Yunus, Muhammad
Thema: Eine Welt, Armenhilfe
M1: PNP, 06.11.2009, Nr. 258, S.3
Der Mann, der auf die Frauen setzt
Muhammad Yunus gilt als „Bankier der Armen“. Seit den 70er Jahren verteilt seine Grameen-Bank Kleinstkredite an Frauen, um so ganze Dörfer aus dem Elend zu holen. 2006 erhielt er dafür den Friedens-Nobelpreis. Am Mittwoch spricht Yunus in Passau im Rahmen der Veranstaltungsreihe MENSCHEN in EUROPA.
Von Petra Grond
Was sind schon 27 Dollar? Keine 20 Euro. Ein Abendessen. Ein Paar neu besohlte Schuhe. Einige Liter Benzin, die nicht einmal von Passau nach München und zurück reichen.
Für 42 Menschen im Dorf Jobra in Bangladesch haben 27 Dollar die Befreiung aus einer schrecklichen Schuldenfalle bedeutet, eine neue Lebensperspektive für das ganze Dorf. Und für den damals 36 Jahre alten erfolgreichen Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus waren 27 Dollar im Jahr 1976 der Stolperstein, der sein Leben in völlig neue Bahnen lenkte.
Yunus war als Sohn eines angesehenen Juweliers und Goldschmieds am 28. Juni 1940 als drittältestes von 14 Kindern nahe der Stadt Chittagong zur Welt gekommen. Fünf seiner Geschwister starben im Kindesalter. Das war nichts Außergewöhnliches in seiner Heimat. Sein Leben war insofern nicht sorgenfrei, aber sicher privilegiert. Denn seine Familie konnte ihm eine gute Schulbildung zukommen lassen, Muhammad durfte schon in jungen Jahren viel reisen, sogar nach Europa, in die USA und Kanada. Er war aufgeweckt, intelligent und neugierig, und so absolvierte er auch sein Wirtschaftssstudium zügig und mit großem Erfolg. Mit einem Fulbright-Stipendium konnte er sein Promotionsstudium an der Vanderbilt-Universität in Nashville/ Tennessee verfolgen.
Der junge Wirtschafts-Doktor bekam auch gleich eine Stelle an der Uni. Seiner Heimat blieb er aber stets verbunden, hielt Kontakt zu seinen Landsleuten in den USA, vor allem, als 1971 in Bangladesch der Befreiungskrieg ausbrach. Muhammad Yunus engagierte sich für die Befreiung Ost-Pakistans, brachte das Anliegen auch bei der US-Regierung in Washington vor und machte in dem von ihm gegründeten „Bangladesh Newsletter“ auf die Situation seiner Heimat aufmerksam. Als aus Ost-Pakistan 1971 Bangladesch wurde, kehrte Yunus heim und wurde Professor an der Universität von Chittagong.
Yunus war mit der Armut aufgewachsen. Zwar nicht in seiner eigenen Familie. Aber er hatte immer wieder erlebt, wie Bettler an der Tür klingelten und niemals ohne eine milde Gabe weiterziehen mussten. Das war „charity“, caritas, gelebte Nächstenliebe, und die Mildtätigkeit seiner Mutter hatte einen tiefen Eindruck hinterlassen. 1974 wurde Bangladesch von einer Hungerkatastrophe heimgesucht, die weltweit Menschen zu Hilfsaktionen veranlasste. So ergab es sich fast von selbst, dass Armut und ihre Bekämpfung zu einem zentralen Thema des Wirtschaftsprofessors wurden.
Yunus wollte kein Theoretiker bleiben. „Ich fand es schwierig, angesichts des schrecklichen Hungers um mich herum, elegante Wirtschaftstheorien zu unterrichten. Plötzlich wurde mir klar, wie hohl diese Theorien waren.“ Und so unternahm er mit seinen Studenten Ausflüge ins „richtige Leben“, so auch 1976 in das Dorf Jobra. Das Einkommen der Dorfgemeinschaft bestreiten die Frauen durch Korbflechtereien und die Herstellung von Bambus-Möbeln. Um das Material zu kaufen, mussten die Frauen allerdings in schlechten Jahren Geld leihen. Dies gab es nur zu Wucherzinsen - und die Geldleiher wollten auch gleich noch vom Verkaufsgewinn profitieren, so dass für die Frauen und das Dorf am Ende praktisch kein Geld übrig blieb. Im Gegenteil, sie mussten Schulden machen, so dass ihre Abhängigkeit von den Geldleihern immer weiter wuchs.
Diese Begegnung mit der alltäglichen Praxis war ein Schock für den jungen Wissenschaftler. Er tat, was er daheim gelernt hatte: Er zahlte aus seiner eigenen Tasche die 27 Dollar, mit denen sich die 42 Jobra-Frauen verschuldet hatten, und kaufte sie damit frei. Doch Yunus wollte mehr tun und den Frauen zu reellen Krediten verhelfen. Denn mittlerweile war ihm klar geworden, dass „charity“ allein nur die momentane Not lindert, aber nicht aus der Armut führt. Doch nun erlebte er den zweiten Schock. Denn keine der angesprochenen Banken wollte Armen Geld leihen, damit sie durch Arbeit aus ihrer Misere finden. „Nicht kreditwürdig“ lautete das vernichtende Urteil. Erst als Muhammad Yunus selbst als Bürge einsprang, gab es Geld für die Frauen von Jobra.
Für Yunus war es gar keine Frage, dass die Frauen das Geld zurückzahlen würden. Und so wuchs die Idee, eine eigene Bank zu gründen - gerade für die Armen. Und speziell für Frauen. „Wir haben festgestellt, dass es für die Familie mehr Nutzen bringt, wenn wir den Frauen das Geld leihen.“ 1983 wurde aus dem privaten Kreditgeschäft eine offizielle Bank. Yunus nannte sie „Grameen Bank“, Dorf-Bank. Heute gibt es über 2500 Filialen in mehr als 82 000 Dörfern in Bangladesch. Das ist praktisch flächendeckend. Mehr als sieben Milliarden Dollar wurden inzwischen verliehen - und zu 99 Prozent zurückgezahlt. Profit macht die Bank schon, bereits seit 1995 ist sie völlig unabhängig von Spenden und Fremdeinlagen. Aber alle Gewinne verbleiben im Unternehmen. Die Bank gehört ihren Kreditnehmern. Mehr noch als der eigene wirtschaftliche Erfolg freut Yunus aber noch etwas anderes: „58 Prozent unserer Kreditnehmer sind aus der Armutszone heraus.“
Grameen hat seinen Wirkungskreis Schritt für Schritt ausgeweitet (Kasten unten). In einem nächsten Schritt wurden Kooperationen mit Firmen eingegangen, denen es ebenfalls ein Anliegen ist, die Welt ein wenig gerechter zu machen. Neben ihren üblichen Geschäften betreiben diese Firmen einen Zweig, der nach den Prinzipien der Grameen-Unternehmen wirtschaftet (farbiger Kasten).
Für ein solches „Social Business“ wirbt Muhammad Yunus auf Vortragsreisen rund um die Welt. Gestern ist er dafür nach Deutschland gekommen. Am kommenden Mittwoch, 11. November, wird er ab 17 Uhr im Passauer Medienzentrum bei „MENSCHEN in EUROPA“ zu Gast sein. Restkarten für die Veranstaltung „Social Business - Handeln für eine gerechtere Welt“ gibt es noch bis zum Montag in allen Geschäftsstellen der PNP und am Veranstaltungstag an der Abendkasse. Weitere Informationen sind unter der Rufnummer 0851/802-202 erhältlich.
DIE 7 GRAMEEN-KRITERIEN
- Unternehmensziel ist es, Armut zu überwinden, oder zumindest ein Problem zu lösen aus dem Bereich Bildung, Gesundheit, Zugang zu modernen Technologien oder Umwelt. Unternehmensziel ist nicht die Gewinn-Maximierung.
- Finanzielle und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
- Investoren bekommen nur ihr investiertes Geld zurück, keine Dividende.
- Gewinne bleiben im Unternehmen, um Wachstum und Verbesserung zu ermöglichen.
- Die Unternehmen handeln umweltbewusst.
- Die Entlohnung der Mitarbeiter entspricht dem Marktüblichen, aber bei besseren Arbeitsbedingungen.
- Grameen Social Business arbeiten mit Freude.
MUHAMMAD YUNUS SAGT:
- „Für mich sind arme Menschen wie Bonsai-Bäume. Die Saat ist völlig in Ordnung, nur der Boden, in den sie gepflanzt wurden, passt nicht. Arme Menschen sind Bonsai-Menschen. Ihre Saat ist in Ordnung. Aber die Gesellschaft hat ihnen keinen Boden bereitet, auf dem sie sich entwickeln könnten.“
- „Die Armut in der Welt ist künstlich geschaffen. Sie ist nicht Teil der menschlichen Zivilisation.“
- „Armut gibt es, weil unsere Weltsicht auf Annahmen basiert, die die menschlichen Fähigkeiten systematisch unterschätzen.“
- „Bis 2030 werden wir die Armut in Museen verbannen. Und wir werden in Bangladesch anfangen.“
- „Arme Menschen wollen keine Wohltätigkeit. Wohltätigkeit ist keine Lösung für Armut.“
- „Arme Menschen zahlen ihre Schulden immer zurück.“
- „So wie unsere Persönlichkeit aus mehreren Facetten besteht, so sollte auch nicht jedes Unternehmen ausschließlich zur Gewinn-Maximierung gegründet werden.“