Hackinger, Thomas
Thema: Behinderung, Eigeninitiative, Hilfsbereitschaft
M1: PNP vom 29.08.2009, Nr.199, S.8
Trotz Handicap bei der Feuerwehr
Thomas Hackinger (15) aus Wotzmannsreut hat sich einen kleinen Traum erfüllt: Trotz Behinderung ist er Feuerwehrmann
Von Stefan Endl
Wotzmannsreut. Der Sekundenzeiger tickt. Mit beiden Händen packt Thomas die Rettungsleine. Hochkonzentriert wirkt sein Blick. „Jetzt bloß keinen Fehler machen“, huscht es ihm über die Lippen. Geschickt wickelt er das Ende der Leine um das kalte Metall des Strahlrohrs. Jeder Handgriff sitzt. Noch schnell ein prüfender Blick, ob alles passt: „Fertig“, ruft Thomas und reckt das Strahlrohr in die Luft. „Geschafft! 20 Sekunden!“, antwortet der Mann an der Stoppuhr. Thomas lächelt für einen Moment und fährt mit seinem Rollstuhl weiter zur nächsten Aufgabe.
Während seine Kameraden für die Jugendleistungsprüfung trainieren, kann Thomas Hackinger aus Wotzmannsreut bei Waldkirchen (Lkr. Freyung-Grafenau) nur zusehen. Nur bei einfacheren Aufgaben kann er selbst mitmachen. Dennoch hat er sich im Januar einen Traum verwirklicht: Er wurde Feuerwehrmann. Eigentlich nichts Ungewöhnliches für einen 15-Jährigen, doch Thomas hat es ungleich schwerer als seine Kameraden - er sitzt im Rollstuhl.
Schon mit sechs Jahren sieben Operationen
„Ich möchte Menschen, die in Not geraten, helfen“, erklärt Thomas den Grund, warum er sich der Freiwilligen Feuerwehr in Karlsbach anschloss. Und das, obwohl Thomas oft selbst auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Er leidet unter einer „Spina bifida“, auch Spaltwirbel oder offener Rücken genannt. Dabei handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung im Bereich der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Bei Thomas ist die Wirbelsäule so sehr geschädigt, dass er ab dem zweiten Lendenwirbel gelähmt ist. Erlangen, Regensburg, Deggendorf und Passau - die Liste der Krankenhäuser, die er besuchen musste, ist lang. Als Sechsjähriger hatte er bereits sieben Operationen hinter sich.
„Wo hast du denn deinen Helm, Thomas?“ fragt Hans Biser, der zusammen mit Markus Frauenauer die Jugend der Feuerwehr Karlsbach betreut. Die Antwort des Unbehelmten, der ansonsten in voller Montur mit seinem Rollstuhl auf dem Übungsplatz eintrifft, fällt knapp aus: „Vergessen“, sagt Thomas etwas zögerlich und mit einem verschmitzten Lächeln. Kurzerhand leiht er sich den Helm von einem Freund. „T. Hackinger“ steht in oranger Signalfarbe auf dem Namensschild seiner blauen Uniform, die er sichtlich mit Stolz trägt.
Der 15-Jährige ist bei fast jeder Übung mit dabei. Und das, obwohl er nur förderndes Vereinsmitglied in der Feuerwehr ist. In den aktiven Feuerwehrdienst kann Thomas nicht treten, das sieht das Bayerische Feuerwehrgesetz für Menschen mit Handicap so vor. Nur bei einfachen Aufgaben darf Thomas selber mit anpacken. Der Jugendwart Hans Biser ist trotzdem froh über seinen Neuzugang: „Wenn Thomas eine Aufgabe nicht alleine meistern kann, greifen ihm seine Feuerwehr-Kameraden unter die Arme - das schweißt die ganze Truppe noch enger zusammen.“ Zwölf Mädchen und Buben im Alter von 13 bis 18 Jahren sind in der Jugendfeuerwehr. Wenn gefeiert wird, dann darf Thomas ohnehin nicht fehlen. Beim letzten Kameradschaftsabend sorgte er mit seinen Freunden bei einer Theater-Einlage für Lacher.
Diese Kameradschaft begeistert Thomas am meisten bei seinem Hobby. Mutter Gerda weiß auch warum: „Er ist einfach unheimlich gern unter Leuten. Wenn die Sonne scheint, hält Thomas ohnehin nichts zu Hause. Dann ist er den ganzen Tag im Dorf unterwegs. Meistens unterhält er sich in der kleinen Autowerkstatt in der Nachbarschaft mit den Leuten.“ Mit einem Augenzwinkern verrät sie: „Unser Thomas ist nämlich eine kleine Dorfratsche.“ Sie wuschelt ihm liebevoll durch das Haar. Thomas blickt verstohlen über seine randlose Brille, lehnt sich zurück in den Rollstuhl und quittiert diesen Vorwurf mit seinem besten Lausbuben-Lächeln.
Dasselbe Lächeln hatte er vermutlich auch auf den Lippen, als er seinen Eltern erzählte, dass er nun bei der Feuerwehr ist. Gerda und Josef Hackinger wussten nichts davon. „Er wollte schon immer zur Feuerwehr, auch weil sein Vater und sein älterer Bruder Josef dabei sind“, erinnert sich seine Mutter. „Wir konnten uns aber nicht vorstellen, dass Thomas dort viel machen kann, deshalb war das für uns kein Thema.“ Bei einer seiner Spazierfahrten im Dorf traf Thomas zufällig den Kommandanten, dem er von seinem Wunsch erzählte. Rudolf Binder war sofort begeistert von der beherzten Art von Thomas und nahm ihn auf. Heute haben die Eltern von Thomas keine Bedenken mehr. „Wenn man sieht, wie sehr es ihm gefällt und wie herzlich er aufgenommen wird, dann ist klar, dass es die richtige Entscheidung war“, ist sich Vater Josef sicher.
„Die Uniform ist wie eine Trophäe“
Auch wenn er im Rollstuhl sitzen muss, Thomas ist eine Sportskanone. Die Sankt-Severin-Schule für körperbehinderte Kinder in Passau gibt ihm dazu die Möglichkeit. Im Winter brettert Thomas mit seinen Klassenkameraden auf Monoski Skipisten hinab, im Sommer spielt er Tennis. Schon mehrere Medaillen konnte er bei Sportfesten holen. „Die Feuerwehr-Uniform ist auch so etwas wie eine Trophäe für mich“, freut sich Thomas über seine neueste Errungenschaft. Auch wenn er meist nur vom Rand des Übungsplatzes aus zuschauen kann, wenn seine Freunde für den Ernstfall trainieren, das Mitmachen von einfachen Übungen lässt er sich nicht nehmen.
Der Sekundenzeiger tickt wieder. Anlegen eines Mastwurfes am Saugkorb einer Feuerlöschpumpe ist an der Reihe. „Du hast zehn Sekunden, Thomas“, ruft der Mann an der Stoppuhr. Danach herrscht Stille. Zwei dicke Handschuhe packen die Leine, knoten sie geschickt um den rot lackierten Saugkorb. Ein starrer Blick und zwei aufgeblasene Backen zeugen von der Konzentration. „Fertig“, schreit Thomas. „Geschafft! Acht Sekunden!“, antwortet der Mann an der Uhr. Thomas lächelt, nimmt den geborgten Helm vom Kopf.
Für heute ist die Übung vorbei.