Husemann Maria, Carls Hans
Thema: Drittes Reich, Glaubenszeugnis, Zivilcourage
M1: Artikel von Christoph Sänger
Wuppertaler Katholiken im Widerstand: Maria Husemann (1892-1975) und Hans Carls (1886-1952)
Christoph Sänger
Dass sich der Widerstand der katholischen Kirche in der NS-Zeit in Grenzen hielt, hat viele Gründe, neben der Terrormacht des Regimes zählte das auch das Obrigkeitsdenken der Katholiken und das im Sommer 1933 zwischen dem Vatikan und dem deutschen Reich geschlossene Konkordat, das die Handlungsmöglichkeiten des Katholizismus auf den kirchlichen Binnenraum beschränkte.
Aber es gab sie doch, die verschiedenen Formen des Nichtmitmachens bis hin zum offenen Protest, praktiziert oft im Alltag bzw. von den Menschen an der Basis, von überzeugten Nichtkonformisten, die damit Leib und Leben riskierten.
Bei Maria und Husemann und Hans Carls aus Wuppertal handelt es sich zwei solcher Widerständler, die ihren Einsatz für die christliche Sache mit KZ-Haft bezahlen mussten und nur knapp überlebten. Ihr Hauptvergehen bestand darin, die Predigten des Bischofs von Münster vom August 1941, in denen dieser das nationalsozialistische „Euthanasie“-Programm in aller Deutlichkeit verurteilt hatte, vervielfältigt und im Wuppertaler Raum verteilt zu haben. Sie zählen damit zu den oft übersehenen „Zeugen für Christus“, die zur Wirkung des Protestes gegen die sog. Euthanasie – immerhin begrenzten die Nazis diese Todesmaschinerie vorläufig – in einem nicht zu unterschätzenden Maße beigetragen haben. Der NS-Staat musste sich vor den Predigten des populären Bischofs in Acht nehmen, weil dieser großen Rückhalt in der Bevölkerung besaß, so groß, dass Christen seinetwegen – nicht unbedingt üblich – illegal handelten. In den Geschichts- und Religionsbüchern sollte neben den lesenswerten und immer noch aktuellen Predigttexten deshalb auch an diejenigen erinnert werden, die sie allen zugänglich machten, was vor 80 Jahren ja weitaus schwieriger war als heutzutage, wegen der strengen öffentlichen Überwachung durch den Staat wie auch der technisch eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten.
Die in Wuppertal-Elberfeld geborene Maria Husemann hatte seit 1926 als Buchhalterin in der Geschäftsstelle der Caritas gearbeitet und dadurch Hans Carls – zu dieser Zeit Caritasdirektor – kennen- und schätzen gelernt. Als dieser Anfang der Vierziger ins KZ Dachau kam, versorgte sie ihn mit Lebensmitteln, Medikamenten und illegaler Post. Im Caritasbüro, das sich seit 1940 in den Gebäuden der Erzbischöflichen St.-Anna-Schule in Wuppertal befand – die Schule hatte auf Druck der NS-Behörden den Betrieb einstellen müssen -, kopierte sie die o.g. Predigten und organisierte ihre Verteilung. Sie wurde 1943 denunziert, zunächst ins Wuppertaler Gestapogefängnis, dann ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Liest man ihren nach dem Krieg verfassten Lebensbericht „Mein Widerstandskampf gegen die Verbrechen der Hitlerdiktatur“ (Husemann 1983) wird deutlich, dass die feste Verwurzelung im christlichen Glauben half, Folter, Entbehrungen und Schwerstarbeit auszuhalten, sogar die Todesmärsche zu überstehen, auf die die KZ-Häftlinge aufgrund des Anrückens der Roten Armee geschickt wurde. Nicht von ungefähr war Husemann nach dem Krieg im Verein der Verfolgten des Naziregimes aktiv. Wuppertaler, die ihr nach 1945 in der Pfarrgemeinde oder im Alltag begegneten, erinnern sich an eine ungebrochen eindrucksvolle Frau.
Hans Carls war dem NS-Regime seit der Machtübernahme 1933 ein Dorn im Auge. Als Pfarrer an St. Laurentius und dann Direktor der Caritas war er durch besonderes Redegeschick, Mut und Tatkraft aufgefallen. Mehrfach hatte er den Nazis die Stirn geboten, etwa bei einem Zusammentreffen katholischer Jugendlicher mit der HJ-Jugend oder der öffentlichen Kritik am Film „Ich klage an“, einem NS-Propagandawerk von 1941, das die Akzeptanz des sog. „Sterbehilfe-Gesetzes“ ausbauen sollte. Die Gestapo tobte angesichts von Carls' Reden. Die Inhaftierung erfolgte dann im Zusammenhang der Verteilung der Galenpredigten.
In der St.-Anna-Schule, wo in den Vierzigen Jahren die Caritas ihr Büro eingerichtet hatte und Maria Husemann verhaftet wurde, befindet sich seit 1993 eine Gedenktafel, die an das mutige Handeln der Sekretärin erinnert. Wie bei anderen Menschen, die Zivilcourage zeigten und aus christlicher Motivation Widerstand leisteten, war es kein Nachteil, dass sie alleinstehend war und bei ihrem Handeln z.B. nicht abwägen musste, inwieweit sie damit ihre Familie gefährdet. Von großem Vorteil erwies sich die Verankerung im christlichem Wertesystem, die mit ihrer Herkunftsfamilie zu tun hat. Solche Motive und Umstände sollten bei der Beschäftigung mit Geschichte und Würdigung von Widerstand berücksichtigt werden genauso die Handlungsspielräume und individuellen Prägungen der Handelnden, erst dann können angemessene Einordnungen und Beurteilungen gelingen. Dass es dabei nicht darum gehen kann, vom Ende her, im Wissen um die weitere Entwicklung und aus sicherem Abstand die Geschichte zu tribunalisieren, versteht sich von selbst. Vor allem gilt es, an die kleinen, stillen, unscheinbaren Helden zu erinnern – womit auch mit der Praxis der Überhöhung gebrochen würde, die für herkömmliche Märtyrer-Stilisierung typisch ist. Statt der „bekannten zolibatären Hochkaräter, die in der kirchlichen gerne Tradition hochgehalten werden“, sollten „normale Menschen…. in ihrer Gebrochenheit“ (Mendl 2021) gezeigt werden.
Das wäre tatsächlich glaub-würdiger, gerade im Bildungsbereich bei der Arbeit mit jungen Menschen. Und kann zu jener „gefährlichen Erinnerung“ werden, die nach J.B. Metz die Geschichte des Christentums ausmacht. Gefährliche Fragen könnten sein: Warum gab es nicht mehr Husemanns und Carls? Warum blieb v. Galen eine Ausnahme in Bischofskreisen? Was können wir aus dem Verhalten von Maria Husemann und Hans Carls für den heutigen Umgang mit den großen Herausforderungen lernen? Schließlich kann die Beschäftigung mit den beiden Wuppertaler Widerständlern auch zur kritischen Reflexion von Stereotypen in Gesellschaft und Kirche führen: Bis in die 1980er-Jahre galt Maria Husemann in der einschlägigen Literatur als Dienende bzw. Passive, als „rechte Hand“ des Caritasdirektors und das „armes Opfer“ im KZ (vgl. Brychta/Reinhold 2005), erst in jüngster Zeit hat man sie als Subjekt ernstgenommen. Fortschritt durch Erinnerung.
Brychta, Elke / Reinhold, Anna-Maria, „Von jetzt ab in den Klauen der Gestapo“, in: St. Anna 1905-2005. Festschrift, hrg. v. Schaufler, Hermann / Stratmann, Benedikt, Wuppertal 2005, S. 78-88.
Husemann, Maria, Mein Widerstandskampf gegen die Verbrechen der Hitlerdiktatur. Bericht von Karl Sommer 1964, Wuppertal 1983.
Mendl, Hans: Zivilcourage im Dritten Reich … 2021.
M2: Didaktische Impulse
1. Sammelt wichtige Stationen im von Maria Husemann und Hans Carls Leben und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
2. Gibt es etwas, das wir aus dem Verhalten von Maria Husemann und Hans Carls für den heutigen Umgang mit den großen Herausforderungen lernen können? Diskutiert mit eurem Nachbarn.
3. Auch heute befinden sich immer wieder Menschen in Situationen, in welchen sie unterdrückt werden. Sammelt aktuellle Beispiele für Menschen oder Gruppen, die Widerstand leisten und stellt sie eurer Klasse vor.