Figueroa, Juan C.
Thema: Hilfsbereitschaft, Lebensretter, Organtransplantation
M1: PNP, 16.05.2014, Nr. 112
Mein Freund, mein Lebensretter
von Florian Kinast
Der ehemals leukämiekranke Bayern-Coach Bassemir traf den Mann, der ihm das rettende Knochenmark spendete.
Letzten Sonntag, als sie sich dann zum ersten Mal getroffen hatten, nach so vielen Jahren des Wartens, da lagen sie sich erst einmal minutenlang in den Armen und ließen sich nicht mehr los. Udo Bassemir aus München, Schwabing, und Juan Carlos Figueroa aus Tucson, Arizona. Sie hätten erst gar nicht viel geredet, sagt Bassemir. "Wir haben uns nur umarmt, uns gefreut und viel gelacht. Und dann haben wir auch viel geweint. Es war halt ein sehr emotionaler Moment." Das war es natürlich, ein einzigartiger und besonderer Augenblick, ein sehr bewegender – als Bassemir, der einst an Leukämie erkrankte Trainer und Jugendbetreuer des FC Bayern, nun in München endlich jenen Mann traf, dem er zu verdanken hat, dass er überhaupt noch am Leben ist. Juan Carlos Figueroa, seinen Knochenmarkspender, seinen Lebensretter aus Amerika.
Rückblende, 2001. Der damals 42-jährige Udo Bassemir, gerade als Amateur-Trainer bei der zweiten Mannschaft des FC Bayern entlassen, bekommt im August bei einer Routine-Untersuchung im Schwabinger Krankenhaus die niederschmetternde Diagnose: Leukämie, dazu auch noch eine besonders aggressive Form. Die einzige Hoffnung zu überleben ist eine Stammzellen-Transplantation, doch einen geeigneten Spender zu finden, dessen Gewebemerkmale mit denen von Bassemir identisch übereinstimmen, diese Chance hält selbst Bassemirs Frau Christine für sehr gering: "Das wäre wie ein Sechser im Lotto", sagt sie damals. Die Suche ist schwierig, Hilfsaktionen des FC Bayern und aus der ganzen Bundesliga, wo Profis beim Training wie Fans vor den Stadien zehntausendfach Blut spenden, bleiben erfolglos, nirgendwo findet sich ein geeigneter Spender. Bis Ende November plötzlich Hoffnung aufkommt. Über die Internationale Knochenmarks-Spenderdatei "Bone Marrow Donors Worldwide" scheint ein geeigneter Spender gefunden zu sein, ein genetischer Zwilling. Weit weg in Amerika.
Ortswechsel. Tucson, Arizona, Sommer 2001: Juan Carlos Figueroa, 28, Puerto Ricaner, seit drei Jahren lebt er in den USA. Er ist Maschinenbauer, arbeitet bei einem ortsansässigen Unternehmen, eines Tages kommt das Rote Kreuz in die Firma, wirbt für Blutspenden und für den Eintrag in die Knochenmarks-Spenderdatei. Figueroa macht mit. Einige Monate später bekommt er einen Anruf, seine Merkmale würden mit denen eines Leukämiepatienten übereinstimmen, ob er denn nun bereit wäre zu einer Spende. Figueroa lässt sich über den Ablauf aufklären, die Risiken, er sieht ein Video, wie die Stammzellen aus dem Becken des Spenders entnommen werden. Heute sagt er darüber: "Es sah aus wie ein riesiger Korkenzieher, der sich in den Rücken schraubt. Da wurde mir schon mulmig." Figueroa berät sich mit seinen Eltern in Puerto Rico, unterzieht sich weiteren Voruntersuchungen, willigt schließlich ein und fragt nach, wer denn der Erkrankte sei, doch er erfährt nur so viel: 42 Jahre alt, männlich, irgendwo in Europa.
Am 16. Januar 2002 folgt in Tucson der Eingriff. Als Figueroa eine Stunde nach der problemlos verlaufenden Operation aus der Vollnarkose erwacht, sind seine entnommenen Stammzellen schon in einer Kühlbox unterwegs zum Flughafen, von dort geht es über den Atlantik. Einen Tag später erfolgt im Schwabinger Krankenhaus die Transplantation, mittels Infusion in den Arm bekommt Udo Bassemir das lebensrettende Knochenmark – aber er weiß immer noch nicht, von wem. Weil Figueroa bei der Spende eingewilligt hat, dem Empfänger seine Identität und seine Daten zukommen zu lassen, entsteht nach einigen Monaten ein erster Kontakt. In der ersten Mail zwischen den beiden fragt der Puerto Ricaner launig, ob Bassemir nun mehr Rum trinken und Salsa tanzen würde, jetzt, mit den neuen Stammzellen aus der Karibik.
Bassemir wird völlig gesund, er arbeitet wieder beim FC Bayern, erst als Scout, dann als Jugendbetreuer und Internatspädagoge. Seinen Spender trifft er nie, doch der Kontakt wird immer enger, die Freundschaft immer stärker. Selbst ohne Begegnung. Figueroa, inzwischen 41, sagt heute, manchmal habe er einfach in den Flieger steigen und bei Bassemirs in Schwabing läuten wollen. Um durch die Tür zu sagen: "Hallo, hier ist der Pizzaservice." Und um dann dem verblüfften Freund Udo in die Arme zu fallen. Aber überrascht war Udo Bassemir jetzt auch so. Perplex, aufgeregt, von Sinnen. Denn dass sein Spender und dessen Gattin Elizabeth (43) jetzt eine Europareise planten, ihre allererste, um nach Kurzstationen in Madrid, Paris, Rom und Verona mit dem Zug für vier Tage nach München zu kommen, das wusste nur Bassemirs Frau Christine, sie hatte alles in die Wege geleitet. Letzten Sonntag saßen die Bassemirs zuhause, als sie sagte: "Udo, jetzt müssen wir zum Hauptbahnhof. Wir holen den Carlos ab." Wenige Tage später sagt Bassemir: "Da wurden meine Knie weich. Ich hab erst mal einen Whisky gebraucht." Am Bahnhof dann die Begegnung, Freude, Lachen, Tränen.
Vier Tage waren sie nun unterwegs, Sightseeing durch München, eine Führung durch die Allianz-Arena und natürlich auch ein Ausflug zum Bayern-Training an der Säbener Straße. Figueroa sagt, er habe von Anfang an zwar gewusst, dass Bassemir bei einem FC Bayern arbeiten würde, aber Fußball, das habe ihn nie so richtig interessiert, als Puerto Ricaner mehr so Baseball, Basketball, Boxen. Darum erfuhr er erst vor kurzem von seinem Schwager, dem Bruder von Liz, einem eingefleischten FC-Barcelona-Fan, was für ein bedeutender Verein der FC Bayern sei. So war Figueroa dann doch beeindruckt, von den Bayern, vom Stadion, von der Stadt, und als Genussmensch auch vom Essen und vom Trinken, von einem "wonderful pork with dumplings and an amazing beer." Schweinsbraten, Knödel, Bier, es hat ihm hier gut geschmeckt.
Donnerstag flogen die Figueroas wieder heim, und manchmal in diesen Tagen, sagt Udo Bassemir, habe er seinen Gast immer wieder berührt, um zu begreifen, dass er nun wahrhaftig da war, sein Lebensretter, dass er keine Illusion war, keine Erscheinung, kein Traum. Bald wollen sie sich wieder sehen, in München oder in Tucson, und viel lachen – und vielleicht manchmal auch wieder weinen.
M2: Bild von Juan C. Figueroa
M3: Didaktische Impulse
- Gestaltet eine Urkunde für Juan C. Figueroa.
- Überprüft im Internet die Risiken von Stammzellenspenden und diskutiert anschließend in der Klasse.
- Ihr wollt euch für eine Stammzellenspende typisieren lassen, doch eure Eltern sind dagegen, weil es ihrer Meinung nach ein zu großes Risiko gibt! Formuliert ein Gespräch zwischen euch und euren Eltern.