Roth, Elisabeth
Thema: Ehrenamt, Seelsorge, Tod/Tote
M1: PNP, 05.12.2015, Nr. 283, S. 40
Zeit für Sterbende
Elisabeth Roth (72) ist seit 20 Jahren Hospizhelferin und für andere Menschen am Ende ihres Lebens da
von Sandra Niedermaier
Fürstenzell. Elisabeth Roth entzündet mit einem Streichholz die dicke rote Kerze auf dem Fensterbrett und holt ihre Jacke aus der Garderobe. Ein Mensch liegt im Sterben, allein, unruhig. Sie ist zu ihm gerufen worden, sie wird in seinen letzten Stunden bei ihm sein, während sich die Kerze in ihrem Zuhause flackernd verzehrt. Seit 20 Jahren arbeitet die 72-Jährige ehrenamtlich als Hospizhelferin. Kommt ein Anruf vom Hospizverein, fährt sie los und schenkt ihre Zeit Sterbenden, denen selbst kaum noch Zeit bleibt.
Vom Frühchen bis zur 104-Jährigen
Viele Menschen hat sie in 20 Jahren begleitet, vom Frühchen bis zur 104-Jährigen, mitgezählt hat sie nicht. "Das Sterben wird nicht leichter, nur weil man älter wird", sagt sie. "Die Menschen haben Pläne bis zuletzt. Anzunehmen, dass das Leben zu Ende geht, ist ein schwerer Schritt. Keiner kann sich vorstellen, wie er ist. Der Tod."
Über das Sterben aber hat Elisabeth Roth in 20 Jahren viel gelernt. Dass das Sterben ein Prozess ist, der so lange dauert, wie jeder Mensch eben dafür braucht, Stunden, Wochen, Monate. Dass die Sterbenden selbst entscheiden, wann sie den letzten Schritt gehen, und dass die meisten ihn alleine gehen wollen. "Nur zweimal war ich in all den Jahren tatsächlich im Moment des Sterbens mit dabei", erzählt Roth. Schwer getroffen hat sie selbst der Tod ihres Onkels vor Jahren, eines Pfarrers, den sie daheim pflegte. In der Viertelstunde, in der sie sich hinlegte, starb er, erinnert sie sich. "Das soll so sein."
Wenn sie ins Krankenhaus, Hospiz oder Altenheim gerufen wird, dann informiert eine Schwester sie über die Vorgeschichte des Sterbenden. Dann betritt Elisabeth Roth das Krankenzimmer. "Ich bete mit den Sterbenden, ich singe mit ihnen, ich höre ihnen zu oder sitze einfach nur bei ihnen", erzählt sie. Sie will ihnen das Gefühl geben, nicht allein zu sein, wertvoll zu sein. Nebenbei ein Buch zu lesen – niemals, meint Roth. Sie schenkt Menschen ihre Zeit, denen nichts mehr bleibt außer den allerletzten Schritt zu gehen. "Ich sage ihnen: Sie dürfen zufrieden sein, es ist gut, was sie in ihrem Leben gemacht haben. Gott wird richten, was wir nicht geschafft haben." Oft gehe es nur darum, dass die Sterbenden eine Stimme hören. "Das Gehör funktioniert von allen Sinnesorganen am längsten", weiß Elisabeth Roth. Wenn sie bei ihnen ist, werden die Patienten ruhiger.
Mit Berührungen ist Elisabeth Roth sehr zurückhaltend. Die Hand leicht berühren, den Schweiß von der Stirn wischen, das Kissen zurechtrücken. Mehr nicht. "Streicheln gehört den Angehörigen", sagt sie. Die letzte Zeit im Leben eines Menschen ist etwas sehr Intimes, Vertrauliches. "Deshalb habe ich auch Schweigepflicht." Was sie erlebt, macht sie mit sich selbst aus, bespricht es mit ihrem Ehemann. "Berichte schreiben? Nein, das will ich nicht mehr."
An einen Fall erinnert sie sich besonders gern: Stunde um Stunde saß sie an der Seite einer Sterbenden im Krankenhaus. Die Verwandten wunderten sich, dass eine Fremde mehr Zeit mit der Todkranken verbrachte als sie selbst es taten. Ein junger Mann erzählte ihr über die gemeinsame Zeit mit der Tante, stundenlang. "Wieso erzählen Sie ihr das nicht selbst?", fragte sie ihn. Das machte er. Ihm taten es die übrigen Verwandten gleich. Und plötzlich saß immer jemand am Bett der Sterbenden, um ihr zu erzählen, was sie ihm bedeutete. "Schöner kann eine Sterbebegleitung nicht laufen," findet Roth.
Elisabeth Roth ist Begleiterin für Sterbende – und für Angehörige. "Verwandte können das Elend, die Ungewissheit oft nicht ertragen," erzählt sie. "Einmal besuchte ich eine Frau mit Gehirntumor, die noch einen Verwandten hatte. Aber der konnte nicht kommen. Er konnte einfach nicht."
Sie hilft den Angehörigen auch nach dem Tod, schickt ihnen Blumen, schenkt ihnen Bücher, weint mit ihnen, spendet Trost. Ihre Zeit und Aufmerksamkeit anderen Menschen zu schenken, ist für die 72-Jährige nichts, worum sie großes Aufheben macht. Sie tut es einfach. Leidet mit den Angehörigen, weint mit ihnen, beruhigt sie, tröstet sie.
Um andere gekümmert hat sich die Volksschullehrerin schon ihr ganzes Leben lang: Als sie nach der Geburt ihres Sohnes keine leiblichen Kinder mehr bekommen konnte, adoptierte sie mit ihrem Mann drei, nahm zusätzlich Pflegekinder auf. Später arbeitete sie als Musiklehrerin, übernahm Ehrenämter in der Pfarrei. Kindergottesdienste gestaltet sie noch heute mit. Von ihrem Ehrenamt als Hospizhelferin wissen viele gar nichts, meint sie.
Als sie anfing, Hospizarbeit zu leisten, begegnete man ihr oft mit Vorurteilen. "Sterbebegleitung ist oft mit Sterbehilfe gleichgesetzt worden", berichtet sie. "Sogar Ärzte haben mich angegangen." Elisabeth Roth ist froh, dass es heute Palliativmedizin und Hospize gibt, dass mehr Menschen wissen, dass sie einen Verstorbenen nach dem Tod 36 Stunden daheim aufbahren und sich so von ihm verabschieden dürfen. Dass der Tod wieder mehr ins Leben rückt.
Erinnerungsstücke an die Verwandten verteilen
Auch an ihre eigene Beerdigung hat die Hospizhelferin gedacht. Sie will keine Nachrufe, keine Reden, das Evangelium hat sie ausgewählt und das Lied "Ubi caritas et amor". Und ja, erklärt sie, auch sie würde sich freuen, wenn sie jemand begleiten würde in den letzten Wochen und Stunden. Wie sie ihr Ableben plant und ordnet, so rät sie es allen: Erinnerungsstücke an die Verwandten verteilen (möglichst gerecht!), über die Beerdigung nachdenken, Evangelien, Texte und Lieder auswählen und den Zurückbleibenden die Chance geben, sich zu verabschieden und zu trauern. "Abschied im Stillen kann ich nicht gutheißen", meint sie. "In einer Trauerfeier wird man doch aufgefangen und getragen."
Obwohl sie so viele Stunden ihres Lebens mit Tod und Leid konfrontiert ist, hat Elisabeth Roth eine überaus positive, fröhliche Ausstrahlung. "Meine Partnerschaft, meine Familie geben mir Energie", sagt sie. "Und der Glaube an Gott."
Der Hospizverein Passau ist vor 21 Jahren gegründet worden. Rund 80 Hospizhelfer sind im Raum Passau aktiv. Informationen unter 0851/53002425 oder www.hospizverein-passau.de.
M2: Bild von Elisabeth Roth
M3: Didaktische Impulse
1. Erstellt ein Akrostichon zum Thema "Sterbebegleitung"!
2. "Die Menschen haben Pläne bis zuletzt": Wenn du von deinem jetzigen Standpunkt im Leben aus an die Zukunft denkst - gibt es Pläne/Ziele, die du unbedingt einmal in deinem Leben umgesetzt haben willst? Schreibe dir diese stichpunktartig auf. Reflektiere anschließend, wie weit du bis jetzt bei der Umsetzung dieser Ziele bist, was dich daran hindert, was dich bestärkt und voranbringt,... . (Wichtiger Hinweis: Diese Liste ist nur für dich, du musst dich darüber nicht mit deinem Banknachbarn oder deinem Lehrer austauschen!)
3. Elisabeth Roth rät im vorletzten Abschnitt dieses Artikels, wie man sein Ableben planen und ordnen sollte. Lies dir diese Zeilen aufmerksam durch und befasse dich anschließend mit deiner eigenen Vorstellung von einem für dich erfüllten Abschiednehmen: Würdest du die von Frau Roth beschriebene "Vorgangsweise" so umsetzen wollen oder gibt es Punkte, die du ändern/hinzufügen/weglassen würdest? Findest du es gut, problematisch, etc., wenn man seinen Tod bzw. seine Beerdigung vorausplant? Gibt es Hindernisse, die so einen Plan nicht erfüllbar machen?
Halte deine Gedanken zu diesen Fragestellungen in einem Brief fest!
4. "Wird Elisabeth Roth zu einem Sterbenden gerufen, entzündet sie für ihn eine Kerze". Liste alle dir bekannten Sterbe-/Beerdigungsrituale auf und bewerte sie: Gibt es welche, die du selbst schon mal vollzogen hast oder einsetzen würdest? Oder gibt es auch welche, die du ablehnst? Nimm für jede Bewertung eine bestimmte Farbe und markiere die gesammelten Rituale dementsprechend.