Polyvas-Peter, Ilonka
Thema: Sozialarbeit, Jugend
M1: PNP, 27.02.2010, Nr. 48, S.28, Vita
Ilonka und das Prinzip Hoffnung
PNP-Serie „Frauengestalten“ - Heute: Die Streetworkerin Ilonka Polyvas-Peter will nach 12 Jahren neue Wege gehen
Von Elke Zanner
Eigentlich hätte sie an einem Samstag gar nichts verloren am ZOB. Da hat die Streetworkerin Ilonka Polyvas-Peter (57) frei. Fast jeden Samstag fährt sie von Ruderting in ihr geliebtes Passau und geht mit der Mutter einkaufen. Und fast jeden Samstag macht sie doch wieder diesen Schlenker rauf zum Zentralen Omnibus Bahnhof in der Neuen Mitte. Wenigstens schnell schauen, was „ihre Leute“ so machen.
„Ihre Leute“. Das sind die Leute vom ZOB, vom Klostergarten, von der Bahnhofsstraße und vom Inn. Sie sind zwischen 13 und 30 Jahre alt. Keine eingeschworene Gruppe wie einst die Punks von der Niha, sondern einzelne Grüppchen. „Ihre Leute“ stehen oft in der Zeitung, weil sie gestänkert, getrunken oder geschlägert haben. Es sind große Jungs mit kleinem Selbstwertgefühl. „Und je kleiner das ist, umso stärker hauen sie zu“, sagt die Streetworkerin. Es sind Mädchen, die nicht so genau wissen, was ihre Wünsche und Sehnsüchte sind. Es sind Schüler, Schulabbrecher oder Arbeitslose.
Manche haben Dauerzoff mit der Polizei. Viele von ihnen sind depressiv oder durch Drogen psychotisch. Und viele wissen nicht, wie sich Geborgenheit und Liebe anfühlen. „Die hatten meist von klein auf kein schönes Leben“, sagt Ilonka Polyvas-Peter. Weil es in der Familie Krankheiten gab oder Gewalt oder nie genug Geld da war. Doch ein versauter Start muss das Leben nicht automatisch für immer verpfuschen, der ZOB nicht die Endstation sein.
Gerade Ilonka Polyvas-Peter, die vor Jahrzehnten selbst schon einmal ganz unten war, weiß, dass man wieder nach oben kommen kann. Das Prinzip ihrer Arbeit ist das Prinzip Hoffnung. „Steter Tropfen höhlt den Stein. Man darf keinen aufgeben“, sagt sie. Und so redet sie mit den Leuten. Und redet. Und redet. Sie fragt nach den Sorgen und den Sehnsüchten. Und sie hört zu. Neulich erzählte ihr ein junger Mann, dass die Mutter ihn gerade rausgeworfen hat. „Die wird es mit dir wohl nicht mehr ausgehalten haben“, dachte sie sich und drückte ihm ihr Diensthandy in die Hand. „Jetzt ruf die Mama an und entschuldige dich“, sagte sie. Hat er dann auch gemacht. „Da lasse ich dann nicht locker.“
Die Kraft für ihre Arbeit nimmt sie aus ihrer Arbeit. Und von Gott. Das silberne Kreuz um ihren Hals ist kein modisches Accessoire, es ist ein Glaubensbekenntnis. Noch lieber als zu Gott betet sie zu Maria. Jeden Abend. „Ich muss das alles ja auch jemanden erzählen“, sagt sie. Und lacht. Sie ist überglücklich, dass sie diesen Job einst bekommen hat und es immer Leute gab, die an sie geglaubt haben.
„Das bin ich, das ist mein Stil“
Auf den Straßen Passaus wird Ilonka Polyvas-Peter häufig angesprochen. Sie ist eine markante Erscheinung in Military-Hosen, Boots und Lederjacke. Die Haare raspelkurz und weiß, zwei Ohrringe rechts, drei links. Ihr Outfit ist keine Verkleidung, um besser dazustehen bei der Jugend. „Das bin ich, das ist mein Stil“ sagt sie. Rock und Kleider trägt sie nur im Urlaub. Zum Beispiel auf den Malediven. Ein seltener Luxus, den sie sich bisher viermal geleistet hat. Denn halbwegs zur Ruhe kommt die rastlose Streetworkerin offenbar nur weit weg von daheim beim Schnorcheln. Zuhause sind die Übergänge von Dienst und Freizeit fließend.
Ihr Handy hat die Streetworkerin meist auch nach Dienstschluss an. Im Notfall fährt sie im Jogginganzug auch nachts rein in die Stadt, wenn jemand besonders traurig ist oder depressiv und es ihr zu riskant erscheint, mit dem Trösten noch eine Nacht zu warten. Ilonka Polyvas-Peter ist fast rund um die Uhr für die Jugendlichen da. „Ich möchte, dass sie ein erträgliches Leben führen können, das ist meine Hauptaufgabe“, sagt die Streetworkerin. Doch ihr Kumpel ist sie nicht. „Es gibt Grenzen, und die müssen sie auch akzeptieren. Man muss ihnen Stempen setzen“. Der Geduldsfaden reißt auch ihr. Als sie erfahren hat, wie fünf junge Männer aus der ZOB-Szene im vergangenen Jahr einen Security-Mann verdroschen haben, ist sie richtig wütend geworden. „Ich habe ihnen gesagt, wie scheiße ich das finde“, erzählt sie. Nächste Woche müssen die jungen Leute deswegen vor das Amtsgericht. Die Streetworkerin weiß, dass das in ihnen arbeitet.
An Weihnachten hat Ilonka Polyvas-Peter Post von einem „Ehemaligen“ bekommen. Mit 16 war der Mann drogenabhängig, trank und hatte eine schwere Schizophrenie. Heute hat er einen guten Job im Osten, eine Freundin und Familienpläne. „Erst jetzt kann ich dir sagen, wie wichtig du für mich gewesen bist“, schrieb er der Streetworkerin, die ihn damals oft zum Psychiater begleitete, damit er die Depotspritzen auch wirklich bekam.
Ein neuer Job im Sozialbereich
Der Erfolg der Arbeit von Ilonka Polyvas-Peter ist schwer zu messen. Aber wenn sie so etwas liest, dann weiß sie, dass ihre Arbeit nicht umsonst war. Im Schnitt machen Streetworker ihren Job drei, vier Jahre. Dann ist Schluss. Ilonka Polyvas-Peter ist schon 12 Jahre unterwegs auf den Straßen dieser Stadt. Nächste Woche wird sie 58. Die Frau, die früher im Garten mit der Motorsäge Bäume umschnitt, merkt, dass auch sie nicht jünger wird und die Energie ihre Grenzen hat. Sie hat sich bei der Stadt auf eine andere Stelle im sozialen Bereich beworben. Ihre Stelle als Streetworkerin wird neu ausgeschrieben.
VITA
Ilonka Polyvas-Peter ist gebürtige Passauerin.
Sie wuchs in er Innstadt auf und wurde nach der Schule Fotografin. Mitte der 80er Jahre ging sie beruflich neue Wege. Sie arbeitete zunächst ehrenamtlich für die psychosoziale Beratungsstelle der Caritas, absolvierte zahlreiche Fortbildungen. 1990 kam sie zur Suchtarbeitskreisgeschäftsstelle von Stadt und Landkreis und war vor allem in der Suchtprävention tätig. 1998 wurde sie Passaus erste Streetworkerin.
Ilonka Polyvas-Peter ist verheiratet und hat einen Sohn (35). In ihrer Freizeit kegelt sie gerne und liest Krimis.
M2: Bild von der Streetworkerin Ilonka Polyvas-Peter
M3: Didaktische Impulse
1. Diskutiert über die Vor- bzw. Nachteile dieser Arbeit als Streetworkerin
2. "Versetzt euch in die Lage der Jugendlichen, um die sich die Streetworkerin kümmert! Formuliert mögliche Sätze / Bewertungen / Beschreibungen dieser Jugendlicher über Frau Polyvas-Peter!"
3. Welche Fortschritte hat Ilonka Polyvas-Peter in den letzten Jahren bereits gemacht?