Leitl-Weber, Angelika
Thema: Armenhilfe, Ehrenamt, Hilfsbereitschaft, Sozialarbeit
M1: PNP, 29.09.2021, Nr. 226, S. 20
Helfen als Berufung
Angelika Leitl-Weber leitet die Passauer Bahnhofsmission
von Charlotte Römer
"Ich bin eine Problemlöserin" – so beschreibt sich Angelika Leitl-Weber selbst. Die 55-Jährige leitet seit 2012 die Passauer Bahnhofsmission. Ihr Arbeitsalltag besteht aus den kleinen und großen Sorgen der Menschen.
Direkt am Bahnsteig liegen die Räumlichkeiten der Organisation. Im vorderen Teil stehen Tische und Stühle für die Gäste. Natürlich Corona-konform mit Plexiglasscheiben voneinander abgetrennt. Dahinter liegt der Arbeitsplatz von Leitl-Weber und ihrem Team. In der Küche schmieren die Mitarbeiter der Bahnhofsmission Brote und kochen Kaffee, jeden Tag außer Sonntag gibt es hier kostenloses Frühstück. Am Fenster befindet sich Leitl-Webers Büroecke.
Angelika Leitl-Weber hat Architektur studiert und mehrere Jahre in ihrem Beruf gearbeitet. "Dann habe ich ein behindertes Kind auf die Welt gebracht. Daher konnte ich meinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben. Deshalb habe ich nach einem Ehrenamt gesucht, das mich ausfüllt.
So kam ich 2004 als Ehrenamtliche zur Bahnhofsmission." Als Mitglied der Bahnhofsmission ist sie durch ihre blaue Weste erkennbar. Über 16 Jahre ist Leitl-Weber jetzt schon dabei. "Ich habe sehr schnell gewusst, dass die Arbeit hier das Richtige für mich ist." Seit 2012 ist sie mit der Leitung betraut. 20 Stunden die Woche verbringt Leitl-Weber in der Bahnhofstraße 29, langweilig wird ihr dabei nie. "Jeder Tag ist anders und hält neue Herausforderungen bereit." Ob Reisehilfe, Frühstück machen oder bei Anträgen helfen, die 55-Jährige unterstützt wo sie kann.
"Bei uns gibt es keine Probleme, die sich nicht lösen lassen. Niederschwellige Hilfe ist der Schlüssel. Wenn jemand Hunger hat, gebe ich was zu essen mit. Wenn einer keine warme Jacke hat, organisiere ich eine von der Caritas und auch sonst helfen wir in allen Bereichen."
Oft vermittelt Leitl-Weber ihre Gäste auch einfach an die richtigen Ansprechpartner bei anderen Caritas-Organisationen weiter wie die Schuldnerberatung, Straffälligenhilfe oder Suchtberatung. "Das Wichtigste ist, dass die Menschen krankenversichert sind. Wenn sie es nicht sind, müssen sie sich freiwillig versichern und das führt meist zu hohen Schulden."
Obdachlosen Geld zu geben sei keine gute Hilfe. "Viel wichtiger ist es sich Zeit zu nehmen und den Menschen zuzuhören. Oft versteht man die Probleme der Leute erst wenn man länger zuhört." Zudem würden viele Menschen stark stigmatisiert: "Obdachlose Menschen werden häufig dumm angemacht oder wie Luft behandelt. Ich glaube der Grund dafür ist, dass die Leute eine gewisse Urangst vor Obdachlosigkeit haben". Das Thema sei auch mit großer Scham behaftet. Seine Wohnung zu verlieren kann schnell gehen. Scheidung, Job weg, Wohnung weg – solche Lebensgeschichten begegnen Leitl-Weber oft.
"Die Menschen sind sehr frustriert. Einsamkeit ist auch sehr schlimm. Deswegen sind Orte wie hier, wo sie den ganzen Tag hinkommen können so wichtig." Die Corona-Pandemie habe diesen Frust noch vergrößert. "Es hat sich bei einigen eine hohe Aggressivität aufgebaut, die vorher so nicht da war." Durch den Lockdown wurden obdachlose Menschen noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch in der Bahnhofsmission gilt die 3G-Regel und Maskenpflicht. "Ab und an kommen Leute zu uns, die die 3-G Regel nicht erfüllen. Wir weisen sie nicht komplett ab, sondern reichen Essen und Trinken durch das Fenster." Die große Mehrheit der Gäste sei aber geimpft. "Wir hatten auch Impfaktionen in der Bahnhofsmission und das wurde sehr gut angenommen."
Die Schicksale der Menschen lassen sie oft nicht los. Ihr soziales Engagement reicht weit über ihre Arbeitszeit hinaus. So ist sie ehrenamtlich als rechtliche Betreuerin für zwei suchtkranke Männer tätig, die sie aus der Bahnhofsmission kennt. "Das ist viel Aufwand und Bürokratie. Der eine ist gerade umgezogen, das war natürlich viel Arbeit. Der andere braucht eine neue Brille, da müssen auch wieder Anträge gestellt werden."
Ihre soziale Ader wurde ihr in die Wiege gelegt. "Schon meine Mutter war immer ehrenamtlich tätig, zum Beispiel im Frauenhaus. Da war ich von klein auf dabei." Im sozialen Bereich zu arbeiten sei für sie die größte Erfüllung.
Das hat sie auch an ihre drei Kinder weitergegeben. "Weihnachten bin ich auch immer bis Mittag in der Bahnhofsmission. Das war immer mein Wunsch an meinen jüngsten Sohn. Er sollte mir nichts schenken, aber Weihnachten mit mir hier verbringen."
Leitl-Weber ermutigt jeden sich ehrenamtlich zu engagieren. "Die Arbeit ist wichtig und sehr erfüllend. Außerdem ergeben sich durch das Ehrenamt auch Quereinstiege in den Beruf."
M2: Bild von Angelika Leitl-Weber
M3: Didaktische Impulse
1. Was ist ehrenamtliche Arbeit überhaupt? Recherchiere mit einem*r Partner*in den Begriff "Ehrenamt" und entfaltet daraus gemeinsam eine eigene Definition.
2. Engagierst du dich bereits ehrenamtlich? Oder kennst du eine Person in deinem Umfeld, die ehrenamtlich aktiv ist? Tauscht euch in eurem Kurs aus und sammelt die verschiedenen Ehrenämter.
3. Lies dir zuerst alleine den weiteren Artikel "Bahnhofsmission" unter dem Reiter "Ehrenamt" in der local-heroes Datenbank durch. Beantworte anschließend gemeinsam mit einem*r Partner*in folgende Frage: Wer oder was ist die Bahnhofsmission?
4. Verfasse eine Urkunde für Frau Leitl-Weber. Für welche Eigenschaft wird sie besonders ausgezeichnet?