Woelfel, Hans
Thema: Drittes Reich
M1: Werner, Zeißner, Hans Wölfel. Lebensbild eines Blutzeugen unseres Jahrhunderts, Bamberg 1994.
Von Dr. Werner Zeißner
Jedes Jahr am 9. November erinnert auch Passau an die Opfer der Nationalsozialisten im Dritten Reich mit einer Gedenkfeier am Mahnmal am Inn. So wird es auch heute sein. An dem Tag, an dem sich die Reichspogromnacht von 1938 jährt, bringt sich dabei erstmals eine Gruppe ein, die sich "Vergangen.Heut" nennt. Sie beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus in der Region.
Jura-Student Fritz Marquardt (21) hat nach dem Abitur in Israel Friedensdienst gemacht. Dort lernte er Simon Gansinger, einen Studenten aus Linz, kennen. Beide stellten fest, dass sie nicht nur in benachbarten Regionen studierten, sondern sie auch ein gemeinsames historisches Interesse verband: die NS-Zeit. Im Mai gründeten sie die Gruppe "Vergangen.Heut" mit Gleichgesinnten, die sich alle dafür engagieren, dass das Thema nicht in Vergessenheit gerät. 12 Mitglieder hat die Gruppe mittlerweile, acht aus Oberösterreich, vier aus Passau. Dazu gehört zum Beispiel auch Julie Ament (21), die in Passau Staatswissenschaften studiert. Das Thema Nationalsozialismus interessiert sie seit ihrer frühen Jugend. "Wenn man mitbekommen hat, was das war, ist es keine Frage, dass man dranbleiben muss", sagt sie.
Recherchen haben die Studenten ins Stadtarchiv geführt. "Wir wollen uns ja selbst fortbilden, denn wir wissen wenig über den Nationalsozialismus in Niederbayern und Passau", sagt Fritz Marquardt. Die Gruppe möchte herausfinden, welche Unterschiede es hinsichtlich der Aufarbeitung des Themas in den beiden Regionen gibt. Eine weitere wichtige Aufgabe sieht "Vergangen.Heut" aber auch in der Sensibilisierung von Schülern. Darauf zielt das Projekt, das die Studenten heute mit Unterstützung von Stadtarchivar Richard Schaffner initiieren.
Dazu werden die Schülerinnen der 10. Klasse des Gisela-Gymnasiums am Vormittag in die Kommunale Medienzentrale eingeladen. Dort halten Richard Schaffner und Zeitzeugin Irene von Kutzschenbach Vorträge. Hinterher machen sich die Schülerinnen mit Mitgliedern von "Vergangen.Heut" auf in die Innenstadt. Hier werden sie an Orte geführt, die im der NS-Zeit in Passau eine besondere Rolle spielten, wie etwa das Haus in der Brunngasse, in der einst Adolf Hitler wohnte, oder Gebäude, in denen jüdische Geschäfte waren. Das soll das Interesse der Schülerinnen wecken. "Es berührt die Menschen viel mehr, was vor ihrer eigenen Haustür passiert ist", sagt Julie Ament. Im Rahmen ihrer Tour durch die Stadt werden die Schülerinnen Einheimische wie Touristen befragen, welche Rolle das Thema Nationalsozialismus in ihrem Leben spielt und ob sie sich heute noch damit auseinandersetzen. Die Ergebnisse der Umfrage wird "Vergangen.Heut" auswerten.
Die Gedenkfeier der Stadt am Mahnmal am Inn findet heute um 13 Uhr statt. OB Dupper wird zusammen mit Vertretern der Stadt und der Kirchen einen Kranz niederlegen. Mitwirken werden auch das ASG und die Staatliche Wirtschaftsschule, die als "Schulen ohne Rassismus" zertifiziert sind. Die Gruppe "Vergangen.Heut" wird bei der Feier eine kurze Rede halten.
Vorbemerkung
Hans Wölfel wurde nur 42 Jahre alt, kaum mehr als die Hälfte unserer heutigen durchschnittlichen Lebenserwartung. Dennoch umfasst seine Biographie drei höchst unterschiedliche Epochen, deren Anforderungen er sich als überzeugter katholischer Christ und verantwortungsbewusster Staatsbürger in einer Weise stellte, die auch für uns vorbildlich sein kann. Um diese Bedeutung Hans Wölfels für die heutige Zeit der Öffentlichkeit deutlich zu machen, führten anlässlich seines 50. Todestages die Pfarrei Unsere Liebe Frau. Bamberg, und Pax Christi am 29. Juni 1994 einen Informationsabend im Pfarrzentrum der Oberen Pfarre zu Bamberg durch. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde das hier abgedruckte Referat über den Lebensweg Hans Wölfels vorgetragen.
1. Die Zeit der Monarchie und ihrer Ablösung (1902 - 1922)
Hans Wölfel wurde am 30. März 1902 in der oberösterreichischen Kleinstadt Bad Hall geboren. Seine Mutter Marie Wölfel geb. Streicher stammte aus Aufsee in der Steiermark und war mit den 1893 bzw. 1895 verstorbenen berühmten Wien er Musikern Johann und Joseph Schrammel verwandt. Der Vater Leonhard Wölfel war aus Untermerzbach im Itzgrund gebürtig und hatte in Bad Hall eine große Kunst- und Handelsgärtnerei erworben. Die Patenschaft übernahm Onkel Johann Wölfel, der seit 1899 als Pfarrer in Langensendelbach (Dekanat Forchheim) wirkte. Der kleine Hans Wölfel, der als zweites Kind geboren worden war und im Laufe der nächsten Jahre noch acht weitere Geschwister bekommen sollte, verbrachte die Ferien oft im Pfarrhaus seines Patenonkels, wo Tante Traudei Wölfel den Haushalt führte und für den kleinen Jungen die Mutterstelle vertrat.
Als im Hochsommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war Hans Wölfel bereits seit einem Jahr Internatsschüler am Gymnasium der Benediktiner in Kremsmünster. Die kriegsbedingten Transport- und Kommunikationsschwierigkeiten haben wohl dann maßgeblich zu dem Entschluss beigetragen, den gerade 13jährigen Hans WölfeI ab dem Schuljahr 1915/16 ganz in das Pfarrhaus des Patenonkels umziehen zu lassen. Seit Januar 1916 befand es sich in dem Bamberg etwas näher gelegenen Pfarrort Ebing. Hans Wölfel besuchte nun als Angehöriger des Studienseminars Aufseesianum das Alte Gymnasium in Bamberg. Die Trennung von der Mutter, an der er sehr hing, mag nicht einfach für den jungen Menschen gewesen sein, zumal der Patenonkel als sehr strenger Erzieher galt. Zusammen mit seinem patriotisch eingestellten Onkel erlebte Hans Wölfel die Kriegsjahre des Zitterns und Bangens. Beide bemerkten sicher auch, dass die ursprüngliche Siegeszuversicht allmählich immer größerer Skepsis wich und diejenigen Stimmen an Einfluss gewannen, die dem monarchischen System eine Hauptschuld an der heillosen Situation gaben. Vor diesem Hintergrund sind die Worte zu interpretieren, die der Bamberger Erzbischof Jakobus von Hauck in seinem Fastenhirtenbrief 1918 anlässlich des 100. Jahrestages der Errichtung des Erzbistums Bamberg an die Gläubigen richtete:
"Papst und König haben zusammengewirkt, um die Bamberger Kirche neu zu gestalten, Papst und König haben seitdem immer wieder Beweise ihres Wohlwollens ihr und ihren Oberhirten gegeben. Der Dank gegen den Heiligen Stuhl wie gegen den Landesvater möge sich vor allem darin zeigen, dass wir beiden die alt überlieferte Treue und Anhänglichkeit, schuldige Ehrfurcht und willigen Gehorsam bewahren. Es soll auch fürderhin trotz aller Versuche staats- und kirchenfeindlicher Mächte der Stolz der Bamberger Erzdiözesanen bleiben, ebenso gute Kinder der Kirche als treue Bürger des Vaterlandeszu sein, ebenso ergeben dem Heiligen Vater als unserem allgeliebten König, papsttreu und königstreu in innerster Seele wie im ganzen Leben und Handeln. In unser andächtiges Gebet seien Papst und König alltäglich eingeschlossen, besonders innig aber werde dieses Gebet in diesen Tagen."
Bei Hans Wölfel fiel dieser Aufruf auf fruchtbaren Boden und wirkte noch weit über das Kriegsende im Herbst 1918 hinaus, als die Monarchie der sozialdemokratisch geführten Revolution hatte weichen müssen. Innerkirchlich zeigte sich das in seinem raschen Beitritt zur 1919 neu gegründeten Marianischen Kongregation; ebenso klar war seine politische Parteinahme durch den Einsatz in den halblegalen Freikorps, die die Machtübernahme bolschewistischer Kräfte verhindern wollten. Hans Wölfel war damals auf dem besten Wege, sich auf Dauer in die Reihen der erbitterten Feinde der Weimarer Republik einzugliedern, zumal er nach dem Abitur im Frühjahr 1922 das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität München begonnen hatte und einer sowohl katholisch als auch vaterländisch orientierten Studentenverbindung beigetreten war. Die Wende in der politischen Ausrichtung Hans Wölfels lässt sich in das gleiche Jahr 1922 datieren, und sie fällt mit dem 62. Deutschen Katholikentag in München zusammen, so dass es nahe liegt, einige der Verlautbarungen dieses großen Treffens der katholischen Verbände ursächlich mit dem weiteren Lebensweg Hans Wölfels in Verbindung zu bringen. Damals im Sommer 1922, wenige Wochen nach der feigen Mordtat
an dem jüdischen Reichsaußenminister Walter Rathenau, brandmarkte der Münchener Kardinal Faulhaber die rechtsradikalen Hetzer als die wahren Schuldigen:
"Der politische Mord ist ein abscheuliches Verbrechen. Aber nicht bloß der politische Mord als Tat, auch die Aufreizung zum politischen Mord! Es gibt Zeitungsartikel, die gegen einzelne Personen eine so gehässige Sprache führen, daß sie zwischen den Zeilen eine Aufforderung zum politischen Mord enthalten. Wenn dann die Leidenschaften durch diese persönliche Hetze aufgepeitscht sind und einer den Revolver zieht, brauchen wir keinen Staatsgerichtshof, um den Mörder zu suchen, dann sitzt der Mörder in der Schreibstube jener Zeitung, welche die Leidenschaften in persönlicher Hetze aufgeputscht hat."
Mit einer mehr pragmatisch orientierten Gedankenführung versuchte der Tagungspräsident, der Kölner Oberbürgermeister und spätere Bundeskanzlei Konrad Adenauer, seine Zuhörer von einer Monarchie-Nostalgie abzubringen:
"Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände. Es verrät Mangel an historischem Blick, sie verantwortlich zu machen für die Kämpfe, die uns Katholiken bevorstehen. Alles ist organisch geworden, nichts fällt ohne weiteres vom Himmel herab, nichts ist das Werk eines Augenblickes, alles in der Natur ist das Produkt längerer Arbeit. Wenn im Herbst der Wind die Blätter von den Bäumen fegt, so ist der Wind nur der Anstoß, denn die Blätter waren alt und müde, und wenn der Sturm Äste und Bäume bricht, so war der Sturm nur der Anstoß, denn die Bäume und Äste waren alt und morsch, denn wären sie (die Monarchien) nicht morsch und lebensschwach gewesen, so hätten sie den Sturm (des Weltkrieges) überdauert."
Hauptproblem vieler kirchentreuer Katholiken blieb gleichwohl die Legitimität des neuen, durch Revolution entstandenen Staatswesens. Ein rechtswidriger Gewa!takt könne, auch wenn er siegreich sei, nicht Unrecht in Recht verwandeln, war die herrschende Meinung. Hierzu nahm der damals führende deutsche Moraltheologe Stellung, der Münsteraner Dompropst und Professor Joseph Mausbach, der sich 1919 aktiv an der Ausarbeitung der Weimarer Verfassung beteiligt hatte. Er relativierte zunächst die Frage der Legitimität und ordnete sie dem Gemeinwohl als dem höchsten unbestreitbaren, unveräußerlichen Recht unter. Dann fuhr er, besonders an die jüngere Generation gewandt, fort:
"Heute stehen wir Deutschen unter starker Versuchung, unsere Stellung zum Staate von leidenschaftlichem Empfinden beherrschen zu lassen. Die Hochspannung der patriotischen Gefühle im Kriege, die danach einsetzende Trauer und Verzweiflung haben allzu tief die Volksseele erschüttert. Um so notwendiger aber ist es, dass wir uns zwingen zu nüchterner, unbestechlicher Rechtlichkeit im Urteilen und Handeln, dass wir auch bei allen Fehlschlägen unserer politischen Hoffnung niemals den Kopf verlieren. Wir müssen die raue Wirklichkeit sehen und nehmen, wie sie ist; wir können sie nicht meistern mit Gewalttaten und Kraftworten, mit Schwertklirren und Hurra-Rufen, aber auch nicht mit leeren Wünschen und Wehklagen, sondern nur durch eiserne Pflichterfüllung nach den Grundsätzen christlicher Staatstreue. Diese Mahnung gilt vor allem der Jugend von heute. Der Jugend überhaupt liegt es ja besonders nahe, das Politische vom Standpunkt romantischer Neigung zu beurteilen. Aber wie so oft muss die eherne Pflicht auch sonst im Leben der Sprache der Neigung und Schwärmerei entgegentreten! Darum möchte ich trotz allem, was niederdrückend wirkt auf Ihren Jugendmut, Ihnen heute zurufen: Verzweifeln Sie nicht an der Gegenwart, urteilen Sie nicht nach vorschneller Empfindung, lassen Sie sich nicht verbittern und in den Schmollwinkel drängen! Sie werden die große Aufgabe, die Gott Ihnen stellt in dieser Zeitenwende, nur erfüllen durch ... Selbstüberwindung, durch tätige, opferfreudige Einordnung in das Ganze des öffentlichen Lebens." Diese "tätige, opferfreudige Einordnung in das Ganze des öffentlichen Lebens" sollte die Leitlinie für den weiteren Weg Hans Wölfels bilden.
2. Im politischen Kampf der Weimarer Republik (1922/23 - 1932/33)
Das dritte Lebensjahrzehnt Hans Wölfels brachte Weichenstellungen für die Zukunft: Fortsetzung und Abschluss des juristischen Studiums an der Universität Würzburg, Referendarzeit in Bamberg und anschließend im Oktober 1929 Einrichtung einer nach einigen Anlaufschwierigkeiten rasch aufblühenden Anwaltskanzlei in der Luitpoldstraße zu Bamberg; im November 1929 Eheschließung mit der Lehrerstochter Elisabeth Rauh aus Pödeldorf und im Jahr 1931 die Geburt der Tochter Irmengard.
Parallel zu diesem persönlichen Vorwärtsschreiten entwickelte Hans Wölfel ein kaum glaubliches Maß an Aktivitäten im Dienst von Kirche und Gesellschaft. Hauptinstrument war zunächst seine Mitgliedschaft im Katho!ischen Studentenverein Rheno-Franconia zu Würzburg, dem er im Wintersemester 1922/23 beigetreten war. Hier verstand er es, in einer Zeit, als es bei jungen Akademikern Mode war, nationalistisch zu sein, die Fronten zu klären und der Verharmlosung rassistischen Gedankenguts ein Ende zu bereiten. Am 9. September 1923, also genau zwei Monate vor dem Hitler-Putsch in München, sagte er in einer sog. Vaterlandsrede u.a.:
"Wir müssen die innere Kraft aufbringen, einmütig zu erklären: Kein Angehöriger einer Katholischen Studentenverbindung kann Mitglied einer nationalistischen Partei sein, die sich anmaßt, unserer religiösen Überzeugung Schranken zu setzen, weil sie nach ihrer Anschauung dem sittlichen Empfinden der germanischen Rasse nicht entspreche; wir verweigern einer völkischen Bewegung jede Unterstützung, die den Völkerhass von vornherein als Pflicht macht, schon allein deswegen, weil dies unchristlich ist und weil auch alles, was auf Hass und völkischen Egoismus aufgebaut ist, auf tönernen Füßen steht und zusammenbricht."
Dem nationalistisch ausgerichteten "Hochschulring Deutscher Art" hatte er damit den Kampf angesagt. Hans Wölfel war auch führend an der Gründung eines Gegengewichtes, nämlich des Katholischen Akademiker-Bundes in Würzburg, beteiligt. Dieser Bund verfocht die katholische Weltanschauung, setzte sich für die Pflege einer gemäßigten Vaterlandsliebe ohne chauvinistische Auswüchse ein und verfolgte diese Ziele als Zusammenschluss möglichst aller katholischen Vereine und Korporationen in der unterfränkischen Bischofsstadt. Als der berufliche Werdegang Hans Wölfel schließlich zurück nach Bamberg geführt hatte, fand der junge Jurist im politischen Katholizismus die wirkungsvollste Plattform zur Verbreitung seiner weltanschaulichen Ansichten. Enger Freund und Weggefährte war dabei der nur wenig ältere Geistliche Georg Werthmann, der seit dem 1. Januar 1928 als Kaplan bei SS. Martin in Bamberg und ab 16. April 1929 als Religionslehrer am Institut der Englischen Fräulein wirkte. Beide Männer nutzten zahllose Veranstaltungen der Bayerischen Volkspartei und der Jugendseelsorge, um ihre Zuhörerschaft von der Unvereinbarkeit von NS-Ideologie und katholischer Glaubensund Sittenlehre zu überzeugen. Auch mit vielen Artikeln im "Bamberger Volksblatt" erreichten sie eine große Resonanz. Furchtlos gingen beide in die Versammlungen ihrer politischen Gegner, insbesondere der Nationalsozialisten, traten dort als Diskussionsredner auf und funktionierten so nicht selten die ganze Veranstaltung in ihrem Sinne um. Kein Wunder war es, dass der Hass der Nazis gegen Hans Wölfel ins Ungeheure wuchs. Da sie sich noch nicht an ihn persönlich herantrauten, überfielen sie am Abend des 15. März 1932 seinen Buchhalter und schlugen ihn brutal nieder. In den katholischen Landgemeinden war Hans Wölfels Kampf gegen den Nationalsozialismus sehr erfolgreich. Die Nazis blieben deutlich in der Minderheit, und es gab Ende 1932 sogar noch etliche Orte, in denen die NSDAP keine einzige Stimme erhalten hatte. Anders sah es dagegen in der Bischofsstadt Bamberg aus, wo es den Nazis gelungen war, nahezu sämtliche antiklerikalen und antirömischen Ressentiments auf ihre Mühlen zu leiten. Die enge Verbindung von katholischer Kirche und Bayerischer Volkspartei wurde so zu einem der schlagkräftigsten Argumente bei den nationalsozialistischen Hetzkampagnen. Da half es auch wenig, dass Hans Wölfel ähnlich wie zuvor in Würzburg die katholischen Kräfte zu bündeln suchte und die Gründung eines Ortskartells der katholischen Vereine Bambergs initiierte. Als er 1932 den Vorsitz übernahm, konnte er im Frühjahr den Sieg der Hitler-Anhänger bei den Reichspräsidentenwahlen noch verhindern; doch bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 war es soweit. Die Nazis überflügelten mit 12.128 Stimmen (=40,2%) die katholische BVP mit nur noch 10.423 Stimmen (34,6%). Auf dieser Grundlage wagten die Nazis nun auch die offene Auseinandersetzung. Sie nutzten den Besuch des Alt-Reichskanzlers und Zentrums-Politikers Heinrich Brüning am 25. Oktober 1932 in Bamberg, um der deutschen Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie sich weder von der Polizei noch von der "Bayernwacht", der Schutzorganisation der BVP, in die gesetzlichen Schranken weisen ließen. Für Hans Wölfel dürfte dies ein zutiefst deprimierendes Erlebnis gewesen sein. Vielleicht hat er damals schon gespürt, dass er später einmal Opfer dieser rücksichtslosen Nazi-Ideologie werden würde. Von Todesahnungen zeugt jedenfalls ein Gebet, das er in der Zeit seiner Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus an der Universität Würzburg verfasst hat:
"Herrgott nimm meine Seele
In Deine Vaterhand,
Form sie nach deinem Willen
Und frei von allem Tand!
Nimm sie und schlage wacker drein
Und haue sie zu Fels und Stein, Auf den
Dein Glaube ist gestellt, An dem der
Lüge Meer zerschellt! Herrgott,
schlage drein!
Herrgott, halt meine Seele
In ihrer Angst und Not,
Wenn alle sie verlassen,
Gib ihr das Morgenrot,
Die Hoffnung auf Dein Gnadenlicht,
In Finsternis verlass mich nicht, Gib
ihr die Kraft, die nie versagt, Auf dass
es leuchtend wieder tagt. Herrgott,
gib Licht!
Herrgott, führ' meine Seele
Zu Deinem Vaterherz
Und trockne ihre Tränen,
Nimm ihrer Liebe Schmerz.
Schlag zu mit Deinem letzten Hieb
ich hab' nur eine große Lieb'.
Sie soll für Dich geopfert sein,
Wenn Du es willst, so schlage drein!
Herrgott, nur Deine Lieb'!"
In diesem Gebet offenbart sich die spirituelle Begabung Hans Wälfeis, die ihn in vielen Bedrängnissen stärkte, insbesondere als sein Weg immer einsamer und gefährlicher wurde.
3. Der mutige Bekenner unter der NS-Diktatur (1933 - 1943)
Hans Wölfel hatte auch nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 "Flagge gezeigt", musste aber bei der letzten, immerhin noch halbdemokratischen Reichstagswahl am 5. März 1933 deutliche Einbrüche im an gestammten ländlichen Terrain hinnehmen. Die Rache der Sieger ließ nicht lange auf sich warten: Kaum war am 24. März 1933 das so genannte Ermächtigungsgesetz verabschiedet, das den Nazis die gesamte Staatsgewalt übergab, da durchsuchten schon am nächsten Tag SA-Leute die Anwaltskanzlei von Hans Wölfel und beschlagnahmten Bücher und Broschüren über den Nationalsozialismus.
Wenige Monate später hatten die Nazis die übrigen politischen Parteien zerschlagen, und die Führung der katholischen Kirche hatte den aus heutiger Sicht zweifelhaften Versuch unternommen, durch das Reichskonkordat wenigstens ihren inneren Bereich vor dem Zugriff der kirchenfeindlichen Willkürherrschaft zu schützen. Für viele Katholiken war dieser Scheinfriede Anlass, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren.
Hans Wölfel blieb konsequent und widerstand der Versuchung zur bequemen Anpassung. Für ihn konnte ein klardenkender und guter Katholik kein Nationalsozialist sein, auch nicht nur so zum Schein. Er selbst wollte auch nicht in die Partei der Nationalsozialisten eintreten, um dort eventuell Gutes tun, d.h. katholisches Leben innerhalb der NSDAP pflegen zu können. Dies hieße, so dachte er, die Menschen irre werden zu Jassen. Woran sollten sie sich halten, wenn Menschen wie er in die Partei eintreten würden. Diesbezüglichen Auseinandersetzungen mit sonst guten Bekannten, ja mit der Verwandtschaft ging er nicht aus dem Wege. In Gesprächen mit sehr engen Freunden machte er seinem Unmut über das Unrecht und die Brutalität seitens der totalitären Machthaber Luft. Bei diesen persönlichen Unterredungen mit Gleichgesinnten erörterte er, wie in der damaligen Situation christliche Lebensgrundsätze angewendet werden könnten. Auch brachte er seine Bestürzung über die Verführung der jungen Generation durch die Nationalsozialisten zum Ausdruck und sah mit Sorge die kommende Not der Jugend voraus. Von der parteipolitischen Bühne verbannt, wandte sich Hans Wölfel ganz seinem Beruf als Anwalt zu. Seit 1934 war er auch beim Oberlandesgericht Bamberg zugelassen. Hunderten wurde er so Freund und Helfer in schwerster Bedrängnis, namentlich als die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus viele katholische Bekenner in Konflikte mit den damaligen Machthabern und ins Gefängnis brachte. Wie uns glaubwürdig berichtet wird, waren Hans Wölfels Plädoyers vor Gericht von einer tiefen Sachkenntnis und einem reifen menschlichen Verständnis getragen. Dabei waren sie witzig und oft humorvoll und volkstümlich, so dass sich die Leute vor dem Sitzungssaale schweigend stauten und flüsterten: "Still, Wölfel spricht!" Seine Sonntage widmete er dem Besuch von Menschen hinter Gittern. Schuldige richtete er wieder auf, und Unschuldigen half er auf dem Weg in die Freiheit. Alle, die mit ihm zu tun hatten, liebten ihn und schätzten sich in seiner Nähe glücklich. Selbst in seiner Jugend wegen seines Aussehens als Zigeuner bezeichnet, gehörten fahrendes Volk und Zirkusleute zu der von ihm geschätzten Klientel. Er bemühte sich offenbar in besonderer Weise, sie zu verstehen. Interesse und Hochachtung brachte er ebenso den Handwerkern entgegen, war also nicht von intellektueller Hochnäsigkeit bestimmt.
In dieser Zeit, als die meisten vor den antichristlichen Kräften kapitulierten, blieb Hans Wölfel ein Vorbild für praktiziertes Christentum, das für ihn nicht Idylle, sondern harte Realität war. Gebet, Sakramenten Empfang und Gottesdienstbesuch waren für ihn ebenso wichtig wie das unerschrockene Eintreten für die Armen und Strafgefangenen. Für ihn war es selbstverständlich, nicht zurückzuweichen, als der nationalsozialistische Kirchenkampf Mitte der dreißiger Jahre zunehmend härter wurde. Auch im Erzbistum Bamberg wurde damals mit großem propagandistischem Aufwand der Versuch gemacht, eine Bewegung zum Austritt aus der Kirche anzufachen und in Gang zu halten. Auf viele wurde stärkster Druck ausgeübt, so dass von manchen der Gedanke erwogen wurde, ob man nicht äußerlich das Band der kirchlichen Zugehörigkeit lösen könne, ohne ihr innerlich untreu zu werden. Hans VVölfel setzte solchen Bestrebungen seine überzeugende Gläubigkeit und seine unverbrüchliche, auch nach außen demonstrierte Bindung an die kirchliche Hierarchie entgegen. Durch die Teilnahme an Prozessionen und großen kirchlichen Veranstaltungen zeigte er in der Öffentlichkeit, dass er seinen Grundsätzen treu blieb. Als Hitler im September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselte, wurden in zahlreichen Städten des Deutschen Reiches tatsächliche und mutmaßliche Oppositionelle in die Konzentrationslager verschleppt. In Bamberg beließ man es zunächst bei verstärkter geheimpolizeilicher Überwachung verdächtiger Personen, zu denen auch Hans Wölfel gehörte. Die Gestapo schlug dann bei ihr passender Gelegenheit zu. Auf eine solche Gelegenheit wartete man auch bei Hans Wölfel.
4. Hans Wölfel als Opfer der nationalsozialistischen Terrorjustiz (1943/44)
Für Hans Wölfel bedeutete der Kriegsbeginn zunächst eine deutliche Vermehrung seiner Arbeitsbelastung. Denn zahlreiche Rechtsanwälte wurden zur Wehrmacht einberufen, und der hilfsbereite Hans Wölfel übernahm deshalb die ehrenamtliche Vertretung nicht nur Bamberger, sondern auch auswärtiger Berufskollegen. Auch er selbst wurde am 10. September 1942 zum Militärdienst eingezogen, aber wegen seiner Zuckerkrankheit schon nach vier Wochen wieder entlassen. Trotz dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung schonte er sich nicht und arbeitete stets bis zur körperlichen Erschöpfung. Auch seine Angehörigen nahm er von dieser Mehrbelastung nicht aus und erklärte sich bereit, eine ausgebombte sechsköpfige Familie in seiner Wohnung aufzunehmen.
Um in dieser Stresssituation dem völligen gesundheitlichen Zusammenbruch zu entgehen, entschloss sich Hans Wölfel im Sommer 1943 zu einem Kurzurlaub im Allgäu. Während dieses Aufenthalts besuchte er eine ihm bekannte Familie in Iggenau bei Bad Waldsee. Hier äusserte er sich freimütig über die aussichtslose Kriegslage, die künftige Entwicklung des Luftkriegs und vor allem die Person Adolf Hitlers, den er als größten Wortverdreher aller Zeiten brandmarkte. Hans Wölfe! ließ sich in seiner Meinungsbekundung auch nicht durch die Anwesenheit einer ihm nicht näher bekannten jungen Frau namens Liselotte Gerster stören. Diese 21 Jahre alte Parteigenossin aus Biberach, eine ehemalige Führerin im nationalsozialistischen "Bund Deutscher Mädel", erzählte wenig später ihrer Cousine von Wölfels Worten, und beide kamen überein, die Sache zur Anzeige zu bringen. 0hne Zweifel hat Hans Wölfe! sich eines im nationalsozialistischen Sinne schweren Deliktes schuldig gemacht. Schon seit 1933 bedrohte der so genannte Heimtücke-Paragraph im Strafgesetzbuch die bloße Kritik am NS-Regime mit drakonischen Strafen, und als im Herbst 1939 trotz des massiven Einsatzes des von Joseph Goebbels gesteuerten Propagandaapparates sich im deutschen Volk nicht die gewünschte Kriegsbegeisterung einstellen wollte, wurde unter Berufung auf die besonderen Bedingungen des Krieges und den Opfertod der deutschen Soldaten eine ganze Serie von Kriegsstrafgesetzen erlassen, die eine bisher nicht da gewesene Häufung von Todesstrafandrohungen enthielten. Hierzu gehörte auch die ausufernde Erweiterung der Strafbestimmungen in Fällen von Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung. Gemäß diesen Vorschriften hatte Hans Wölfel eine schwere Straftat begangen, und nach der Denunziation lag sein weiteres Schicksal völlig in den Händen der Nazi-Terrorjustiz.
Am 12. Oktober 1943 wurde Hans Wölfel in aller Frühe in seiner Bamberger Wohnung verhaftet. Er war völlig überarbeitet und erschöpft. Er verständigte kurz seine Tochter, sie solle der Mutter Nachricht geben. Wie berichtet wird, leistete er keinen Widerstand und nutzte auch nicht die wenigen Fluchtmöglichkeiten, die sich ihm auf seinem Weg bis zum Henker beten. Nach vier Wochen rücksichtsloser Vernehmungen im Landgerichtsgefängnis Bamberg wurde Hans Wölfel nach Berlin in die Haftanstalt Moabit verlegt. Freunde wussten, dass dies den sicheren Tod für ihn bedeutete. Zwar versuchten sie zusammen mit der Verteidigung auch über die Einschaltung hoher staatlicher Stellen die Anklage zu entkräften oder wenigstens ein mildes Urteil zu erreichen, doch wurden diese Bemühungen jeweils durch neues Belastungsmaterial der Bamberger NS-Kreisleitung entwertet. Zu gradlinig, zu konsequent und zu glaubwürdig war Hans Wölfels Ablehnung des Naziregimes, als dass sie hätte übersehen werden können. In der Anklageschrift finden sich denn auch wörtliche Zitate aus seinen nazi-feindlichen Artikeln im Bamberger Volksblatt. Als dann am 10. Mai 1944 im Landgerichtsgebäude zu Potsdam die Hauptverhandlung vor dem 6. Senat des Volksgerichtshofes stattfand, endete sie mit dem kurzen und letztlich unwiderruflichen Urteilsspruch: "Tod und lebenslanger Ehrverlust wegen Wehrkraftzersetzung !" Nach Ablehnung eines Gnadengesuchs durch den Reichsjustizminister wurde Hans Wölfel in das Exekutionszuchthaus Brandenburg an der Havel überstellt. Wie in seinem gesamten Leben, fand er auch in der tristen Gefängniszelle Trost und Halt in seinem christlichen Glauben. Ein deutsches Missale, eine Bibel, ein Buch von den Engeln und ein Rosenkranz begleiteten Hans Wölfel auf seinem Weg durch die Nazi-Kerker. Ein eindrucksvolles Zeugnis seiner menschlichen Größe ist der Abschiedsbrief, den er am Morgen vor seiner Hinrichtung, drei Wochen, nachdem er seine Angehörigen das letzte Mal sehen konnte, an seine Frau und seine Tochter richtete:
"Montag, den 3. Juli 1944
Meine liebste Else!
Mein liebstes Irmgardle!
Gott ruft mich zu sich in ein besseres Jenseits, damit ich dort vom Himmel aus für Euch sorge. Ich bin gefaßt, kann nur nicht gut schreiben mit gefesselten Händen. Meine ganze Liebe ist bei Euch und umgibt Euch weiterhin. Wir werden uns ja wiedersehen. Der liebe Gott wird Euch trösten und Euren weiteren Lebensweg behüten. Bleibt Eurem heiligen katholischen Glauben treu! Verzeiht mir alles, was ich Euch an Unrecht und Lieblosigkeit angetan habe im Leben,
wie auch ich Euch, meine beiden liebsten Menschen auf dieser Welt, alles verzeihe, doch Ihr habt mir ja nur Liebe und Glück gegeben.
Ich verzeihe allen Menschen um der Liebe Christi willen. Grüßt mir die lieben Eltern, meinen guten Vater, meine lieben Geschwister und alle Verwandten, auch alle lieben Freunde und Bekannten. Allen danke ich tür alles. Euch, meine beiden lieben Menschen, danke
ich nochmals aus ganzem Herzen für alles, was Ihr an Liebe und
Freude mir gegeben. Ihr waret meine Sonne in diesem Leben, Du, liebste Else, warst mein einziges großes Glück, Du, liebstes Irmgardle, warst das Unterpfand dieses Glückes. Oie Fülle dieses Glückes nehme ich mit hinüber in die Ewigkeit, wo ein gnädiger Richter mich erwarten möge.
Liebste Else, liebstes Irmgardle, weinet nicht zu sehr um mich, denkt an mein Glück im Himmel oben, das alle Erwartungen und Hoffnungen übertrifft. Betet für mein Seelenheil! Ich umarme und küsse Euch
nochmals innig im Geiste, in der festen Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits. Die Liebe ist stärker als der- Tod.
Ewig Euer Vati
Im Zuchthaus zu Brandenburg standen für diesen Tag 14 Hinrichtungen auf dem Programm. Alle Delinquenten wurden gleichzeitig aus ihren Zellen geholt. Jeder noch Lebende sollte die Qualen seiner Vorgänger miterleben. Der letzte Todeskandidat hieß Hans Wölfe!.
Während der Scharfrichter bereits seines blutigen Amtes waltete, ist es Hans Wölfel noch gelungen, den vor ihm stehenden Gefährten zum Empfang der Sterbesakramente zu überreden. Um 15.56 Uhr schließlich legt auch er sein Haupt unter das Fallbeil und stirbt.
Schlussbemerkung
Hans Wölfel ist ein Martyrer für den christlichen Glauben, für die Menschenwürde und für ein freies Vaterland. Dass seine sterblichen Überreste seit dem 3. Juli 1947 in einem Ehrengrab auf dem Friedhof der Stadt Bamberg ruhen, ist ein bleibendes Zeichen für die hohe Achtung, die sein Opfertod in der Nachkriegszeit fand. Wichtiger ist es freilich, dass Hans Wölfel als ein lebendiges Vorbild weiterwirkt und viele Menschen auch in Zukunft sich seines beispielhaften Lebens als aktive Christen und Staatsbürger würdig erweisen.
Hans Wölfel war ein lebensfroher und umgänglicher Mensch, kein verbohrter Fundamentalist. Er wusste sich fest in der Mitte des kirchlichen und politischen Spektrums verankert. Seine Hilfsbereitschaft und Grundsatztreue wurden ihm unter dem verbrecherischen NSRegime zum tödlichen Verhängnis.
Zwar sind bei den gegenwärtigen Verhältnissen für Menschen mit solchen Charakterzügen keine ähnlich gravierenden Folgen zu befürchten, dennoch finden sich auch heute viel zu wenig aufrechte Menschen, die z.B. offen Unrecht beim Namen nennen und dafür Nachteile in Kauf nehmen. Als "Mensch mit Rückgrat" bleibt daher Hans Wölfel in jeder Gesellschaftsordnung ein nachahmenswertes Leitbild.