Karbaumer, Klaus
Thema: Eigeninitiative, Nachhaltigkeit, Schöpfung
M1: PNP, 05.02.2022, Nr. 29, S. 39
Auswanderer: "Wir haben viel, wollen aber immer noch mehr"
Klaus Karbaumer (75) wanderte vor 30 Jahren in die USA aus und betreibt dort eine Biofarm
von Sandra Niedermaier
Vor über 30 Jahren ist Klaus Karbaumer von Fürstenzell (Lkr. Passau) in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Aus dem Seminarrektor wurde ein Biolandwirt, der seine Farm mit Pferden bewirtschaftet.
"Ich beschränke mich hier auf etwas, das viele für ein karges Leben halten würden", sagt Klaus Karbaumer, 75 Jahre alt. Ein sehr schönes Leben, wie er findet. Bei seinen ehemaligen Seminarschülern in Passau hat er damals großen Eindruck hinterlassen. Bei Werner Grabl zum Beispiel, der mittlerweile Schulamtsdirektor in Passau ist. Grabl setzt sich intensiv mit dem Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auseinander. Deshalb hat Grabl kürzlich eine Videokonferenz mit Klaus Karbaumer einberufen, ehemalige Weggefährten und Schüler Karbaumers dazugeholt.
Auch Karl Haberzettl war dabei, mit dem Karbaumer früher im Bund Naturschutz aktiv war, ebenso Grabls Kollegen aus dem BNE-Projekt "Bildung für nachhaltige Entwicklung", Michaela Würdinger-Gaias und Valentin Fuchs. "Sie waren Ihrer Zeit weit voraus. Sie haben Spuren hinterlassen", sagt Grabl zu Karbaumer.
Das neue Leben
Kansas City hat zwei Millionen Einwohner, aber nur einen Landwirt, der auf Pferde setzt. In einem Land, in dem gigantische Landwirtschaftsbetriebe mit mehreren tausend Hektar Fläche vorherrschen, setzt Klaus Karbaumer auf klein und öko. Mit seiner Frau bewirtschaftet er eine sieben Hektar große Biofarm im Bundesstaat Missouri. Für die Feldarbeit setzt er Pferde statt Maschinen ein, um mit schweren Traktoren den Boden nicht zu verdichten. Den Roggen erntet er mit der Sense. Auf der Farm bauen sie Gemüse an, das sie vor Ort verkaufen: Grünkohl, Bohnen, Zwiebeln, Senf, Rote Beete, Tomaten, Kopfsalat, Radieschen. Auch Bienen halten sie und Hühner.
Die Natur, die Weite der Landschaft – das faszinierte ihn vor 30 Jahren so sehr, dass er auswanderte. Karbaumers Vater war Schulleiter in Bad Höhenstadt. Auch er selbst schlug zunächst diesen Weg ein, wurde Seminarrektor für angehende Lehrer, brachte ihnen bei, wie guter Unterricht funktioniert. Mit seiner Familie wohnte er damals in Scheuereck bei Fürstenzell, betrieb nebenher eine kleine Landwirtschaft mit Pferden und machte selbst Holz.
In Fürstenzell erlebte er, wie Anfang der 60er Jahre die Straßen betoniert wurden und die Landschaft immer weiter zersiedelt wurde. Mehr und mehr Baugebiete wurden ausgewiesen. "Das hat mir wehgetan," sagt Klaus Karbaumer. Er hatte bald das Gefühl: "Ich halte es nicht mehr aus." Diese Enge, die Zersiedelung.
Er entschloss sich dazu, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Anfangs arbeitete er als Lehrer in einem "Community College" für Erwachsenenbildung. Bald aber arbeitete er nur mehr auf der Farm. Pferde sind von jeher seine große Leidenschaft. "Mit 16 Jahren habe ich mir zusammen mit meiner Schwester ein eigenes Pferd gekauft. Seit 59 Jahren bin ich nie ohne Pferd", erzählt er. Da war es für ihn nur logisch, dass er auf seiner Farm Pferde einsetzt zur Bewirtschaftung der Felder.
Karbaumer romantisiert das Farmleben nicht. Rückschläge gehören dazu: Ernteausfälle und geräuberte Hühner zum Beispiel. Karbaumer erinnert sich, als er eines Morgens von seinen 300 Hühnern nur noch 150 lebend vorfand. Kojoten und Waschbären waren über sie hergefallen.
Doch jeden Tag aufs Neue fasziniert ihn die Weite des Landes. 30 Kilometer weit fahren und keine Ortschaften, nur Landschaft. Zwischen seiner Farm und Kansas City liegen vielleicht 40 Kilometer, ein großes Waldstück. "So viele Bäume habe ich in ganz Niederbayern nicht gesehen, ein Meer aus Bäumen", schwärmt er. Fast täglich sieht er Weißkopfadler über seiner Farm kreisen. Das liebt er an Missouri.
Das letzte Mal in Deutschland war er 2011, zur Hochzeit seiner Tochter Rebecca, die in Bremen als Umweltreferentin für den Senat arbeitet. Wenn ihm Niederbayern und der Dialekt fehlen, schaut er Sendungen wie "Unser Land" oder "Unter unserem Himmel" in der Mediathek. "Bayerische Volksmusik und die gediegenen Gebäude in Bayern vermisse ich. Die Enge und die Zersiedelung nicht", sagt Karbaumer.
Das Gespräch
Der Klimawandel ist unbestrittener Fakt. Doch warum tun sich die Industrienationen so schwer, die wissenschaftlichen Erkenntnisse umzusetzen und etwas zu ändern? Das wollte Grabl von seinem ehemaligen Seminarleiter wissen.
"Wir haben viel und wollen noch mehr", sagt Karbaumer. 200 Jahre liegen hinter uns, in denen die industrielle Revolution und technologische Errungenschaften unser Leben verändert haben. "Die Lebensqualität ist heute höher. Die Mediengesellschaft erweckt immer weiteren Hunger. Es ist schwierig zu begreifen: So kann es nicht weitergehen. Wir müssten etwas aufgeben oder verändern. Und in der Situation entscheiden sich die Leute dazu, die Augen zuzumachen und einfach weiterzumachen."
Der Mensch verstehe auch viel zu wenig über sich selbst, meint Karbaumer. "Das ist meine Kritik an der Schule: Wir müssen die Schüler zum Reflektieren bringen, wie wir als Menschen funktionieren", meint er.
Ein gutes Leben – was ist das? In unserer heutigen Zeit heiß das für die meisten noch mehr zu kaufen, stets die neuesten technischen Geräte zu besitzen und im Urlaub in ferne Länder zu fliegen. "Die Leute wollen alle so leben wie früher nur eine kleine Elite gelebt hat, das ist das Versprechen des grenzenlosen Wachstums. Doch die Natur ist kein Verhandlungspartner. Wirtschaftsinteressen verhindern eine Veränderung", analysiert Karbaumer. Und sagt im nächsten Atemzug: "Wir haben die moralische Verpflichtung, unser Leben zu verändern."
Über seine BNE-Projekte will Grabl bei Schülern eine "positive Kultur der Betroffenheit" erzeugen, er will Schüler in Richtung Umweltschutz sensibilisieren. Doch Karbaumer erwidert ihm: "Man soll nicht zu viel von Kindern erwarten, wenn die Eltern ihnen das nicht vorleben, wenn die Erwachsenen nicht fähig sind, etwas zu ändern. Das schafft der geschickteste Lehrer nicht." Den Kindern nicht ständig Hiobsbotschaften zu vermitteln, dass die Artenvielfalt auf dem Spiel steht – sondern ihnen beibringen, dass die Natur etwas Tolles ist, sieht er als Teil der Lösung. Ganz konkret könnte ein Schulgarten oder Gemüseacker was bewirken, schlägt er vor.
Karbaumer sagt auch: Lehrer müssen den Schülern beibringen, wie man Fragen stellt. Wenn es um das Thema Kükentöten geht, soll der Lehrer nicht nur abstrakt über Küken referieren, sondern mit den Kindern zu einem Betrieb vor Ort gehen und die Kindern "in den Erfahrungshorizont" bringen. Von der Bewegung "Fridays for Future" hat Karbaumer aber noch nie etwas gehört. In den USA spiele sie keine Rolle.
Schaffen wir noch die Wende? Da sagt Karbaumer: "Ich bin nicht optimistisch, dass es gelingt. Es gibt keine Garantie, dass das Leben so weitergeht wie bisher. Es gab bereits mehrere Wellen von Artensterben auf der Erde."
Ihn hält das aber nicht davon ab, sich für seine Überzeugungen einzusetzen. Mehrfach zitiert er den britischen Ökonom John Maynard Keynes: "Die Schwierigkeit liegt nicht darin, neue Ideen zu entwickeln, sondern darin, den alten zu entkommen." Und wie er nach zwei Stunden Videokonferenz zu Grabl sagt: "Ich brenne immer noch." So wie Grabl das auch tut.
*Anmerkung nach Klaus Karbaumer:
"Das Leben auf der Ranch ist wirklich ein sehr reichhaltiges. Es mangelt uns an nichts. Für mich ist wichtig, dass nicht nur mein eigenes Leben betont wird! Der Fokus soll auf der Schule und den zukommenden Herausforderungen liegen."
M2: Bild von Klaus Karbaumer
M3: Didaktische Impulse
1. Über wen berichtet der Artikel Auswanderer: "Wir haben viel, wollen aber immer noch mehr"? Erstellt gemeinsam ein Cluster zur Person von Klaus Karbaumer, das ihn umfassend darstellt.
2. Für Herrn Karbaumer spielen Natur, Schöpfung und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Überlege gemeinsam mit einem*r Partner*in auf welche Art und Weise der Lernort/Lebensraum "Schule" einen Beitrag leisten kann. Sammelt eure Ideen anschließend im Plenum (Gemüseacker/Schulgarten/Nachhaltigkeits-AG/...).
3. "Wir müssen die Schüler zum Reflektieren bringen, wie wir als Menschen funktionieren" - was meint Klaus Karbaumer mit dieser Aussage? Und inwiefern haben wir Menschen "die moralische Verpflichtung, unser Leben zu verändern"? Startet eine offene Diskussion im Plenum, um euch über verschiedene Gedanken und Meinungen zu den beiden Zitaten auszutauschen.