Homm,Maria
Thema: Hilfsbereitschaft, Nächstenhilfe
M1: PNP, 24.01.2012, Nr. 19, S.25
Sie pflegen ihre Angehörigen − rund um die Uhr, seit Jahrzehnten
Landrat würdigt selbstlosen, aufopfernden Einsatz von drei Salzwegern, zwei Hofkirchnern und einer Hutthurmerin mit der Pflegemedaille
Von Carmen A. Laux
Salzweg/Hofkirchen. "Nur Sie können beurteilen, was es bedeutet, Tag und Nacht die Verantwortung für einen Menschen zu tragen. Rund um die Uhr da zu sein, für alle Belange. Wer Angehörige pflegt, der weiß, welche körperlichen und seelischen Belastungen damit verbunden sind. Weiß, wie Familie und Freunde darunter leiden" − größter Respekt sprach aus Landrat Franz Meyer, als er im Rathaus von Salzweg, und drei Stunden später auch im Rathaus von Hofkirchen, Dankurkunden und Pflegemedaillen überreichte. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer hat sie sechs Landkreis-Bürgern zuerkannt. Sie alle haben sich dafür entschieden, Ehepartner, Kinder oder Geschwister daheim zu betreuen − nicht nur für kurze Zeit, sondern über Jahre, teils Jahrzehnte. Die Reaktion der Geehrten ob der öffentlichen Wertschätzung: andächtiges Zuhören, kräftiges Schlucken, nervöses Kneten der Finger, bedächtiges Nicken, vereinzelt Tränen in den Augen.
"Ich bin es nicht gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen", entschuldigt Elsa Knaus ihre Aufgeregtheit. Kanapees, Sekt-Orange und Blumen gehören ebenso wenig zu ihrem Alltag wie die Anwesenheit von Landrat, Salzwegs Bürgermeister und Gastgeber Horst Wipplinger, 3. Bürgermeister Max Draxinger und Ehrenbürgerin Helga Gahbauer, die als Vertreter von Hutthurm mitgekommen waren. Trotzdem genoss die 84-Jährige diesen Ausflug in eine völlig andere Welt. Seit dem Tod der Mutter 1977 kümmert sie sich um ihre körperlich und geistig behinderten Brüder Alois (80) und Adolf (78). "Sie haben als Kinder Fieber bekommen. Danach waren sie so, wie sie jetzt sind", erzählt die Schwester, die bewusst auf eine eigene Familie verzichtet hat. "Wir waren sechs Geschwister, ich das einzige Mädchen. Da war klar, dass ich mich um meine Brüder annehme", sagt sie − und bereut nichts. "Wenn jetzt mit dem Alois oder dem Adolf etwas wäre, das wäre ganz hart für mich."
Das Leben von Christine Schmidt aus Salzweg hat sich am Sonntag, 2. Juni 2002, mit einem Schlag geändert: Sie war mit ihrem Mann Andreas, damals beide 44, auf der Heimfahrt von einem Kurzurlaub mit der Harley. Sie hatten ihren 20. Hochzeitstag gefeiert, waren fast schon wieder daheim. Beim Ilzdurchbruch in Passau dann das Unglück: Eine Autofahrerin übersieht das Motorrad. Christine Schmidt fliegt durch die Luft, ihr Mann wird mit dem rechten Bein zwischen Auto und Motorrad eingeklemmt. Dreimal muss er operiert werden. Es gibt Komplikationen − Thrombose, Lungenembolie, Sauerstoffmangel im Gehirn. Andreas Schmidt wird Wachkoma-Patient, muss 24 Stunden am Tag versorgt werden. Nach der Reha kommt er zunächst in ein Pflegeheim. Seine Frau macht von Anfang an tagtäglich mit. "Keine Selbstverständlichkeit" "So bin ich in die Pflege hineingewachsen." Nach zweieinhalb Jahren war sie sich sicher, den Ehemann daheim pflegen zu können und zu wollen. Das war 2005. Den Hausumbau zahlte die Haftpflichtversicherung der Autofahrerin, der zu 100 Prozent die Schuld an dem Unfall zuerkannt worden war. "Mein Leben ist in gewisser Weise einsamer geworden. Man ist darauf angewiesen, dass Leute vorbeikommen, denn spontan mal schnell das Haus verlassen − das gibt’s nicht mehr." Unterstützung bekommt die heute 53-Jährige von den Töchtern Sandra (28) und Andrea (26). Die eine wohnt mit ihrer Familie direkt nebenan, die andere lebt auch nicht weit weg. Sie wissen, auf was die Mutter seit dem Unfall alles verzichtet. Doch die schwächt ab: "Man wird selbst auch anders, die Wertigkeiten verschieben sich. Und ich kann nur sagen: Die Pflege meines Mannes ist für mich Erfüllung."
Auch wenn Landrat Franz Meyer bei den Feierstunden in Salzweg und Hofkirchen betont, dass die Pflege im häuslichen Bereich keine Selbstverständlichkeit ist − für Maria und Wolfgang Homm ist sie es. Ihr Sohn Andreas kam vor 32 Jahren als Frühchen auf die Welt und verbrachte die ersten Monate und Jahre in Krankenhäusern, musste 17 Operationen über sich ergehen lassen. "Das Ausmaß der Behinderung wurde erst nach und nach klar", sagen die Eltern. Sie haben sich damit abgefunden, dass sich ihr Andreas nicht bewegen kann, dass er auch keine Kopfkontrolle hat. Aber: "Er versteht alles und wir verstehen ihn auch. Deswegen werden wir ihn pflegen, solange wir dazu in der Lage sind und er dies auch möchte." Zur Rundum-Betreuung und Fürsorge gehört für die Eltern auch, dass sie dem 32-Jährigen, der in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, ermöglichen, in der Freizeit Veranstaltungen zu besuchen. Zwar ist der Transport mit dem Rollstuhl immer mit großem Aufwand verbunden − aber die Entschädigung für diese Abwechslung ist groß: "Er ist so lieb und zufrieden. Ein richtiges Gute-Laune-Paket schon gleich nach dem Aufwachen", schwärmen die Eltern. Sie haben zwei gesunde Kinder, die sie nach Möglichkeit unterstützen, und sind in der Selbsthilfegruppe für Eltern von behinderten Kindern aktiv.
"Mit der Pflegemedaille des Freistaates Bayern würdigen wir Ihren langjährigen, selbstlosen Einsatz − ein symbolisches Zeichen des Dankes, den Ihnen unsere Gesellschaft schuldet", betonte Landrat Franz Meyer auch bei der Feierstunde in Hofkirchen.
"Wir müssen an Hilfe und Entlastung arbeiten "Die Ehrung ging an Alfons Steinlehner, der seinen Sohn Norbert von dessen Geburt 1963 bis zu seinem Tod im April letzten Jahres aufopfernd rund um die Uhr gepflegt hat. Die schwere und mehrfache Behinderung des Kindes stellte ihn immer wieder vor Herausforderungen, die der Hofkirchner jedes Mal angenommen und zum Besten seines Sohnes gemeistert hat. Über die Auszeichnung freute sich auch Tochter Regina Schmidtmayer, die ihn ins Rathaus begleitet hatte.
Gleiches gilt für Anna-Maria Scheingraber. Sie pflegt ihre Tochter Renate, die von Geburt an auf Hilfe angewiesen ist, kümmert sich seit 1962 fürsorglich um alles, was ein körperlich und geistig behinderter Mensch braucht. Dabei erhält sie Hilfe von Familienangehörigen. Allerdings konnte Anna-Maria Scheingraber aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Feier kommen. Dies verlieh der Forderung von Landrat Franz Meyer Nachdruck: "Wir müssen daran arbeiten, ein breitgefächertes Netz zu schaffen, alle Erkrankten und ihre pflegenden Angehörigen aufzufangen. Die vielerorts entstehenden Tagespflegeeinrichtungen können hier Hilfe und Entlastung bieten."
Die Pflegemedaille für Anna-Maria Scheingraber bringt Bürgermeister Willi Wagenpfeil in den nächsten Tagen persönlich bei der Horfkirchnerin vorbei.
M2: Bilder der Geehrten in Salzweg, Hofkirchen und Hutthurm
M3: Didaktische Impulse
- Jeder einzelne Schüler liest den Text leise für sich (Stillarbeit).
- Unterhaltet Euch in der Klasse über den Inhalt des Textes. Wie steht Ihr zu so einem Verhalten? Könntet Ihr euch vorstellen, selbst einen Angehörigen zu pflegen, falls dieser Eure Hilfe benötigt?
-> Wenn Ihr der Meinung seid, dass Ihr Eure(n) Angehörige(n) pflegen würdet, dann gebt die Gründe an, wieso? Würdet Ihr Euch gegen die Pflege eines Angehörigen entscheiden, dann begründet ebenfalls Eure Meinung. Schreibt dazu eine kurze Pro- und Kontra Liste, die der Lehrer anschließend einsammelt und die Antworten auswertet. - Nun formt Ihr drei verschiedene Gruppen. Jede einzelne Gruppe setzt sich mit jeweils einer anderen Geschichte im Text auseinander (das heisst, eine Gruppe bearbeitet das Schicksal des Ehepaars Homm, eine Gruppe die Geschichte von Elsa Knaus und eine andere Gruppe wiederum die Geschichte von Christine Schmidt). Was fasziniert Euch an diesen Personen? Was würdet Ihr diesen sagen, wenn Ihr Ihnen begegnen würdet?
- Haltet Ihr die Ehrung mit der Pflegemedaille für eine angemessene Methode, um die Wertschätzung für die aufopferungsvollen Taten der Angehörigen zum Ausdruck zu bringen?