Robl, Oliver
Thema: Hilfsbereitschaft, Nächstenhilfe
M1: PNP, 06.01.2018, Nr. 5, S.3
"Nicht Helfer-Syndrom, eher Passau-Syndrom"
von Christian Karl
Können Sie was anfangen mit dem Begriff Helfer-Syndrom? Dabei wird – einfach ausgedrückt – mangelndes Selbstwertgefühl ausgeglichen durch übertriebene Hilfestellungen gegenüber anderen...Oliver Robl: Bei uns im Verein ist da sicher keiner gefährdet, an diesem Syndrom zu leiden. Unsere Hilfe kommt von Herzen und aus der Notwendigkeit. Wir alle leiden eher unter dem "Passau-Syndrom" – in Passau gibt es immer wieder viele Menschen, die gerne solidarisch sind und eine Hilfsbereitschaft, die ihresgleichen sucht. Das erlebt man immer wieder – nicht nur bei Hochwassern und Katastrophen. Nicht umsonst hat man schon mal von "Passau als Hauptstadt der Solidarität" gelesen. In unserer Stadt fühlt man sich oft besonders verpflichtet, wenn Not am Mann ist. Und wenn man anpackt merkt man schnell, dass dann schon mal ein ganzer Stadtteil oder – ohne Übertreibung – auch mal halb Passau mit der Stadtspitze hinter dir stehen.
Bereits 230000 Euro für gut 200 Familien gesammelt Trotz "Passau-Syndrom": Wie kommt man auf die Idee, anderen Menschen in der Region mittels eines eigenen Vereins helfen zu wollen? Gab es einen besonderen Anlass?
Es gab einen Anlass: Susi Siglmüller, die Frau eines Freundes, hat sich mal Zeit genommen für einen Bekannten. Ihr war aufgefallen, dass er anders geworden ist. Sie hat hinterfragt und zugehört, was ihn bedrückt: ein dramatisches Schicksal, das der Familie widerfahren ist. Daraufhin ist Susi zu ihrem Mann gegangen und hat gesagt: Thomas, wir müssen da was machen und helfen. Daraus ist am Ende unsere erste große Aktion ,Mia fia Lena’ entstanden (es ging im Herbst 2014 um Unterstützung für die Familie eines 10-jährigen Mädchens, das auf tragische Weise wenige Wochen nach einem Unfall durch eine Gehirnblutung schwerbehindert wurde; d. Red.).
Aber wie muss man sich das mit dem Helferverein vorstellen? Wie haben sich die ersten Mitstreiter gefunden? Bei dem Fall mit Lena war damals Stefan Hopfinger, ein Arbeitskollege, der erste Ansprechpartner des erwähnten Thomas Siglmüller. Und die beiden haben dann in ihrem Grubweger Freundeskreis schnell ein schlagkräftiges Team auf die Beine gestellt. Aus jeder Branche wurde quasi jede Abteilung besetzt. Man brauchte einen, der mit Geld umgehen kann: das war Banker Tobias Pach. Man brauchte einen Steuerberater: Florian Treitlinger. Man brauchte eine Kreativabteilung: das sind bei uns Thomas Maier und Andreas Koller. Und man brauchte jemanden, der anpackt: Kurt Maier. Das Allroundtalent ist Otto Neiß, der als Feuerwehrkommandant in Grubweg sehr gut vernetzt ist. Und man brauchte ein ,Mädchen für alles‘ wie Klaus Rother.
Und Sie als Vorsitzender, welchen Part übernehmen Sie – als Stadtrat den politischen Verbindungsmann? Eigentlich haben sie mich, der etwas Erfahrung gehabt hat mit dem Organisieren von Festen, "nur für eine Aktion" geködert. Und so habe ich das auch zu Hause im Familienkreis erzählt. Ich habe dann zugesagt, die erste große Veranstaltung "Mia fia Lena" mit zu organisieren. Wir sind dabei aber ganz schnell in der Realität gelandet. Man kann nicht einfach so ein Fest für einen guten Zweck veranstalten und Einnahmen und Umsätze generieren, ohne dass das alles ordnungs- und sachgemäß abläuft. Deswegen haben wir dann gleich einen Verein gegründet. Aus "Mia fia Lena" ist dann "Mia fia di" geworden. Und so ein Verein braucht halt auch einen Vorstand. Und dazu haben meine Mitstreiter mich erkoren – zumindest für die ersten vier Jahre.
Wie kommen Sie an diese hilfsbedürftigen Menschen? Von wem erhalten Sie üblicherweise Hinweise? Hinweise über Schicksale und bedürftige Familien erhalten wir oft von Pfarreien, von Kinderhorten oder Kindergärten, aber auch von der Deutschen Krebsgesellschaft oder den Sozialämtern der Stadt und des Landkreises. Aber auch von unseren erfreulicherweise immer mehr werdenden Vereinsmitgliedern.
Wie vielen Menschen haben Sie mit welchen Leistungen bisher geholfen? In den knapp über drei Jahren unseres Bestehens haben wir bis Dezember 230000 Euro eingesammelt und für über 200 Familien ausgegeben.
Ihr einschneidendstes Erlebnis? Man bekommt schon mal einen Bittbrief über zehn Seiten in kleinster Handschrift verfasst. Darin spürt man auch viel Verzweiflung. In solchen Fällen muss man sich zunächst einmal hinsetzen und es dauert auch eine Zeit, bis man sich wieder etwas gefasst hat. In dem genannten Fall ist es um eher wenige hundert Euro gegangen, die die Familie als Überbrückung gebraucht hat, damit es irgendwie weitergeht und wieder Hoffnung bringt.
Gab es auch besonders beglückende und bestätigende Erlebnisse? Oder vielleicht auch Unerwartetes...Highlights sind sicher überraschende Spenden, wenn man aus dem Nichts plötzlich einen Anruf erhält und vierstellige Summen zugesagt bekommt. Das ist ein großes Vertrauen, das man genießt und das einen sehr zuversichtlich für die Zukunft des Vereins stimmt. Weitere Höhepunkte war sicherlich die Beteiligung bei unseren großen Spende-Veranstaltungen in Grubweg, in Gut Aichet oder in Obernzell. Da hat man wirklich gemerkt, dass ein ganzer Stadtteil oder fast eine ganze Gemeinde auf den Beinen ist und sich solidarisch zeigt – vom Kind, das sein Taschengeld spendet, bis zum Geschäftsmann, der mit einer großen Summe die Sache unterstützt.
Besonders beeindruckt hat mich zuletzt auch ein Erlebnis in der Grubweger Grundschule. Dort hat mir die Rektorin Susanne Bulicek ermöglicht, vor über 200 Schülern unseren Verein vorzustellen. Für unsere Weihnachtsaktion hat sie zuvor kleine Säckchen verteilen lassen, in die die Kinder beziehungsweise ihre Eltern was stecken durften. Als ich erzählt habe, was unser Verein so macht, war es unter den Kindern mucksmäuschenstill. Beeindruckend – wenn man weiß, wie schwer es ist, als Lehrer mal 20, 30 Kinder zu begeistern (lacht).
Gibt es vielleicht auch besondere Erlebnisse bei den Spendern?Kurios war sicherlich, dass uns mal jemand das gespendet hat, was er sich in dem Jahr durch den Austritt aus der Kirche "gespart" hat. Er möchte sich dadurch nicht besserstellen, hat er gesagt und dieselbe Summe an uns gespendet (lacht). Und bei einigen hat man auch den Eindruck, dass sie wirklich einen großen Teil eines Monatsverdiensts hergeben, weil sie sagen: Mir geht es immer noch besser als denjenigen, für die sich unser Verein engagiert.
Was hat man für Ziele in der nahen Zukunft? Gibt es neue Projekte und Aktionen?Grubweg hat einen neuen Kunstrasenplatz – uns schwebt seit Längerem ein Fußballturnier für einen guten Zweck vor. Auch ein größeres Sommerfest ist in Planung. Ansonsten sind wir eigentlich immer sehr spontan, weil man ja oft auch schnell helfen muss. Da bin ich auch ganz stolz auf meine Mitstreiter, weil die für so was auch immer schnell zu gewinnen und zu begeistern sind. Und auch mit dem beeindruckenden Lied "Nur mitananda" von Stefan Mosinger, das er extra für unseren Verein komponiert hat, haben wir noch Größeres vor. Wir haben gesehen, wie beeindruckend das Lied bei der Premiere bei einer Abendveranstaltung in der Redoute die Leute bewegt hat. Und der Titel ist ja auch irgendwie das Motto unseres Vereins.
"Passauer Lamplbrüder als faszinierendes Vorbild"Gibt es für Sie persönlich nationale oder internationale Projekte, die Vorbild sind und die Sie als persönlich nachahmenswert empfinden?Nationale und internationale Vergleiche sind für mich fast etwas übertrieben. Mich fasziniert aber einfach die Lamplbrüderschaft zu Passau als deutschlandweit älteste noch bestehende Vereinigung, die seit Hunderten von Jahren hilfsbedürftige Passauer unterstützt und beachtliche Summen ausgeschüttet hat. Die Kuvert-Aktion der Lamplbrüder war auch Vorbild für unsere Kuvert-Aktion zu Weihnachten, bei der zuletzt 18000 Euro für 80 Familien zusammenkamen. Grundsätzlich bin ich Fan von jeder Organisation, die sich ehrenamtlich engagiert und bei der man weiß, dass hundert Prozent der Spenden ankommen. Und da möchte ich auch als gutes Beispiel aus der Region die Kinderhilfe Holzland aus Haarbach nennen, die ein beeindruckendes Engagement zeigt. Diese Kollegen, die auch beraten und betreuen, haben wir zuletzt beim Benefiz-Corso (alljährliche Motorrad-Tour von Hacklberg aus; d. Red.) kennenlernen dürfen.
Bei vielen Unterstützungsaktionen geht es um Familien, die vom Schicksal gebeutelt sind. Sie sind zweifacher Vater – wird man als Vater vielleicht etwas sensibler für Unterstützung?Jeder, der Kinder hat, weiß wohl, dass das das Wertvollste auf der Welt ist. Freilich ist man dann schon ganz stark sensibilisiert, wenn es in unseren Fällen auch um Kinder geht.
Was wünschen Sie dem Helferverein für das gerade gestartete Jahr 2018 besonders? Zum einen: Wir haben in diesem Jahr satzungsgemäß Neuwahlen und ich wünsche dem Verein, dass er wieder eine schlagkräftige Vorstandschaft bekommt. Und zum anderen hoffe ich, dass wir heuer unser hundertstes Fördermitglied begrüßen dürfen. Derzeit sind wir um die achtzig.
Aber Sie würden in der schlagkräftigen Vorstandschaft als Primus inter Pares schon gerne wieder ganz vorne stehen, oder?Ich wäre – glaube ich – auch ein guter Indianer. Ich muss nicht immer Häuptling sein (lacht).
M2: Bild von Oliver Robl
M3: Didaktische Impulse
1. Welche Argumente sprechen dafür, ein solches Projekt umzusetzen? Sammelt weitere Beispiele ( die ihr z.B. auf der der Local-Heroes-Homepage findet.)
2. Sucht in eurer Umgebung nach Menschen, die sich auch sozial oder ehrenamtlich engagieren. Interviewt sie nach ihren Motiven!