Ostbayerns Helden
Thema: Zivilcourage, Lebensretter
M1: PNP, 09.06.2010, Nr. 130, S. 10
Das sind unsere Helden
Sie riskierten ihr Leben, um anderen zu helfen - Sechs Ostbayern mit Rettungsmedaille geehrt - „Da denkt man nicht an sich selbst.
Von Isabel Metzger
München. Sie sind Helden. Auch wenn sie sich selbst nicht als solche sehen. „In dem Moment denkt man nur an das, was passiert ist - und nicht an sich selbst“, sagt Anke Schosser (42) aus Auerbach (Lkr. Deggendorf). Sie hat einem Autofahrer das Leben gerettet und gehört damit zu den 60 mutigen Menschen, die Staatskanzleichef Siegfried Schneider (CSU) gestern im Antiquarium der Münchner Residenz mit der Bayerischen Rettungsmedaille ausgezeichnet hat. 40 weitere Helden erhielten die Christophorus-Medaille.
„Ich fühle mich nicht als etwas Besonderes. Das Besondere ist, dass ich noch lebe.“
Dr. Gerhard Schwarzer (54) hat etwas getan, was nur wenige für Menschen tun würden, mit denen sie nur beruflich verbunden sind. Der Dingolfinger Rechtsanwalt hat sich im vergangenen Jahr im Landshuter Gericht einem Amokschützen in den Weg gestellt und damit seinen Mandanten das Leben gerettet.
Ein 60-jähriger Dingolfinger hatte am 7. April wegen eines Erbschaftsstreits seine Schwägerin Brigitte G. erschossen und eine weitere Schwägerin schwer verletzt. Dass es nicht noch weitere Todesopfer gab, ist ausschließlich Gerhard Schwarzer zu verdanken. „Kurz zuvor war der Amoklauf von Winnenden passiert“, sagt der Anwalt. „Da dachte ich mir, wie kann jemand wahllos Menschen erschießen, ohne dass jemand dazwischengeht?“ Knapp einen Monat später befand sich Schwarzer selbst in dieser verzweifelten Situation. „Ich habe sehr wohl überlegt“, erinnert sich der 54-Jährige. „Dann habe ich die Chance gesehen, ihn zu entwaffnen.“
Gerhard Schwarzer stürzte sich auf den Täter
Gerhard Schwarzer stürzte sich auf den Täter und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. „Ich lag auf ihm, dann drückte er nochmal ab.“ Ein Schuss traf Schwarzer in die Brust. Wegen seiner lebensgefährlichen Verletzung konnte der Anwalt den Täter zwar nicht aufhalten. Die anderen Menschen im Visier des Amokschützen konnten sich jedoch in Sicherheit bringen. „Mein Schwager Fritz W., mein Neffe Jonas und ich haben nur deshalb überlebt“, betont Georg Grimm, Bruder der Getöteten. Der Täter richtete sich anschließend selbst.
Schwarzer schwebte drei Tage lang in höchster Lebensgefahr. Doch nicht nur körperlich hat die Bluttat gewaltige Spuren hinterlassen. Der Anwalt konnte seinen Beruf ein Jahr lang nicht ausüben. Die Mandanten blieben in der Konsequenz aus. Seine Kanzlei in Reisbach (Lkr. Dingolfing-Landau) werde er schließen müssen, erklärt Schwarzer: „Ich muss mir eine neue Arbeit suchen.“ Als Selbstständiger habe er nach dem schrecklichen Vorfall keine finanzielle Unterstützung erhalten. Nicht einmal Schmerzensgeld.
„Sie haben ohne zu zögern gehandelt, unabhängig von Alter, Geschlecht und Nationalität“, lobte Staatskanzleichef Schneider bei der gestrigen Feierstunde die Helfer. „Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort und haben das Richtige getan.“
Anke Schosser hat alles vorbildlich gemacht. Ihre achtjährige Tochter war dabei, als die Mutter im vergangenen August ins Wasser sprang, um einen Autofahrer vor dem Ertrinken zu retten. Der Mann war bei Hengersberg (Lkr. Deggendorf) mit seinem Wagen von der B 533 abgekommen und in der Ohe gelandet.
Anke Schosser war die Erste, die zur Unfallstelle kam. „Er hat gerufen: ,Hilfe, ich ertrinke‘, erinnert sich die 42-Jährige. „Da überlegt man nicht lange.“ Sie schwamm
zu dem im Wasser versinkenden Auto, konnte aber die Fahrertür nicht öffnen, da der Wagen bereits zu tief im Schlamm feststeckte. Geistesgegenwärtig öffnete Anke Schosser die Heckklappe und zog den 200-Kilo-Mann aus dem Auto. Der hat sich übrigens bis heute nicht bei der couragierten Frau bedankt. Enttäuscht sei sie zwar nicht. „Aber über einen kleinen Anruf hätte ich mich schon gefreut.“
Peter Bauhuber (46) und Jakob Kasperbauer (68) haben für ihr selbstloses Eingreifen ein Dankeschön erhalten. Die beiden Bischofsmaiser haben im vergangenen Oktober einen 21-Jährigen bei Wainding (Lkr. Deggendorf) aus seinem brennenden Wagen gerettet. Das Auto war gegen einen Baum geprallt und auf das Dach gestürzt. Bauhuber und Kasperbauer wuchteten das Fahrzeug auf die Räder, damit sie den schwer verletzten Fahrer über das Heck bergen konnten. Für Jakob Kasperbauer war das keine Heldentat. „Das würde doch jeder machen“, sagt der 68-Jährige bescheiden.
Fährmann Stefan Weiß hat am 20. Mai 2009 einen 60-jährigen Kollegen aus der Donau gerettet, der von einer Obernzeller Gemeindefähre (Lkr. Passau) gefallen war. Der Verunglückte hatte den Halt verloren, als er eine Hausschildkröte aus dem Fluss retten wollte. Der damals 54 Jahre alte Weiß sprang dem Kollegen an der mehr als drei Meter tiefen Stelle hinterher. Dieser klammerte sich in seiner Panik so fest an den Helfer, dass beide zu ertrinken drohten. Weiß musste sich erst mit einem kräftigen Schlag befreien, um den Mann im Wasser in eine einigermaßen stabile Lage zu bringen. Mit letzter Kraft - die Strömung war wegen geöffneter Schleusen in Jochenstein doppelt so stark wie sonst - brachte Stefan Weiß schließlich das bewusstlose Opfer ans Ufer.
Drei Männer feiern ihren zweiten Geburtstag
Dank Martin Kitter aus Straubing können drei Männer am 21. Januar ihren zweiten Geburtstag feiern. Kitter (damals 37) rettete einen 50-Jährigen, einen 61-Jährigen und einen 43-Jährigen, die sich mit ihrem Auto überschlagen hatten. Der Wagen war im Landkreis Regensburg von der B 8 abgekommen, über einen drei Meter breiten Bach geflogen und auf der Beifahrerseite liegengeblieben. Als Kitter mit einem weiteren Helfer den Fahrer aus dem Auto geholt hatte, begann der Motor zu brennen. Die Helfer löschten das Feuer und bargen die beiden anderen Verletzten über das Heck.
Christophorus-Medaillen für sieben Niederbayern
Erich Eder hat am 7. Juni 2009 einen 35-jährigen Nachbarn aus dessen brennendem Haus in Gangkofen im Landkreis Rottal-Inn gerettet. Er war von einer anderen Nachbarin auf das Feuer aufmerksam gemacht worden, als Balkon und Vordach des Gebäudes bereits in Flammen standen. Obwohl schon dichter Rauch im Haus stand, lief Eder hinein und fand den Nachbarn regungslos im Schlafzimmer. Der damals 52-Jährige trug den Mann aus dem ersten Stock hinunter ins Freie und versuchte dann, den Brand mit seinem Feuerlöscher einzudämmen. Kurz darauf kam die Feuerwehr und brachte das Feuer unter Kontrolle. Eder und sein Nachbar erlitten leichte Rauchvergiftungen.
Anton Stadler, Tobias Hirl, Sebastian Kulinski und Thomas Tändler haben einen 28-Jährigen in seinem Auto vor dem Ertrinken gerettet. Der Wagen war am 7. Mai bei Taufkirchen (Lkr. Rottal-Inn) von der Straße abgekommen, gegen einen Brückenpfeiler geprallt und in den einen Meter tiefen Mertseebach katapultiert worden. Die Männer aus Falkenberg versuchten vergeblich, die Türen des Autos zu öffnen. Hirl schaffte es schließlich, in den Wagen zu kommen. Er hielt den Kopf des Schwerverletzten über Wasser, bis die Rettungskräfte eintrafen.
Julian Fruth hat im vergangenen Mai dafür gesorgt, dass zwei Mädchen (neun und elf) nach einem Autounfall in Schöfweg im Landkreis Freyung-Grafenau am Leben geblieben sind. Der erst Zwölfjährige hatte beobachtet, wie die Mädchen auf einem Skateboard sitzend unter das Auto einer Frau geraten waren, und holte in der Gemeindeverwaltung Hilfe. Weil dort gerade eine Versammlung mit vielen Bewohnern war, waren sofort viele Helfer am Unglücksort. Sie konnten das Auto anheben und die Kinder befreien. Das jüngere Mädchen wäre nur wenig später erstickt, weil es unter dem Gewicht des Wagens keine Luft mehr bekommen hatte.
Stefan Kowar hat einen betrunkenen jungen Mann am 11. Juli 2009 in Mainburg (Lkr. Kelheim) aus der Abens gerettet. Der damals 44-Jährige saß im Bierzelt auf dem Mainburger Hopfenfest, als er hörte, dass ein Mann in den Fluss gefallen sei. Kowar lief nach draußen und sprang sofort ins Wasser, weil sich der Mann in der Abens nicht bewegte. Er zog den Verunglückten, der kaum mehr bei Bewusstsein war, ans Ufer und die steile Böschung hinauf. - ism
Die jüngsten Mutigen
Schon die Kleinsten haben viel Mut und Kraft. Der jüngste Lebensretter, der gestern in der Münchner Residenz mit der Rettungsmedaille ausgezeichnet wurde, ist Maximilian Keßler aus Dachau. Im vergangenen Sommer hatte der damals Neunjährige einen kleinen Jungen im Familienbad in Dachau vor dem Ertrinken gerettet, obwohl er selbst noch nicht schwimmen konnte. Die jüngste Lebensretterin, die die Christophorus-Medaille für ihren Mut erhielt, ist die damals neunjährige Lena Pfeffer aus Neu-Ulm, die ein ertrinkendes Kind aus dem Thermalbecken des Donaubades rettete. Unter den vielen Badegästen waren sie und der damals ebenfalls neunjährige Moritz Schwertschlager die Einzigen, die geholfen haben. – pnp
Wer welche Auszeichnung erhält
Menschen, die ihr eigenes Leben riskieren, um andere zu retten, werden mit der Bayerischen Rettungsmedaille ausgezeichnet. Wer eine Rettungstat unter besonders schwierigen Umständen vollbringt, erhält nach dem Gesetz über staatliche Auszeichnungen eine öffentliche Belobigung und die Christophorus-Medaille. Seit Schaffung der Bayerischen Rettungsmedaille im Jahr 1952 haben 3592 Personen diese Auszeichnung bekommen. Mit der Christophorus-Medaille, die erstmals 1983 vergeben wurde, sind bislang 1245 Personen geehrt worden. - ism