Lenkpause für Körper und Seele
Thema: Ehrenamt, Eigeninitiative, Kirchliches Engagement, Menschenrechte/-würde, Solidarität
M1: „Lenkpause für Körper und Seele“
Fernfahrer: ein Leben in Einsamkeit und schwierige Arbeitsverhältnisse
von Gianfranco Rizzuti
Wenn man am Wochenende oder an Feiertagen auf irgendeiner Autobahn einen Rastplatz anfährt, dann sieht man oft, dass diese überall voll geparkt sind mit LKWs. Die Fahrer/Innen sind häufig gezwungen, ihre Freizeit auf solchen Parkplätzen weit von ihrem Zuhause und ihren Familien zu verbringen. Die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa, ihre Arbeitsbedingungen sind extrem schwierig und sie haben kaum die Möglichkeit sich auszutauschen. Die Arbeit im Logistiksektor ist in den letzten Jahren wesentlich härter geworden, der Termindruck ist erheblich gestiegen, ständige Kontrollen und lange Arbeitszeiten sind die Regel. Hinzu kommt, dass das gesellschaftliche Ansehen der Fahrer/Innen nicht hoch ist und sie oft nicht die Behandlung erfahren, die sie verdienen. Und doch muss man sich immer wieder klar machen, dass diese Fahrer/Innen für uns alle arbeiten; durch sie wird Wirtschaften, Produzieren und Konsumieren erst möglich.
Sie arbeiten für uns alle; durch sie wird Wirtschaften, Produzieren und Konsumieren erst möglich und sie sind verdammt allein gelassen!
Um diesen Menschen eine Möglichkeit für Gespräche, Austausch und Begegnung zu geben, haben die Arbeitnehmerseelsorge, das Kath. Dekanat Hegau und das ökumenischen Netzwerk „Kirche und Arbeitswelt“ im April 2018 die deutschlandweit erste „Lenkpause für Körper und Seele“ an der Autobahnkapelle Hegau durchgeführt. Mit Informationsständen waren die katholische Fernfahrerseelsorge, Ver.di, der DGB, Faire Mobilität, Europäische Transportarbeiter-Föderation und das Polizeipräsidium Konstanz vor Ort. Über fünfzig ehrenamtliche Helfer/Innen haben mitgewirkt; dass die „Lenkpause“ ein Erfolg wurde, auch wenn sie sich anders entwickelt hat, als ursprünglich gedacht, ist ihnen zu verdanken. Ihr unermüdliches Engagement während der beiden Tage, aber auch schon bei der Vorbereitung, ihre Offenheit für Kontakte und ihre Bereitschaft zur Improvisation waren einfach großartig. Es wurden ca.700 Essen, Kaffee, alkoholfreie Getränke, Obst, Kuchen etc. an die Fernfahrer ausgegeben. Per Shuttle-Bus wurden diese auch von anderen Parkplätzen in der Umgebung abgeholt und zur Kapelle gebracht.
Es kam zu vielen Gesprächen und Begegnungen mit den Fahrern, die dank eines Dolmetscher-Teams sehr intensiv geführt werden konnten. Am Anfang war die Skepsis groß, denn die Fahrer sind es nicht gewohnt angesprochen zu werden; sie sind nicht daran gewöhnt, dass sich jemand für sie und ihre Arbeitssituation interessiert, ihnen zuhört, ihre Ängste und Sorgen ernst nimmt, ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit ihnen teilen will. In der Regel sind sie wochenlang unterwegs, allein und ziemlich einsam; weit von Freunden und Familien wird die Kabine zu ihrem Zuhause. Das Smartphone und das Tablet stellen die einzige Möglichkeit für sie dar, in Kontakt mit ihren Lieben zu bleiben.
Die Lenkpause hat z. B. Bogdan für ein Wochenende aus der Kabine herausgeholt und ihm Austausch und Teilnahme ermöglicht.
Bogdan, Fernfahrer aus der Ukraine, erzählt im Gespräch folgendes: „An den Wochenenden sind wir nicht mobil. Keinen Meter, keine Minute dürfen wir in der Pause fahren; und ausgerechnet an einem Wochenende fiel mir mein Tablet von der Kabine herunter. Es war natürlich kaputt! Und an diesem Abend war ich mit meiner Familie zum Chatten verabredet! Ohne auch nur eine Minute zu zögern machte ich mich zu Fuß auf den Weg zum nächsten Mediamarkt, um ein neues zu kaufen. Das waren mehr als 30 Kilometer hin und zurück! Das neue Tablet kostete 150 Euro, das ist sehr viel Geld für mich, aber ich überlegte keine Sekunde. Die Vorstellung, am Abend keinen Kontakt zu meiner Familie aufnehmen zu können, schien mir unerträglich; ich wollte sie unbedingt hören, sehen und mit allen sprechen. Ich wollte nicht das Gefühl haben, allein zu sein. Nach dem Kauf stieg ich zufrieden in meinen 40-Tonner. Vielleicht ist das für viele schwer zu verstehen, aber das Tablet gibt mir Sicherheit, das Gefühl, dass ich nicht alleine bin, dass ich eine Familie und Freunde habe.“
Auch am Wochenende der „Lenkpause“ hat Bogdan das Tablet immer bei sich gehabt. Er hat viel aufgenommen und er wollte selbst aufgenommen werden, auch als er im Gottesdienst ein Gebet auf Ukrainisch gelesen hat. Die Aufnahmen wollte er dann später, von der Kabine aus, seiner Familie und seinen Freunden schicken, um sie teilnehmen zu lassen an seiner Welt, er wollte sie beruhigen und ihnen zeigen, dass es auch unterwegs Menschen gibt, die an ihm interessiert sind. Er wollte zeigen, dass er lebt.
Die Lenkpause hat Bogdan und einige seiner Kollegen für ein Wochenende aus ihrer Einsamkeit herausgeholt, sie hat ihnen Austausch und Teilnahme ermöglicht. Das hat alle Beteiligten noch einmal in ihrer Überzeugung bestätigt, dass die Kirche sich dorthin bewegen muss, wo die Menschen sind, wo sie leben und arbeiten. Eine solche Annäherung der Kirche an die Lebenswelten der Menschen, eine solche direkte Vermittlung der christlichen Nächstenliebe motiviert offensichtlich auch Ehrenamtliche aus Pfarrgemeinden und Netzwerken dazu, sich zu engagieren, da sie bei solchen Einsätzen erfahren, dass Kirche auch an „anderen Orten“ spürbar werden kann und nicht reduziert ist auf sakrale Räume. Sie erfahren, dass die Kirche überall in unserem Leben präsent ist.
Inzwischen hat die „Lenkpause“ wiederholt erfolgreich stattgefunden. Sogar thematisch passende „Lenkpausen“ zu Ostern und Nikolaus wurden initiiert.
Weitere Informationen und Impressionen unter: www.lenkpause.de
O-Töne von ehrenamtlich helfenden Personen:
Bereits seit 2018 führt nun das Netzwerk Kirche und Arbeitswelt regelmäßig (3-4 mal /Jahr) Lenkpausen für LKW Fahrer an der A 81/Rastplatz Hegau durch. Dies ist jedoch nur aufgrund der Mithilfe von zahlreichen Ehrenamtlichen möglich. Die Motivation der ehrenamtlichen Helfer:innen ist es, einer Berufsgruppe, die kaum gesehen wird auf Augenhöhe zu begegnen. Entstanden ist dies aus dem Tun der Vesperkirche heraus, in der ebenfalls Randständige eingeladen sind zusammen mit anderen (Berufstätigen aus der Stadt, Zufällig Vorbeikommenden, Alten und Einsamen) am gemeinsamen Tisch zu essen, zu trinken und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Christine Witzke
„Als eine derjenigen Menschen, die mehrmals die Woche über den Grenzübergang zur Schweiz (Bietingen/Thayngen) fahren, sehe ich die vielen, fremdsprachigen LKW Fahrer, die unter widrigen Bedingungen oft viele Stunden auf ihre Verzollung und Weiterfahrt warten. Sprachbarrieren, geringe Mittel zum Kauf von Lebensmitteln oder Duschmarken, sind leider gängige Praxis. An den Wochenenden und Feiertagen verschärft sich die Situation, in dem die Fahrer die schnell belegten Park- und Rastplätze entlang der Autobahnen anfahren und die Zeit bis zur Öffnung der Zollabfertigungsstellen überbrücken müssen.
Ich freue mich daher, im Rahmen der Aktion «Lenkpause», mich mit den fremdsprachigen LKW Lenkern in ihrer Sprache zu unterhalten, ihnen durch die Übergabe von kleinen Geschenken und Duschmarken zu helfen und ihnen zu zeigen, dass ihre Arbeit gerade unter diesen schwierigen Arbeitsbedingungen wertgeschätzt wird.
Jedes Lächeln, welches uns Helfern zurückgegeben wird ist eine schöne Erfahrung!“
H. H.-E.
„Mich bei der Lenkpause zu engagieren und zu beteiligen habe ich mich gerne bereit erklärt, denn für mich entspricht es einer christlichen Grundhaltung auch die Menschen, die ihre Arbeit unter leider oft unwürdigen Bedingungen verrichten müssen und nicht in der Mitte unserer Gesellschaft verortet werden, zu sehen und ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen. So freut es mich, dass die Lenkpause durch die katholische Kirche ins Leben gerufen wurde und organisiert wird.
Oft sind die Fernfahrer viele Wochen von ihren Familien getrennt und müssen mit ungünstigen Arbeitsbedingungen zurechtkommen (Termindruck, langer Arbeitstag, Übernachtung in Kojen in ihrem LKW). So liegt mir daran, durch unsere Aktionen bei der Lenkpause den Fernfahrern Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegen zu bringen.
Die Fernfahrer tragen durch ihren Einsatz dazu bei, unsere tägliche Versorgung zu gewährleisten und nehmen dabei persönliche Einschränkungen in Kauf. So ist es mir ein Bedürfnis, mich bei ihnen für ihren Einsatz zu bedanken.“
Heike Gotzmann
„Ich organisiere die Wertschätzungs-Aktionen für die Fernfahrer:innen, um dieser Zielgruppe zu zeigen, ihr werdet als Menschen gesehen und seid nicht nur das ‚Betriebsmittel‘, um Ware von A nach B zu bringen.“
Xaver Müller
„On the Road: Auf der Autobahn, wir wollen vorankommen, 2 Spuren belegt mit Lastwagen – dann wieder so ein langsames Überholmanöver. Das Adrenalin steigt, die geplante Fahrt wird noch dauern…
Szenenwechsel: Auf einem Rastplatz, viele LKWs sind abgestellt, die Ein- und Ausfahren sind belegt, da hinten ist eine Kapelle – an der Autobahn. Mich interessiert die Autobahnkapelle, sie ist ein Ruhe- und Erholungsort. Beim Herausgehen sehe ich wieder die die vielen LKWs – wo sind die Fahrer*innen?
Sie sind die Dienstleister, die uns die gewünschte Ware bringen. Und wie behandeln wir sie?
Können wir was für sie tun? Wenigstens Danke sagen!
In der „Lenkpause“ kann ich mich engagieren und etwas tun – 3mal im Jahr eine Aktion – mithelfen befriedigt. Mal einen Dienst für die Dienstleister auf der Straße tun. Ostern, Sommerfest, Nikolaus wir können was zurückgeben. Essen, Trinken und Zuhören, sich nach ihren Sorgen erkundigen. Wie schön wäre es, wenn ein Wiedersehen stattfinden würde…
Ich bin wieder unterwegs auf der Autobahn, 2 Spuren belegt mit Lastwagen – dann wieder so ein langsames Überholmanöver. Ich bleibe ruhig, da macht einer seinen Dienst. Vielleicht kann ich ihn das nächste Mal mit meinem Danke zum Lächeln bringen.“
M2: Impressionen zu den "Lenkpausen"
M3: Didaktische Impulse
1. Lies dir den Text genau durch und fasse in eigenen Worten zusammen: Was genau ist unter der „Lenkpause für Körper und Seele“ zu verstehen?
2. Arbeite gemeinsam mit einem:r Partner:in den Mehrwert der „Lenkpause“ für die Fernfahrer:innen heraus. Der Bericht von Bogdan und Impressionen aus den vergangenen „Lenkpausen“ können euch dabei inspirieren: https://dst-bh.de/arbeitnehmer/lenkpause
3. Diskutiert im Plenum: Welche Herausforderungen und welche Chancen ergeben sich durch die Aktion? Erstellt dazu eine Pro-/Contra-Liste.
4. Kirche auch an „anderen Orten“ spürbar werden lassen – das ist eines der Motive, warum sich Ehrenamtliche in diesem Projekt engagieren.
4.1 Sammelt in Kleingruppen weitere Motivationshintergründe der ehrenamtlich aktiven Personen.
4.2 Überlegt im Anschluss, wo Kirche überall im Leben bzw. in eurem Leben konkret präsent ist.