Kühberger, Richard
Thema: Gemeinschaft, Kirchenkritik, Nächstenhilfe
M1: PNP, 23.10.2013, Nr. 245, S. 19
Der Weltverbesserer
Unermüdlich gegen den Strom: Richard Kühberger hat den Passauer Tauschkreis "Wirgemeinsam" gegründet
Von Therese Eisele
Brot gegen Babyflaschenwärmer: Bei "Wir gemeinsam" werden Waren, aber auch Dienstleistungen getauscht. Der Werbekaufmann Richard Kühberger Foto: Jäger ist Mitgründer des Tauschkreises. −
Mit 17 hat Richard Kühberger den Wehrdienst verweigert und ist aus der Kirche ausgetreten. Er wusste genau, was er tut, bis heute. "Ich wollte nicht an der Waffe ausgebildet werden", erklärt der 52-Jährige aus Passau, der sich trotz des Kirchenaustritts als tiefgläubig bezeichnet: "Ich habe andere Wege gefunden". Andere Wege beschreitet Richard Kühberger bewusst und seit er denken kann, "auf der Suche nach einem anderen, besseren Zusammenleben", wie er selbst sagt. Seit 15 Jahren lebt Kühberger, der mit Frau, Kindern und Hund auf dem Hammerberg hoch über der Innstadt wohnt, fleischlos und meist sogar vegan.
Bewusst zu wirtschaften und Ressourcen zu schonen sind zwei der Ideale, nach denen Richard Kühberger lebt. Auch deswegen hat er vor eineinhalb Jahren mit seinem Freund Karl Heinz Huber den Passauer Tauschkreis "Wirgemeinsam" gegründet. 60 Mitglieder, viele davon an der "unteren Finanzgrenze", wie Kühberger es formuliert, zählt die Regionalgruppe der österreichischen Organisation in Passau bereits. Zwischen 30 und 70 Jahre alt sind die Menschen, die Richard Kühbergers Treffen besuchen, um Lebensmittel, Waren oder Dienstleistungen zu tauschen.
Neben dem Tauschen von Waren setzt das Netzwerk vor allem auf praktische Nachbarschaftshilfe: Wer einem anderen hilft, bekommt Zeit gutgeschrieben, die er dann bei Bedarf selbst einlösen kann. Nach der Geburt von Kühbergers Tochter im Sommer hat eine Freundin vom Tauschkreis den Kühbergers beim Hausputz geholfen. Dafür wurde ihr Zeitkonto gefüllt, auf das sie bei Bedarf zurückgreifen kann. Ob Hilfe bei Malerarbeiten, beim Entrümpeln der Garage oder Holzhacken und Gartenarbeit, die Mitglieder von "Wirgemeinsam" helfen sich gegenseitig aus – ohne Euro, dafür mit Zeitwährung. "Eine Stunde bleibt eine Stunde, völlig inflationsfrei", sagt Kühberger. Der Einzelne glaube ohnehin nicht mehr an den Euro, "jetzt müssen wir uns um Alternativen bemühen", findet Kühberger.
Für 2014 soll eine eigene, alternative Währung des Tauschkreises Passau entstehen. "Wir sind fremdbestimmt von großen Konzernen", sagt der Werbekaufmann und: "Wir hängen am Tropf". Der Tauschkreis mindere diese Abhängigkeit, erklärt Kühberger sein Engagement, der deswegen auch keine Angst vor Wirtschafts-, Finanz- oder Eurokrisen hat. "Wenn irgendwas passiert, steht alles still", so Kühberger, der dann seinen Tauschkreis am Zug sieht: "Dann lassen wir die Krise Krise sein und solidarisieren uns!" Kühberger lehnt sich zurück, er sitzt am großen, hell beleuchteten Esstisch der Familie, der 14-jährige Hund schnarcht unter dem Tisch.
Von Montag bis Freitagmittag arbeitet der gelernte Werbekaufmann im eigenen Unternehmen: "Dreiflüsse Werbemittel" vertreibt seit 1991 Tassen, Kalender, Rucksäcke, Shirts oder Sportartikel als Werbeträger. Für seinen Lebensunterhalt muss Richard Kühberger verkaufen statt zu tauschen. Bei der Herstellung der Werbemittel achtet er trotzdem auf Umwelt und Ressourcen.
Wenn Kühberger zurückdenkt, erinnert er sich an die Ölkrise und den autofreien Sonntag: "Totenstille". "Ich habe erlebt, wie es ist, wenn kein Laster mehr fährt", sagt Kühberger. Ihn beschäftigen auch die Erzählungen seiner Großeltern, die während der Weltwirtschaftskrise in den 1920ern alles verloren haben.
"Die Armen werden immer ärmer", beobachtet Kühberger auch im Umfeld des Tauschkreises, "während andere Geld horten". Damit im Tauschkreis keiner Zeit hortet, sondern Leistungen in Umlauf kommen, sind die Zeitscheine nicht unbegrenzt gültig: "Sonst wird gespart, was andere brauchen" sagt Kühberger und zitiert den libanesisch-amerikanischen Philosophen Khalil Gibran: "Was wird das Morgen dem übervorsichtigen Hund bringen, der Knochen im spurlosen Sand vergräbt, wenn er den Pilgern zur heiligen Stadt folgt?" Was nützt das Horten, fragt sich Richard Kühberger: "Wir sind alle sterblich". Wenn du etwas hast, gib es her – lautet das Credo des Werbekaufmanns, der noch eine Vision für den Tauschkreis hat: Bald soll nicht mehr nur geteilt, sondern vor allem verschenkt werden.
Tauschkreis ist viel mehr als ein Netzwerk Schon lange ist die Regionalgruppe nicht mehr bloßes Netzwerk, sondern eine befreundete Gemeinschaft, die Skiwanderungen und Ausflüge unternimmt. Nach der Geburt seiner Tochter Maja verbringt Kühberger seine freie Zeit aber hauptsächlich mit der Familie und wenn er doch etwas Zeit für sich abknapsen kann, besucht er einen interreligiösen Stammtisch oder baut das bunt bemalte Wohnmobil der Familie aus, um damit Ausflüge zu Freunden zu unternehmen. Wenn Kühberger "ganz, ganz viel Zeit" hat, taucht er ab – im wörtlichen Sinne: Für das Römermuseum tauchte er bereits im Inn nach archäologischen Schätzen und an der Adriaküste suchte Kühberger als Taucher für die Forschungsgesellschaft für Schiffsarchäologie nach versunkenen Schiffen.
Wenn der 52-Jährige nicht gerade unter Wasser oder am Wohnmobil ist, weiß seine Frau, wo sie ihren Mann findet: "im Keller". Dort bastelt Richard Kühberger, repariert Kaputtes – ganz nach seinem Motto: Ressourcen schonen. "Ich möchte in einer Welt leben, wo wir mit Schneeschaufeln den Dreck weggeräumt haben und für unsere Kinder die Welt eine bessere ist", wünscht sich Kühberger. Er hat die Schneeschaufel schon mal aus dem Keller geräumt.
M2: Bild von Richard Kühberger
M3: Didaktische Impulse
1. Welche Argumente sprechen dafür, dieses oder ein ähnliches Projekt in Angriff zu nehmen? Sammelt weitere Beispiele (die ihr z.B. auf der Local-heroes-Homepage findet)!
3. Sucht in eurer Umgebung nach Menschen, die sich auch ehrenamtlich/ sozial engagieren. Interviewt sie nach ihren Motiven und sprecht in der Klasse darüber!