Dr. Haun, Matthias
Thema: Hilfsbereitschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Nächstenhilfe, Eigeninitiative, Eine Welt
M1: PNP vom 10.01.03, Nr. 7, S. 30
Dr. Matthias Haun hilft Ärmsten der Armen
Oberarzt am Krankenhaus Rotthalmünster betreute sechs Wochen lang ehrenamtlich Menschen auf den Philippinen
Er wollte Menschen in Not helfen, wollte etwas von seiner christlichen Lebenseinstellung übertragen: Deshalb zog es Matthias Haun , Oberarzt im Krankenhaus Rotthalmünster für sechs Wochen nach Manila. Ehrenamtlich betreute er die Ärmsten in den Slums der philippinischen Hauptstadt.
Es ist 35 Grad heiß und die sonne hat keine Mühe, sich durch die dicke Dunstglocke bis auf den riesigen Müllberg vorzukämpfen. "Smoky Mountains" werden die Abfallberge der 18-Millionen-Stadt Manila genannt, sie sind ein Synonym für Slums. auf ihnen krabbeln Kinder, sammeln alles irgendwie Verwertbare.
Nur wenige Meter entfern haben die Menschen aus zusammengesuchten Teilen Hütten gebaut. So sieht die Welt in Bagong Silang aus, einem Stadtteil mit etwa 800000 Einwohnern.
Die Menschen, die hier leben, können nicht einmal die Medikamente bezahlen, die die staatlichen Hospitäler ihnen verordnen. Letzte Anlaufstelle sind deshalb ausländische Ambulanzen. eine davon ist in deutscher Hand. Hier war Matthias Haun, Arzt im Auftrag des Komitees "Ärzte für die Dritte Welt".
Sechs Wochen lang legte der Chirurg sein Operationsbesteck aus der Hand und half der ärmsten Bevölkerung Manilas. Bis zu 100 Patienten pro Tag, die Hälfte davon Kinder: "Es gab viel zu tun", so der 49-Jährige aus Rotthalmünster. Lungenentzündungen, infizierte Wunden und Tuberkulose, Würmer im Körper und Harnwegserkrankungen – die Liste der Krankheitsbilder war lang. Zusammen mit drei einheimischen Kolleginnen machte sich der deutsche Mediziner an die Arbeit die Leiden zu lindern. Neben einem Haupthaus galt es, auch zwei Zweigstellen in der Stadt zu versorgen. Für zehn Tage ging es außerdem in die Provinz: In einer fahrenden Ambulanz versorgte das Team auch die Landbevölkerung.
Technische Möglichkeiten wie daheim im Rottal gab es freilich nicht. Haun: "Uns standen natürlich kein Röntgen-Gerät und kein Ultraschall zur Verfügung. Bei größeren Sachen haben wir die Patienten ins staatliche Krankenhaus überwiesen und die Kosten für die Behandlung übernommen."
Fünf Jahre lang hatte sich Matthias Haun auf den Trip vorbereitet, nachdem er durch Kollegen auf "Ärzte für die Dritte Welt" gestoßen war. Nachdem er seinen Einsatzort kannte, studierte er die politische und kulturelle Situation vor Ort, machte sich mit den gängigen Krankheitsbildern vertraut. Das Englisch wurde im privaten Kreis aufgefrischt. Das größere Problem war freilich die Zeit: Sechs Wochen weg vom Dienst, des musste langfristig mit den Kollegen im Krankenhaus Rotthalmünster abgestimmt werden. Drei Wochen Urlaub aus dem Vorjahr und drei Wochen Urlaub von 2003 nahm Haun schließlich.
Und warum diese Strapazen? "Mir ging es um meine christliche Lebensauffassung", so Haun.
"Ich wollte durch persönlichen Einsatz einen kleinen Teil dazu beitragen, dass sic etwas verändert." Leicht war es nicht immer, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Wenn Kinder unterernährt zu ihm in die Sprechstunde kamen, wenn die längst fällige Operation verwehrt werden musste, wurde er schnell traurig. Auch der Kontakt zur Familie war auf ein Minimum beschränkt: Einmal in der Woche ein Anruf, gelegentlich eine Mail, mehr war nicht möglich.
Dennoch: Die Erfahrungen sind für das Mitglied dem Kirchenvorstand der evangelischen Kirchengemeinde Rotthalmünster-Pocking wichtig. "Es wird nicht mein letztes Mal gewesen sein", sagt Haun bereits. Und schüttelt heute nur noch den Kopf, wenn sich in Deutschland um Dinge drehen, die die Menschen auf den Philippinen nicht verstehen können
M2: Foto von Dr. Haun, 2003
M3: Foto von der Stadt Manila, 2003
M4: PNP vom 14.06.2005, Nr.134, S.33
Arzt hilft den Menschen, die von Müll leben
Dr. Matthias Haun opfert Jahresurlaub, um Not auf den Philippinen zu lindern - Komitee unterhält Langzeitprojekte
von Clemens Piber
Rotthalmünster. "Entweder man macht's oder man macht's nicht", ist Dr. Matthias Haun überzeugt. Der 52-Jährige gehört jedenfalls zu denen, die es machen - und zwar mehrmals. Bereits zum zweiten Mal hat der Oberarzt der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Rotthalmünster seinen Jahresurlaub auf den Philippinen verbracht, einmal in Westafrika. Hier hilft er den Ärmsten der Armen. "Am besten schreiben Sie eine Art Werbeartikel über das Komitee", gibt die Stimme am anderen Ende der Telefonleitung gleich zu Beginn des Gesprächs die Richtung vor.
Dr. Matthias Haun ist bescheiden. Dass er es war, der als Ehemann und Vater dreier Kinder bereits zum dritten Mal seinen Jahresurlaub für die Arbeit in einem Entwicklungsland geopfert hat - damit will er nicht groß heraus. Die Ziele der Organisation "Ärzte für die Dritte Welt" seien wichtig - er sei nur einer von vielen. Und dann erzählt er doch vom Aufenthalt in Südostasien.
"Da ist zunächst der permanente Wassermangel, Temperaturen um 45 Grad, Luftfeuchtigkeit 85 Prozent, ein unglaublicher Lärm und der süß-säuerliche Geruch von Abfall und verbranntem Plastik in der Luft", schildert Haun die Rahmenbedingungen seiner Arbeit auf den "smokey mountains."
Sechs Wochen lang hat Dr. Haun direkt an den "rauchenden Bergen" - einem Müllviertel nahe Manila - ärztliche Hilfe geleistet. Was die Hauptstadt nicht mehr will, ist Zehntausenden hier Lebensgrundlage: "Die Leute leben im und vom Müll", bringt der Chirurg die dortigen Lebensbedingungen auf den Punkt.
Die Eigenheiten dieses philippinischen Landstrichs begegnen einem vor allem als Atemwegserkrankungen, Ernährungsstörungen, Wurmerkrankungen, Harnwegsinfektionen und Tuberkulose. Aber eben auch als Dankbarkeit in den Gesichtern der Patienten, ihrer Lebensbejahung und Gelassenheit: "Die reden über ihren eigenen Tod, wie wenn bei uns einer von seinem letzten Wellnessurlaub erzählt" - Verbitterung sei hier unbekannt, so Haun. In einem bescheiden eingerichteten Gesundheitszentrum mit kleinem Labor, Ultraschall und Apotheke hat er mit einem Team von einheimischen Ärzten und Krankenschwestern kostenfreie Behandlung für die "Müllmenschen" angeboten. 60 Prozent seiner Patienten seien Kinder gewesen - "vom Neugeborenen bis zur hier heiratsfähigen 14-Jährigen".
Und es geht noch drastischer: Zwei Wochen seines Einsatzes hat Dr. Haun für die so genannten "Rolling Clinics" - einem mobilen medizinischen Einsatzteam - in den Regenwäldern einer Nachbarinsel gearbeitet. "Hier werden die Medikamente zum Teil mit einem Büffelsgespann transportiert, 30 Prozent der Kinder erleben das fünfte Lebensjahr nicht - sie sterben an Durchfall, Lungenentzündung und Masern."
Behandlung schafft Linderung und Heilung, Prävention und Prophylaxe ist der unverzichtbare Schritt davor: "Neben Impfungen sind vor allem aufklärende Gespräche über Krankheitsvermeidung wichtig. Die müssen dann in den Wartezeiten der Patienten passieren", berichtet der Arzt. Ein einheimischer Dolmetscher half bei der Verständigung.
Das Gesundheitszentrum und das einheimische Pflege- und Ärzteteam werden von "Ärzte für dei Dritte Welt" finanziert. Das 1985 gegründete Komitee unterhält Langzeitprojekte in verschiedenen Ländern der Dritten Welt. Neben den Philippinen in Indien, Bangladesh, Nicaragua und Kenia.
Die Arbeit des Komitees ist zu rund 70 Prozent von Spendengeldern abhängig. Es steht und fällt mit engagierten Persönlichkeiten wie Dr. Haun. Neben ihm haben bis zum Jahresende 2004 rund 1910 deutsche Ärzte an 3449 Einsätzen mitgewirkt. Zulassungsvoraussetzungen für die Bewerber: unentgeltlicher Mindesteinsatz von sechs Wochen und Übernahme von wenigstens 50 Prozent der Flugkosten - Dr. Haun hat für seinen Flug nach Manila auch die anderen 50 Prozent übernommen.
Bei diesem Engagement stellt sich unweigerlich nach dem Warum, nach dem Antrieb mit dem sich der "doppelte Doktor" immer wieder mit Stethoskop ins Flugzeug setzt. Die Antwort hat er mittlerweile auf rund drei Seiten zu Papier gebracht. Sein Engagement für die Armen in der Dritten Welt, ist da zu lesen, sei der Dank für sein eigenes so reichhaltig beschenktes Leben. "Das heißt also, mein Dienst an den Armen und Kranken im Dreck der Slums ist letztlich Gottesdienst." Im Jahr 2006 ist der nächste geplant.
M5: PNP vom 23.01.2006, Nr. 18, S. 17
Rottaler Arzt: Urlaubseinsatz für Pakistans Erdbebenopfer
Der Rotthalmünsterer Chirurg Dr. Matthias Haun (52) leistete drei Wochen lang medizinische Hilfe in Kaschmir und versorgte hunderte Menschen
von Renate Mandl
Rotthalmünster. Bergdorf um Bergdorf in Schutt und Asche. Verletzte, verzweifelte Menschen, die bei bitterer Kälte in Zeltlagern ums Überleben kämpfen: Der Rotthalmünsterer Chirurg Dr. Matthias Haun hat das Leid der Erdbebenopfer Pakistans hautnah erlebt - und etwas dagegen getan. Drei Wochen lang leistete der 52-Jährige vor Ort medizinische Hilfe und behandelte Hunderte von Verletzten. Für ein Dankeschön.
Wenn Dr. Matthias Haun, Oberarzt der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Rotthalmünster, Urlaub nimmt und in den Flieger steigt, geht’s eher selten in ein Ferien-Paradies. In den vergangenen Jahren hat der dreifache Familienvater den Großteil seiner Urlaubswochen für medizinische Einsätze in Krisenregionen geopfert. Um den Ärmsten der Armen zu helfen, war er als Mitarbeiter der Hilfsorganisationen "Ärzte für die Dritte Welt" und "Humedica" schon zwei Mal auf den Philippinen und einmal in Liberia. Und nun, nach der Erdbebenkatastrophe im Oktober, auch in Pakistan. "Ich versuche zu helfen, wo die Not am größten ist. Das ist mir als Arzt und Christ ein Bedürfnis", erklärt Haun.
Das Ziel diesmal: die Stadt Mansehra in der Kaschmir-Region, mitten im Erdbebengebiet. Mitten im Elend. Das fünfköpfige deutsche Humedica-Team - zwei Ärzte, zwei Pflegekräfte und ein Koordinator - wurde händeringend gebraucht. Geschätzte drei Millionen Menschen sind obdachlos, rund 80 000 kamen ums Leben.
In einem italienischen Feld-Hospital machten sich Haun und seine Team-Kollegen drei Wochen lang unermüdlich an die Arbeit. Bis zur Schmerzgrenze. Die Patienten standen Schlange. Mit Knochenbrüchen, die es nachzubehandeln galt, mit Wunden, die neu zu verbinden waren, mit Quetschverletzungen, Infektionen oder Erkrankungen der Atemwege. "Nachts kühlte es bereits auf fünf Grad minus ab. Da haben sich sehr viele ältere Menschen und Kinder eine Lungenentzündung geholt. Die meisten haben ja nichts Warmes anzuziehen und viele kein Dach mehr über dem Kopf", erzählt Haun. Aber auch so manche Verbrennung hatte der Rotthalmünsterer zu behandeln. "Um gegen die Kälte anzugehen, machen die Leute in den Zelten Feuer. Da passiert immer etwas."
Ob OP, Röntgengerät, Labor, Medikamente oder Verbandsmittel: Das italienische Feld-Hospital in Mansehra war zu Dr. Hauns Erleichterung verhältnismäßig gut ausgestattet. Sehr viel schwieriger gestalteten sich dafür die Einsätze außerhalb der Stadt. Einige der zerstörten Bergdörfer sind noch völlig von der Außenwelt abgeschnitten, die Straßen verschüttet, die Wege unpassierbar. "Einige Zeltlager in den Bergen konnten wir nur mit Hubschraubern der pakistanischen Armee erreichen. Verletzt, krank, unterernährt und ohne warme Kleidung vegetieren die Menschen in Zelten dahin, und täglich wird es kälter", beschreibt Haun das Elend. Bei all der Zerstörung und Verzweiflung ringsum fühlte sich Haun "oft so ohnmächtig. Nach UNHCR-Schätzungen werden bis zu 30 000 Menschen den Winter nicht überleben." Hunderten konnte er aber zumindest helfen.
Dass auch er die eisigen Nächte im Zelt verbringen musste, ohne warmes Wasser, tut Haun mit einem Schulterzucken ab. Die gemeinnützige Hilfsorganisation "Humedica", die für Flug, Kost und Logis aufkam, muss jeden Euro zwei Mal umdrehen. "Wir waren leider das letzte Humedica-Team, das jetzt in Pakistan im Akut-Einsatz war. Dabei ist weitere Hilfe so dringend nötig."
Wieder zu Hause in Rotthalmünster, fasst Haun schon den nächsten Einsatz ins Auge: Ende des Jahres will der Arzt in den Slums von Kalkutta Hilfe leisten.
Wer unterstützen will: "Humedica e.V.", www.humedica.org, Spendenkonto 4747, Sparkasse Kaufbeuren, BLZ 734 500 00
M6: Foto von Dr. Matthias Haun, 2006
M7: Foto von der Stadt Mansehra, 2006
M8: PNP, 18.11.2016, Nr. 267, S. 34
"Das Bundesverdienstkreuz - für mich?"
Dr. Matthias Haun, Oberarzt und Unfall-Chirurg am Krankenhaus Rotthalmünster, mit hoher Auszeichnung geehrt
von Karin Seidl
Rotthalmünster. Da wäre dieser praktizierende Christ beinahe vom Glauben abgefallen. Als Dr. Matthias Haun die Nachricht erhält, dass man ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verleihen will, glaubt er es nicht. "Das handelt sich bestimmt um eine Namensverwechslung", denkt der Chirurg und ruft glatt bei der Regierung von Niederbayern an. Doch Irrtum ausgeschlossen. Er ist gemeint. Hundertprozentig. Das muss erstmal sacken. Für die Menschen hingegen, die den Mediziner kennen, ist klar, dass er es mehr als verdient hat. Schließlich opfert der inzwischen 63-Jährige seit 2002 mit einer schönen Regelmäßigkeit seinen Urlaub, um für "German Doctors" und "Humedica" ärztliche Hilfe dorthin zu bringen,wo sie am Nötigsten gebraucht wird.
Verständnis fürandere GesellschaftenNur für den Arzt scheint die Auszeichnung schwer begreiflich. Er erzählt von seinen Auslandseinsätzen bei Erdbeben-, Flut- und Bürgerkriegsopfern derart unaufgeregt und bescheiden, als ob es das Normalste der Welt sei, eben wieder einmal alles stehen und liegen zu lassen, um Menschen in Not zu helfen. Die vier weiteren Menschen, die mit ihm in Landshut mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden sind, hätten die Ehre viel mehr verdient als er. "Sie haben sich zum Teil 20, 30 Jahre lang tagtäglich um ihre kranken Partner oder Kinder gekümmert und sie aufopferungsvoll gepflegt", sagt Dr. Haun, "das hat meinen Respekt". Nach ihren Dankesworten habe man als Zuhörer einen Kloß im Hals gehabt, da bei zwei die von ihnen Betreuten inzwischen verstorben sind.
Menschen helfen, denen es nicht so gut geht – dazu fühlt er sich schon allein aus seiner christlichen Weltanschauung heraus verpflichtet. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt Dr. Haun in Rotthalmünster und engagiert sich in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Pocking sowie im evangelisch-lutherischen Dekanatsbezirk Passau. Außerdem ist er Mitglied in der Kirchengemeinde, des Kirchenvorstands, der Dekanatssynode sowie im Dekanatsausschuss.
"Ich bin einfach dankbar dafür, dass ich das Leben führen kann, das ich habe: Ich habe drei gesunde Kinder und einen Beruf, mit dem ich aktiv etwas bewirken kann", zählt der Mediziner auf. Aus dieser vom Leben privilegierten Stellung heraus sei es ihm ein natürlicher Antrieb, etwas weiterzugeben. Und es sei auch mitnichten so, dass er aus diesen Hilfseinsätzen nichts für sich mit nach Hause nehme. Im Gegenteil. "Ich bekomme jedesmal eine ganz andere Sicht auf die menschlichen Nöte", erzählt er, "mich erstaunt, wie Menschen, denen es – objektiv betrachtet – an so vielem fehlt, mit ihren Schicksalsschlägen umgehen und zurecht kommen, zu welcher Dankbarkeit sie fähig sind und wie sie sich untereinander helfen und unterstützen". Das rücke jedesmal sein Weltbild zurecht, "ich bekomme ein Verständnis für andere Gesellschaften und Kulturen, das ich anders nicht erfahren hätte".
Es gibt aber freilich auch Bilder, die man ein Leben lang nicht vergisst, die sich eingebrannt haben und die ihn immer wieder einholen. Bei dem schweren Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 – offizielle Schätzungen gingen von 220000 bis 500000 Todesopfern aus – hat der Rotthalmünsterer Arzt Schlimmes gesehen. "Wir mussten kleinen Kindern, Fünf- oder Sechsjährigen, Gliedmaßen amputieren in dem vollem Bewusstsein, dass man diese Verletzungen bei uns in Deutschland anders hätte behandeln können. Aber die schiere Masse an Verletzten und die örtlichen Ressourcen ließen uns keinen Spielraum." Dr. Haun hat gelernt, sich vor diesen Tragödien selbst zu schützen, er versucht, sie nicht an sich ran zu lassen. "Trotzdem, nur weil man dann irgendwann wieder daheim ist, ist Haiti oder Pakistan nicht abgehakt. Abgehakt gibt es nicht."
Bis zu acht Wochen braucht er oft, bis er in seinem alten Leben als Familienvater, Ehemann und Chirurg wieder richtig rund läuft. "In der Zeit vergleicht man schon viel: das Leben hier, das Leben auf den Philippinen, in Liberia, in Kongo-Brazzaville." Und dann kommt er zu dem Schluss, welch ein geschütztes Leben man in Europa und in Deutschland führen kann. "Natürlich kommen bei uns jetzt auch die Hochwasser-Katastrophen hinzu, aber von Taifunen und Erdbeben sind wir hier verschont." Außerdem gebe es bei uns bei Katastrophen ganz andere Methoden, damit umzugehen. "In den Ländern, in denen ich nach Naturkatastrophen im Einsatz gewesen bin, ist schon vorher die Infrastruktur am Boden gelegen." Das heißt: Straßen sind auch schon vorher kaum als Straßen zu bezeichnen gewesen, Wasser, Strom und Telefon auch zuvor Luxusgüter.
Auch viele schöne Erinnerungen
Gehen in der größten Not – kann man das? "Die Teams werden meist nahtlos abgelöst", sagt Dr. Haun. "Man lässt die Menschen nicht im Stich, ich gehe, die nächsten Ärzte kommen." Einige Projekte laufen sogar schon seit 20 Jahren. Übrigens zählt er sowohl bei German Doctors als auch bei Humedica zu den Exoten. "Meist machen Auslandseinsätze die ganz jungen Kollegen oder die Älteren, die in den Ruhestand gehen. Ich habe versucht, die Auslandshilfseinsätze mit meinem Berufsleben unter einen Hut zu kriegen."
Und natürlich gibt es auch schöne Erinnerungen. "In Ghana habe ich zwei Kaiserschnitte gemacht. Einem gesunden Kind auf die Welt zu helfen, war ein schönes Erlebnis. Eine Geburt ist das ja immer."
Die Hilfseinsätze
Seit 2002 reist der Rotthalmünsterer Chirurg Dr. Matthias Haun regelmäßig zu Hilfseinsätzen – die Reisen zahlt er selbst, er opfert dafür seinen Urlaub. Seine Einsätze waren:
- November bis Dezember 2002: Manila/Philippinen
- Oktober bis November 2003: Manila/Philippinen
- Januar bis Februar 2004: Monrovia/Liberia
- Januar bis März 2005: Manila/Philippinen
- November bis Dezember 2005: Pakistan, Katastrophenhilfe nach Erdbeben
- Oktober bis Dezember 2006: Mindanao/Philippinen
- Dezember 2007 bis Januar 2008: Mindanao/Philippinen
- Oktober bis November 2008: Dodi Papase, Voltaregion, Ghana
- Februar bis März 2010: Haiti, Katastropheneinsatz nach einem Erdbeben
- Dezember 2011: Äthiopien, an der Grenze zu Somalia, Hilfe in einem Flüchtlingslager
- März 2012: Krankenhauseinsatz in Brazzaville/Kongo
- Januar 2013: Krankenhauseinsatz in Banepa/Nepa
- Dezember 2013: Tacloban/Philippinen, Katastropheneinsatz nach einem Taifun
M9: Bilder von Dr. Matthias Haun aus dem Jahr 2016
M10: PNP, 10.05.2021, Nr.107, S. 31
"Urlaub" in einem Slum
Dr. Matthias Haun tut es wieder einmal: Er fliegt für German Doctors zu einem sechswöchigen Hilfseinsatz nach Kenia
von Karin Seidl
Rotthalmünster: Seine Frau hat sich längst daran gewöhnt. Die Kinder sind erwachsen. Und Dr. Matthias Haun, für seine ausländischen Hilfseinsätze für die Ärmsten der Armen vor sechs Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, ist seit einem Jahr im Ruhestand. Also was spricht schon dagegen, sechs Wochen in einem afrikanischen Slum zu verbringen? "Ein richtiger Urlaub ist wegen Corona ja eh nicht drin", sagt er so halb im Scherz. Da könne er ganz ohne schlechtes Gewissen auch was Nützliches tun. Was Nützliches: Das ist in seinem Fall ein Einsatz für die Hilfsorganisation German Doctors, die seit 1997 in Nairobi, in der Hauptstadt von Kenia, das "Baraka Health Center" betreibt, eine Ambulanz, die der ärmsten Bevölkerung den Zugang zu einer Basis-Grundversorgung garantiert.
Das vergisst man nicht: Babys, von Ratten gebissen
Für German Doctors war Dr. Haun schon öfters im Einsatz, das nun ist sein erster in Kenia. Daher weiß der 68-jährige Chirurg, worauf er sich einlässt. Beinahe 20 Jahre hat der gläubige Christ seinen sechswöchigen Jahresurlaub in den Dienst der "tätigen und gelebten Nächstenliebe" gestellt, so nennt er es selbst. Da hat er viel gesehen: Offene, eitrige Wunden, Würmer im Körper, Babys mit Rattenbissen an Ohren und Nase, Tuberkulose, Kinder, denen man nach Erdbeben Gliedmaßen amputieren muss, weil es schnell gehen muss und für andere Operationen hoch spezialisiertes Gerät fehlt. Kinder, die auf Müllbergen rumkrabbeln, Fäkalien, die über Gassen "kanalisiert" werden – oder zurück an den Strand treiben. "Es sind viele Bilder, die man nicht vergisst – und vor allem viele Gerüche, die haften bleiben", sagt Dr. Haun.
Von all dem berichtet er mit einer abgeklärten Ruhe, fast schon mit einer Beiläufigkeit, als ob es das Normalste der Welt sei. Für die Menschen, die so leben müssen, sind diese Zustände leider auch normal. Und für Dr. Haun, Mitglied im Kirchenvorstand der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Pocking, sind seine ehrenamtlichen Hilfseinsätze in der Tat nichts Besonderes. "Andere spenden Geld, ich kann mich praktisch einbringen. Das ist für mich absolut gleichwertig." Als Chirurg sei es für ihn zudem leicht, zu helfen. Das kann er praktisch überall tun – ohne dass große Sprachbarrieren zu überwinden seien. Auf Suaheli übrigens, neben Englisch die Verkehrssprache in dem ostafrikanischen Kenia, hat er schon ein paar Grundbegriffe nachgeschlagen. "Bitte und danke sollte man schon sagen können", meint er. Bitte – "karibu", danke – "asante". Den Rest der Kommunikation übernehmen Übersetzer vor Ort. "Ich arbeite in der Ambulanz mit einem Ärzteteam und einheimischen Angestellten zusammen." Mit vier deutschen Ärzten – davon immer ein Kinderarzt und ein Chirurg – und Übersetzerinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen, Fachkräften in Labor und Apotheke – insgesamt ein Team aus 80 Leuten. 300 Patienten werden in dem Baraka Health Center täglich ambulant nahezu kostenlos versorgt.
Die Hälfte der Slum-Bewohner sind Kinder
Die Patienten leben in einem der größten Slums Nairobis, in Mathare Valley. 400000 Menschen hausen in Hütten aus Wellblech, Brettern, Plastikplanen, in Hütten aus baufälligen Steinmauern oder heruntergekommenen dunklen Betonsilos. Unter diesen Bedingungen müssen dort 200000 Kinder aufwachsen.
Der Familienvater, den dieses Elend freilich berührt und nachhaltig in seinem Denken beeinflusst, kann sich aber dennoch gegen ein "Zu-viel- Einlassen" abgrenzen. "Den Menschen hilft es ja nicht, wenn man nur mit ihnen mitleidet", sagt er. "Ich kann schon das Positive meiner Arbeit sehen: Den Kindern, Frauen, Männern geht es nach der Behandlung besser und sie sind dankbar dafür." Außerdem habe er in seinen Hilfseinsätzen etwas ganz Wichtiges mit nach Hause genommen: "Ich habe gelernt, dass es diese Menschen, auch wenn sie an noch so prekären Lebensbedingungen leiden, dennoch zufrieden sein können. Ich war immer wieder beeindruckt davon, wie sie feiern, singen und Feste gestalten können. Irgendwie schaffen sie es, ihr Leben lebenswert zu gestalten."
Nach einem Hilfseinsatz rückt sich das Weltbild zurecht: wie begünstigt und privilegiert ein Leben in Deutschland ist, frei von Taifunen und Erdbeben, mit einer stabilen Sicherheitslage, einem funktionierenden Gesundheitswesen, in dem man Krankheiten durchstehen kann, ohne Angst haben zu müssen, ob man sich eine Behandlung leisten kann – und mit einem Schulwesen, das allen Kindern offen steht.
Heute fliegt er in eine komplett andere Welt
Am heutigen Samstag ist Dr. Matthias Haun in München um 8 Uhr morgens in den Flieger gestiegen, hat sein ruhiges Haus mit Garten in Rotthalmünster für sechs Wochen hinter sich gelassen. Abends um 20 Uhr wird er in einer anderen Welt ankommen: In Nairobi, einer Stadt mit über vier Millionen Einwohnern, von denen mehr als die Hälfte in Slums leben. Er wird den größten davon ansteuern, den Mathare Valley, dort ist auch die Unterkunft der German Doctors. Dr. Matthias Haun weiß jetzt schon, wie dankbar er – wenn er zurück fliegt nach Deutschland – über die sanitären Anlagen sein wird. Und – Corona geschuldet – hegt er die leise Hoffnung, dass er in sechs Wochen in einem Deutschland landet, in dem die Corona-Pandemie langsam der Schrecken genommen sein könnte. Denn der Mann ist nicht nur ein praktizierender Gutmensch im besten Sinne, er ist auch Optimist: "Weihnachten gehen wir wieder auf unsere Christkindlmärkte." Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Dr. Haun. Den Draht nach oben haben Sie ja.
Wer für German Doctors spenden will, kann das hier tun:
Kontonummer: IBAN DE26 5502 0500 4000 8000 20.
M11: Foto von Dr. Matthias Haun, 2021
M12: Didaktische Impulse
1. Team-Work: Findet euch in 5er Gruppen zusammen. Jede*r sucht sich einen der fünf PNP Artikel aus, liest ihn und stellt anschließend der Gruppe die wichtigsten Inhalte vor.
2. Gestaltet in eurer Gruppe ein Mind-Map zu Dr. Matthias Haun. Die folgenden Fragen können erste Impulse setzen: Welcher Arbeit geht Herr Dr. Haun nach? Wo und warum setzt er sich ein? Was charakterisiert seine Persönlichkeit?
3. Verfasse einen Brief an Dr. Matthias Haun: Welche Aspekte an ihm oder seiner Arbeit findest du bewundernswert? Welche Fragen hast du an ihn?
4. Vergleiche die Arbeit von Dr. Matthias Haun mit der eines anderen local heroes aus der Rubrik "Eine Welt" in der Datenbank. Erläutere anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die dir aufgefallen sind.
5. Dr. Matthias Haun beschreibt seinen Dienst als "tätige und gelebte Nächstenliebe". Untersuche die verschiedenen PNP Beiträge nach weiteren christlichen Äußerungen des Arztes und überlege, welche christlichen Lebensentscheidungen oder -praktiken in deinem eigenen Leben eine Rolle spielen.