Kerscher, Hubertus
Thema: Berufung, Glaubenszeugnis
M1: PNP, 20.01.2018, Nr. 35, S. 35
Über Gott und die Welt
Hubertus Kerscher entschied sich nach dem Abitur für das Priesterseminar - Im Juni wird er zum Priester geweiht
von Ralf Enzensberger
Passau. Der See Genezareth. Hubertus Kerscher steht auf dem Balkon seiner Unterkunft in Israel und blickt auf das Wasser. Eine drückende Hitze umgibt ihn, schwül ist es. In der Luft liegt ein frischer Zitronenduft. Tiefblau glitzert das Wasser unter dem wolkenlosen Himmel. Genau hier soll Jesus Christus vor über 2000 Jahren Kranke geheilt, Blinde sehend und Lahme gehend gemacht haben. Nun sieht Hubertus Kerscher aus Haselbach den See, den er vorher nur aus der Bibel kannte, mit eigenen Augen. Kurz denkt er voll Vorfreude an den 30. Juni 2018. Der Tag, an dem der erst 24-Jährige zum Priester geweiht werden soll.
Mit schwarzem Mantel, dunkler Hose und Handschuhen sitzt Hubertus Kerscher im Außenbereich eines Cafés in Passau. Als die Bedienung kommt, bestellt der blonde junge Mann mit Brille sich einen Cappuccino, zückt seine E-Zigarette, nimmt zwei kurze Züge und bläst den Rauch in die Luft. "Ganz kann ich es noch nicht lassen mit dem Rauchen", gesteht der Diakon. Um den Hals trägt er den unverkennbaren, ringförmigen Stehkragen, Kollar genannt. "Er ist nicht unbequemer als andere geschlossene Kragen. Jeder, der schon einmal eine Krawatte getragen hat, weiß, wie das ist."
Jüngster Kleriker im Bistum Passau
Ende Juni ist es soweit. "So Gott will", sagt Kerscher, "werde ich dann zum Priester geweiht." Dann wird er schon 25 sein, trotzdem noch sehr jung für einen Pfarrer heutzutage. "In meinem Bistum bin ich aktuell der jüngste Kleriker", sagt er. Grund dafür ist die rasche Entscheidung gewesen, nach dem Abitur direkt in das Priesterseminar zu gehen.
Ursprünglich stammt er aus Haselbach bei Tiefenbach. Dort haben seine Eltern eine Bäckerei, die er vielleicht auch hätte übernehmen können. "Das stand natürlich im Raum, aber ich habe schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist." Nun wird seine Schwester Lena den fast 100 Jahre alten Familienbetrieb übernehmen.
Hubertus Kerscher besucht nach der Grundschule das Gymnasium Freudenhain in Passau. Er wird Ministrant, spielt Kirchen-Orgel und wird Verbandsleiter auf Diözesanebene eines katholischen Jugendverbands. Der Gedanke Priester zu werden reifte in dieser Zeit immer mehr in ihm. Er kommt mit vielen Menschen in Kontakt, die ihn faszinierten. "Welche, die ihren Glauben so lebten, dass sie damit sehr glücklich waren und eine positive Kraft ausstrahlten", sagt er. So haben Christen ihn fürs Christentum begeistert und gläubige Katholiken für die Kirche, fasst er zusammen.
In der Angst sich rechtfertigen zu müssen, hat er mit seiner Entscheidung lange hinter dem Berg gehalten. Vor allem für seine Mutter war es anfangs nicht leicht. "Vielleicht hatte sie im Hinblick auf das Zölibat Angst, Familie nicht richtig vorgelebt zu haben", sagt Hubertus Kerscher. Doch das verneint er klar. "Ich bin sehr dankbar einen fantastischen Vater zu haben, zu dem ich aufschauen kann und eine wunderbare Mutter, die mich liebt und alles für mich tun würde."
Viele Gespräche mit ihr waren nötig, um sie zu beruhigen. Mittlerweile kann Hubertus Kerscher die Bedeutung des Zölibats für sich klar definieren: "Ich möchte Leute darauf hinweisen, dass Gott existiert und dass es wert ist, sich mit ihm zu beschäftigen." Und dies wolle er mit seiner ganzen Existenz vorleben und ein Platzhalter für etwas Größeres sein, sagt er. Ohne Zölibat könne er sich seine Tätigkeit nicht vorstellen.
Dennoch ist es ihm wichtig zu verdeutlichen, dass er nicht aus der Welt gefallen ist. Erst kürzlich musste er schmunzeln, als er einige seiner Grundschüler im Supermarkt getroffen hat. "Was, Sie gehen auch einkaufen?", war die verdutzte Frage der Schüler. "Ja natürlich, nur von Luft und Liebe kann auch ich mich nicht ernähren", habe er geantwortet und gelacht.
Auch einen Auslandsaufenthalt während seines Theologie-Studiums hat er hinter sich. Ein Jahr wohnte er in Rockdale, einem Teil von Sydney in Australien. Er schwelgt in Erinnerungen: "Ich habe die Zeit sehr genossen, in der dortigen Kirche Orgel gespielt und einige Freundschaften geschlossen." John, einen der Freunde, trifft er Ende Januar in Rom.
Ein Tag im Leben eines Diakons
Aktuell ist er in der Pfarrei in Neureichenau eingesetzt. Wie sieht der Alltag eines jungen Diakons aus? Der Tag beginnt mit dem Morgengebet um Viertel nach sieben, das er gemeinsam mit dem Pfarrer begeht. Danach wird gemeinsam gefrühstückt. Wie sich der Tag danach gestaltet, kommt darauf an, ob er zum Unterricht in die Schule gehen muss. Begleitet von einer Religionslehrerin oder dem Pfarrer hält er selbst die Religionsstunde in der Grund- und Mittelschule oder hospitiert. Nach dem Mittagessen im Pfarrhaus, gekocht von der Haushälterin, warten immer andere Aufgaben auf ihn. Geburtstagsgrüße, Krankenhausbesuche oder Besuche zu Hause. Spätnachmittags findet die Werktagsmesse statt. Auch die Vorbereitung von Predigten oder Taufgespräche stehen auf dem Programm. Meist findet um sechs Uhr das Abendgebet statt. Danach nutzt Hubertus Kerscher oftmals die Zeit, um sich mit dem Pfarrer auszutauschen, Rückmeldung einzuholen. "Gerne sitze ich mit ihm dann bei einem Glas Wein zusammen. Es tut gut, meine Arbeit zu reflektieren."
Als einziger freier Tag in der Woche bleibt ihm der Montag. Freizeit hat Hubertus Kerscher daher nicht viel. Dann trifft er gerne seine Freunde, oftmals in Regensburg, wo er studiert hat. Gemeinsam gehen sie in Bars, trinken das ein oder andere Bier und unterhalten sich. Aber auch gegen einen Fernseh-Abend auf der Couch hat er nichts einzuwenden. "Aktuell schaue ich die Serie ‘Breaking Bad‘, perfekt um abzuschalten." Doch hier muss sich der junge Diakon manchmal zügeln: "Bei guten Serien laufe ich manchmal Gefahr zu versandeln", sagt er und lacht.
M2: Foto von Hubertus Kerscher
M3: Didaktische Impulse
1. In dem Bericht werden Einblicke in den Alltag und die Arbeit des angehenden Priesters Hubertus Kerscher beschrieben. Lies dir den Bericht aufmerksam durch und unterhalte dich im Anschluss mit deinem Banknachbarn darüber. Erklärt euch gegenseitig, welche "Details" aus Hubertus Kerschers Alltag ihr nicht vermutet hättet!
2. Diskutiert im Klassenplenum mögliche Gründe, warum vielfach geglaubt wird, dass Diakone und Priester einen "ganz anderen" Alltag haben als "weltliche" Menschen.
3. Verfasst eine Textnachricht an Hubertus Kerscher (Whatsapp, Facebook, E-Mail, etc.), in der ihr ihm eure Meinung zu seiner Lebens- und Berufsentscheidung mitteilt. Gehe in deiner Nachricht auch darauf ein, was davon du dir für dein späteres Leben vorstellen kannst und was nicht (z.B. eheloses Leben, Dienst in der Kirche, ...)