Kitzmueller, Lucas
Thema: Jugend, Zivilcourage
M1: PNP, 06.02.2012, Nr. 30, S.22
PNP-Jugendserie (2) − Lucas Kitzmüller ist verrückt nach Politik
Empört
Von Julia Ried
Harmlos sieht das Heftchen aus, wie es sich anlehnt an die dickeren, größeren Bücher hinter ihm auf dem Regalbrett. Nur gut ein Dutzend Seiten ist es dünn, der Umschlag leuchtet in zartem Türkis. Um so deutlicher springen die fetten schwarzen Lettern ins Auge. "Empört Euch", so lautet der Titel der Streitschrift des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel. Sie ist ein Appell an die Jugend, friedlich gegen Finanzkapitalismus, Umweltzerstörung und für die Menschenrechte zu kämpfen.
Die Abhandlung ist Programm für den 18-jährigen Lucas Kitzmüller aus Passau-Haidenhof, Schüler am Adalbert-Stifter-Gymnasium. Auch er ist eher schmal und unauffällig mit seinen graublauen Augen und seinen sorgfältig nach hinten gekämmten, dunkelblonden Haaren. Aufmerksamkeit erregt, was er sagt. Sein Wahlspruch, er stammt vom österreichischen Lyriker Erich Fried, geht so: "Wer will, das die Welt so bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt."
Wichtig sind Aktionen, nicht Ämter. Um die Welt zu ändern, schreibt er für "Q-rage", die Zeitung des Netzwerks "Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage" und für die Schülerzeitung rückenWind − unter anderem einen Kommentar zum Thema "Warum wir uns endlich realistisch unseren Umweltproblemen stellen müssen". Schickt Briefe an den russischen Präsidenten Dmitrij Medwedew mit der Bitte, die Ermordung einer Menschenrechtsaktivistin untersuchen zu lassen. Setzt sich mit seinen Mitstreitern von Amnesty International (ai) in der Bahnhofstraße eine Stunde lang in einen Käfig, mit einem Sack über dem Kopf, um gegen Verbrechen von Sicherheitskräften in Syrien zu protestieren.
Lucas hat im August 2011 gemeinsam mit Freunden die Jugendgruppe von ai gegründet. Seit drei Jahren ist er bei den Jungsozialisten (Jusos), auch der Mutterpartei ist er beigetreten.
Über seine Ämter will er nicht reden, die seien "nicht wichtig", sagt er. Er brauche sie nicht, um das zu tun, was ihm auf den Nägeln brennt.
Quelle seiner politischen Energie ist Ärger über sich selbst. Als Gymnasiast merkt er, dass ihm die Schulwelt zu klein ist. Er beginnt, Zeitungen zu lesen. "Dann war ich erst einmal sauer auf mich, weil ich das nicht alles verstanden habe." Er liest weiter − und wird wütend: "Als ich es dann verstanden habe, habe ich mich darüber aufgeregt, was drin steht."
Was ihn nervt: Dass täglich Menschen umgebracht werden, weil sie ihre Rechte wahrnehmen. Dass Akademikerkinder in Deutschland wesentlich öfter ein Gymnasium besuchen als Töchter und Söhne von Facharbeitern.
Sein Vater ist Landschaftsarchitekt, die Mutter Erzieherin. Auf seinem Regalbrett an der Wand stützen Bücher, wie sie in der Leseliste für Politikwissenschaftsstudenten stehen, das Empört-Euch-Heftchen. "Politik als Beruf" des deutschen Soziologen Max Weber beispielsweise. Oder "Postdemokratie" des britischen Wissenschaftlers Colin Crouch. Er beklagt, dass sich die Politik von den Bürgern entfremdet, sie nur als Stimmvieh braucht.
Politische Kanäle für die Jugend. Lucas schafft Kanäle, durch die sich Jugendliche politisch beteiligen können. "Du + Dein Senf = Passau von morgen" heißt es auf der Internetseite, die er für die Jusos mitgestaltet hat. Darunter steht ein E-Mail-Formular. Auf Facebook zwitschert unter anderem auf seine Initiative hin das "Passau Rotkehlchen" das Neueste von SPD und Jugendorganisation.
Der 18-Jährige kann verstehen, dass viele junge Leute sich von Parteien abgestoßen fühlen. Viele glaubten, wer sich so einer Organisation anschließe, gebe seine eigene Meinung auf. Das vertrage sich nicht mit dem Wunsch einzigartig zu sein.
Selbst Lucas hat ein Leben außerhalb der Politik. Er hat eine Vorliebe für schöne Dinge, Gestaltung und Mode. Kleidung bestellt er sich im Internet, von einem englischen Händler. Er fotografiert gern, unter anderem Porträts für die Schülerzeitung. Freitags geht er mit Freunden weg, lieber in die Kneipe als in die Disco.
Den Wirtschaftsteil der Zeitung versteht er immer noch nicht ganz. Vielleicht will er deshalb ein Studium mit VWL- oder BWL-Elementen wählen. Danach einen Beruf ausüben, der ihn finanziell unabhängig macht von der Politik. Politiker werden − eventuell später. "Unsere Generation hat eine riesige To-do-Liste", sagt er. Darauf steht unter anderem: die Klimaerwärmung stoppen. Und Amnesty International überflüssig machen.