Teufel, Christian
Thema: Ehrenamt, Lebensschutz, Notfallseelsorge
M1: PNP, 26.10.2019, Nr. 248, S. 37
In der Krise ist er da
Christian Teufel ist ehrenamtlich in der Psychosozialen Notfallversorgung tätig – Er leitet das Kriseninterventionsteam
von Carolin Johannsen
Passau. Wenn der Alarm losgeht, greift Christian Teufel sofort zu seinem Handy. Der schrille Ton verstummt nach ein paarmal Tippen, während der 50-Jährige die Einsatzleitzentrale anruft, um herauszufinden, wo die Hilfe des Kriseninterventionsteams der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) gerade benötigt wird. Sobald er die ersten Informationen hat, kontaktiert er die anderen Ehrenamtler und wartet, dass sich Freiwillige für den Einsatz melden. Ist das passiert, trifft er sich mit dem Kollegen und gemeinsam geht es zum Einsatzort.
Schon im Auto hat Christian Teufel seine Einsatzjacke übergezogen. "Die ist sonnengelb, ein bisschen Farbe", erklärt er lächelnd. Auf dem Namensschild steht nur "Christian" – sein Nachname sei in Krisensituationen nicht so passend, sagt er.
In den Innentaschen der Jacke befindet sich sein wichtigstes Utensil: mehrere Pakete Taschentücher. Er zieht eines heraus und reicht es der weinenden Frau, die vor ihm im Rettungswagen sitzt – es ist der erste Kontakt, den er aufbauen kann. Dankbar nimmt sie das Taschentuch, reden mag sie noch nicht. Christian Teufel drängt sie zu nichts er ist einfach nur da. "Meist sind die Leute sehr froh, dass wir kommen", sagt der Helfer.
Team aus Maltesern, BRK, Kirchen und Seelsorge
Seit drei Monaten gibt es in Passau die Psychosoziale Notfallversorgung mit dem Kriseninterventionsteam. Es ist ein Team aus Maltesern, BRK, evangelischer und katholischer Kirche und Notfallseelsorge. Einmal im Monat trifft sich das Passauer Team zur Besprechung. "Es ist wichtig, dass wir alle gut miteinander zurechtkommen", betont Christian Teufel. Nur so könne man sich bei einem Einsatz auf den Teampartner wirklich verlassen. Christian Teufel ist Leiter des Teams. Schon seit 2015 ist er in der PSNV tätig, damals noch in Freyung. Wie er dazu kam, erinnert er noch genau.
Damals wird Teufel als aktiver Feuerwehrler im Dienst zu einem Verkehrsunfall gerufen. Sein eigener Cousin ist in den Unfall verwickelt, einige Verwandte stehen an der Unfallstelle – "es war total chaotisch, da habe ich mich erstmal um die Verwandtschaft gekümmert", erinnert er sich. Kein schönes Erlebnis für ihn, aber ein prägendes. Kurz darauf entscheidet er sich, die Ausbildung für die PSNV zu machen.
In den Seminaren Psychosoziale Notfallversorgung und Krisenintervention lernt er, wie er mit Betroffenen und Angehörigen in der Phase nach potenziell traumatischen Ereignissen umgehen muss. Psychologie, Traumatologie und Gesprächsführung stehen in Theorie und Praxis auf dem Plan. Zur Ausbildung gehört es auch, insgesamt fünf Einsätze zu fahren – dann darf Christian Teufel voll einsteigen und in der Psychosozialen Notfallversorgung arbeiten.
Als sich vor etwa zwei Jahren herausstellt, dass in Passau relativ wenige Einsätze mit der Notfallversorgung stattfinden, entscheiden sich die verschiedenen Organisationen, gemeinschaftlich ein Team zu etablieren. Dieses ist bunt gemischt in Alter und Berufen. Christian Teufel ist im Außendienst tätig – wenn sein Pieper Alarm schlägt, darf er oft rausfahren und helfen.
Einmal wird er nach Eging am See gerufen: In einer Gruppe von Reiterinnen gab es einen Todesfall, Christian Teufel hat auf einmal 20 Personen zu betreuen. "Ich habe natürlich Verstärkung angefordert, aber so eine Situation ist auch eher außergewöhnlich", sagt er. Deswegen gibt es auch kein Schema, nach dem er handeln kann. "Du musst den Einsatz nehmen, wie er kommt", sagt Teufel. "Und manchmal muss man auch kreativ sein." Mit der Gruppe Reiterinnen geht er in das nahe gelegene mexikanische Restaurant in Pullmann City – "wir haben Kaffee getrunken, gefrühstückt und einfach nur geredet", erinnert er sich. Ein weiterer PSNVler versorgt sie regelmäßig mit Informationen, was gerade bei der Kriminalpolizei vor sich geht. Mehrere Stunden vergehen, "da baut man schon eine Beziehung zu den Leuten auf", sagt Christian Teufel. Ist er zuerst der Fremde, der plötzlich auftaucht und sich kümmern soll, ist er nach kurzer Zeit mittendrin im Geschehen. "Ich kriege noch heute Gänsehaut, wenn ich an diesen Einsatz denke."
Als ein anderes Mal der Alarm geht, ist Christian Teufel mit einer Kollegin unterwegs. Zu einer erfolglosen Wiederbelebung sollen sie fahren und eine Angehörige betreuen. Als die beiden an ihrer Einsatzstelle eintreffen, ist der Patient verschwunden. "Da hatte die Wiederbelebung doch funktioniert und er war auf dem Weg ins Krankenhaus", erzählt Teufel. Einen kurzen Moment standen die beiden ratlos da – "wir haben uns dann trotzdem um die Frau des Patienten gekümmert und mit ihr alles organisiert."
Jeder Einsatz ist für ihn eine neue Herausforderung. "Wenn ich im Einsatz bin, dann habe ich Adrenalin und mache meine Arbeit", erklärt er. Ganz wichtig ist es ihm, die Betroffenen in einen abgeschirmten Raum zu bringen. "Da sind die Angehörigen dann weg vom Lärm und vom Geschehen, zum einen aus Sicherheitsgründen, aber auch aus Pietätsgründen", erklärt Teufel. Er gibt dann Informationen von Feuerwehr oder Polizei weiter – "für Orientierung und Beruhigung, damit die Leute wissen, was passiert", sagt er. Wenn jemand nicht mit ihm mitkommen möchte, zwingt er ihn nicht. "Das darf ich gar nicht", sagt er. Es komme allerdings ohnehin sehr selten vor, dass er und seine Teamkollegen abgewimmelt werden. Da die Notfallversorgung von den Einsatzkräften der Polizei oder Feuerwehr jeweils angefordert werden, haben diese meist schon den Überblick, ob Teufel und sein Team benötigt werden. Ist das der Fall, können die Teammitglieder selbst entscheiden, ob sie zu dem Einsatz fahren.
Mindestens zwei Mitglieder des Kriseninterventionsteam sind nötig, "bei Katastrophen oder Großunfällen fordern wir weitere Unterstützung an", sagt Teufel. Je nachdem, wer gerade in der Nähe ist, fährt meist zu dem Einsatzort.
Christian Teufel selber würde aber keinen Einsatz mehr fahren, bei dem Bekannte von ihm involviert sind – "das ist auch nicht ratsam", sagt er. Denn auch an den Ehrenamtlern der PSNV geht ihr Einsatz nicht spurlos vorbei. Deswegen fahren sie danach auch nicht gleich heim. "Wir trinken dann oft noch einen Kaffee miteinander und reden darüber, wie es gelaufen ist und was wir gut gemacht haben", erzählt er. Manchmal sitzen sie noch Stunden nach dem Einsatz zusammen. So können sie den Tag mit einem guten Gefühl abschließen.
Nach so einem Einsatz fährt Teufel erst in den frühen Morgenstunden nach Hause. Mehrere Stunden war er zuvor im Einsatz, wird nur kurz schlafen können und muss dann wieder arbeiten. Im Radio läuft "Highway to hell", Christian Teufel dreht die Musik auf und merkt, dass er lockerer wird. "Da freut man sich einfach, dass man helfen konnte – ein super Gefühl", sagt er.
"Wir sind da zum Mitfühlen, nicht zum Mitleiden"
Kehrt nach einem Einsatz Ruhe bei ihm ein, braucht der 50-Jährige Ablenkung – durch Spazierengehen, Radfahren oder Musik. Seine Familie versteht das gut – seine Frau ist ebenfalls Gruppenleiterin bei den Maltesern, seine Tochter leitet die Jugendgruppe und ist Krankenschwester. Wenn er durch den Landkreis fährt, dann kommen immer wieder Erinnerungen hoch. "Da war ich bei einem Suizid, hier habe ich mit den Kindern im Garten Fußball gespielt", erzählt er. Jeder Einsatz bleibt ihm in Erinnerung, wichtig ist ihm nur: "Wir sind da zum Mitfühlen, nicht zum Mitleiden."
Ist ein Einsatz beendet, hat Christian Teufel für sich eine feste Routine. "Die Jacke ist mein Schutzschild", erklärt Christian Teufel als er sie auszieht. Nach dem Einsatz legt er sie ab, symbolisch für all das, was er in den letzten Stunden erlebt hat. Er packt die Jacke in eine rote Box in seinem Kofferraum und schließt diesen. "Dann habe ich den Kopf frei."
M2: Bild von Christian Teufel
M3: Didaktische Impulse
1. Diskutiert in der Klasse, was Personen auszeichnet, die sich bei bei PSNV (Psychosoziale Notfallversorgung) engagieren?
2. Schreibt ein paar Zeilen an Christan Teufel, in denen ihr ihm eure Meinung zu seinem Engagement schildert! Geht dabei darauf ein, was ihr an seiner Arbeit "schön" und was "schwierig" findet und ob ihr euch auch eine seelsorgerische Tätigkeit für euch selbst vorstellen könntet. Bringt verschiedene Argumente an, die eure Position unterstützen.
3. Überlege dir, wer oder was in deinem Leben dir Kraft , besonders in schwierigen Situationen, spendet. Verschaffst du dir in deinem momentanen Alltag genügend Zeit dafür? Falls nicht, kläre die Gründe dafür und denke darüber nach, was du vielleicht besser machen könntest.