Stauder, Willi
Thema: Armenhilfe, Eine Welt, Nächstenhilfe
M1: PNP, 13.05.2009, Nr. 109, S.35
100 Tonnen für die Ärmsten der Armen
Von der Babynahrung bis zum kompletten Schlafzimmer − Willi Stauder aus Aicha vorm Wald hat die Hilfe für Rumänien zu seinem Lebenswerk erklärt.
von Elke Fischer
Exakt 36 Bananenkisten hat er feinsäuberlich auf den Pkw-Anhänger in der Garage gestapelt. Mit stoischer Gelassenheit erledigt Willi Stauder seine schweißtreibende Arbeit − zweimal an diesem Nachmittag, bis schließlich 72 prallgefüllte Kartons im fünf Kilometer von seinem Wohnhaus entfernten Lager in Eging am See aufgeschichtet sind. Jeder Handgriff sitzt. Kein Wunder, schließlich hat der 65-Jährige aus Aicha vorm Wald in seinem Leben schon Tausende und Abertausende Kisten mit Wäsche, Damen- und Herrenbekleidung, Kindersachen, Spielzeug, Schuhen etc. bewegt.
Rumänienhilfe heißt sein Lebenswerk, das er 1993 begonnen hat. "Jeder spinnt a weng anders", meint der kräftige Mann im karierten Hemd und setzt dabei ein spitzbübisches Lächeln auf. Nein im Ernst: "Wenn man mal angefangen hat mit dem Helfen und die Not sieht, kann man nicht mehr zurück", erzählt der rüstige Rentner, dessen Herz für andere schlägt.
"Was würden die Menschen ohne unsere Lieferungen tun?" zuckt er mit den Achseln und bückt sich im selben Atemzug hinunter, um das nächste, feinsäuberlich verschnürte Paket aufzuladen. "Die Leute warten doch darauf", sagt der Vorsitzende der Aichaer Pfarrcaritas, der mittlerweile von den Karpaten bis Siebenbürgen bekannt ist und von vielen ehrfürchtig "der Patron", was so viel wie Chef heißt, genannt wird.
Mit einem Unterschied: Willi Stauder packt selbst mit an, hat sich jahrelang hinters Steuer der Lastwagen geklemmt und nach 1300 Kilometern Fahrt ganz selbstverständlich beim Abladen geholfen. Das ist es, was die Leute in Rumänien dann doch verwundert. Denn ein "Patron" hierzulande arbeitet nicht, hat Stauder immer wieder zu hören bekommen. Mittlerweile lässt er transportieren, da er ständig − anders als die Speditionen − leer zurückfahren musste und dadurch zu hohe Kosten hatte. Bis zu elf Güterfahrten organisiert er im Jahr, mit insgesamt 100 Tonnen Hilfsmitteln, die auf vier Stationen verteilt werden. Da sind auch Möbel, Kindersitze, ja sogar komplette Schlafzimmer dabei.
Sehnlichst erwartet werden die Pakete natürlich zu Weihnachten. "Glücklicherweise zeigen die Buben und Mädchen aus den Schulen im Umkreis Herz für die Kinder in Rumänien und packen jedes Jahr Weihnachtspäckchen. Das sind immer gut 1000 Stück", sagt Stauder. Das größte Problem ist für ihn nicht, die Sachen zu besorgen, sondern pro Jahr die rund 15 000 Euro für die Transporte zu sammeln. "Einen Teil des Geldes müssen wir aus unseren Rücklagen nehmen. Für heuer reicht es noch, aber wie es dann weiter geht, weiß ich noch nicht", sagt er. Aber er wäre nicht Willi Stauder, würde er nicht auch künftig Mittel und Wege finden. "Betteln brauche ich nicht, denn ich habe einige Spender an der Hand, die mich tatkräftig unterstützen. Besonders aus der Region von Vilshofen bis Pocking", berichtet der umtriebige "Geldeintreiber", der sechs Jahre 2. Bürgermeister seiner Gemeinde war. "Und das als einziger Roter in ganz Aicha", sagt er nicht ohne Stolz und betont im selben Atemzug, dass ihm "Die größte die CSU mit allen erdenklichen Mitteln zur Seite stehe. Stütze aber sind die Frauenbundorganisationen im Passauer Land", erklärt er.
Zum Projekt "Rumänienhilfe" ist er durch Zufall gekommen, weil ein Mann aus Thurmansbang immer die leeren Kisten bei Willi Stauders damaligem Arbeitgeber, einer Elektrofirma in Freyung, für die Hilfstransporte abholte. "Wir sind ins Gespräch gekommen und so bin ich dabei geblieben. Nicht zuletzt deshalb, weil viele gesagt haben, ich hätte ein besonderes Händchen beim Geldsammeln."
Die Not der Kinder − das ist es, was Stauder tief berührt und immer wieder antreibt. Eines Abends, als er die verschiedenen Fläschchen mit Babynahrung, die für seinen Enkel bestimmt waren, auf dem Küchenregal stehen sah, schoss ihm plötzlich ein kühner Gedanke durch den Kopf. Wie wäre es, wenn man die Hersteller um Hilfe bitten würde? Gesagt, getan. Noch in der selben Nacht setzte er vier Briefe auf. Und was er nie für möglich gehalten hätte: Zwei Tage später kam ein Anruf aus dem Vorzimmer von Dr. Claus Hipp mit der freudigen Nachricht, dass der Konzern helfen möchte. Tags darauf saß Stauder schon im Lkw und holte eine ganze Ladung Babynahrung in Pfaffenhofen an der Ilm ab. "100 000 Glaserl pro Jahr habe ich immer bekommen".
Eigentlich wollte Stauder nie persönlich nach Rumänien reisen. "Helfen schon, aber das Leid wollte ich einfach nicht sehen", bekennt er und verwarf diesen Vorsatz ganz schnell. Und "schuld" daran war die Oberin eines Klosters in den Karpaten, das noch heute zu seinen Empfängern gehört. "Sie wollte unbedingt eine elektrische Orgel. Da ich nicht überzeugt war, jemals eine aufzutreiben, habe ich ihr versprochen, sie selbst vorbeizubringen, wenn ich eine finden sollte", erzählt Stauder. Das Unternehmen glückte, weil man − so das Credo des unermüdlichen Helfers − nur die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt ansprechen muss. Stauder: "Der damalige Kirchenmusikdirektor Pater Norbert Weber fand das Anliegen so rührend, dass er es schaffte, die Maria-Ward Schwestern von Niedernburg in Passau zu interessieren, die schließlich das Geld für eine nagelneue Orgel besorgten. Da blieb mir nichts mehr anderes übrig − ich musste nach Rumänien."
Seither besucht er einmal im Jahr mit Ehefrau Klara, die ihn bei seinem Engagement unterstützt, die vier Stationen, die von der Rumänienhilfe der Pfarrcaritas Aicha vorm Wald mit dem Nötigsten versorgt werden. "Sie sollten mal diese Dankbarkeit, diese Herzlichkeit erleben", sagt Stauder mit glänzenden Augen. Letztes Mal hat ihn eine alte Frau in einem Bauerndorf umarmt, weil sie irgendwann einmal ein paar Schuhe aus der Hilfslieferung bekommen hatte. "Das macht einen betroffen und glücklich zu gleich", berichtet der frühere Bauhofmitarbeiter, der seit drei Jahren in Pension ist, aber noch lange nicht ans Aufhören denkt.
"Mei, die Leute wissen, dass sie bei mir die Sachen abliefern können", sagt Stauder und stellt fest, dass vor seinem Haus schon wieder neue Säcke voller Kleidung abgelegt wurden.
Vergangenen Dienstag ist der vorläufig letzte Transport nach Rumänien gegangen. Aber bis Ende September, schätzt Stauder, ist die Lagerhalle wieder restlos gefüllt. Dabei wird nur einwandfreie Ware verpackt, alles andere kommt in Säcke, die die Rot-Kreuz-Station in Eging erhält. Dort wird das Aussortierte abgeholt und zu Autoverkleidungen verarbeitet, weiß Stauder.
Freilich, ohne die Hilfe seiner Frauen ginge es nicht. Sechs, darunter Rosa, die von Anfang an dabei ist und nächstes Jahr 90 wird, sortieren eifrig einmal die Woche die angelieferten Sachen. Hinzukommen 15 Rentner aus Aicha und Eging, die beim Beladen der Lastzüge anpacken.
Bei allem Ernst für die trostlose Lage kann er sich eine besondere Episode, die er in der langen Ära der Hilfslieferungen erlebt hat, nicht verkneifen. "Sie hätte wunderbar in die RTL-Serie "Bauer sucht Frau" gepasst", lacht der gewiefte "Kuppler", der für einen einheimischen Landwirt seine guten Kontakte nach Südeuropa spielen ließ. Nachdem Stauder ("In Rumänien ist man reich, wenn man nur eine Kuh besitzt; wer zwei im Stall hat, hat schon einen großen Betrieb; folglich hat ein deutscher Bauer optimale Chancen") die Sache eingefädelt hatte, begleitete ihn der junge Landwirt nach Rumänien und fand tatsächlich die Frau fürs Leben, die er auch wenig später geheiratet hat. "Ein befreundeter Pfarrer hat gemeint, ich sollte doch noch 20 mitbringen für die Bauern der Umgebung", erzählt Willi Stauder, der aber dann doch nicht als Heiratsvermittler in die Geschichte eingehen wollte und sich ganz rasch auf seine ursprüngliche Aufgabe besann.
Und dann berichtet er von jener Geschichte, die in dem sehnlichen Wunsch gipfelt, "hoffentlich sehe ich noch einmal meine geliebte Vanessa wieder". Das unterernährte Mädchen litt an TBC und war eigentlich dem Tode geweiht. Durch die Babynahrung, die er nach Rumänien lieferte, überlebte es schließlich. "Vanessa hat ihnen das Leben zu verdanken", sagten damals die Ärzte in dem kleinen Krankenhaus von Kronstadt zu Willi Stauder und drückten ihm das vier Jahre alte Kind in den Arm. Es wog acht Kilo, fast das Doppelte, als es zwei Jahre zuvor als "aussichtsloser Fall" (so die Ärzte) eingeliefert wurde. Von einer geistigen Behinderung, die zuerst befürchtet wurde, war nicht mehr die Rede. Vanessa wurde wenige Monate später von einem italienischen Ehepaar adoptiert. Die Eltern wussten von Stauders Hilfstransporten und versprachen, ihn einmal in Aicha zu besuchen, wenn das Kind erwachsen ist. "Es müsste jetzt zwölf Jahre alt sein. Ich denke viel an die Kleine und hoffe insgeheim, Vanessa noch einmal in die Arme zu nehmen", erzählt Willi Stauder und blickt sofort wieder nach vorne, weg von allen Sentimentalitäten. Schließlich steht ein neuer Hilfstransport an.
M2: Didaktische Impulse
- Briefe an Personen schreiben. Die Methode ermöglicht einen direkten Dialog mit dem Text. Was kannst du zum Beispiel von Willi Stauder lernen? Was würdest du ihm sagen, wenn du ihm begegnen würdest?
- Gedenktafel (Todes-/ Geburtsanzeige). Fertige nach der Besprechung der Geschichte eine Gedenktafel, Todesanzeige oder Gedenkrede an, in denen du Wertungen und Wertschätzungen in die Darstellung einfließen lässt.
- Vergleich anstellen. Vergleiche die Taten Willi Stauders mit denen einer bekannten Person aus der Bibel.
- Gattung ändern. Schreibe anhand der Informationen aus dem Text ein Gedicht über Willi Stauder, in dem du zum Ausdruck bringst, warum er für dich ein Vorbild darstellt.