Lebensretter, Passau
Thema: Hilfsbereitschaft, Nächstenhilfe
M1: PNP, 18.12.2012, Nr. 292, S.19
Allianz von Helfern rettet Lebensmüde
Passanten verhindern gerade noch, dass 20-Jährige von der Marienbrücke in den Inn springt − Dreimal losgerissen
von Franz Danninger
Sie war so verzweifelt, so tief getroffen, dass sie nicht mehr weiterleben wollte. Liebeskummer. Also kletterte eine 20-Jährige in der Nacht zum Sonntag über das Geländer der Marienbrücke und wollte in den Inn springen.
Heute lebt sie, praktisch unverletzt − körperlich zumindest. Mehrere Passanten haben ihr junges Leben gerettet. Es gelingt ihnen, die Frau mit viel Zureden und noch mehr Zupacken am Selbstmord zu hindern. Und das nicht nur einmal, weil sie mehrmals versucht, ins Wasser zu springen.
Wäre ihr das gelungen, hätte sie wahrscheinlich nicht mehr gerettet werden können: Zum einen ist der Inn derzeit rund fünf Grad kalt, sodass ein Mensch dort nicht einmal eine halbe Stunde lang überlebt. Zum anderen hätte sie sich beim Sprung ziemlich sicher verletzt, das Wasser an der Innbrücke war am Sonntag 1,77 Meter tief. Das heißt, sie wäre schwerlich in der Lage gewesen, selbst ans Ufer zu schwimmen und wäre wahrscheinlich abgetrieben.
Das haben ihr ein paar Menschen erspart, die zufällig des Wegs kamen. Zuerst reagieren zwei Frauen, die mit dem Auto über die Brücke fahren, als sie die Lebensmüde am Geländer sehen. Warnblinker rein − und dann sofort raus zu ihr. Sie halten die 20-Jährige fest, die schreit. Das hören vier junge Burschen, die gerade am Innkai nach Hause gehen.
Sie laufen auf die Brücke, helfen den beiden Frauen, die 20-Jährige festzuhalten, die sich wehrt. Es ist kurz nach 3 Uhr, es hat um die null Grad, über die Brücke pfeift der Wind. Der Innstädter Bernd Stern ist auch auf dem Heimweg, er erfasst die Situation, kann sie umklammern und mit Hilfe der anderen endgültig über das Geländer ziehen, da sie den Neuankömmling nicht bemerkt hat.
Die Situation scheint geklärt, die 20-Jährige beruhigt sich scheinbar, setzt sich in den Schnee. "Plötzlich springt sie auf und rennt los auf die andere Brückenseite", schildert Stern. Er hastet ihr nach, sie springt über das Geländer und scheint schon runter zu fallen, da erwischt der 49-Jährige sie noch hinten an der Jacke. Er schreit den anderen um Hilfe, "weil lange habe ich sie so nicht halten können." Die anderen Helfer lassen ihn nicht im Stich, gemeinsam ziehen sie sie zum zweiten Mal auf den Gehweg zurück und schaffen sie runter von der Brücke zur Redoute. Dort trifft um 3.25 Uhr die inzwischen alarmierte Polizei ein.
Die beiden Streifenbeamten legen der 20-Jährigen Handschellen an, setzen sie ins Auto und rufen einen Rettungswagen. Stern lobt ihre Kompetenz und Freundlichkeit: "Sie haben sich sogar entschuldigt, dass sie wegen des Glatteises nicht früher kommen konnten."
Und jetzt ist Ruhe? Von wegen. Die Beamten wollten die vorläufig Festgenommene offenbar nicht hart anfassen und ließen die Handschellen locker − zu locker: Sie schafft es, ihre dünnen Hände daraus zu befreien, springt aus dem Polizeiauto und läuft in Richtung Innkai davon. Die Polizisten erwischen sie und bringen sie zurück, verfrachten sie in den mittlerweile eingetroffenen Sanka. Auch aus dem versucht sie tatsächlich, noch einmal auszubrechen, hat aber jetzt keine Chance mehr. Die Sanitäter bringen sie ins Klinikum.
Stern ist noch immer beeindruckt von der Polizei und den jungen Lebensrettern, vor allem ein junger Schreiner aus Arnstorf habe hervorragend reagiert: "Ich würde mit ihm und den anderen gerne mal auf ein Bier gehen." Ein Beruhigungsbier.
M2: Bild vom Geländer der Marienbrücke in Passau
M3: Didaktische Impulse
- Versetzt euch in die Lage der Passanten: Wie würdet ihr euch in derselben Situation verhalten? Wäre es für dich selbstverständlich einzugreifen?
- Diskutiert, wie ihr weiter vorgehen würdet, nachdem ihr die junge Frau vor dem Sprung bewahrt habt!