Stolper, Hildegard
Thema: Ehrenamt, Hilfsbereitschaft, Nächstenhilfe
M1: PNP, 12.12.2020, Nr. 290, S. 31
Hildegard Stolper – die starke Frau von Passau
Bayerisches Fernsehen zeigt am Montag um 22 Uhr in "Lebenslinien", was die Frauenhausleiterin selbst durchmachen musste
von Elke Fischer
Wenn man Hildegard Stolper heute so sieht, strotzend vor Lebensfreude, stets ein breites Lächeln auf den Lippen und voller Tatendrang, den sie mit einem entschlossenen "Das schaffen wir, das kriegen wir schon hin" untermauert, dann mag man nicht für möglich halten, was sie alles in ihrem Leben hat durchmachen müssen. Viele andere wären an diesen Schicksalsschlägen zerbrochen, hätten resigniert, doch das kam für die heute 76-Jährige nie in Frage. "Ich bin immer Optimist gewesen", sagt sie gleich am Anfang des Films "Lebenslinien", der das Leben der Passauer Frauenhausleiterin mit all seinen Höhen und Tiefen nachzeichnet. Jetzt am Montag wird der Beitrag um 22 Uhr im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt. Die PNP hat den Film vorab gesehen.
Eigentlich hätte er viel früher entstehen sollen, "aber ich habe mich zwei Jahre lang dagegen gewehrt", gesteht Hildegard Stolper im Gespräch mit der Lokalredaktion. Sie wollte nicht, dass so viel Aufhebens um ihre Person gemacht werden würde. Letztendlich hat sie sich breitschlagen lassen. Denn wenn es darum geht, Frauen zu helfen, ist sie zur Stelle. Und natürlich hofft sie, dass sie durch die breite Öffentlichkeit weitere Spenden für ihr Frauenhaus bekommt. "Denn gerade heuer in Coronazeiten, wo ich keine Vorträge halten kann, schaut es gar nicht gut aus", sagt sie.
Glücklicherweise wurde der Film bereits im Sommer vor Corona gedreht und damit ohne Maskenpflicht. "21 Drehtage hatten wir, immer sieben bis acht Stunden lang", erzählt sie. Vor der Kamera zu stehen habe ihr nichts ausgemacht. Sie musste sich ja nicht verstellen, und so kommt sie in dem Film so authentisch rüber, wie sie ist. "Ich war ja auch schon mit Luise Kinseher in der Fernsehsendung Sternstunden, um Spenden für das Frauenhaus entgegenzunehmen", meint sie, wie immer pragmatisch, wenn es um eine gute Sache geht.
Freilich, im Nachhinein hat sie sich schon oft gefragt, ob sie ihr persönliches Schicksal so hätte vor aller Welt ausbreiten sollen. "Denn mit dem, was mir passiert ist, geht man nicht hausieren", meint sie und atmet tief durch.
Auf allen Vieren zum Zollhaus
Immerhin die Kindheit war glücklich, sie ist im Lindental aufgewachsen. "Meine Eltern waren arme Leute, aber es war eine schöne Zeit", berichtet sie im Film. Nur allzugerne hätte sie Architektur studiert, ihre Noten waren gut, aber die Mutter meinte: "Du heiratest ja eh." Und so wurde das Mädchen auf die Handelsschule geschickt.
Freundinnen wie Halo Saibold kommen in dem Film zu Wort, der Männerstammtisch aus dem Alten Bräuhaus, der regelmäßig für das Frauenhaus spendet. Und wenn Hildegard Stolper besonders gut drauf ist, holt sie ihre Gitarre heraus und singt dazu. Es gibt auch heitere Szenen in diesem Streifen, etwa wenn sie sich donnerstags mit ihren geliebten Nichten trifft oder mit ihnen Jahr für Jahr zum Berggottesdienst auf die Postalm nach St.Wolfgang fährt.
Die tragende Rolle freilich spielt das Frauenhaus, das einerseits das Schicksal der Bewohnerinnen vor Augen führt, aber auch deutlich macht, was Hildegard Stolper leistet, um ihnen wieder eine Lebensperspektive zu eröffnen. Oft fährt sie nachts los, um misshandelte Frauen abzuholen. Sie sammelt Spenden und kümmert sich sogar darum, wie das Leben für Betroffene nach dem Frauenhaus weitergeht.
"Wenn ich nicht selbst Gewalt am eigenen Leib erfahren hätte, wer weiß, ob ich mich dann so eingesetzt hätte?", fragt sie sich. Bis heute verfolgt sie das schreckliche Erlebnis, als ein Bekannter die damals 18-Jährige nachts im Auto mitnahm, vergewaltigte und schwer verwundet im Wald liegen ließ. "Ich habe nur überlebt, weil ich mich auf allen Vieren zum Zollhaus geschleppt habe", berichtet sie. Die Narben der Verletzungen spürt sie noch heute.
Gewalt in der Ehe hat sie nicht erfahren müssen, betont sie. Demütigungen schon, als sie im Krankenhaus lag und währenddessen von ihrem Mann mit anderen Frauen betrogen wurde. Schließlich setzte er sich nach Afrika ab und hinterließ ihr und dem gemeinsamen Sohn einen Berg voller Schulden. Was tut man nicht alles für die Liebe des Lebens? Sie hatte für ihren Mann gebürgt.
"Wenn du alles verlierst..."
"Wenn du alles verlierst, plötzlich obdachlos bist und der Gerichtsvollzieher, wenn er dich zufällig in der Stadt trifft, deinen Geldbeutel kontrolliert und dir die 20 Mark wegnimmt, die du noch hast..." Hildegard Stolper war am Ende.
Damals hat sie sich jedoch geschworen: "Wenn es mir wieder gut geht, dann helfe ich anderen Frauen." Das Versprechen hat die gläubige Katholikin, die immer auf den Herrgott vertraut, erfüllt. Wie sie es geschafft hat, von ganz Unten wieder auf die Beine zu kommen und finanziell Fuß zu fassen? "Das Handeln war schon immer mei Wedda", sagt sie lächelnd und erzählt, wie sie als Sechsjährige den Kirchgängern von Mariahilf für "a Zehnerl" Schlüsselblumen verkauft hat.
Mit 100 Mark hat sie 1991 angefangen, eine Handelsfirma aufzubauen. Erst in der Garage, dann im großen Stil in den Hallen der Spedition Sebert an der Regensburger Straße. Es wurde ein Erfolgsmodell daraus und sie konnte die Schulden zurückbezahlen.
Nebenbei hat sie als Ehrenamtliche im Passauer Frauenhaus gewirkt, vor zehn Jahren die Leitung übernommen und 2016 ein neues Frauenhaus gebaut. Mit großer Unterstützung des Bischofs, der in dem Film ebenfalls zu Wort kommt und berichtet, dass er diese engagierte Frau, die so viel auf die Beine stellt, unbedingt kennen lernen wollte.
Auch wenn sie selbst kein Wort darüber verliert, so hat sie mit ihrem eigenen Vermögen entscheidend dazu beigetragen, dass es das neue Frauenhaus überhaupt gibt, betont eine alte Freundin von Hildegard Stolper gegenüber der PNP. Ihr ist es "ein Herzenswunsch, dass Frau Stolper in dieser Angelegenheit auch mal gewürdigt wird".
Ein Leben lang gegen Gewalt an Frauen – so könnte man den Film "Lebenslinien", der eine knappe Dreiviertelstunde dauert, auch betiteln. Vor der Ausstrahlung am Montag um 22 Uhr ist "die starke Frau von Passau" als Studiogast in der BR-Sendung "Wir in Bayern". Anschließend will sie von München schnell nach Hause, um den Film anzuschauen. Gerne hätte sie ihre Nichten dazugeholt – ihr Sohn wohnt zu weit weg. Aber wegen Corona wird sie ihr Leben mit all den Höhen und Tiefen wohl alleine Revue passieren lassen. Und natürlich darauf hoffen, dass viele Fernsehzuschauer ihr Herz sprechen lassen und sich für ihr Lebenswerk Frauenhaus großzügig zeigen werden.
M2: Bild von Hildegard Stolper
M3: Didaktische Impulse
1. Verfasse einen Dankesbrief an Frau Stolper. Gehe dabei auf die Aspekte Ihrer Arbeit ein, die du besonders bewunderst. Tausche anschließend den Brief mit deinem/r Sitzpartner/in und lest ihn euch gegenseitig vor.
2. Suche in deinem Umfeld nach Personen, die sich auch sozial oder ehrenamtlich engagieren. Gibt es Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu Frau Stolper?