man sollte aber über deren Existenz und lebensweltliche Bedeutung wissen. In der pädagogischen Praxis darf man den Erfahrungsvorsprung der Schüler nutzen. (vgl. ebd., S. 203)
M4: Materialien
Motivationsphase: Logos der Serien für das Tafelbild
Erarbeitungsphase I: große Plakate
Erarbeitungsphase II: Smileys
Sicherungsphase: Steckbrief
M5: Literatur
Hans Mendl, Modelle, Vorbilder, Leitfiguren. Lernen an außergewöhnlichen Biografien, Stuttgart 2015.
Maya Götz, Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen, München 2000.
www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/forschung/daily_soaps.htm und www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/13_2000_2/Die%20Bedeutung%20von%20Daily%20Soaps%20im%20Alltag.pdf
(zuletzt aufgerufen am 25.03.2015)
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München, Lehrplan Realschule R6, München 2015. https://www.isb.bayern.de/download/8894/kr9.pdf (zuletzt aufgerufen am 25.03.2015)