Renz, Tom
Thema: Ehrenamt, Zivildienst
M1: PNP, 21.20.2014, Nr. 242, S. 3
Helfen und dazulernen
Kein Urlaub mit sozialem Touch: Rund 7700 junge Deutsche leisteten im vergangenen Jahr Freiwilligenarbeit im Ausland. Darunter sind auch immer mehr Ostbayern.
von Christina Schönstetter
Die einen graben Schildkröteneier in Costa Rica ein, die anderen Weizenfelder in Afrika um. Jedes Jahr gehen mehr junge Deutsche ins Ausland, um Freiwilligenarbeit zu leisen. Mindestens 7730 Freiwillige waren es im letzten Jahr laut einer Studie des staatlich geförderten "Arbeitskreises Lernen und Helfen in Übersee". Die jungen Leute werden von staatlichen oder privaten Diensten vermittelt, ihre Aufgaben sind so unterschiedlich wie ihre Ziele.
2008 hat der Arbeitskreis erstmals die Zahlen der Freiwilligen erhoben, damals waren es rund 6000 junge Menschen. Alle Organisationen, die mehr als fünf Freiwillige pro Jahr vermitteln, sind in der Studie erfasst, das dürften nach eigener Aussage 90 Prozent aller Freiwilligendienste sein. "Beim Interesse an Auslandsaufenthalten geht die Tendenz nach oben, jedenfalls im Moment", sagt Caroline Wiemers-Meyer vom Arbeitskreis. Die doppelten Abiturjahrgänge in verschiedenen Bundesländern seien ein Grund. Vor allem Vor allem Frauen unter20 engagieren sich aber gebe es mehr staatliche Förderprogramme. "Früher konnten sich junge Leute den Aufenthalt oft nicht leisten. Mit staatlicher Unterstützung geht das jetzt."
Denn es sind vor allem junge Leute ohne Verpflichtungen, die Freiwilligenarbeit leisten. Sie sind unabhängig und gewillt, ein wenig komfortables Leben zu führen – wenigstens für eine gewisse Zeit. 89 Prozent der Freiwilligen sind zwischen 18 und 20 Jahre alt, fast alle haben Abitur. Außerdem sind weit über die Hälfte der Freiwilligen Frauen. Das liegt an den Betätigungsfeldern: "Frauen interessieren sich einfach mehr für Soziales", erklärt Caroline Wiemers-Meyer das Geschlechterverhältnis.
Veronika Scheffel aus Tüssling im Landkreis Altötting entspricht ziemlich genau dieser Statistik: Die 18 Jahre alte Abiturientin ist vor Kurzem nach Sri Lanka gereist, wo sie an einer Schule für behinderte Kinder und junge Erwachsene arbeitet. Sie nimmt sich dafür sechs Monate Zeit, es wird kein Urlaub mit sozialem Touch werden. "INGEAR – INitiative GEgen ARmut" heißt der Verein, in dem sich Veronika Scheffel engagiert, eine lokale Organisation für Entwicklungszusammenarbeit aus Eggenfelden und Regensburg, die ihrerseits ihren Ursprung in Freiwilligenarbeit im Ausland hatte.
"Ich will helfen", sagt Veronika Scheffel, "und ich will eine neue Kultur und ein neues Land kennenlernen." Schon seit Langem stand für sie fest, nach dem Abitur ins Ausland zu gehen. Mit wenig auskommen, mit Leuten zusammenarbeiten, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben, auf einer Insel, kleiner als Bayern – am Ende ist es auch ein Abenteuer.
"Es geht um eine Auszeit nach der Schule, um Sprachkenntnisse und um interkulturelle Kompetenzen, die auch für das spätere Berufsleben wichtig sind", sagt Caroline Wiemers-Meyer. Sie hat seit Jahren mit jungen Freiwilligen zu tun und kennt die Gründe für ein Engagement im Ausland. "Ich glaube nicht, dass das Helfen für die Freiwilligen im Vordergrund steht." Auch die jeweiligen Partner in den Projekten seien darauf eingestellt, dass junge Europäer und keine Fachkräfte bekämen.
Ist Freiwilligenarbeit damit nichts als Volunteer-Tourismus, Urlaub mit Selbstfindungs-Komponente? Sicher nicht, sagt Veronika Scheffel. Für die 18-Jährige wird es nicht damit getan sein, Baby-Schildkröten ins Meer zu tragen. Das Schulsystem an der Schule für behinderte Kinder wird gerade umgestellt, feste Lehrerverträge abgeschlossen und der Unterricht geregelter gestaltet werden. Veronika Scheffel wird im Unterricht helfen und wöchentliche Info-Ausflüge organisieren, bei denen die jungen Menschen mit Behinderung Busfahren lernen und in Betriebe hineinschnuppern. Auch das ist Abenteuer und Herausforderung. Aber eben nicht Urlaub.
"Ich mache mehr Arbeitals ich helfen kann"Zeit ist ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, wo Volunteer-Tourismus aufhört und echte Hilfe beginnt. Denn es braucht Zeit, bis die Freiwilligen eingelernt sind. "Im Moment mache ich vermutlich mehr Arbeit, als ich helfen kann", gibt Tom Renz zu. Der 19-jährige Passauer ist seit August in Arequipa in Peru, er unterrichtet für das von der Diözese Passau geförderte Projekt "CIRCA-MAS" an einer Schule Englisch und hilft im Waisenhaus. "Es ist schon komisch, wenn man selbst gerade aus der Schule kommt und dann unterrichtet", sagt Renz. In der Schule trägt er einen Anzug: "Dann wird man als Lehrer akzeptiert."
Auch Tom Renz ist vor allem im Ausland, um neue Erfahrungen zu machen und Spanisch zu lernen. Und weil er noch nicht weiß, was er studieren will. "Nach dem Abi hat man für so etwas Zeit, später nicht mehr", sagt der 19-Jährige. Er ist mit "weltwärts", dem Freiwilligendienst des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nach Peru gekommen. Ein Jahr wird er bleiben, so wie die Mehrheit der Freiwilligen: Bei "weltwärts" engagieren sich 87 Prozent der jungen Helfer elf bis 13 Monate, bei den anderen Vermittlern ist es ähnlich.
Veronika Scheffel gehört zu der deutlich kleineren Gruppe der Freiwilligen, die ein halbes Jahr bleiben. Sie hat dafür im Vorhinein beweisen müssen, dass es ihr ernst ist mit dem Helfen: Es gab Treffen mit den Organisatoren des Vereins, viele Telefonate. Die 18-Jährige ist vorbereitet auf Sri Lanka.
Dabei wollte sie eigentlich nach Afrika, sagt Veronika Scheffel. Wer armen Menschen helfen will, der denkt eben an Afrika – durchaus zu Recht. Doch über ihren Lehrer kam sie zu "INGEAR" und nach Sri Lanka. Laut Statistik werden die meisten Freiwilligen nach Europa, in den Kaukasus und Zentralasien, gefolgt von Lateinamerika und der Karibik entsendet. Afrika, die klassische Freiwilligen-Region, landet auf dem dritten Platz.
Der Passauer Tom Renz ist überrascht vom relativ hohen Lebensstandard in Peru. Er fühle sich gar nicht wie in einem Schwellenland. Und mit neuen Erfahrungen kann er auch schon aufwarten: Vier Erdbeben, quasi typisch südamerikanisch, hat er schon miterlebt.
Infos zu Freiwilligenarbeit: Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee e.V. auf www.entwicklungsdienst.de; weltwärts auf www.weltwaerts.de; INGEAR – INitiative GEgen ARmut e.V. auf www.ingear.de; CIRCA-MAS über die Diözese Passau, Pater Ramirez 0851/3931430; Kinderträume Ghana e.V. unter www.kindertraeume-ghana.de
M2: Bilder
M3: Didaktische Impule
1. Auch du hast die Chance, Freiwilligendienst im Ausland zu leisten. Informiere dich über die angegebenen Internetseiten über Organisation und Planung. Wähle eine Reiseziel aus und stelle es deinen Mitschülern vor.
2. Deine Eltern sind dagegen, dass du einige Zeit im Ausland verbringst um "dort Urlaub zu machen und nebenbei ein bisschen freiwillig zu arbeiten". Finde Argumente, um sie umzustimmen. Gehe dabei auf den Vorwurf ein, dass es sich hierbei nur um Urlaub handeln würde.