Freiwillige Feuerwehr
Thema: Ehrenamt, Freiwilligendienst, Hilfsbereitschaft, Lebensretter
M1: PNP, 20.09.2023, Nr.217, S.25
„Wir brauchen euch, ihr seid Lebensretter“
Vier Menschen erzählen, was ein Feuerwehr-Einsatz für sie bedeutete – Aktionswoche vom 23. September bis 1. Oktober
Von Sabine Kain
Lkr. Passau. Sie lassen alles stehen und liegen, um Menschen in Not zu helfen, und das ohne eine Gegenleistung zu erwarten: Rund 7400 aktive Feuerwehrleute engagieren sich ehrenamtlich in 151 Freiwilligen Feuerwehren im Passauer Land – ganz nach dem Motto „Machen, was wirklich zählt? Unbezahlbar!“. Unbeachtet soll ihr Dienst aber nicht bleiben. Daher ruft das bayerische Innenministerium wieder eine Feuerwehr-Aktionswoche von 23. September bis 1. Oktober aus, die das Ehrenamt in den Fokus rücken soll.
Für die Aktiven der Freiwilligen Feuerwehren ist ihre Arbeit Ehrensache und Herzensangelegenheit. Geld verlangen sie nicht. Ihr Lohn ist es, anderen helfen zu können, und ausbezahlt wird er, wenn sich Retter und Gerettete nach dem Einsatz gemeinsam freuen können. Vier Gerettete erzählten der PNP ihre Geschichte.
Eine zweite Chance
Vor ein paar Wochen bekamen die Aktiven der Freiwilligen Feuerwehr Ruderting Post, wie sie nicht alle Tage im Briefkasten landet: die Dankeskarte einer jungen Frau, der die Ehrenamtlichen vor zwei Jahren das Leben retteten.
Der 30. Juli 2021 war eine Zäsur im Leben von Theresa Hackl. Die damals 20-Jährige aus Waldkirchen ist selbst Rettungssanitäterin – diesmal aber stand sie auf der anderen Seite der Ereignisse. Bei einer Frontalkollision auf der B85 bei Sittenberg stirbt ihr Beifahrer, sie selbst wird schwerst verletzt. An den Unfall hat sie keine eigene Erinnerung; sie erfährt erst später, was mit ihr geschehen ist.
Feuerwehrleute aus Ruderting und Neukirchen vorm Wald sowie weitere Rettungskräfte kämpften um ihr Leben, „einer der Feuerwehrmänner hat die ganze Zeit meine Hand gehalten“, weiß sie aus Erzählungen. Zwei Jahre nach dem Unfall kämpft die junge Frau immer noch mit den gesundheitlichen Folgen, mit dem Schicksal will sie aber nicht hadern. „Ich hab’ mich früher über Kleinigkeiten aufgeregt. Jetzt bin ich dankbar, dass ich noch da sein darf“, sagt sie. „Ich wäre an diesem Tag fast gestorben. Ohne die Hilfe der Rettungskräfte und Feuerwehrleute – ich weiß nicht, wie das ausgegangen wäre.“ Ihr war es deshalb ein Bedürfnis, den Helfern zu danken. Sie schickte Grußkarten, die ein Schulfreund eigens für sie gestaltet hat, an die Feuerwehren in Ruderting und Neukirchen, ebenso an das Team, das sie im Klinikum Passau versorgt hat.
Die heute 22-Jährige hofft, eines Tages selbst wieder in der Lage zu sein, anderen zu helfen – in ihrem Beruf als Rettungssanitäterin. Ihren Kollegen, den Feuerwehrleuten und allen anderen, die ausrücken, wenn Menschen in Not sind, gibt sie mit auf den Weg: „Habt Freude an eurer Arbeit, auch wenn sie stressig ist oder tragisch. Macht eure Arbeit mit Leidenschaft, denn wir brauchen euch. Ihr seid Lebensretter.“
Viele Retter für ein Leben
Der Valentinstag 2023 wird den Einsatzkräften der Feuerwehr Voglarn wohl für immer im Gedächtnis bleiben. Nur Alois Sterner kann sich nicht an die dramatischen Ereignisse erinnern, die sich damals zugetragen haben. Er kam erst drei Tage später wieder zu Bewusstsein.
Der 60-Jährige ist schon seit 45 Jahren bei seiner Heimatwehr engagiert. Am 14. Februar um 14.37 Uhr war er der Grund, warum sie alarmiert wurde. Alois Sterner hatte an seinem Arbeitsplatz, dem örtlichen Kieswerk, einen Hinterwandinfarkt erlitten. „Da kam es auf Sekunden an“, erzählt er.
Gut sieben Monate später ist er wieder wohlauf. Zu verdanken hat er das der schnellen Hilfe vieler Menschen. „Die anwesenden Arbeitskollegen haben sofort reagiert, Hilfe angefordert und mit der lebensrettenden Reanimation begonnen. Ich wurde sieben Mal defibrilliert. Das war mehr als knapp“, fasst er die Ereignisse zusammen, wie sie ihm von den Kollegen geschildert wurden.
Für seine Arbeitskollegen und seine Kameraden von der Wehr, darunter sein Bruder, war das „brutal“, weiß Alois Sterner. Weil er auf der Kieswaschanlage in etwa zehn bis 15 Metern Höhe zusammengebrochen war, rückte zusätzlich die Feuerwehr Fürstenzell mit ihrer Drehleiter an. Während der gesamten Rettung, bis in den Krankenwagen hinein, wurde Sterner reanimiert, auch von einer Feuerwehrkameradin, die hauptberuflich Krankenschwester ist.
Das alles erfuhr Alois Sterner erst Tage später, als er im Krankenhaus aus dem künstlichen Koma erwacht war. Dass er heute seine Geschichte erzählen kann, verdankt er einer gut funktionierenden Rettungskette, angefangen von den engagierten Arbeitskolleginnen und -kollegen über Feuerwehren und Rettungsdienst bis hin zu den Ärzten im Krankenhaus. Alle behandelnden Ärzte versicherten ihm, dass er großes Glück hatte, denn nur etwa ein bis drei Prozent der Betroffenen überleben eine solche lebensbedrohliche Situation ohne Folgeschäden.
Arbeitskollegen und Feuerwehrkameraden lud er Anfang Juni zu einem Fest am Feuerwehrhaus in Voglarn ein, um sich zu bedanken. Vom Catering gab es Ripperl mit Kraut und Kartoffeln, von der Familie persönliche Dankesworte für die Helfer. Sie haben nicht nur Alois Sterners Leben gerettet, sondern auch die schönen Momente, die er seither zusammen mit seiner Familie erleben durfte. „Bei meiner Wiederbelebungsfeier ist mein fünfjähriges Enkerl zu mir auf den Schoß geklettert“, erzählt der dreifache Opa. „Das hat mich sehr gerührt.“
Hoffnung in finsterer Nacht
Dass ihr Freund zu Einsätzen alarmiert wird, war für Nicole Kainz nicht ungewöhnlich. Als Aktiver bei der Feuerwehr Schaibing im Markt Untergriesbach war es seine Aufgabe. Was dies tatsächlich bedeutet, ahnte sie nicht. Bis zum 28. September 2017.
Die damals 27-Jährige fährt an jenem Tag von der Nachtschicht nach Hause. Zwischen Haunersdorf und Rampersdorf, in finsterer Nacht, nickt sie am Steuer ein. Ihr Auto rammt einen Baum, überschlägt sich, bleibt auf dem Dach liegen. Schwer verletzt kommt sie zu sich. „Es war der Horror“, erinnert sie sich. „Ich hatte Angst, dass das Auto Feuer fängt.“ Sie zieht sich durch das zerbrochene Fenster. „Ich bin auf der Hauptstraße gekniet und hab’ um Hilfe geschrien“, erzählt sie. „Ich hab’ viel geschrien.“ In Panik schießt ihr die Frage durch den Kopf: „Bitte, bitte, überleb’ ich das?“
Dann kommt ein Auto vorbei, die Leute rufen Hilfe. Alarmiert wird die Feuerwehr Schaibing – die Kameraden ihres Freundes. Sie erkennt es an der vertrauten Stimme eines Retters. „Holt’s mir den Gell Andreas!“, bittet sie. Er ist ein Kamerad ihres Freundes, den sie besser kennt. Sie krallt sich in seiner Einsatzhose fest; er hält ihre Hand, als die Rettungskräfte Glasscherben aus ihrem Rücken entfernen. „Ich war so froh, dass die Feuerwehr da war“, erinnert sie sich an diesen Moment.
„Es hat sich alles zum Guten gewendet“, kann sie sechs Jahre später berichten. Sie hat sich vollständig erholt. Und geheiratet – ihren Feuerwehrmann Georg. Seine Kameraden von der Feuerwehr sind nun auch Nicoles Freunde. Zwei Kinder – Kilian (5) und Klara (3) – machen ihr Happy End perfekt. „Unser Leben dreht sich viel um die Feuerwehr“, erzählt sie. Die Arbeit der Aktiven sieht sie heute mit anderen Augen: „Ich hab’ begriffen, was sie leisten und was sie bei Einsätzen sehen müssen. Und trotzdem sind sie immer wieder da, wenn jemand Hilfe braucht – ob sie ihn kennen oder nicht.“
Unter Kameraden
Seit den 70er Jahren ist Raimund Osterholzer bei der Feuerwehr. Viele Einsätze müssen er und seine Kameraden aus Oberwesterbach in der Marktgemeinde Kößlarn nicht fahren, doch wenn sie gebraucht werden, sind sie bereit. Dass er seine Kameraden mal selbst brauchen würde, hatte Osterholzer aber nicht eingeplant.
In der Nacht auf den 19. November 2018 rissen Geräusche am Hof den Landwirt aus dem Schlaf. Seine Maschinenhalle brannte. „Das war ein Schreckmoment“, erzählt Osterholzer. Er klingt ruhig, fast abgeklärt. In jener Nacht war er das nicht. „Man saust herum, weiß nicht, was man zuerst tun soll. Kann ich Maschinen retten? Es sind auch Kinder daheim“, erinnert er sich an die Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen.
Alleine war für Raimund Osterholzer nichts zu retten. „Man steht machtlos daneben.“ Doch er blieb nicht lange allein: Binnen kürzester Zeit rückten 13 Feuerwehren mit über 100 Einsatzkräften an, darunter seine Kameraden aus Oberwesterbach. „Ich war froh, dass sie so schnell da waren“, sagt er. Zwar brannte die Maschinenhalle vollständig aus, doch andere Gebäude, wie der Stall und das Wohnhaus, wurden gerettet. Niemand wurde verletzt, auch die Tiere kamen unbeschadet davon. Den Rest regelte die Versicherung.
Ihre Dankbarkeit wollte die Familie Osterholzer auch öffentlich zeigen: Knapp eine Woche nach dem Brand veröffentlichte sie in der PNP eine Anzeige, um allen Helfern „Vergelt’s Gott“ zu sagen.
„Unser Kommandant und die Einsatzkräfte sind gut ausgebildet und auf Zack“, sagt Osterholzer. „Wir können froh sein, dass sich solche Leute engagieren.“ Oberwesterbach ist eine kleine Wehr mit wenigen Aktiven. Umso mehr hofft er, dass auch in Zukunft junge Leute bereit sind, sich ehrenamtlich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Nur so sei Hilfe da, wenn sie gebraucht wird, sagt er. „Und wenn man sie mal selbst braucht, ist man froh, dass es unsere Feuerwehren gibt.“
M2: Didaktische Impulse
1. Die Feuerwehrleute in dem Artikel beschreiben verschiedene Einsätze, welche ihnen in Erinnerung bleiben werden. Suche diese heraus und vergleiche deine Ergebnisse mit einem Partner.
2. Gibt es in deinem Umfeld Menschen, die sich bei der Feuerwehr engagieren? Frage sie nach ihren Erfahrungen.
3. Gibt es Möglichkeiten für dich selbst bei deiner Heimat-Feuerwehr tätig zu werden? Informiere dich über Angebote im Umkreis.