Realschule Tittling
Thema: Eigeninitiative, Solidarität
M1: PNP, 10.02.2018, Nr. 35, S.41
Hilfe für Tansania: Kinder sammeln für Kinder
Zwei Realschullehrerinnen rufen Tansania-Hilfe ins Leben – Sammeleuphorie unter Schülern – In Faschingsferien fliegt Lehrerin Regina Kiel mit ihrer Tochter hin
von Sandra Niedermaier
Die Passauer Erzieherin Franziska Bauer unterstützt die Organisation "Africa Amini Alama" derzeit als Volontärin in Tansania. Über sie kam der Kontakt nach Tittling zustande. − Foto: Johannes Bauer
Tittling. Alles begann mit einem Aushang. Die siebenjährige Marie las Ende November an der Eingangstür ihrer Grundschule von einem Hilfsprojekt für Tansania. Geld für eine Milchkuh für ein afrikanisches Waisenhaus wurde da gesammelt; und auf dem Aushang erkannte sie die Franzi wieder, ihre Erzieherin aus dem Hort. "Da habe ich meine ganze Familie gefragt, ob sie Geld geben für Tansania", sagt die Siebenjährige. Und was mit ein paar Anrufen startete, führte zu einer Euphorie im Spendensammeln bei Tittlinger Realschülern, einer Milchkuh in Ntoma, Spenden in Höhe von 5380 Euro und zwei Flugtickets nach Tansania.
Doch der Reihe nach. Die siebenjährige Marie klemmte sich erstmal hinters Telefon und rief Oma und Opa an, ihre Tanten, Freunde der Familie, einen nach dem anderen. Auf einer Liste notierte sie fein säuberlich Namen und Beträge. Anruf für Anruf summierte sich ein schöner Betrag: 260 Euro waren es nach einer Woche. Nur hinter den Namen "Fridolin" und "Pferdie" steht null Euro. "Das sind meine Katzen", erklärt Marie, während sie einer Barbie das Haar kämmt.
Das war schon ganz gut, fand Marie. Sie hatte aber noch eine weitere Idee: eine Tombola auf dem Pausenhof zu veranstalten, bei der sie alte Spielsachen verkaufte, die sie nicht mehr brauchte. Für zehn Cent das Stück. "Ein Stickerfußballheft, einen Kugelschreiber mit einer Rose, Softbälle und Schlüsselanhänger als Trostpreise", zählt Marie auf. Der Verkauf war anstrengend: "Alle sind auf mich zugestürmt, das war ein Durcheinander", erinnert sich das Mädchen. Rund 20 Euro hat sie eingenommen – und nebenbei hat sie ihre Mama Regina mit ihrer Begeisterung angesteckt, für das Waisenhaus zu sammeln.
133 Paare Schuhe waren es am Ende, die Schüler der Realschule Tittling für Kinder in Tansania gesammelt hatten. Initiatoren der Hilfsaktion "Schüler für Schüler" sind Lehrerin Regina Kiel (Mitte) mit Tochter Marie und Referendarin Julia Möbius (l.). − Foto: Frauke Graf
Regina Kiel, 43 Jahre alt, Realschullehrerin für Kunst, Werken und Englisch in Tittling, rief an ihrer Schule ein eigenes Projekt ins Leben, zusammen mit Deutsch- und Geschichte-Referendarin Julia Möbius (25). "Schüler für Schüler" nannten die beiden die Hilfsaktion. An vielen Nachmittagen saßen sie zusammen, voller Tatendrang, und tüftelten an ihrem Projekt. "Da hängt ein großer bürokratischer Rattenschwanz dran", erklärt Regina Kiel und schlägt einen dicken, grauen Leitzordner auf. Regina Kiel war dabei: die Kreative. Julia Möbius: die Strukturierte. Und so stellten die zwei Seite an Seite die Aktion auf die Beine.
Geld für die Kuh war in zwei Wochen gesammeltDie Protagonisten aber waren: die Schüler. "Die waren gleich Feuer und Flamme", erzählt Regina Kiel. Die Kinder der Klassen 6a und 7d boten sofort an, an den Wochenenden in ihren Heimatorten von Haustür zu Haustür zu laufen und um Spenden zu bitten. Dafür erstellte Regina Kiel eine Mappe, die die Kinder vorzeigen konnten. Und das Haustürsammeln wurde ein großer Erfolg: Die Kinder sammelten 1817,20 Euro in zwei Wochen. "Das hätte ich nie erwartet. Ich war völlig aus dem Häuschen. Eine Schülerin hat sogar 270 Euro ganz allein gesammelt", sagt Regina Kiel. Ziel erreicht: Eine Milchkuh für das Waisenhaus im Ort Ntoma in Tansania kostet etwa 1000 Euro; sie konnte also gekauft werden. Für die Spender bastelten die Schüler im Unterricht Dankeskarten mit Fotocollagen.
Eigentlich könnte die Geschichte an der Stelle enden. Aber: "Wir konnten einfach nicht aufhören: Die Schüler waren so euphorisch. Sie hatten ständig neue Ideen, wie wir noch Spenden sammeln könnten", sagt Julia Möbius. "Da haben wir uns gesagt: Jetzt steigen wir groß ein", erzählt Regina Kiel. Also luden die zwei Lehrerinnen Professor Michael Grimm von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Passau für einen Vortrag über die historische und wirtschaftliche Lage Afrikas ein. Er in der Turnhalle. Die ganze Schulfamilie half zusammen: Bühne, Bestuhlung, Pause. Die SMV veranstaltete einen Kuchenverkauf. Ergebnis: 650 Euro. "Das Büfett war riesig", erzählt Julia Möbius, "das waren so viele Kuchen wie noch nie." Außerdem stellten sie in der Schule eine Box auf, in der man einen Euro als Spende einwerfen konnte. "80 Prozent haben gespendet, aber uns war immer wichtig zu sagen, dass es genauso ok ist, wenn man nicht spendet."
Nächster Schritt: Unternehmen anschreiben. "Passauer und Tittlinger Unternehmen, aber auch Firmen, die irgendwie mit der Schule zu tun hatten", sagt Kiel und blättert in dem grauen Leitzordner, in dem die Listen abgeheftet sind. Einen Elternbrief verschickten die zwei zusätzlich, in dem sie um Spenden baten. Ergebnis: 1000 Euro.
So viel Geld – da wollen die Leute auch sehen, wofür die Spenden verwendet werden, sagte sich Regina Kiel. Und sie selbst auch. "Ich fliege runter", entschloss sie sich, "auf eigene Kosten." Und ihre Tochter Marie: Die kommt mit. "Ich bin immer gerne gereist und wollte mal an einer internationalen Schule arbeiten", erzählt die Kunstlehrerin. "Und Marie soll sehen, wie die Menschen in Tansania leben. Wir in Deutschland haben viel zu viel von allem. Sie soll den Alltag der Waisenkinder sehen und erkennen, dass man auch mit weniger zufrieden sein kann."
"Schoki für Schuhe" bringt allein 5380 EuroImmer häufiger schreibt sie nun Whatsapp-Nachrichten an Franzi nach Tansania, die mittlerweile die Organisation "Africa Amini Alama" als Volontär unterstützt. 92 Kilogramm Gepäck dürfen Regina Kiel und ihre Tochter für den Flug mitnehmen: Handgepäck und vier Koffer zu 23 Kilo. "Da kam uns die Idee, Sachspenden einzupacken.". Im Briefeschreiben hatten sie ja nun schon Routine. Und so fragten sie schriftlich bei Firmen, Eltern, Schülern und Lehrern an. Das Ergebnis waren kiloweise Sachspenden: Schachteln voller Stifte und Schokolade. Aber vier Koffer voller Schokolade nach Afrika bringen?
"Schoki für Schuhe" lautete da die Antwort der findigen Realschüler. Die Kinder, die Franzi in Tansania betreut, brauchen Schuhe und Kleidung – die deutschen haben genügend alte Sachen und essen gerne Schokolade. So kam der Tauschtag an der Realschule zustande: Schüler nahmen alte Sport- und Fußballschuhe mit und tauschten sie gegen einen Schokonikolaus ein. Hauptverantwortlich waren hier die Kinder der 5a. "Die Schüler sind immer selbstbewusster geworden, auch, als sie die Anerkennung von außen gespürt haben", freut sich Regina Kiel, "ihr Engagement zu sehen, war auch für uns sehr motivierend. Ein Kind hilft einem anderen Kind: Manchmal kriege ich mich gar nicht mehr ein, so glücklich und stolz bin ich." Die Summe lässt einem kurz die Luft anhalten: 5380 Euro. Außerdem 133 Paar Schuhe.
"15 Stunden Flugzeit", sagt hingegen die siebenjährige Marie. "Ich bin so aufgeregt wie noch nie im Leben." Und fügt gleich ganz tapfer hinzu: "Aber ich halte es aus." Mit ihrer Mama wird sie bald in den Flieger nach Momella in Tansania steigen, das nahe des Kilimandscharos liegt. Vor Ort wird Kiel dann zusammen mit Franzi und der Hilfsorganisation, geleitet von zwei österreichischen Ärztinnen, entscheiden, wofür das Geld konkret ausgegeben wird, wo der dringendste Bedarf ist. "Wir wollen nicht als die großen Gönner auftreten, wir wollen ihnen helfen, selbstbestimmte Zukunftsperspektiven aufzubauen." Wie das genau ausschauen könnte, hat sie schon überlegt: Eine Patenschaft für ein oder mehrere Schüler, die 30 Euro im Monat kostet und den Schulbesuch ermöglicht. Eine Verschönerung des Waisenhauses. Die Teilnahme am Kilimandscharo-Marathon für einige der Kinder, die passionierte Läufer sind. Man wird sehen.
Und was passiert nach der Reise? "Die letzten drei Monate waren sehr aufregend", sagt Regina Kiel. "In der Schule läuft erstmal der Schulalltag weiter. Alles andere wird sich zeigen. Es gibt ja noch so viele Organisationen vor Ort, denen man auch helfen könnte."
M2: Bilder des Projekts der Realschule Tittling
M3: Didaktische Impulse
1. Schreibe einen Brief aus der Sicht eines Kindes aus dem Waisenhaus, das sich bei den Kindern aus Deutschland für die Spenden bedankt, und gehe dabei auch auf die Gefühle des Kindes ein: Was geht in ihm vor, als es die Sachen geschenkt bekommen hat?
2. Sucht in Gruppenarbeit nach weiteren Projekten in eurer Umgebung, die ihr als Klasse oder sogar als ganze Schule unterstützen könntet, und entwerft eine vorläufige Skizze, welche Dinge wichtig sind und auf welche Schrittte man besonders achten muss, wenn man ein solches Projekt umsetzen möchte. Haltet eure Ergebnisse auf einem Plakat fest und besprecht sie anschließend mit der Klasse.
3.Überlegt, ob ihr auch Menschen kennt, die sich in einem Projekt, wie diesem für andere eingesetzt haben? Diskutiert in der Klasse über die Motive der Menschen, die sich sozial engagieren.