Unger, Gabriele
Thema: Altenhilfe, Hilfsbereitschaft, Nächstenhilfe
M1: PNP, 21.09.2011, Nr. 218, S. 20
Demenz: "Meine Hilfe ist reine Herzenssache"
Heute ist Welt-Alzheimertag − Gabriele Unger betreut für das Rote Kreuz demente Seniorinnen − Betreuungsbedarf steigt
Von Jörg Klotzek
Die Situation ist traurig und dann doch wieder witzig: "Jedes Mal, wenn ich an der Tür klingle, fragt sie mich, wer ich bin." Und jede Woche antwortet die seit Monaten vom BRK geschickte Demenz-Betreuerin Gabriele Unger: "Ich bin die Gaby." Ihre Patientin ist 96 Jahre alt und vollkommen dement, verwirrt hätte man früher gesagt. Sie kann sich nichts mehr merken, auch nicht, dass Gabriele Unger erst vor ein paar Tagen zu Besuch war und die Angehörigen bei der Betreuung der verwirrten Oma stundenweise entlastet. Die Vergesslichkeit der alten Dame ist ein vergleichsweise kleines Problem, mit dem die Familie zu tun hat.
"Manchmal laufen die alten Leute ja einfach weg oder schalten den Herd an, ohne sich weiter darum zu kümmern", berichtet die 67-Jährige, die mit der Betreuung Dementer vor einem knappen halben Jahr begonnen hat. In einem 40-Stunden-Kurs ist Gabriele Unger, vierfache Mutter und neunfache Oma, vom Roten Kreuz zur Senioren-Betreuerin geschult worden. Nun kümmert sie sich um zwei betagte Passauerinnen − die erwähnte 96-Jährige nahe Maierhof und eine 81-Jährige in Schalding.
"Meistens spielen wir etwas oder machen andere Gedächtnisübungen, damit das Gehirn wach bleibt." Fotos anschauen zum Beispiel sei sehr beliebt bei den Seniorinnen, da können diese sich oft noch an Details aus der Kindheit erinnern − während ihnen die Namen ihrer Kinder nicht mehr einfallen. Oder der von Gabriele Unger, obwohl diese ein- oder zweimal pro Woche vorbeischaut. "Das macht mir nix aus, das ist doch lustig jedes Mal." Überhaupt: Gabriele Unger lacht viel und gerne und steckt andere an mit ihrer guten Laune. Das tut den dementen Damen gut − und damit auch den Angehörigen. Denn beide Seniorinnen leben nach wie vor zu Hause und werden von Töchtern mit Hilfe von Sozialdiensten liebevoll gepflegt. "Aber manchmal müssen die Töchter doch auch zum Einkaufen oder zum Friseur und da sind die richtig froh, wenn ich ein paar Stunden vorbeischaue", erzählt die Frau aus Görlitz in Sachsen, die vor 20 Jahren nach der Wende ihren Kindern nach Bayern gefolgt war.
Es sind keine finanziellen Gründe, die Gabriele Unger zur Betreuung Dementer treiben, obwohl es pro Stunde sieben Euro Aufwandsentschädigung gibt (bis zur Ehrenamts-Grenze von 175 Euro pro Monat) und die Rentnerin das Geld gut brauchen kann. "Für mich ist es Herzenssache, anderen zu helfen, und viel Spaß macht es mir auch."
Etwa 15 ehrenamtlich tätige Frauen hat das Rote Kreuz im Stadtgebiet im Einsatz, wie Michael Wenig, Leiter Soziales und Pflege beim BRK-Kreisverband, berichtet. Zusammen mit 110 weiteren Frauen (Männer haben sich noch nicht gemeldet) werden knapp 200 meist demente Patienten in Stadt und Landkreis Passau vom BRK betreut. "Der Bedarf an Betreuung wächst ständig, die Zahl dementer, psychisch kranker oder an Alzheimer leidender Menschen nimmt stetig zu", berichtet Michael Wenig. Man geht davon aus, dass etwa 15 Prozent der Menschen ab 80 Jahren an irgendeiner Form altersbedingter Verwirrung leiden.
Auf Passau bezogen bedeutet dies, dass mehrere hundert Personen altersdement sind, bundesweit geht man von rund 1,2 Millionen Betroffenen aus. "Der Gesetzgeber hat reagiert", sagt BRK-Mann Wenig. Pro Pflegebedürftigem könnten die Angehörigen für 100 bis 200 Euro im Monat die Hilfe von speziell geschulten Betreuern in Anspruch nehmen. Zugewiesen werden die Helfer von den Sozialstationen, unter anderem vom Roten Kreuz. "Viele Familien wissen gar nicht, dass dieser Anspruch für zusätzliche Betreuungsleistungen bei dementen oder psychisch kranken Angehörigen besteht." Darüberhinaus bietet das Rote Kreuz in Passau eine feste Nachmittagsbetreuung, zu der die Senioren vom BRK-Fahrdienst transportiert werden, sowie weitere Hilfen speziell für verwirrte Angehörige.
Auch am heutigen Welt-Alzheimertag wird Gabriele Unger sich wieder in ihren schwarzen Kleinwagen setzen und die 96-jährige Patientin besuchen. Sie wird mit der alten Dame Karten oder Mensch-ärgere-dich-nicht spielen, womöglich einen Spaziergang machen und einen Kaffee kochen. "Jedes Mal sagt sie, dass sie sich schon auf meinen nächsten Besuch freut" − und hat bis dahin doch wieder vergessen, wer Gabriele Unger ist.
M2: Bild von Gabriele Unger
M3: Didaktische Impulse
1. Schreibt einen persönlichen Brief an Gabriele Unger
Was haltet ihr von ihrem Engagement? Welche Eigenschaften zeichnen einen Menschen, der diese Tätigkeit ausübt, besonders aus?
2. Fertigt ein Akrostikon an
Dabei wird ein Begriff von oben nach unten geschrieben. Er wird inhaltlich gefüllt, indem jeder Buchstabe des Begriffs mit einem Wort weitergeführt wird. Es sollte sich um Begriffe handeln, die in enger Verbindung mit der ehrenamtlichen Tätigkeit von Gabriele Unger stehen.