Hochwasserhelfer Passau 2013*
Thema: Gemeinschaft, Nächstenhilfe, Solidarität
Hochwasserhelfer in Passau - Juni 2013
"Trotz Wasser in den Kellern, trotz zerstörter Existenzen und trotz der Hilflosigkeit,
halten die Menschen zusammen wie ich es nie erlebt habe!
Auch wenn die Einsatzkräfte resignieren mussten (die Wassermassen waren einfach nicht aufzuhalten) sind alle dankbar, dass Feuerwehren, THW, Wasserwacht, Bundeswehr, und viele andere Organisationen Hilfe leisten. "
(PNP-Online, Martin am 04.06.2013)
M1: PNP, 03.06.2013, Online-Ausgabe und Tageszeitung Nr. 125
Der Beginn einer Katastrophe
I. PNP-Online Ausgabe: Scheitelpunkt in Passau erreicht - Fluthilfe eingerichtet
Die Hochwasserlage in Niederbayern hat sich weiter verschärft. In Passau sind die Wasserstände in der Nacht zum Montag erneut gestiegen. "Wir rechnen damit, dass im Laufe des Tages an Inn und Donau die historischen Höchststände von 1954 erreicht werden", sagte am Morgen ein Sprecher des Passauer Krisenstabs. Er sollte Recht behalten. Am Inn betrug der Wasserstand am Montagmorgen 9,60 Meter, an der Donau schon über 12,80 Meter.
II. PNP, Nr. 125, Titelseite: Jahrhundert-Flut trifft Ostbayern: Hochwasser-Lage spitzt sich weiter zu
Katastrophenalarm in Passau − Überschwemmungen schlimmer als 2002 − Seehofer sichert schnelle Hilfe zu
Passau/München. Nach dem Dauerregen der vergangenen Tage droht Bayern ein Hochwasser von gewaltigen Ausmaßen. Besonders dramatisch war gestern die Lage in Teilen Nieder- und Oberbayerns. Die Stadt Passau rief als erste den Katastrophenalarm aus. Hier wurde nach Angaben des Wasser- und Schifffahrtsamtes Regensburg bis heute zum frühen Morgen mit einem Pegelstand von knapp zwölf Metern gerechnet. Bereits gestern Abend überschritt der Donau-Pegel die Höchstmarke des letzten großen Hochwassers aus dem Jahr 2002 mit 10,81 Metern.
Der Scheitelpunkt der Flut wird erst am Dienstag erwartet. Katastrophenalarm herrschte auch in Rosenheim sowie in den Landkreisen Berchtesgadener Land, Mühldorf am Inn und Miesbach. Rottal-Inn löste um 23.30 Uhr Katastrophenalarm für Teile des Landkreises aus, weil der Inn bei Simbach unerwartet stark angestiegen war. Gegen Mitternacht wurden Evakuierungsmaßnahmen für Ortsteile vorbereitet. In Deggendorf ging man gestern davon aus, dass heute Katastrophenalarm ausgelöst werden muss. Ministerpräsident Horst Seehofer sich besorgt: „Möglicherweise werden wir eine Entwicklung bekommen, die zu einem Hochwasser führen könnte, das bisher noch nie da gewesen ist.“
Umweltminister Marcel Huber sagte: „So etwas hat man in Bayern noch nicht gesehen.“ Er und Seehofer versprachen den von Schäden Betroffenen schnelle Hilfe des Freistaats. In Passau waren neben Teilen der Altstadt auch die Bundesstraßen 388 und 12 überspült, viele Häuser waren nur noch über Stege oder per Boot erreichbar. Die Stadt bat um Unterstützung der Bundeswehr − bereits im Laufe der Nacht sollten 120 Soldaten kommen.
III. PNP-Zeitung, Nr. 125, S. 19: Passau erlebt eine Jahrhundert-Katastrophe
Dreiflüssestadt seit gestern Mittag so gut wie gesperrt − 12 Meter erwartet: Donau steigt voraussichtlich auf den Pegel von 1954
Existenzen stehen auf dem Spiel, denn die Donau überflutet die komplette Ladenzeile an der Donaulände. Viele Eigentümer und Mieter kämpften stundenlang mit Sandsäcken, Flutsperren und Pumpen gegen das Wasser. Vergeblich.
Von Franz Danninger
An vielen Orten leiden Land und Leute unter dem Hochwasser. Aber Passau hat es dieses Mal besonders schlimm getroffen. Ein Donaupegel von 12 Metern könnte heute Vormittag bittere Realität werden. Das wäre dann im Bereich
des Jahrtausend-Hochwassers 1954. Schon gestern Mittag stand so gut wie fest, dass der Pegel den des Jahrhundert-Hochwassers 2002 übersteigen werde. Damals wurde ein Maximum von 10,81 Meter gemessen mit schlimmen Folgen
für die Stadt“, wie OB Jürgen Dupper bei einer Pressekonferenz am Sonntagmittag düster zurückblickte.
Gestern Abend erhöhte das Wasserwirtschaftsamt seine Prognose auf 12 Meter. Dupper: „Das ist mit den bekannten Vorsorgemaßnahmen nicht mehr zu bewältigen.“ Den Scheitel für den Inn erwarten die Experten für den heutigen Montag, den der Donau für Dienstag. Weil die Stadtwerke bestimmte Gebiete ab einem Pegel von 10,50 Metern aus Sicherheitsgründen vom Stromnetz nehmen müssen, mussten einige Bewohner der Innenstadt die Nacht im Finstern verbringen.
Passau erlebt eine Jahrhundert-Katastrophe . Probleme mit der Trinkwasserversorgung befürchtet Dupper bislang nicht. Auch Evakuierungen sind noch kein Thema. Der Verkehr bricht teilweise zusammen. Hals, Grubweg, Inn- und Ilzstadt können nicht mehr über die Brücken erreicht werden. Weite Umwege müssen in Kauf genommen werden. Dupper: „Die
Umleitungen sind ausgeschildert.“ Verschärft wird die Lage durch einen Erdrutsch, der Teile der B85 beim Stelzlhof verschüttete. Die Umleitung stadtauswärts erfolgt über die alte B 85 (Ries Richtung Patriching) und stadteinwärts über Walding-Gaißa. Beide Ilzbrücken sind gesperrt. Für Fußgänger wird ein Bootsverkehr eingerichtet. In der Innstadt und in Grubweg stehen jeweils Rettungsfahrzeuge parat, um die ärztliche Notversorgung zu sichern. Das jetzige Hochwasser überraschte auch die hochwassererfahrenen Einsatzkräfte in der Dreiflüssestadt. „Das Wasser stieg schnell und um einen Meter höher als erwartet“, beschreibt Dupper die Zuspitzung der Lage in der Nacht zum Sonntag.
Ministerpräsident Horst Seehofer hat ihn am Sonntagvormittag angerufen und am Telefon schnelle und unbürokratische Hilfe zugesichert. „Das ist ein feiner und nicht selbstverständlicher Zug, weil ja nicht nur Passau betroffen ist“, meinte Dupper. Seehofer wird nach Passau kommen, hat er angekündigt. Gestern verzichtete er darauf, um die Rettungsarbeiten nicht zu behindern. Die Ausrufung des Katastrophenalarms gestern Vormittag erfüllt Dupper zufolge mehrere Zwecke: Zum einen können nun auch Bundeswehr-Soldaten eingesetzt werden, 120 sollen ab heute den Passauern helfen. Zum anderen könnte es Vorteile bringen bei der Regulierung der Schäden im Nachhinein.
Viele der bisherigen 500 Rettungskräfte waren Samstag und Sonntag 20 Stunden im Einsatz.
Aus den Nachbar-Landkreisen Regen, Freyung/Grafenau und Rottal-Inn wurden am Sonntagnachmittag rund 300 Mann Nachschub erwartet, so dass sich die Passauer Kräfte ausruhen können. Die meisten Schulen bleiben am heutigen Montag geschlossen (siehe Liste auf S. 21), ebenso das Rathaus.
Auch wenn viele nicht in Hochwassergebieten liegen, ist für den heutigen Montag ein Verkehrs-Chaos in und um Passau zu erwarten, das nicht auch noch durch den Schulverkehr verschärft werden soll. Denn Passau hat genug Probleme.
Gut erinnert man sich an 2002: „Das war ein Horror“, sagt Dupper. Warum verfügt Passau nicht über Hochwasserschutz-Systeme wie andere Städte, Schutzwände entlang der Flüsse zum Beispiel? Diese Frage beantwortet Josef Zacher, Chef des Ordnungsamts:„Wenn wir an der Donaulände zum Beispiel normal einen Pegel von sieben Metern haben, wären bei elf Metern drei Meter hohe Wände nötig. Das ist statisch unmöglich.“ Die vorhandenen Schutzprogramme in Passau setzen an den Häusern selbst an. Doch sind sie für „normales“ Hochwasser konzipiert. Was an diesem Wochenende über Passau hereinbrach, geht darüber hinaus. Das ist eine handfeste Katastrophe.
Wieder einmal ist der Inn das Problem. Er führte gestern doppelt so viel Wasser wie die Donau, teilte Zacher mit. Er reagierte auch auf Kritik, warum die Vorhersagen zu niedrige Pegel verzeichneten. „Der Hochwassernachrichtendienst hat einen Vorlauf von zehn Stunden“, sagt er. Viel Zeit also für Uni-Dreiflüssestadt seit gestern Mittag so gut wie gesperrt − 12 Meter erwartet: Donau steigt voraussichtlich auf den Pegel von 1954wägbarkeiten. Sein Chef Jürgen Dupper spricht von einer dramatischen
Entwicklung in der Nacht zum Sonntag: „Wir sind nun mal auch auf die Prognosen angewiesen. “Die Schifffahrt war Freitag und Samstag schon eingestellt worden. Racklau glich gestern einem See, nur Gebäude und Hochsilos ragten noch aus der Wasserwüste. Großes Lob zollten die Verantwortlichengestern den Helfern,„die hier wieder einmal ihr Bestes geben“, sagte Dupper. Einer von ihnen rettete beispielsweis ein der Freyunger Straßeeinen Autofahrer, der mit seinem Wagen in den Fluten steckengeblieben war. Das Auto war soweit abgesoffen, dass der Feuerwehrler einen Taucher rufen musste, der das Abschleppseil befestigte, so dass der Feuerwehr-Lkw es rausziehen konnte. Nicht nur die meisten Schulenbleiben heute geschlossen, sondern beispielsweise auch die Uni (siehe auch S. 2,3 und 21).
M2: PNP, 04.06.2013, Tageszeitung, Nr. 126, S. 2
I. PNP-Zeitung „Wir kämpfen“
Das katastrophale Hochwasser bringt in Passau nicht nur die betroffenen Bewohner an den Rand ihrer Kräfte, sondern auch die Einsatzkräfte. Doch Solidarität und Kampfgeist sind ungebrochen.
Von Sebastian Fleischmann
Das Boot landet in der Bräugasse. Mit einem beherzten Satz springt Dr. Hans Lichtenstern aufs nasse Kopfsteinpflaster, barfuß und in kurzen Hosen. Zwei Helfer reichen ihm aus dem Boot seine Reisetasche mit den nötigsten Habseligkeiten und eine Box. Darin: seine beiden Hasen Leo und Lilli. Gerade ist der 60- Jährige von der Wasserwacht aus seiner Wohnung direkt an der Passauer Ortspitze gerettet worden. Doch nicht nur für die betroffenen Anwohner wird das Jahrhunderthochwasser zur Kraftprobe −sondern auch für die Rettungskräfte.
Seit dem frühen Sonntagmorgen sind etwa die Kreiswasserwacht Passau und die Wasserwacht Passau-Stadt im Einsatz. Knapp 20 Mann wechseln sich in Schichten ab, darunter auch Oliver Geier. Ungefähr 20 Anwohner haben er und seine Kollegen bis Montagnachmittag allein aus den Gebäuden an der Ortspitze, an der Donau, Inn und Ilz zusammenlaufen, schon ins Trockene gebracht. Die Zahl kann er nur schätzen: „Das ist ein Kommen und Gehen“, sagt der 44-Jährige, der die Kapuze seiner rote Regenjacke weit ins Gesicht gezogen hat.
Besonders bedrückt sei die Stimmung dabei unter den an der Ortspitze ansässigen Geschäftsleuten gewesen, berichtet er. „Für die geht’s an die Existenz!“ Eine Handvoll Bewohner harre derweil in den oberen Stockwerken der vollständig vom Wasser umschlossenen Häuser weiter aus, berichtet Geier. Dann muss er weiter, der nächste Einsatz. Das Motorboot wird in der Höllgasse gebraucht. Im Dauereinsatz in der ganzen Stadt ist natürlich auch die Feuerwehr.
Von 5 Uhr früh bis Mitternacht am Sonntag, gestern wieder ab 7.30 Uhr, berichtet etwa Anton Winghardt von der Feuerwehr des Passauer Ortsteils Grubweg, der mit seinen Kollegen in der halb überfluteten Bräugasse hält. Der nicht mehr so schnell steigende Wasserstand erlaube der Truppe gerade einen Moment des Durchatmens, berichtet er gestern Nachmittag.
Ein dringend benötigtes Päuschen − vor allem das Füllen und Schleppen der Sandsäcke habe am Sonntag Spuren hinterlassen und an den Kräften gezehrt. Und ein Ende des Einsatzes sei längst nicht in Sicht, meint der 42-Jährige: „Wenn das Wasser mal weg ist, bleibt da ja eine Menge Dreck.“ Unterstützung erhalten die Passauer Feuerwehrler auch
von zahlreichen Kollegen aus den Nachbarlandkreisen. Von insgesamt600 ehrenamtlichen Rettungskräften ist in einer Pressemitteilung der Stadt die Rede. Und nicht nur die Rettungskräftehelfen. Auch die Bürger packen an, die Solidarität kennt keine Grenzen. Da ist etwa Nico Schilling: Mit einem Kajak rudert der Sportstudent durch die „Kanäle“ der Altstadt und hilft beim Evakuieren.
Nachdem er bereits die Studentinnen Anneke Graemer (23) und Carina Hornstein (24) aus deren WG an der Roßtränke gepaddelt hat, bringt er auch noch deren Mitbewohnerin Clara Bartle (20) ins Trockene. Die jungen Frauen hatten Schilling vom Fenster ihrer Wohnung im ersten Stock aus gesehen. Der 26-Jährige zögerte nicht lang und holte die Studentinnen kurzerhand mit dem Kanu im bereits komplett unter Wasser stehenden Treppenhaus ab. Die drei Freundinnen ziehen nun bis auf Weiteres zu Bekannten. Warum er hilft? „Was sollte ich auch sonst tun?“, fragt Sportstudent Schilling und zuckt mit den Achseln.
„Die Uni ist eh heute und in den nächsten Tagen zu.“ Nachbarschaftshilfe hat Cornelia Wolf am Sonntag geleistet. Die 30-Jährige, die in der Michaeligasse nahe am Donauufer wohnt, half, das Mobiliar eines indischen Restaurants und eines Friseursalons in trockene Sicherheit zu bringen, ehe es ein Raub der Wassermassen wurde. Ihre eigene Wohnung im zweiten Stock ist zwar hochwassersicher − von der Trinkwasser und Stromversorgung war jedoch auch die Universitätsmitarbeiterin abgeschnitten.
Gerade noch rechtzeitig ist es Heidi Gell vom Schuhgeschäft Feile gelungen, die ausgestellte Ware in ihrem Laden am Rindermarkt in Sicherheit zu bringen. „Bis gestern habe ich nicht geglaubt, dass das Hochwasser bis zu uns kommt“, sagt sie. Doch alle Vorkehrungsmaßnahmen halfen am Ende nichts. Seit dem frühen Montagnachmittag steht der Laden gut zehn Zentimeter unter Wasser. „In den 33 Jahren, seit ich hier arbeite, hat’s das noch nicht gegeben“, sagt die 49-Jährige. Wenn das Wasser zurückgeht, will sich Gell sofort an die Renovierungsmaßnahmen machen und denn Laden baldigst wieder eröffnen. Und spricht die Einstellung aus, die so viele Passauer derzeit vereint: „Wir kämpfen!“
II. PNP, Nr. 126, S. 3: Der absolute Ausnahmezustand
Die Stadt Passau war gestern am Rande des Zusammenbruchs. Ein Hochwasser mit diesem verheerenden Ausmaß hat hier noch niemand erlebt.
Von Franz Danninger
Das ist kein Hochwasser. Hochwasser kennt der Passauer. Wenn bei acht Meter Donaupegel die ersten Flut-Touristen anrücken, dann lächelt der Altstädter leicht belustigt, dreht sich um, geht seine Gasse entlang.
Dieses Mal ist es anders. In der Altstadt gibt es keine Gaffer mehr, denn sie kommen nicht durch bis zum traditionellen Zentrum des deutschen Hochwasser-Voyeurismus. Es gibt keine beleuchteten Schaufenster mehr, seit Sonntagabend wird der Strom Gebiet für Gebiet abgeschaltet. Es gibt teilweise nicht einmal mehr eine Gasse, sondern nur einen Kanal mit kalter, brauner Brühe.
Das ist kein Hochwasser, das ist der absolute Ausnahmezustand. Eine Stadt am Rande des Zusammenbruchs.
Hubschrauber kreisen, Sirenengeheul von Einsatzfahrzeugen hängt in der feuchten Luft. Wäre das nicht, dann läge gespenstische Ruhe über der Innenstadt. Einen kurzen Moment lang fragt man sich, was die Martinshörner eigentlich sollen, es fährt ohnehin kein Auto mehr. Aber stimmt schon: Dafür sind jede Menge Fußgänger unterwegs, einige gehetzt, andere mit neugierigem Blick. Bundeswehr holt Menschen aus Häusern Soldaten im Geländewagen sind seit dem Bundeswehr-Abzug vor 20 Jahren eigentlich verschwunden, seit Montagmorgen sind sie wieder da. Bis zu 200 sollen es werden und sie haben einen reinen Friedensauftrag: Menschen aus abgesoffenen Häusern holen, Sandsäcke
füllen, Hilfstransporte fahren. Sie sollen die Feuerwehrler und THW-Freiwilligen ablösen, von denen die meisten seit Samstag schichtweise im Einsatz sind.
Einen Pegel um die 12,50 Meter, wie ihn OB Jürgen Dupper am Montagmorgen als düsteres Fanalan die Wand malen musste, „so etwas hat man hier an der Donau seit Menschen gedenken noch nicht erleben müssen.“ Denn auch die Jahreszahl1954 taugt nicht mehr als Schreckensvision, die nur noch die Ältesten in Erinnerung haben und mit bedeutungsschwangerer Stimme davon erzählen. Bei 12,20 Meter stand die Donau damals
endlich still, diese traurige Schallmauer wurde schon gestern, am Montagmorgen, durchbrochen. Markus Gartz eilt durch die Theresienstraße, seine Kinder Julia (13) und Philip (11) folgen ihm. Sie tragen frische Beute unterm Arm, Paddel die Kinder, eine Schachtel mit einem Gummiboot der Papa. Ihr Ziel ist die Grabengasse, unterer Teil. Leider. Denn oben besteht keine Gefahr, unten dagegen stehen heute keine Autos, sondern der Inn. Er hat die Erdgeschossfenster schon verschluckt, darüber sind noch Leute in den Wohnungen und zu denen will Gartz, dessen Familie das Haus besitzt. Und
er will auch versuchen, Ware des Textilgeschäfts seiner Frau zu retten. Der Mittvierziger pumpt das Schlauchboot auf, nimmt seine Kinder an Bord und paddelt los. Ihm entgegen kommt ein Kanu.
Die beiden Studenten Timo (22) und André (20) sind noch gut drauf, sie rufen den Menschen am Wasserrand flachsend zu: „Hey, ihr Gaffer.“ Der Grund für ihre gute Laune sitzt zwischen ihnen, soeben haben sie ihre Kommilitonin Amrid (20) aus ihrer Ein-Zimmer-Wohnung am Unteren Sand befreit, die zum Hochwasser-Gefängnis geworden war. Dabei belassen sie es nicht, Timo und André fahren mit ihrem Boot stundenlang und freiwillig als kostenloses Wassertaxi durch die gefluteten Häuserreihen. Dass die Leute in der Grabengasse keine Gaffer sind, wie sie scherzhaft tituliert wurden, das beweisen sie ein paar Minuten später: Sie packen den Studenten sechs Literflaschen Mineralwasser ins Kanu, sie sollen sie an die Bewohner im Oberen und Unteren Sand verteilen, die seit dem Nachmittag ohne Trinkwasser sind.
Das ist kein Hochwasser, das ist eine Katastrophe, die den Menschen auf seine Urinstinkte zurückwirft. Um 11.50 Uhr laufen rund 20 Menschen einem Unimog hinterher, der durch den flachen See am unteren Eingang der Fußgängerzone kam. Sie schieben Sackkarren vor sich her und Schubkarren und einer sogar einen Einkaufswagen. Der Unimog ist ein Werttransporter, er hat Sandsäcke geladen. Kaum steht er still, ist er von Abnehmern umzingelt. Das konnte sich bislang kein Hausbesitzer in der Theresienstraße vorstellen, dass er jemals etwas mit Hochwasser zu tun haben könnte. Jetzt stehen sie Schlange um Sandsäcke.
Jochen Weiss gehört zu ihnen. Vor Jahrzehnten kam der Friseurmeister von Hamburg nach Passau, Wasser gehört zu seinem Leben. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, ruft er, um die Pumpe zu übertönen, die versucht, seinen Keller auszupumpen. Weiter vorne, weiter unten steht einer, der kann sich schon noch an Ähnliches entsinnen: Erich Siebzehnrübl hat mit seinen 82 Jahren schon einmal erlebt, wie der Inn zu Besuch war in der Theresienstraße.
„Aber so etwas . . .“ Dieses ungläubige Staunen, diese Fassungslosigkeit, was die drei Flüsse ihrem Stadtjuwel antun, die beherrscht vielerorts die Stimmung. Doch bislang haben alle auch nur Hochwasser erlebt. Das hier ist kein Hochwasser. Es ist eine Katastrophe.
M3: PNP, 04.06.2013, Hilfszusagen
I. Auf dem „Schwarzen Brett“ der PNP: Leser bieten Flutopfern Unterkunft an
Das Schicksal der Hochwasser- Opfer in der Region berührt viele PNP-Leser − und ruft spontane Hilfsbereitschaft hervor. Ein Unternehmer aus Bad Griesbach (Lkr. Passau) etwa meldete sich gestern bei der Redaktion mit folgendem Angebot: Er wolle drei bis vier Studenten für eine Woche freie Kost und Logis in seinem geräumigen Haus anbieten.
„Jeder bekommt sein eigenes Zimmer“, sagt er. Das Angebot ist für ihn selbstverständlich: „Ich helfe immer gerne, wenn jemand in Not ist.“ Er ist offensichtlich nicht der einzige, der sodenkt. Auf einer Art „Schwarzem Brett“ im Internet, das PNP-Online gestern ins Leben rief, meldeten sich innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Leser, die Kleidung oder vorübergehende Unterkunftsmöglichkeiten anboten.
Auf der Seite www.pnp.de/fluthilfe können Hilfswillige und Hilfsbedürftige auch in den nächsten Tagen leicht zueinander finden. Nach einer einfachen Registrierung kann man dort ein Hilfsangebot veröffentlichen und die Telefonnummer oder Mail-Adresse hinterlassen, um Flutopfern die Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Wer dagegen lieber finanzielle
Hilfe leisten möchte, kann dies bei der Spendenaktion der Stiftung der Passauer Neuen Pressetun. In Zusammenarbeit mit den Landratsämtern und der Stadt Passau wird die Stiftung mit den gesammelten Geldern den Flutopfern unbürokratisch unter die Arme greifen, die vom Hochwasser besonders schwer getroffen wurden. Die Kontonummer :
Stiftung der Passauer Neuen Presse
Kennwort: PNP-Fluthilfe
Kontonummer: 30 365 373
BLZ 740 500 00
Sparkasse Passau
II. Hilfe aus München, Berlin und Brüssel
Von Alexander Kain
Die Hilfszusagen für die vom Hochwasser betroffenen bayerischen Regionen häufen sich. Aus München, Berlin und Brüssel soll Geld fließen. Die bayerische Staatsregierung berät bei einer Kabinettssitzung am morgigen Mittwoch
in München die Details. Klar ist aber schon jetzt: Der Freistaat greift tief in die Steuerschatulle und auch der Bund wird mithelfen. In einer Absprache einigten sich München und Berlin gestern auf die 150 Millionen Euro. Die Verteilung und Verwaltung der Gelder dieses Härtefonds, die als direkte Finanzhilfen gedacht sind, ist beim bayerischen Finanzministerium angesiedelt. Geholfen werden soll gewerblichen wie privaten Betroffenen, die durch das Hochwasser in ihrer Existenz gefährdet sind.
Finanzminister Markus Söder (CSU) hatte zudem bereits am Wochenende angekündigt, dass Betroffene mit steuerlichen Erleichterungen wie zum Beispiel Stundungen, Anpassung von Steuervorauszahlungen sowie Steuerabschreibungen rechnen können.
Hilfe wird es offenbar auch aus Brüssel geben: EU-Regionalkommissar Johannes Hahn, ein Österreicher, hat den Opfern der Überflutungen in Deutschland, der Tschechischen Republik und Österreich die Unterstützung der Europäischen Kommission zugesagt. Noch sei es zu früh, das Ausmaß der Schäden abzuschätzen. Jedoch besteht prinzipiell die Möglichkeit, Unterstützung aus dem Solidaritätsfonds der Europäischen Union (EUSF) zu beantragen. „Er hilft den Mitgliedstaaten und den betroffenen Gebieten, nach der Katastrophe wieder Tritt zu fassen und die Kosten des Wiederaufbaus mit zu finanzieren“, so Hahn. Der EUSF war aus Anlass der schweren Überschwemmungen in Mitteleuropa im Sommer 2002 geschaffen worden, mehr als drei Milliarden Euro wurden seitdem ausgereicht. Ob Deutschland die Hilfe dieses Fonds in Anspruch nehmen kann, wird sich erst klären lassen, wenn das Hochwasser abgeflossen und das Schadensausmaß festgestellt ist: EU-Mitgliedstaaten könnten den EUSF im Falle von Naturkatastrophen größeren Ausmaßes in Anspruch nehmen, wenn die unmittelbaren Schäden einen Schwellenwert von 0,6 Prozent des Bruttonationaleinkommens überschreiten, teilte die EU-Kommission gestern mit.
Für Deutschland liege dieser Schwellenwert bei 3,67Milliarden Euro. „Ausnahmsweise kann der Fonds auch im Fall eineraußergewöhnlichen regionalen Katastrophe aktiviert werden, wenn sie die Mehrheit der Bevölkerung einer Region in Mitleidenschaft zieht und schwere und dauerhafte Auswirkungen auf deren wirtschaftliche Stabilität und die Lebensbedingungen hat“, hieß es. Unbürokratische Hilfe für die Landwirte, die wegen des Hochwassersund der Überschwemmungen mit Ernteausfällen zukämpfen haben, hat unterdessen auch Landwirtschaftsminister Helmut Brunner (CSU) angekündigt. Die Schäden seien „derzeit noch nicht bezifferbar“, entscheidend sei, „wie schnell sich das
Wasser in den nächsten Tagen von den landwirtschaftlichen Flächen zurückzieht“.
Die seinem Ministerium unterstehenden Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten habe er angewiesen, Schadensmeldungen von landwirtschaftlichen Betrieben detailliert aufzunehmen. „Wir lassen die betroffenen Landwirte nicht allein“, so Brunner. Es sei „oberstes Gebot, den Menschen in den betroffenen Gebieten möglichst rasch und unbürokratisch zu helfen“, heißt es in einer Mitteilung aus seinem Haus.
M4: Aktion der Passauer Studenten "Passau räumt auf"
PNP-Online, 05.06.2013
"Passau räumt auf" ist offizielle Anlaufstelle für Freiwillige
Die Aktion "Passau räumt auf", eine Initiative von Studierenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität, ist mittlerweile zu einer der größten Hilfsaktionen von Passauern für Passauer angewachsen und hat nun den Status einer offiziellen städtischen Anlaufstelle für zivile Helferinnen und Helfer. Seit dem 2. Juni haben sich weit über 1.500 Freiwillige gemeldet. Diese werden in enger Abstimmung mit den Einsatzkräften der Stadt bei den Aufräumarbeiten im Stadtgebiet und auf dem Campus eingesetzt.
Präsident Prof. Burkhard Freitag dankte den Organisatorinnen und Organisatoren für ihre Hilfsbereitschaft: "Das Wasser zieht sich langsam zurück, die Sonne kommt noch zaghaft hervor. Jetzt ist es an der Zeit, den großartigen Einsatz unserer freiwilligen Helferinnen und Helfern und unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu würdigen. Für ihr Engagement, ihre Energie, ihre Kompetenz und ihre Besonnenheit haben sie meinen tief empfundenen Respekt und Dank. Sie haben von Anfang an ganz wesentlich dazu beigetragen, dass noch Schlimmeres verhütet werden konnte und die aufgetretenen Schäden nun zügig beseitigt werden können", sagte Freitag bei seinem Besuch in der Helferzentrale im Nikolakloster.
Bereits am Sonntag hatten sich viele Studierende sowie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als freiwillige Helfer angeboten. Koordiniert werden die freiwilligen Helfer vom Büro der Fachschaft Philosophie im Nikolakloster aus, das als zentrale Anlaufstelle fungiert.
Der Präsident hob auch die hervorragende Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität hervor: "Hausmeister, Techniker, Raumpflegekräfte und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit Sonntag teilweise auch im Nachteinsatz aktiv und leisten zusammen mit den freiwilligen Helfern Unglaubliches – allen Beteiligten gilt mein besondere Dank, den ich auch im Namen der gesamten Universität ausspreche."
Auch die gute Kooperation zwischen Freiwilligen und den Einsatzkräften der Universität sei bemerkenswert. "In einer solchen Katastrophensituation beweist sich einmal mehr der besondere Geist der Universität Passau. Hier arbeiten alle zusammen am Erfolg und Erhalt ihrer Universität von den Studierenden über die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bis zur Verwaltung. Das spürt und sieht man täglich", sagte Präsident Freitag,
Wer helfen will, kann sich online in die Helferliste eintragen.
Wer die Aktion mit Sach- und Essensspenden unterstützen will, sollte sich bitte mit der zentralen Koordinationsstelle abstimmen, Tel. 0851/509-2613. Benötigt werden vor allem Eimer und Schaufeln.
Weitere Anlaufstellen für ehrenamtliche Helfer in Passau werden in einer Pressemitteilung der Stadt Passau benannt: "Sollten Sie Hilfe benötigen oder anbieten wollen, melden Sie sich einfach unter der 0851-4905290 oder einfach vorbeikommen im Büro von CMP (City Marketing Passau) der Großen Klingergasse 4, direkt bei der Sparkasse in der Fußgängerzone links in die Gasse rein. Die Stadt Passau freut sich über den großen Ansturm an Helfern! Wir suchen weiterhin noch DRINGEND Werkzeug, vor allem Schaufeln! Diese können gerne beim Vodaphone-Shop in der FuZo abgegeben werden."
Lesen Sie mehr auf:
M5: Aktion "Fluthilfe" und Aktion "Mamas helfen"
I. Aktion "Fluthilfe":
http://www.help-ev.de/laender/deutschland/spenden-fluthilfe-2013
II. Aktion "Mamas helfen":
http://mamas-helfen.de/
„Mamas helfen“- Hilfe für Hochwasseropfer entlang der Donau.
Was mit einem kleinen Aufruf über Facebook begann, ist zu einer Bewegung mit mehr als 3000 Mitgliedern geworden.
Wir “Mamas helfen”, wo Hilfe gebraucht wird.
So spontan wie das Wasser plötzlich Existenzen, Träume und Wohnplätze nahm, haben wir diese Aktion ins Leben gerufen. Wir möchten den Opfern ein Stück weit helfen und ihnen wieder etwas Mut und Hilfestellung geben. Wir sind allesamt Muttis und sind zutiefst getroffen über das Ausmaß des Wassers. Deswegen möchten wir aktiv helfen!
Ganz Deutschland hilft, wir auch! Wir haben Sammelstellen eingerichtet, wo wir eure Spenden entgegengenommen haben. Wir arbeiten eng mit Unternehmen, Vereinen und Organisationen zusammen, damit eure Spenden die Betroffenen erreichen. Jetzt geht es darum dass Ihre Spenden die Betroffenen erreichen.
Solltet Ihr betroffen sein dann zögert nicht euch an uns zu wenden – denn dafür sind wir da.
M6: PNP, 18.06.2013, Benefizkonzert der Band "Moop Mama"
Allmählich kehrt wieder so etwas wie Normalität ein an Orten, wo man vor einer Woche noch was ganz anderes im Sinn hatte als ausgelassenes Beisammensein: Am Kirchenplatz in der Innstadt wurde am Montagabend die überwältigende Passauer Solidarität und generationsübergreifende Hilfsbereitschaft ähnlich gefeiert wie zwei Tage zuvor am Rathausplatz beim Sommerfest des Scharfrichterhauses. Dort hatten 2000 Passauer dem in der Existenz gefährdeten Scharfrichterhaus viel Mut zum Weitermachen gemacht.
Nicht viel weniger waren es am Montag − vor allem junge Besucher, die zuletzt noch in Gummistiefeln und mit viel Ausdauer und Kraft nebenan in der Lederergasse neben Alteingesessenen Aufräumarbeit leisteten. Sie lauschten bei dem Helfer-Fest auch dem Gratiskonzert der elfköpfigen Münchner Hip-Hop-Brass-Band Moop Mama. Für das kleine Dankeschön sorgte der Wahl-Münchner Veranstalter Till Hofmann, der in Passau bei Freunden selbst Aufräumarbeit leistete. Rundum gab es auch Benefizaktionen zugunsten der Flutopfer.
M7: PNP, 24.06.2013, Benefizsong "Weida midanand"
BR präsentiert das Benefiz-Lied "Weida midanand"
Nur wenige Stunde ist das Video zum Benefiz-Song "Weida midanand" online, schon ist es 40.000 Mal geklickt worden. Heute Abend wird das Lied, dessen Einnahmen an die PNP-Fluthilfe gehen, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr auch im Bayerischen Fernsehen im Rahmen des BR-Spendentages vorgestellt. Möglich gemacht hat das Lied, an dem mehr als 30 bayerische Künstler beteiligt sind, der aus Passau stammende Konzertveranstalter Till Hofmann. Bei der BR-Sendung sieht unter Anderem Monika Gruber, Dieter Hildebrandt, die Sportfreunde Stiller, Claudia Korrek und Keller Steff mit dabei.
Vom BR-Spendentag erhofft sich Hofmann vor allem "viel Geld", denn immer noch seien vielen Menschen in den Hochwassergebieten auf Unterstützung angewiesen. Den Song "Weida midanand" gibt es bereits im digitalen Handel, diese Woche kommt die CD heraus.
In der BR-Sendung sind auch Vertreter der Passauer Studenten-Initiative "Passau räumt auf" dabei.
http://www.youtube.com/watch?v=srfqFslB7c0
M8: Bilder vom katastrophalen Hochwasser
Passau am 02.Juni 2013
Passau am 03.Juni 2013
Passau am 04.Juni 2013
Passau am 05.Juni 2013
Passau am 04.Juni 2013: Die Pegel sinken, die Aufräumarbeiten gehen los
Passau am 07.Juni 2013- Eine Welle der Hilfsbereitschaft
M9: PNP, 26.06.2013, Nr. 144, S. 22
Spontan steht Aufräumen auf dem Stundenplan
18 Siebtklässlerinnen sorgen für unerwartete Unterstützung in denkmalgeschütztem Privathaus am Ort
von Christian Karl
Nichtalltägliche Nachbarschaftshilfe: Mit ihrer spontanen Unterstützung haben 18 Mädchen der Klasse 7 d der Realschule Niedernburg Eindruck hinterlassen. Spontan hatten die Mädchen um Sportlehrerin Monika Wimmer den Sportunterricht vorübergehend hintan gestellt und nicht minder schweißtreibend beim Aufräumen in einem vom Hochwasser arg in Mitleidenschaft gezogenen Haus im Ort geholfen. Nicht genug: Sogar nach dem Unterricht zogen einige der 12- und 13-jährigen Mädchen bei über 30 Grad die Aufräumarbeiten dem Freibad vor. "Wir sind von der Solidarität und der Empathie der Menschen, vor allem jungen Menschen überwältigt", sagt Issi Gaißinger, die ihrer Schwester bei den Aufräumarbeiten in ihrem denkmalgeschützten Haus aus dem 16. Jahrhundert hilft.
"Heute machen wir Sportunterricht der anderen Art", hatte Lehrerin Monika Wimmer kurz nach dem Aufwärmprogramm und mit Blick auf die hilfsbedürftige Hauseigentümerin vorgegeben. Die Siebtklässlerinnen aus der benachbarten Schule wären eigentlich zum Joggen in Richtung Ortspitze unterwegs gewesen, als sie an dem vom Hochwasser schwer in Mitleidenschaft gezogenen Haus mit der Adresse Ort 15 vorbeikamen. Dort registrierten sie, wie Eigentümerin Simone Hoffmann gerade dabei war, Erdreich aus dem schwer beschädigten Haus zu tragen und in einen Container zu schütten. Auf rund 100 000 Euro wurde der Schaden in dem dreigeschossigen Bau geschätzt. Wegen der wertvollen denkmalgeschützten Substanz des Hauses ist es darin umso aufwendiger, Aufräumarbeiten zu leisten. So müssen u.a. Steine, Ziegel und Erdreich aus dem 16. bis 17. Jahrhundert aus den oberen Geschossen getragen werden, um das Gewicht von dem Kreuzgewölbe darunter zu nehmen. Böden mussten herausgerissen, Schüttungen entfernt werden. Unzählige Eimerladungen, die zunächst durch den Garten getragen werden müssen, um dann in einem Schubkarren zu landen und nach wenigen Metern in einen Bauschutt-Container gekippt werden. Simone Hoffmann, alleinerziehende Mutter einer 15-jährigen Tochter, war großteils auf sich allein gestellt und entsprechend dankbar über die unerwartete Hilfe. Bei 38 Grad halfen die Mädchen samt Lehrerin "selbstlos und fleißig" mit, wie Hoffmanns Schwester Issi Gaißinger sagt.
Nicht genug: Vier der Mädchen kamen sogar nach dem Schlussgong in der benachbarten Schule nochmals dorthin zurück, wo ihr "Sportunterricht" zuvor auf wundersame Weise einem Flutopfer zugute kam. "Sie halfen drei Stunden nochmal mit, obwohl sie bei diesen Temperaturen vielleicht lieber ins Schwimmbad gegangen wären", erwähnt Issi Gaißinger mit Blick auf die rund 35 Grad in der vergangenen Woche. Die gute Aktion der Schülerinnen blieb auch Passanten nicht verborgen. "Ein Ehepaar aus der Schweiz ist vorbeigekommen und hat den Mädchen 20 Euro geschenkt, weil sie so überwältigt waren von deren Einsatz. Und der Frau standen sogar Tränen in den Augen", beschreibt die Schwester der Hauseigentümerin das offenbar allumfassende Mitgefühl an diesem Tag rund um Ort 15.
M10: PNP, 28.08.2013, Tageszeitung, Nr. 198, S. 3
"Es braucht eine Art Trauerjahr" - 140 Seelsorger nach Flut im Einsatz
Notfallseelsorger Dieter Schwibach hat während der Flutkatastrophe vielen Opfern Beistand geleistet und ihre Verzweiflung hautnah miterlebt. Mit seinen Kollegen sorgt er dafür, dass Betroffene auch in den kommenden Monaten noch Ansprechpartner finden.
von Sebastian Fleischmann
Dieter Schwibach kratzt sich am Kinn. Er muss nicht lange überlegen. Eine vergleichbare Situation hat er in seinen zwölf Jahren als Beauftragter der Diözese Passau für die Notfallseelsorge noch nicht erlebt. Nicht annähernd. Schon allein eine bloße Zahl verdeutlicht das Ausmaß der Ereignisse: Insgesamt 140 Notfallseelsorger seien während der Hochwasserkatastrophe in den Regionen Passau und Deggendorf im Einsatz gewesen. Seelischer Beistand im Akkord.
Schwibach, 53, tiefe ruhige Stimme, von stattlicher Statur, wirft so leicht nichts aus der Bahn. Das während der Flutkatastrophe Erlebte hat aber selbst er gut zweieinhalb Monate nach der Flut noch nicht ganz verdaut. Normalerweise arbeitet der Diplom-Theologe als Pastoralreferent in Pfarrkirchen. Als "Chef" der diözesanen Notfallseelsorge stand er während der Katastrophe stets in engem Kontakt mit dem Krisenstab oder war bei den Besprechungen sogar dabei.
Viele drohten aus Hilflosigkeit mit Suizid
Die Verzweiflung, der Schwibach und seine Kollegen begegneten, war vielerorts groß. In den Tagen nach der Flut habe es viele Suizid-Androhungen gegeben. "Das waren verzweifelte Aufschreie aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus", erklärt Schwibach. In die Tat umgesetzt habe das geäußerte Vorhaben gottlob niemand. Allerdings habe man jeden einzelnen Fall ernst genommen und den Menschen beigestanden – "so lange, bis das soziale Netz wieder tragfähig war", sagt Schwibach. Dann habe man die weitere seelische Aufbauarbeit wieder Familie, Freunden und Bekannten der Betroffenen überlassen. Dass generell niemand durch die Katastrophe zu Tode gekommen ist, grenzt für ihn an ein Wunder.
Derlei "Akuteinsätze" waren allerdings eher die Ausnahme: "Wir waren wie Streetworker unterwegs", beschreibt Schwibach den Ablauf für die Seelsorger während der 19 Tage des Katastrophenzustands in Passau. Wie Straßensozialarbeiter, die sich in der Regel um Jugendliche in Brennpunktvierteln kümmern, seien er und seine Kollegen einfach vor Ort gewesen. Als Ansprechpartner, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, über das Erlebte zu reden. Geholfen habe dabei oft ein einfaches Mitbringsel: "Wir hatten Energy-Drinks in Dosen dabei", erklärt Schwibach. Diese seien der "Türöffner" gewesen. Die Menschen hätten dafür mitten in den Aufräumarbeiten für einen Moment innegehalten. Dankbar für das kraftspendende Getränk – und verständnisvolle Zuhörer. "Darüber zu reden hilft den Menschen, die Dinge selbst einordnen zu können", erklärt Schwibach.
Das gilt auch für die Seelsorge-Kräfte selbst – an jedem Abend habe es eine gemeinsame Reflexionsrunde gegeben. Indem sie sich ihre Begegnungen und Erlebnisse mit den Flutopfern untereinander schilderten, sammelten auch sie neue Kraft. Und Schwibach als Koordinator konnte dem Krisenstab ein Stimmungsbild direkt von den Betroffenen liefern. "Dieser Austausch von oben nach unten und andersherum hat gut funktioniert", resümiert der Diplom-Theologe. In dieser Form sei das in den vergangenen zehn Jahren neu organisierte Krisenmanagement zum ersten Mal zum Einsatz gekommen. Und habe sich bewährt.
Ein wiederkehrendes Schema hat der 53-Jährige über die knapp drei Wochen des Katastrophenzustands ausgemacht: "Für die Menschen gibt es eine Zweiteilung: die Zeit vor der Flut und die Zeit nach der Flut." Vieles, was dem Einzelnen wichtig gewesen sei, sei zerstört worden. "Die Menschen haben ihre Existenz sterben sehen", verdeutlicht Schwibach. "Mit ihren Häusern haben viele Heimat verbunden." Für viele habe so zwangsläufig der Weg in ein neues Leben begonnen.
Und dieser Weg sei ein längst noch nicht abgeschlossener Prozess, weiß Schwibach. "Das ist noch nicht vorbei", warnt er. Als nichts weniger als ein "kollektives Trauma" bezeichnet Schwibach das, was in den Regionen Passau und Deggendorf in jenen schicksalhaften Tagen im Juni erlebt hätten. Deshalb müsse man den Menschen trotz der langsamen Rückkehr zum Alltag weiter Zeit zugestehen, die Dinge einzuordnen und zu verarbeiten – zumal nach wie vor viele mit Renovierungsarbeiten voll ausgelastet seien und bisher kaum Zeit zur Reflexion gehabt hätten.
"Es braucht eine Art Trauerjahr", meint Schwibach daher – ähnlich, wie nach dem Tod eines Angehörigen. Dazu gehört für ihn ein weiterhin großes Angebot an niedrigschwelligen, sprich: für jedermann einfach zugänglichen, psychotherapeutischen Hilfen. Von Flut-Gottesdiensten bis hin zu professionellen Gesprächsangeboten. Das gelte nicht nur für die Betroffenen: "Auch die fleißigen Helfer darf man nicht allein lassen", sagt er. Denn der erfahrene Notfall-Seelsorger glaubt, dass
Seine Lehre: Heimat an Menschen festmachen
nicht jeder die gesehene Not einfach so von heute auf morgen verarbeitet. So plädiert er etwa auch für dauerhafte Gesprächsangebote für die Studenten – sowohl während der Semesterferien als auch im neuen Semester.
Einiges sei auch bereits in die Wege geleitet worden. "Wir haben mit den Deggendorfern eine Aktionsgemeinschaft gegründet", berichtet Schwibach. Mit dem Malteser Hilfsdienst als treibende Kraft hätten sich die Notfallseelsorge der Diözesen Passau und Regensburg, die Caritas sowie die Kliniken in Deggendorf zusammengetan, um für die Flutopfer vor Ort weiterhin greifbar zu sein. "Wir sind mit einem Bus jede Woche in Fischerdorf und Natternberg, um die Menschen weiter zu begleiten", beschreibt er.
Auch Dieter Schwibach selbst – obwohl persönlich als Pfarrkirchner nicht betroffen – versucht, seine Konsequenzen aus der Flutkatastrophe zu ziehen. Für sich versuche er künftig, sein Heimatgefühl weniger mit materiellen Dingen wie Haus oder Garten zu verbinden, sondern mehr mit seiner Familie, dem Freundeskreis oder Hobbys wie Sport, erklärt der Vater zweier erwachsener Kinder. Denn wie dieses Gefühl von Heimat und Sicherheit für Tausende Menschen quasi über Nacht ins Wanken geraten kann, hat er als Seelsorger im Katastrophengebiet hautnah miterlebt. Schwibach: "Das verändert einen auch selbst."
M11: Didaktische Impulse
1. Passende Bibelstellen suchen
Die SchülerInnen suchen passende Bibelstellen, in denen von menschlichen Nöten und den Umgang damit die Rede ist.
"Das Wasser steht mir bis zum Hals, aber mit Gott spring ich über Mauern." (vgl. Psalm 18,30)
Erklärung:
- „Mit meinem Gott an meiner Seite“ gehe ich auf die Aufgaben zu, auch wenn es schmerzlich ich. Die Menschen haben nicht alles verloren, Gott ist stets an ihrer Seite. Wichtig ist, dass ich trotz solcher Naturkatastrophen die Glaubenskraft nicht verliere.
- "springen“: darin steckt „Handeln“, Bewegung, Konzentration. Wir müssen nach dem Hochwasser wieder Mut fassen und zusammen den Weg zurück in die Normalität finden.
=> Mit Gott bin ich auf der sicheren Seite.
=> Mögen wir immer wieder mit unserem Gott Mauern finden, die wir überspringen.
2. Briefe aus der Sicht der betroffenen Personen schreiben
Beispiel:
Du bist eine 88-Jährige, vom Leben sehr gezeichnete Dame. Zusammen mit Deinem Hund wohnst du in einem schönen Haus im Passauer Stadtteil Hals, in dem Du Dich sehr wohlfühlst. Deinen Mann hast Du bereits vor zehn Jahren verloren, alle Kinder wohnen im Ausland.
Der 03.Juni 2013 verändert Dein Leben radikal. Eine gewaltige Flut zerstört Deinen Keller, die Fenster des Untergeschosses sind eingedrückt- Deine liebgewonnenen und wertvollen Möbelstücke sind völlig von Schmutz bedeckt. Für Dich bricht eine Welt zusammen! Der ganze Schlamm, der Schmutz- Du weißt nicht, wie Du das ohne Kinder und Mann schaffen kannst.
Nur wenige Stunden später stehen zehn junge Männer vor Deiner Haustüre und bieten ihre Hilfe an. Du kannst Dein Glück kaum fassen! Während die Männer fleißig und voller Tatkraft das Haus reinigen und alle Möbel putzen, schreibst Du einen Dankesbrief.
Arbeitsauftrag:
- Verfasse einen solchen Brief!
- Überlege, welche Möglichkeiten es für die Frau aus Passau/Hals gibt, ihren Hochwasserhelfern "Danke" zu sagen. Wie würdest Du dich für
eine solche selbstlose Tat bedanken?
3. Akrostichon erstellen
Erstellt ein Akrostichon zum Thema "Fluthilfe.
F ...
L ...
U ...
T ...
H ...
I ...
L ...
F Für die meisten Passauer war das Hochwasser eine Katastrophe. Die Schäden gehen ins Unermessliche.
E ...
4. Zeichne den Umriss eines Gesichtes auf ein großes Blatt. Fülle dieses Gesicht mit Ausschnitten aus Zeitungen, die für dich als Zeichen von Mut, Zivilcourage und Solidarität die Taten dieser HelferInnen widerspiegeln.
Nichtalltägliche Nachbarschaftshilfe: Mit ihrer spontanen Unterstützung haben 18 Mädchen der Klasse 7 d der Realschule Niedernburg Eindruck hinterlassen. Spontan hatten die Mädchen um Sportlehrerin Monika Wimmer den Sportunterricht vorübergehend hintan gestellt und nicht minder schweißtreibend beim Aufräumen in einem vom Hochwasser arg in Mitleidenschaft gezogenen Haus im Ort geholfen. Nicht genug: Sogar nach dem Unterricht zogen einige der 12- und 13-jährigen Mädchen bei über 30 Grad die Aufräumarbeiten dem Freibad vor. "Wir sind von der Solidarität und der Empathie der Menschen, vor allem jungen Menschen überwältigt", sagt Issi Gaißinger, die ihrer Schwester bei den Aufräumarbeiten in ihrem denkmalgeschützten Haus aus dem 16. Jahrhundert hilft.
"Heute machen wir Sportunterricht der anderen Art", hatte Lehrerin Monika Wimmer kurz nach dem Aufwärmprogramm und mit Blick auf die hilfsbedürftige Hauseigentümerin vorgegeben. Die Siebtklässlerinnen aus der benachbarten Schule wären eigentlich zum Joggen in Richtung Ortspitze unterwegs gewesen, als sie an dem vom Hochwasser schwer in Mitleidenschaft gezogenen Haus mit der Adresse Ort 15 vorbeikamen. Dort registrierten sie, wie Eigentümerin Simone Hoffmann gerade dabei war, Erdreich aus dem schwer beschädigten Haus zu tragen und in einen Container zu schütten. Auf rund 100 000 Euro wurde der Schaden in dem dreigeschossigen Bau geschätzt. Wegen der wertvollen denkmalgeschützten Substanz des Hauses ist es darin umso aufwendiger, Aufräumarbeiten zu leisten. So müssen u.a. Steine, Ziegel und Erdreich aus dem 16. bis 17. Jahrhundert aus den oberen Geschossen getragen werden, um das Gewicht von dem Kreuzgewölbe darunter zu nehmen. Böden mussten herausgerissen, Schüttungen entfernt werden. Unzählige Eimerladungen, die zunächst durch den Garten getragen werden müssen, um dann in einem Schubkarren zu landen und nach wenigen Metern in einen Bauschutt-Container gekippt werden. Simone Hoffmann, alleinerziehende Mutter einer 15-jährigen Tochter, war großteils auf sich allein gestellt und entsprechend dankbar über die unerwartete Hilfe. Bei 38 Grad halfen die Mädchen samt Lehrerin "selbstlos und fleißig" mit, wie Hoffmanns Schwester Issi Gaißinger sagt.
Nicht genug: Vier der Mädchen kamen sogar nach dem Schlussgong in der benachbarten Schule nochmals dorthin zurück, wo ihr "Sportunterricht" zuvor auf wundersame Weise einem Flutopfer zugute kam. "Sie halfen drei Stunden nochmal mit, obwohl sie bei diesen Temperaturen vielleicht lieber ins Schwimmbad gegangen wären", erwähnt Issi Gaißinger mit Blick auf die rund 35 Grad in der vergangenen Woche. Die gute Aktion der Schülerinnen blieb auch Passanten nicht verborgen. "Ein Ehepaar aus der Schweiz ist vorbeigekommen und hat den Mädchen 20 Euro geschenkt, weil sie so überwältigt waren von deren Einsatz. Und der Frau standen sogar Tränen in den Augen", beschreibt die Schwester der Hauseigentümerin das offenbar allumfassende Mitgefühl an diesem Tag rund um Ort 15.