Dr. Dölle, Volker*
Thema: Eine Welt, Freiwilligendienst, Hilfsbereitschaft
M1: PNP 08.04.2011
„Man sieht Alltagsprobleme gelassener“
Der in Hauzenberg praktizierende Chirurg Dr. Volker Dölle spricht über sein Auslandsjahr in Asien. Unter schwersten Strapazen reisen täglich Hunderte von Menschen an. Doch nicht jeden Kranken in den überfüllten Wartezimmern können die Ärzte behandeln
Von Thomas Haslböck
Hauzenberg. Dieser Mann muss ein geheimes Lebenselixier in seiner Hausapotheke stehen haben. Mit 67 Jahren sitzt Dr. Volker Dölle frisch und voller Tatendrang in seinem Behandlungszimmer und packt wieder an. In seinem Alter sind andere längst in Rente. Anders bei ihm: Für den Chirurgen ist die Arbeit Leidenschaft und Hobby zugleich. Seit Anfang April behandelt er wieder in Vollzeit seine Patienten im Facharztzentrum in Hauzenberg. Zuvor hatte er ein Jahr lang in einigen der ärmsten Regionen Asiens gearbeitet, namentlich in Myanmar, in Indien und im Jemen.
Der PNP erzählt er von seinen Erlebnissen dort.
Im Urlaub schon oft auf Hilfseinsatz
Wie war er dazu gekommen? Ende des Jahres 2009 stand der Chirurg an einem Scheideweg in seinem Arbeitsleben. Im Facharztzentrum in der Florianstraße hatte sich einiges in der Organisation geändert, dazu machte Dr. Dölle die Gesundheit zu schaffen. Dies nahm er zum Anlass, seine Arbeit im Zentrum zu beenden. Doch seinen Beruf wollte er damit nicht aufgeben. So reifte der Entschluss, in der „Dritten Welt“ den Ärmsten der Armen mit seiner medizinischen Erfahrung zu helfen. Für fast ein Jahr tauschte er die moderne Praxis in Hauzenberg gegen ärmliche Behandlungsbaracken in der erdrückenden Schwüle Indochinas und Indiens sowie in den kargen Bergen des Jemen.
Die Behandlungsstandards spotten im Vergleich zu westlichen Verhältnissen jeder Beschreibung. Aber dort wird jede Hilfe dringend gebraucht. Dr. Dölle war kein Neuling, was derartige Einsätze betrifft: Für die Organisation „Interplast“, die kostenfrei Chirurgie in Entwicklungsländern anbietet, hat er schon öfter ehrenamtlich gearbeitet. Diese Erfahrungen faszinierten ihn so sehr, dass er diese „intensivieren“ wollte – die Rente musste warten. So reiste er Anfang 2010 nach Asien. Erste Station war Myanmar, das frühere Birma. Dölle beschreibt die Arbeit dort als „strapaziös, aber unendlich befriedigend“. Man könne sich in Deutschland die Umstände dort nicht vorstellen. Die Leute pflügen mit Ochsengespannen die Äcker, Dölle spricht von „archaischen Verhältnissen“. Die Anreise zum Behandlungsort ist für die Patienten eine gewaltige Anstrengung. Im Kampf gegen Dreck, Staub und Hunger, begleitet von drückender Sonne oder sintflutartigem Regen, schleppen sich Kranke und Krüppel oft tagelang zur Behandlungsstätte. Doch nicht allen können die Ärzte helfen. Es kommen meist zu viele. Am Morgen warten schon Hunderte im „Wartezimmer“. „Am schwersten ist es, zu entscheiden, wen von diesen Menschen man operiert und wen nicht“, erzählt Dölle.
Er bewundert diese Leute. Sie, die alle Strapazen auf sich genommen und vielleicht ihr letztes Geld für die Reise aufgebracht haben, hadern nicht mit ihrem Schicksal. Selbst wenn sie abgewiesen werden, bedanken und verbeugen sie sich, bevor sie ihre mühevolle Heimreise antreten. Dölle schüttelt den Kopf: „Es ist bemerkenswert, wie heiter man dort mit seinen Lebensumständen umgeht. Dieser Vergleich täte vielen Menschen gut.“ In Deutschland stimme die Relation nicht mehr.
In Asien behandelt Dölle vor allem Missbildungen und Verbrennungen. Er sieht dort Krankheiten, die es in Deutschland nicht mehr gibt, weil sie bereits im Kindesalter behandelt werden. Als Beispiel nennt Dölle Spaltbildungen, die in der Dritten Welt auch bei Erwachsenen zu sehen sind. Die Fehlbildungen gehen manchmal so weit, dass Betroffene nicht vernünftig essen können.
Für hiesige Ärzte sind solche Fälle interessant, weil sie in Deutschland für gewöhnlich damit nicht mehr konfrontiert werden. Aber das war nicht der Beweggrund, der Dölle zu seinem Einsatz motiviert hat. „Man empfängt so viel“. Vor allem die Dankbarkeit dort ermuntere ihn zum Weitermachen. Die Arbeit sei eine Kraftquelle, „die die Dinge zurechtstellt“ und einen Vergleich zum eigenen, sehr guten Leben gibt.
Bei seinem Einsatz in Indien fiel Dölle vor allem die scharfe Kluft zwischen Arm und Reich auf. Nur dem Kastenwesen sei es zu verdanken, dass es keine Unruhen gebe, meint er im Rückblick. Die elenden Massen hoffen auf eine bessere Wiedergeburt. Die vermögenderen Inder konnten es nicht richtig fassen, dass Dölle und Kollegen selbst die „Paria“, also die Kastenlosen, im Urlaub und ohne Bezahlung behandelte.
Bei seinem Aufenthalt im Jemen erlebte Dölle einen Wüstenstaat, der in Stammesgesellschaften zergliedert ist, die sich untereinander bekriegen. Einen scharfen Kontrast brachte in den letzten drei Monaten seiner „Reise“ die Station in Bahrain. Er hospitierte in diesem reichen Öl-Emirat in einem deutschen orthopädischen Krankenhaus. Die jetzigen Unruhen dort waren laut Dölle nur im Keim erkennbar. Aber sein Aufenthalt ging zu Ende, bevor die Revolution dort ausbrach. Da der Staat so klein ist, kennt der Chirurg alle wichtigen Plätze des derzeitigen Aufstands. „Dass so etwas in Arabien passiert, das hat keiner gedacht“, resümiert er.
Arbeit dort eine „Kraftquelle“
Seit Dezember ist er zurück. Schnell war klar, dass Dölle nicht von seinem Beruf lassen kann, die Arbeit im Facharztzentrum begann ihn wieder zu reizen, er half zuletzt auch immer wieder dort aus, steigt nun wieder voll dort ein. Aber die Monate in Asien und Arabien haben bei ihm ihre Spuren hinterlassen. „Wenn man das alles erlebt hat, dann sieht man unsere Alltagsprobleme viel gelassener.“
Interplast
Interplast ist ein gemeinnütziger Verein, der kostenlos plastische Operationen in Entwicklungsländern durchführt. Dabei behandelt Interplast vor allem Menschen mit Gesichtsfehlbildungen, Kiefer-, Lippen- und Gaumenspalten, schweren Verbrennungsnarben sowie Defekten durch Unfälle und Kriegsfolgen. Die Operationsteams bestehen aus plastischen Chirurgen, Anästhesisten und OP-Schwestern, die ihren Urlaub für die Arbeit in der Dritten Welt zu Verfügung stellen. Ziel von Interplast ist es, den Patienten wieder die Möglichkeit zu geben, zu einem sozial integrierten Teil der Gesellschaft zu werden. tmh
M2: Bild von Dr. Volker Dölle mit den Patienten
M3: Didaktische Impulse
1. Studiert den Beitrag! Welche Erfahrungen kann bzw. konnte der Arzt im Ausland sammeln?
2. Welche Argumente sprechen dafür, ähnliche Projekte (Hilfsprojekte, …) in Angriff zu nehmen? Sammelt weitere Beispiele (die ihr z. B. auf der Local-heroes-Homepage findet)!
3. Sucht in eurer Umgebung nach Menschen, die sich auch ehrenamtlich/ sozial engagieren. Interviewt sie nach ihren Motiven und sprecht in der Klasse darüber!