Lebensretter 2009
Thema: Lebensretter
M1: PNP vom 18.4.2009, Nr. 89, S. 3
Das eigene Leben riskiert, um andere zu retten
Sie haben nur das Selbstverständliche getan. Sagen sie. Aber als Menschen in Gefahr waren, haben sie die Initiative ergriffen und Leben gerettet. Dafür werden elf Niederbayern und ein Wernsteiner (OÖ) am Montag ausgezeichnet.
Von Petra Grond
Was für ein Glück, dass Christian Bachl nur 50 Meter entfernt von der Bahnlinie wohnt und dass der Ruhstorfer genau weiß, wann der Zug aus Pocking kommt. Was für ein Glück, dass die Taschenlampe gleich da stand und funktionierte. Und was für ein Glück, dass Sohn Thomas auf die zwei Leute im Auto auf den Schienen einredete, während sein Vater dem Zug entgegen rannte, um den Lokführer zur Vollbremsung zu veranlassen.
So viel Glück. Oder Fügung. Oder auch Beherztheit. „Naja, da muss man doch die Initiative ergreifen“, sagt Christian Bachl heute nur. Es war ja nicht das erste Mal, dass jemand den unbeschränkten Bahnübergang ignoriert hatte. Das war dem Bauingenieur vor 20 Jahren selbst schon einmal passiert. Und zweimal war es vor seiner Haustür schon zum Unfall gekommen. „Diesmal waren halt die Umstände ein wenig skurril“, sagt der heute 49-Jährige über den 6. November 2007.
Statt mitzuhelfen die Autotür verriegelt
Eine Untertreibung. Tatsächlich war eine Frau in Au (Lkr. Passau) mit ihrem BMW am späten Nachmittag auf dem Bahnübergang hängen geblieben. Da die 43-Jährige ebenso wie ihr neben ihr sitzender 18-jähriger Sohn stark betrunken war und nicht aussteigen wollten, gelang es Christian und Thomas Bachl nicht, den Wagen aus dem Gefahrenbereich zu schieben. Mutter und Sohn verriegelten sogar die Autotüren, als die Bachls sie aus dem Wagen ziehen wollten. Der Zug aus Pocking war schon zu hören. Ein paar Tage später schämte sich die Frau: „Ich hatte getrunken, etwa sechs Jägermeister.“ Die Witwe machte gerade eine schwere Zeit durch: Geburts- und Todestag ihres elf Jahre zuvor gestorbenen Mannes standen vor der Tür, ebenso der Hochzeitstag, erzählte sie der PNP. Seit drei Jahren war die Rottalerin zudem arbeitslos, und auch der Sohn hatte weder Beruf noch Arbeit. Im Alkohol suchten beide Trost und hätten durch ihn fast ihr Leben verloren.
„Ich habe meine Aktion nicht als lebensretterisch empfunden. Aber natürlich freue ich mich jetzt über die Anerkennung“ sagt Christian Bachl. Die Anerkennung, das ist die Bayerische Rettungsmedaille. Um sie am Montag aus der Hand von Ministerpräsident Horst Seehofer entgegenzunehmen, fährt Christian Bachl mit seiner Frau und den beiden jüngeren Kindern nach München. Die zwei haben eigens schulfrei bekommen. Nur der bald 19-jährige Thomas, der zweite Lebensretter, muss an diesem Tag arbeiten.
Als Lebensretterwerden 121 Männer und Frauen am Montag im Antiquarium der Münchner Residenz geehrt. 79 von ihnen haben dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt; sie erhalten die Rettungsmedaille des Freistaats. 42 eilten unter besonders schwierigen Umständen zu Hilfe, auch wenn sie ihr Leben nicht riskieren mussten. Auf sie wartet die Christophorus-Medaille und eine öffentliche Belobigung.
Von besonders widrigen Umständen bei seinem Rettungseinsatz weiß Erwin Vormayr aus Wernstein am Inn (OÖ) wahrlich zu erzählen. Mit seiner Frau war der damals 55-Jährige am 16. Juli letzten Jahres mit den Radln auf der deutschen Inn-Seite von Neuhaus Richtung Passau unterwegs, als ihnen zwei Radlerinnen auffielen, von denen eine mit ihrem Drahtesel kämpfte. „Ich hatte gerade zu meiner Frau gesagt: ,I glaub’, die packt’s net‘, als es der Frau auch schon das Radl weggedreht hat und sie kopfüber den Hang runter in den Inn fiel“, schildert Vormayr die Situation.
„Ich bin einer feuchten Steinplatte ausgewichen, damit ich nicht ausrutsche, und bin zu weit an den Abgrund geraten“, berichtet Rosa Stolletz von ihrem schrecklichem Unfall. Sie weiß noch, dass sie vom Rad abgestiegen war - dann flog sie auch schon acht Meter tief in den nur zehn Grad kalten Inn. „Ich bin rückwärts gefallen, mit dem Kopf auf den Grund aufgekommen und durch den Aufprall wieder an die Wasseroberfläche hochgeschossen“, erinnert sich die 56-Jährige an die dramatischen Minuten.
„Ohne ihn hätte ich keine Frau mehr“
„Meine Freundin hat geschrien, dass ich näher an den Rand schwimmen soll, um mich dort an den Sträuchern festzuhalten. Ich hab die Sträucher auch erwischt, konnte aber mit den Füßen keinen Grund finden. Wenn der Herr Vormayr nicht gekommen wäre, hätte ich wohl nicht mehr lange durchgehalten.“
Erwin Vormayr, nicht nur passionierter Radler, sondern auch Bergsteiger, war, so schnell es ging, die steile Böschung hinabgeklettert. Ihm war klar, dass er die unter Schock stehende Schwimmerin niemals die acht Meter würde hinaufziehen können. Doch immerhin gelang es ihm, Rosa Stolletz ans Ufer zu zerren. Seine Frau hatte mittlerweile einen Notruf abgesetzt, und etwa 20 Minuten nach dem Sturz kamen zwei Rettungsboote und brachten Rosa Stolletz, begleitet von ihrer Freundin, nach Schärding ins Krankenhaus. „Ohne Erwin Vormayr hätte ich heute keine Frau mehr“, ist Helmut Stolletz dem Wernsteiner zutiefst dankbar. Ihn für die bayerische Ehrung vorzuschlagen, schien dem Gottsdorfer eine gute Möglichkeit, „Vergelt’s Gott“ zu sagen. Solche Vorschläge können von jedem schriftlich an die Staatsregierung eingereicht werden. „Wir schauen aber auch selber die Presse durch nach Lebensrettern, die für die Rettungs- oder Christophorus-Medaille in Frage kommen“, sagt Sprecherin Monika Linseisen.
Für Linda Grigo (28) aus Landshut, Siegfried Saatberger (40) aus Metten (Lkr. Deggendorf), Karl-Heinz Scheuermann (36) aus Ringelai (Lkr. Freyung-Grafenau), Andreas Schmalhofer (27) aus Pönning (Lkr. Straubing-Bogen) und Stefan Stumvoll (31) aus Neureichenau (Lkr. Freyung-Grafenau) wird es am Montag in München ein fröhliches Wiedersehen geben. Seit die fünf Polizisten am 2. Mai vergangenen Jahres 13 Menschen aus einem brennenden Wohn- und Geschäftshaus in Landshut gerettet haben, hat es fast jeden an einen anderen Ort verschlagen. Doch Karl-Heinz Scheuermann, der mittlerweile in Dingolfing Dienst tut, ist überzeugt: „Der damalige Einsatz ist auf alle Fälle eine Erinnerung, die wir ein Leben lang teilen werden.“
Weil ihre damalige Dienststelle keine 300 Meter von dem Haus entfernt liegt, in dem eine defekte Heizdecke im zweiten Stockwerk in den frühen Morgenstunden einen Brand ausgelöst hatte, waren die Beamten noch vor der Feuerwehr am Einsatzort. „Der Dachstuhl brannte lichterloh, die Dachziegel krachten schon herunter - die Bilder habe ich noch heute vor Augen“, sagt Stefan Stumvoll. „Der Brand war schon sehr weit fortgeschritten, aber das wirklich Heimtückische in solchen Fällen ist nicht das Feuer, sondern der Rauch“, erzählt Karl-Heinz Scheuermann. „Grundsätzlich dürfen wir in solchen Fällen gar nicht ohne Atemschutz rein.“ Doch das Risiko schien den Beamten diesmal kalkulierbar, und so stürzten sie ins Haus, nachdem sie überall Sturm geklingelt hatten, und traten die Wohnungstüren ein, um ja keinen Schlafenden zu übersehen. Besonders dramatisch gestaltete sich die Rettungsaktion in der Wohnung, in der das Feuer ausgebrochen war. Scheuermann erinnert sich: „Der 70-jährige Mann war völlig verwirrt, und seine vier Jahre jüngere, gehbehinderte Frau mussten wir mit dem Rollstuhl nach unten tragen.“
„Letztlich ist das selbstverständlich“
Am Ende waren alle Bewohner in Sicherheit. „Das hätte viel schlimmer ausgehen können“, sagt Stefan Stumvoll. „Freilich ist die Rettungsmedaille eine schöne Sache. Aber wenn man die Einstellung hat, dass man Menschen helfen und Leben retten will, wie das ja zu unserem Beruf gehört, dann ist ein solcher Einsatz ja letztlich selbstverständlich.“
Gegen Flammen und Rauch mussten auch Erwin Amann (64) und sein Sohn Wolfgang (39) kämpfen, als sie am 15. Dezember 2008 in Train (Lkr. Kelheim) ihre 78-jährige bewusstlose Nachbarin aus dem Bad retten mussten. Wie die Frau erlitten auch die beiden Helfer dabei eine Rauchvergiftung.
Und noch einmal bewiesen junge Männer Entschlossenheit im Einsatz gegen ein Feuer: Der damals 16-jährige Philipp Rauschendorfer und der damals 17-jährige Dennis Multerer aus Straßkirchen (Lkr. Straubing-Bogen) halfen am 28. Oktober 2007 mit, in Straubing eine 22-Jährige aus einem brennenden Gasauto zu retten. Da ihre Beteiligung erst im Nachhinein bekannt wurde, kommen sie jetzt zu der späten Ehrung. Der dritte Helfer, Philipp Krämer, hatte bereits 2008 die Rettungsmedaille erhalten.
Zum Helden wider Willen wurde auch Bernhard Rothmayer (50) aus Grafentraubach (Lkr. Straubing-Bogen), als ihm am 9. Mai letzten Jahres ein damals 73-jähriger Rentner buchstäblich in die Arme fiel. Der Mann hatte bei Dacharbeiten das Gleichgewicht verloren. Dank Rothmayers Geistesgegenwart erlitt er trotz des Vier-Meter-Sturzes nur eine Gehirnerschütterung und eine Platzwunde am Kopf, als er mitsamt seinem Helfer auf den Betonboden fiel.
M2: Fotos von den Lebensrettern
M3: Didaktische Impulse
All jene Helden sind für eine Tat geehrt worden, mit der sie einem anderen Menschen das Leben gerettet haben.
- Stellt einem der heldenhaften Personen eine Urkunde aus!
- Versetzt euch in die Lage eines der Opfer und verfasst einen Dankesbrief. Wie würdet ihr eurem Lebensretter danken?
- Versuche mit deinem Partner die Schlüsselszene aus einer der oben beschriebenen Heldentaten pantomimisch nachzuspielen und lasst eure Klasse raten. Achtet dabei besonders auf eure Mimik!
- Viele Menschen wurden geehrt, da sie hilflose Opfer aus einem lodernden Feuer retteten. Was mag wohl in den Köpfen der Helden vorgegangen sein, bevor sie sich in das brennende Haus / Auto stürzten? Warum haben sie sich für die lebensgefährliche Rettung entschieden? Hättest du genau so gehandelt? Diskutiere mit deinem Partner!