Logo der Universität Passau

Familie Sperling

Thema: Kinder

M1: PNP, 31.03.2010, Nr. 75, S.25

Sie gehören schon längst zur Familie

Familie Sperling hat zwei Pflegekinder: Vanessa (1) und Daniel (5) fühlen sich in der neuen Familie wohl

Von Simone Sälzer

Vanessa japst, umklammert mit ihren Händchen einen Keks - und strahlt „Mama“ Eva Sperling an. Diese herzt mit dem eineinhalbjährigen Mädchen. Für sie ist Pflegekind Vanessa wie ihre eigene Tochter. Mit gerade mal drei Monaten kam Vanessa in die Familie - und das von einem Tag auf den anderen. „Wir haben quasi über Nacht noch eine Tochter bekommen“, erzählt die 30-jährige Passauerin.
Das Jugendamt suchte dringend einen Platz für das Baby - und dachte dabei an Familie Sperling, denn Eva arbeitete damals schon seit sieben Jahren als Tagesmutter. Nur wenige Stunden Zeit bleiben, um eine Entscheidung zu fällen. „Ich konnte nur kurz mit meinem Mann telefonieren, aber wir hatten uns spontan mit dem Herzen für Vanessa entschieden“, sagt sie. „Und das war richtig so.“ Wenn man schon drei eigene Kinder habe, gehe man vielleicht auch relaxter an die ganze Sache ran.

Freude auf den Familienzuwachs

Auch ihre beiden älteren Kinder Veronika und Moritz, damals neun und sechs Jahre alt, sind mit der Entscheidung ihrer Eltern einverstanden - und freuen sich auf das neue Geschwisterchen. „Es war schön, dass ich noch eine kleine Schwester bekommen habe“, sagt Veronika. Die Zehnjährige lauscht den Erzählungen der Mutter, während sich ihr Vater Alfred Sperling liebevoll um Vanessa kümmert. Für den jüngsten Sohn, den heute dreijährige Anton, ist Vanessa einfach weiterer Nachwuchs in der Familie. „Er hat von all dem noch nicht viel mitbekommen“, sagt Eva Sperling. „Wenn das Pflegekind das jüngste Familienmitglied ist, ist die Integration sehr viel einfacher.“
Die ersten Wochen sind hektisch. Die Familie hat keine Babysachen, muss von heute auf morgen den Alltag wieder mit einem Baby organisieren. „Ich hatte keine neun Monate Zeit, mich darauf vorzubereiten“, erzählt die 30-Jährige. „Als das kleine Würmchen so vor uns lag, haben wir gewusst, dass die Entscheidung richtig war. Sie war so süß.“
Vanessas Eltern kommen in unregelmäßigen Abständen vorbei, sehen nach ihrer Tochter - und sind glücklich, dass es ihr in der neuen Familie so gut geht. Angst, dass sie ihre Tochter wieder zurückholen, hat Eva Sperling nicht. „Das ist sehr unwahrscheinlich, da Vanessa noch so klein war, als sie zu uns kam“, sagt sie. „Später wäre es ein psychologischer Irrsinn, sie wieder aus einer intakten Familie herauszureißen.“ Dennoch: Die Sperlings erzählen ihrer Pflegetochter von Anfang an von ihrer zweiten Mama. „Vanessa hat zwei Mamas, eine, bei der sie im Bauch war, und eine, bei der sie lebt.“
Vanessa ist nicht das einzige Pflegekind der Familie Sperling. Seit fünf Monaten gehört auch Daniel dazu. Bei dem Fünfjährigen war es weitaus schwieriger, ihn in die Familie zu integrieren. „Daniel wird nicht bei uns bleiben“, sagt Eva Sperling. „Es ist angedacht, dass er zu seiner Mutter zurückkehrt.“ Sie freue sich, wenn die Beziehung zwischen den beiden wieder funktioniere. „Ich will keiner Mutter das Kind wegnehmen, es wäre einfach ein schönes Gefühl, geholfen zu haben.“
Bis Daniel in die Familie kommen konnte, vergingen jedoch mehrere Monate. Denn bei einem älteren Kind müssten die Pflegeeltern erst sehr sorgfältig eine Beziehung aufbauen. „Wir mussten uns erst einmal annähern, haben ihn in seinem Münchner Heim mehrmals besucht, dann war er an mehreren Tagen bei uns.“

Sensible Annäherung

Ein Kind mit fünf Jahren habe schon eine eigene Vergangenheit. Daniel kenne das Erlebnis Familie noch gar nicht, das sei ein Riesen-Abenteuer, aber auch eine große Umstellung für ihn. Und er bringe ein wenig die Struktur der Familie durcheinander. Denn Daniel ist quasi das Sandwich-Kind. „Anton, unser Jüngster, versteht das nicht und reagiert manchmal eifersüchtig“, sagt Eva Sperling. „Aber dann findet er es wieder super, einen Spielkameraden zu haben.“
Ohne Hilfe von außen gehe es nicht. Tageskinder könne sie abgeben, Pflegekinder nicht. „Pflegefamilien brauchen viele Menschen, die hinter einem stehen - und ein großes, soziales Netzwerk, damit man allen Kindern gerecht wird.“ Wie reagieren Nachbarn und Freunde auf die Großfamilie? „Viele verstehen nicht, wie man freiwillig ein Pflegekind aufnehmen kann“, sagt Eva Sperling. „Klar muss man einen gewissen Idealismus haben, aber die Kinder geben einem so viel, ich könnte mir keine schönere Aufgabe vorstellen.“

„Die Liebe der Eltern kann kein Heim ersetzen“

Bei der Selbsthilfegruppe „Pfad für Kinder“ unterstützen sich Eltern mit Pflege- und Adoptivkindern.

Seit 22 Jahren gibt es in Passau die Selbsthilfegruppe „Pfad für Kinder“. Sie ist eine wichtige Anlaufstelle für Eltern von Pflege- und Adoptivkindern. Die Ansprechpartner Günter Kastenhuber, Gaby Magg-Kastenhuber und Mariele Brummer erzählen, wie wichtig der Erfahrungsaustausch ist.

Wie geht die Gesellschaft mit Familien um, die Pflege- oder Adoptivkinder aufnehmen?
Günter Kastenhuber:
Die Familien werden zum einen hochgejubelt, zum anderen die Kinder aber stigmatisiert. Viele verstehen nicht, dass wir eine ganz normale Familie mit allen Höhen und Tiefen des alltäglichen Lebens sind.

Welche Voraussetzungen müssen die Eltern erfüllen, damit sie ein Pflege- oder Adoptivkind aufnehmen können?
Gaby Magg-Kastenhuber:
Bei den Pflegekindern prüft das Jugendamt, ob sie geeignet sind. Um ein Kind zu adoptieren, müssen wesentlich mehr Hürden überwunden werden. Alleinerziehende können nur schwer Kinder adoptieren, aber durchaus Pflegeeltern sein. Zudem gibt es bei der Adoption meistens eine Altersgrenze, die Räumlichkeiten, aber auch der Einkommens-Nachweis müssen passen. Jedes Kind hat ein Recht auf eine Familie, aber nicht jede Familie hat ein Recht auf ein Kind. Der Austausch unter Pflege- und Adoptiveltern, eine laufende Begleitung, ist sehr wichtig, denn Wissen allein nützt nichts.

Welchen Schwierigkeiten begegnen Pflege- und Adoptiveltern?
Mariele Brummer:
Sie müssen sich immer wieder die Frage stellen, was das Beste für ihr Kind sei. Jedes Kind trägt den Schmerz in sich, nicht gewollt gewesen zu sein. Jedes Kind verarbeitet das anders. Die Pflege- und Adoptiveltern müssen Trauer und Wut zulassen. Das Kind so akzeptieren, wie es ist. Das ist die schwierigste Hürde für die Familie. Sie müssen sich mit den leiblichen Eltern auseinandersetzen, denn die Kinder werden immer zwei Eltern haben. Für andere Kinder ist das Leben in einer Pflege- oder Adoptivfamilie oft nicht nachvollziehbar. Da heißt es sehr schnell: „Du hast doch gar keine richtige Mama.“

Wie gut verstehen sich leibliche und angenommene Kinder?
Gaby Magg-Kastenhuber:
Die Kinder sind meist von den Erwachsenen enttäuscht, deswegen ist eine Geschwisterbeziehung in einer Pflegefamilie Gold wert. Das geht oft bis ans Lebensende.

Müssen die Eltern bei den Pflege- und Adoptivkindern besonders sensibel sein?
Günter Kastenhuber:
Es ist wichtig, positiv über die leibliche Familie des Kindes zu sprechen. Die Kinder sollen möglichst normal damit aufwachsen, dass sie zwei unterschiedliche Eltern haben. Spätestens in der Pubertät beschäftigen sie sich intensiv damit. Wenn sie es dann erst erfahren, kann es ein ziemlicher Schock sein.

Manche Pflegeeltern müssen sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, sie würden nur wegen des Geldes Kinder aufnehmen. Was sagen Sie dazu?
Mariele Brummer:
Wegen des Geldes macht es sicherlich keiner von uns. Pflegeeltern sind um ein Vielfaches billiger als ein Heim, zudem bleiben sie auch über die Volljährigkeit hinaus Eltern für das Kind. Das Wichtigste ist die bedingungslose Liebe, die Herzenswärme, das was in einer Familie wächst - das kann ein Heim nicht geben.

Gespräch: Simone Sälzer

M2: Bild von Familie Sperling

M3: Didaktische Impulse

1. „Viele verstehen nicht, wie man freiwillig ein Pflegekind aufnehmen kann“, sagt Eva Sperling. Sammelt Gründe, die dafür sprechen, ein Pflegekind anzunehmen! Bezieht dabei die Erwartungen der verschiedenen beteiligten Personen mit ein.

2. Stellt euch vor, eure Eltern würden sich überlegen, ein Pflegekind aufzunehmen. Was würdet ihr dazu sagen?

Ich bin damit einverstanden, dass beim Abspielen des Videos eine Verbindung zum Server von Vimeo hergestellt wird und dabei personenbezogenen Daten (z.B. Ihre IP-Adresse) übermittelt werden.
Ich bin damit einverstanden, dass beim Abspielen des Videos eine Verbindung zum Server von YouTube hergestellt wird und dabei personenbezogenen Daten (z.B. Ihre IP-Adresse) übermittelt werden.
Video anzeigen