Gefängnischor
Thema: Sozialarbeit
M1: PNP vom 5.10.2007
Im Gefängnis-Chor singen nicht Gefangene, sondern Studentinnen
Der Chor umrahmt einmal im Monat den evangelischen Gottesdienst in der Justizvollzugsanstalt
Von Margarita Erbach
„Wie, Du singst im Gefängnis?“ Wenn Marie Fritsch (22) von ihrem Hobby erzählt, hört sie diese Frage öfter. Schon seit der Gründung im Sommersemester 2006 ist die Lehramtsstudentin Mitglied im „Gefängnis-Chor“.
„Es macht mir Spaß im Gefängnis zu singen, weil es abwechslungsreich und spannend ist“, findet die 22-jährige Berlinerin. „Außerdem sind die Inhaftierten dankbar dafür, dass bei ihnen etwas passiert“.
Die Idee für den Chor entstand bei einer Weihnachtsfeier in der Passauer Justizvollzugsanstalt (JVA). Ein Teil des Chores der ESG/KSG Studentengemeinde hatte die Feier mitgestaltet. Weil der Gesang bei den Insassen gut ankam, hielt Studentenpfarrer Gereon Vogel es für eine originelle Idee, einen Gefängnis-Chor zu gründen. Er ist seit März 2004 Seelsorger in der Anstalt, in der vor allem Straftäter wegen kleinerer Delikte hinter Gittern sitzen.
An der Orgel sitzt ein Häftling
Bei der Organisation des Chors half Vogel eine Studentin. Mittlerweile besteht die Sängergruppe aus zehn bis fünfzehn Studentinnen verschiedener Konfessionen, die während des Semesters einmal im Monat den evangelischen Gottesdienst im Passauer Männergefängnis musikalisch begleiten. Die Orgel spielt ein Häftling. Im Repertoire haben die Sängerinnen neuere Kirchenlieder und Gospels, beispielsweise aus der Kino-Komödie „Sister Act“. Ab dem Wintersemester hofft Vogel, dass weitere junge Erwachsene, vor allem auch männliche, sich dem Chor anschließen werden. Den Gefangenen steht es frei, den Gottesdienst zu besuchen. „Normalerweise geht etwa jeder Fünfte in die Kirche. Aber wenn lauter hübsche Mädchen zum Singen kommen, ist die Kirche voll“, beobachtet Inspektor Gerhard Ascher, Dienstleiter der JVA Passau. Da kommt es schon einmal vor, dass 30 Häftlinge in der Kirche sitzen.
Die Handschellen werden abgenommen
Für den Chorauftritt in der Kapelle gibt es feste Regeln. Zum Beispiel sollen die Studentinnen keine aufreizende Kleidung tragen. Vor dem Auftritt müssen sie Taschen und Mäntel abgeben. „Dann gehen zuerst wir in die Kapelle und stellen uns hinter den Altar, die Inhaftierten kommen erst danach rein. Zwei unbewaffnete Polizisten bewachen sie“, erzählt Marie Fritsch.Handschellen und Fußketten müssen die Inhaftierten nicht tragen. Angst macht das den Sängerinnen aber nicht. „Es ist alles total locker. Beim ersten Vorsingen dachten wir, da würden Rowdys kommen“, erzählt Studentin Josephine Rotenhahn (22), die seit einiger Zeit den Chor organisiert, „aber dann kamen ganz normal aussehende Menschen, die deine Nachbarn sein könnten“. Nach dem Auftritt müssen die Häftlinge zuerst den Raum verlassen. Meist bedanken sie sich bei den Sängerinnen, doch mit einer gewissen Distanz - denn unterhalten dürfen sie sich mit ihnen nicht.
Die Möglichkeit, einen Gottesdienst oder eine Messe zu besuchen, haben die Häftlinge in der Passauer JVA zwei Mal im Monat. „Jeder Mensch hat das Recht, seine Religion auch im Gefängnis auszuüben“, erklärt Pfarrer Vogel. Die Besucherzahlen bei den Chorauftritten zeigen, dass der Chor den Gottesdienst in der JVA verschönert. „Wir sind echt gefragt“, sagt Josephine Rotenhahn stolz. Denn sie singen nicht nur jeden Monat im Gefängnis, auch Altersheime wollen sie jetzt buchen. „Es ist schön, etwas Soziales zu machen“, meint Josephine. „Der Chor ist eine gute Erfahrung. Die Inhaftierten sind Menschen, die man nicht vergessen sollte“.
Während des Semesters wird einmal die Woche im ESG-Pfarrsaal geprobt. Interessierte können sich an Josephine Rotenhahn wenden unter Tel. 0177/754 60 86.