Metzger-Weiser, Angelika
Thema: Flüchtlingshilfe, Ehrenamt, Solidarität
M1: PNP, 16.10.2015, Nr. 240, S. 17
Praxis Passau Hauptbahnhof
Die medizinische Versorgung der Flüchtlinge am Bahnhof hat eine Gruppe von Passauer Ärzten ehrenamtlich übernommen – "Das ist belastend"
von Dominik Schweighofer
"Ich muss mich immer wieder ein paar Tage vom Bahnhof zurückziehen, sonst bekomme ich Albträume", sagt Dr. Angelika Metzger-Weiser. Die Passauer Allgemeinmedizinerin muss schlucken. "Das sind Schicksale, die einen trotz aller Professionalität nicht kalt lassen." Seit Anfang September, seitdem die ersten Flüchtlinge mit den Zügen aus Österreich ankommen, ist die Ärztin am Passauer Bahnhof, um medizinische Notversorgung zu leisten. Ehrenamtlich, immer hart entlang an den eigenen physischen und psychischen Grenzen.
Es war in einer der ersten Nächte, als aus einem Provinzbahnhof das Drehkreuz für Flüchtlinge in Deutschland wurde: Dr. Angelika Metzger-Weiser war als normaler Helfer vor Ort. Damals gab es am Bahnhof noch keine gewachsenen Strukturen. "Wir haben den Menschen halt schnell einen Tee in die Hand gedrückt", erinnert sich die Passauer Ärztin, als sie zufällig eine Kollegin mit Stethoskop durch die Flüchtlinge wuseln sah. "Hallo, was machst du da?", fragte Metzger-Weiser und stürzte sich zusammen mit der Kollegin, es handelte sich um Dr. Susanne Burkert, Kardiologin am Klinikum, jede Nacht in die medizinische Nothilfe am Bahnhof.
Und das war auch dringend notwendig. Denn viele Flüchtlinge, gerade auch Kinder, seien mit ernsthaften Krankheiten und schlimmen, nur notdürftige versorgten Verletzungen angekommen. "Das große Problem ist, dass es die Neuankömmlinge praktisch noch gar nicht gibt", sagt Angelika Metzger-Weiser. "Die sind, wenn sie am Passauer Bahnhof ankommen, ja noch nicht registriert und haben damit offiziell auch noch kein Recht auf eine medizinische Versorgung." Diese Versorgungslücke zu schließen – dafür opfern sich die Ärzte mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit am Bahnhof auf.
Aufopfern ist dabei ein starkes Wort. Aber es erscheint nur angemessen, wenn man Dr. Angelika Metzger-Weiser erzählen hört. Nacht für Nacht arbeiteten die Ärztinnen, bei jedem Wetter. Untersuchungen fanden am Anfang unter einem Fahrradunterstand oder auf der Behindertentoilette statt.
So konnte es natürlich nicht weiter gehen, da waren sich die Kolleginnen bald einig. "Unsere Augenringe wurden immer tiefer", erzählt Metzger-Weiser. Also entschied man sich, die ärztliche Nothilfe am Bahnhof auf breitere Beine zu stellen. Susanne Burkert machte am Krankenhaus mobil, Angelika Metzger-Weiser bat ihre Kollegen in einer Rundmail des ärztlichen Kreisverbands um Hilfe. Mit Erfolg.
Bis zu 15 Kollegen sind inzwischen regelmäßig am Bahnhof. In einem E-Mail-Verteiler sind über 40 Ärzte aus der Region, die in den Startlöchern stehen, wenn Not am Mann ist. Viele Ärzte haben sich bereit erklärt, akute Fälle unentgeltlich in ihrer Praxis zu behandeln. Die Mediziner tragen sich in Schichtpläne ein und können tagsüber bei Notfällen über eine Bereitschaftsdienstnummer alarmiert werden. "Das machen meistens Passauer Kollegen, die dann innerhalb von 15 Minuten am Bahnhof sein können", erklärt Dr. Angelika Metzger-Weiser.
Ab 20 Uhr schlägt sich dann immer mindestens ein Arzt die Nacht am Bahnhof um die Ohren. "Da läuft das meiste auf", erklärt Metzger-Weiser. "Die Unterkünfte sind bereits voll und es gibt oft lange Wartezeiten, bis entschieden wird, wo die Menschen überhaupt hintransportiert werden können, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben." So mussten in der Nacht auf Donnerstag wieder 200 Flüchtlinge im Bahnhofszelt übernachten – im Sitzen, auf Bänken.
Immerhin hat sich die Logistik für die Mediziner inzwischen deutlich verbessert. Mit dem Zelt der Löwenbrauerei wurde am Busbahnhof auch ein Sanitätszelt aufgestellt. Seit Donnerstag kann es sogar beheizt werden. "Wir sind eigentlich ganz glücklich, wie das jetzt so läuft", sagt Metzger-Weiser. Die Stadt sei sehr kooperativ und viele Apotheken hätten Medizin im großen Stil gespendet. Dringend notwendig, denn wegen der inzwischen eingesetzten Kälte kämen nun auch vermehrt unterkühlte Flüchtlinge, besonders Kinder.
Während sich in der Clearingstelle in den Paul-Hallen Bundeswehrärzte um die Flüchtlinge kümmern, wird die ärztliche Versorgung am Bahnhof erstmal in ehrenamtlicher Hand bleiben. Dabei leisten die Ärzte im Stillen Großes. So wie ein junger Medizinstudent aus dem jordanischen Amman, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Täglich ist er vor Ort – nicht nur als Mediziner, sondern wegen seiner Arabischkenntnisse auch als Dolmetscher und Vermittler für die Flüchtlinge. "Dieser Mann ist unglaublich, der setzt sich ein, das ist der Wahnsinn", sagt Angelika Metzger-Weiser.
Dabei ist es manchmal nur schwer zu verdauen, was die Nothelfer in weiß täglich erleben: Eine Frau mit drei nur mit einem Messer amputierten Fingern – ein Andenken von serbischen Schleusern – Männer mit Knochenbrüchen, die sie sich in Ungarn von prügelnden Polizisten eingehandelt hatten, oder gerade erst am Wochenende ein vollkommen dehydrierter Zweijähriger. Doch dann gibt es auch immer wieder Geschichten, die den Helfern ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Wie die einer hochschwangeren Frau, die sofort nach ihrer Ankunft ins Krankenhaus gebracht wurde. Gleich in der Nacht bekam sie ihr Kind. Der Name des Nachwuchses – German. Der kleine "Deutsch" ist wohlauf.
M2: Bild von Dr. Angelika Metzger-Weiser bei der medizinischen Versorgung eines Flüchtlings
M3: Didaktische Impulse
1. Rund um die Uhr ehrenamtlicher Einsatz - oft bis in die Nacht hinein: Das ist nicht für jeden selbstverständlich. Schreibe in Stichpunkten nieder, welche Motive Frau Dr. Angelika Metzger-Weiser wohl bewegt haben, dass sie ehrenamtlich den Flüchtlingen hilft. Lass bei deinen Überlegungen auch die Lage der Flüchtlinge (wochenlange Flucht, Familie zurückgelassen, sprechen kein - nur wenig Deutsch, kennen sich hier nicht aus,...) miteinfließen!
2. Nicht immer birgt ein ehrenamtlicher Einsatz nur gute Seiten - "immer hart entlang an den eigenen physischen und psychischen Grenzen" zu arbeiten, kann auf Dauer auch negative Folgen haben. Suche im Text die Stellen heraus, in denen Frau Dr. Angelika Metzger-Weiser über Probleme ihres Engagements spricht. Fallen dir noch andere Schwierigkeiten ein, die sich ergeben können, wenn man neben seinem Beruf noch ehrenamtlich tätig ist? Liste sie kurz und knapp auf!
3. Betrachte nun noch einmal die positiven und negativen Aspekte, die du unter 1. bzw. 2. gesammelt hast. Nimm dann speziell auf die freiwillige Flüchtlingshilfe bezogen begründet eine Position ein (Flüchtlingshilfe pro/ contra) und teile sie in einem Brief an Dr. Metzger-Weiser mit! Egal, wie du dich entscheidest: Bringe auch mindestens 2 Aspekte der anderen Position mit ein, in denen du dann entweder der Ärztin Lob aussprichst für ihr Engagement oder in denen du ihr gutgemeinte Ratschläge geben willst, worauf sie achten sollte!
4. Es muss nicht immer gleich eine medizinische Versorgung sein - oft bereiten auch kleine Dinge Freude oder zeigen Mitgefühl. Überlegt euch in der Klasse, wie ihr (allein oder im Klassenverbund) den Flüchtlingen helfen könnt. Gibt es Sachen, die sie gebrauchen könnten? Oder Worte/bestimmte Haltungen ihnen gegenüber, die ihnen ein gutes Gefühl geben? Denke dabei auch darüber nach, wie du als Flüchtling gerne in einem neuen, fremden Land empfangen und aufgenommen werden wolltest!